Rakuten FWT: Sentimentalität bei Nachwuchstalenten, Stärkung globaler Beziehungen
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Da die Nachfrage nach japanischen Designer:innen steigt, ist es nicht verwunderlich, dass die Modewoche des Landes ebenso beliebt ist — die Liste der Talente, die sowohl auf europäischen Präsentationen und heimischen Modenschauen zu finden sind, wird immer länger. Vom 11. bis 16. März kehrte die Rakuten Fashion Week Tokyo (FWT) zurück, um einmal mehr ihre Botschaft der globalen Verbindung zu übermitteln. Sie brachte 43 Marken und ein internationales Label im Rahmen des jährlichen „by R“-Projekts des Hauptsponsors mit, in diesem Jahr Marimekko.
Neueinsteiger:innen bleiben an vorderster Front
Während sich die Modewochen in Paris und Mailand eher um Luxushäuser mit jahrzehntelanger Geschichte drehen, scheint Tokio eher eine Plattform für aufstrebende Namen zu sein, und so gibt es ein Gefühl tiefer Loyalität unter denjenigen, die hier schon einmal präsentiert haben. Dieses Engagement bedeutet auch, dass sich Außenstehende Saison für Saison einen detaillierten Überblick darüber verschaffen können, wie sich diese neueren Marken entwickeln und ihre Identität ausbauen, und zwar mit einem Programm, das sie für die Welt auf ein Podest stellt.
Mikage Shin zum Beispiel, eine Marke, die bereits im vierten Jahr dabei ist, hat bewusst eine Geschichte weitergeführt, die seit ihrer Gründung besteht. Das Thema der Kollektion mit dem Titel „Game Changer“ wurde als „lebenslanger Vorschlag“ formuliert, und in diesem Jahr brach die gleichnamige Designerin durch eine Erweiterung von Materialien und Techniken „aus der Hülle der Marke aus“. Ein weiteres Unternehmen, das ins Rampenlicht zurückkehrte, war Hidesign, ein Kollektiv von Designer:innen, das sich ebenfalls in der vierten Saison befindet und dieses Mal seine ersten Schritte auf den kommerziellen Markt unternahm; ein Weg, der zuvor noch nicht beschritten wurde. Das Ergebnis war eine 60-teilige, von Uniformen inspirierte Kollektion, die mit zusätzlichen und übertriebenen Elementen von Workwear-Details aufgewertet wurde.
Kanako Sakai wurde ebenfalls als bemerkenswerte rückkehrende Marke hervorgehoben. Als Empfänger des JFW Next Brand Awards 2024, einem von der Japan Fashion Week Organisation (JFWO) im vergangenen Jahr erstmals aufgelegten Förderprogramm, wurde das Label als „neues Talent mit dem Potenzial, in der globalen Modebranche aktiv zu werden“ ausgezeichnet. Die gleichnamige Designerin will mit ihrer Kollektion die Grenzen von „Weiblichkeit“ aufbrechen, ein Konstrukt, das sie ihr ganzes Leben lang vermied. Stattdessen stellte sie sich mit ihren Entwürfen dem Konzept, indem sie Spitzen-Catsuits, herzförmige Ausschnitte und seidige, glitzernde Stücke mit einem eher androgynen Unterton verband.
Gewinner:innen des Tokyo Fashion Award knüpfen an Pariser Beziehungen an
Eine Betonung von Weltstars wirkte sich auch auf die Gewinner:innen des diesjährigen Tokyo Fashion Award aus, der bereits zum neunten Mal vergeben wurde. Seine Aufgabe es ist, in Tokio ansässige Designer:innen bei ihrem internationalen Wachstum zu unterstützen. Zu den acht für 2024 ausgewählten Designer:innen gehörten FAF, Kota Gushiken, Shinyakozuka, Soshio Tsuki, Haengnae, Mister It, Photocopieu und Tanakadaisuke, die alle im nächsten Jahr im Pariser Showroom des JFWO an der AW25-Saison für Damen und Herren teilnehmen werden. Daneben schien es auch eine gemeinsame Vorliebe für Sentimentalität und globale Perspektiven in den Kollektionen der Gewinner:innen zu geben.
Photocopieu etwa ließ sich von der Beziehung zwischen dem skandinavischen Designmeister Alva Aalto und seiner Frau Aino zu einer Installation inspirieren, die sich auf das Thema „Liebe zu Dingen, die leicht übersehen werden“ bezog. FAF wiederum griff auf die Vergangenheit zurück, um sich in Bezug auf Design und Muster inspirieren zu lassen, indem die Marke die Essenzen verschiedener Kleidungsstücke der ersten Laufstegshow wieder aufnahm. Für ihre eigene Kollektion brachte Anna Sui von Haengnae ihre persönliche Sichtweise von japanischer Handwerkskunst, New Yorker Ausdruck und europäischer Haute Couture zusammen, um eine Reihe eleganter Kleider und Abendkleider zu entwerfen. Diese enthielten Elemente von Miederwaren, Wattierungen und übertriebenen Raffungen, die zu den Klängen von Live-Cellomusik auf dem Laufsteg zu sehen waren.
Die Teilnahme der Preisträger:innen an der nächsten Pariser Modesaison war nur eine der Verbindungen zur europäischen Modestadt, die in diesem Jahr in Tokio deutlich wurden. Sie wurde auch durch eine Pressekonferenz des offiziellen Messepartners der Pariser Modewoche, Tranoï, hergestellt. Das Unternehmen kündigte an, dass es im Rahmen einer neuen Partnerschaft mit JFWO unter dem Namen Tranoï Tokyo nach Tokio kommen werde. Die erste Ausstellung wird am 4. und 5. September stattfinden, zeitgleich mit der nächsten Ausgabe der Rakuten FWT SS25.
Die Verbindung mit der Modebranche weltweit gehört zu den Hauptschwerpunkten von JFWO und Hauptsponsor Rakuten, was dazu beigetragen hat, dass sich die Veranstaltung zu einer Art Inkubator-Plattform entwickelt, um heimische Namen auf die Listen internationaler Modeveranstaltungen zu katapultieren. Diese Mission wurde durch die Verbindungen zur italienischen Pitti Uomo und zum Pariser Showroom der JFWO, wo Marken mit japanischen Handwerkskünsten bereits vertreten waren, nur noch weiter gefestigt.
Während JFWO und Rakuten bereits einige Erfolge damit erzielt haben, europäische Modestädte mit heimischen Namen zu versorgen, ist das Duo auch bestrebt, japanische Designer:innen zur Rückkehr nach Tokio zu ermutigen, um die Reichweite der Modewoche zu erhöhen. In der letzten Saison war dies der Streetwear-Riese Bape, der an der Veranstaltung mit einer Modenschau teilnahm, die von der ‘by R’ Initiative unterstützt wurde, ein Konzept, das sich in dieser Saison mit Marimekko fortsetzte, um ein internationales Publikum anzulocken. Das Konzept ist offensichtlich aufgegangen, wie die Rückkehr von Shinepi Goto von Masu beweist, der zuvor in Paris vorgestellt worden war. In diesem Jahr wurde Goto mit dem Fashion Prize of Tokyo 2024 ausgezeichnet, der von der Tokioter Stadtregierung und JFWO verliehen wird. In diesem Rahmen zeigte er eine Ausstellung für seine Konfektionskollektion mit glitzernden Kreationen und tropfenförmigem Schmuck.
Kindliches Staunen und Nachdenken über die Zeit stand im Mittelpunkt der Trends
Die Verbindungen mit dem Westen waren nicht nur in Form von Kooperationen und Initiativen sichtbar. Auch europäische Designwerte waren in einigen der auf der Modewoche präsentierten Kollektionen zu finden. Tanakadaisuke, ein weiterer Gewinner des Tokyo Fashion Award, präsentierte neben verzierten Netzstoffen und Anzügen mit Kristallen eine „europäisch anmutende“ Soldatenjacke als Ausgleich zu einer eher pastellfarbenen Farbpalette, die mit einem bodenlangen Rock kombiniert wurde, der an die Mode von 1800 erinnerte. Naoki Tomizuka, Kreativdirektor von Queen&Jack, ließ sich bei seiner eigenen Kollektion von Süditalien inspirieren. Der Designer, der vor allem für das französische Modehaus Marc Le Bihan arbeitete, bezog sich auf die italienische Essenz durch eine akademische Ästhetik, die in mehrlagiger Oberbekleidung und Strickwaren präsent war.
Ein ähnliches Gefühl von kindlichem Staunen war einer der Haupttrends der Designer:innen in Tokio. Er stand besonders im Mittelpunkt von Vivianos „What’s New?“-Kollektion, die sowohl Kleidungsstücke als auch Kulissen enthielt, die aus der Jugend und dem gegenwärtigen Leben des Designers stammen. Die Kreationen reichten von bodenlangen Spitzenkleidern, die auch den Kopf bedecken, bis hin zu Zweiteilern aus Jeansstoff mit traditionellen chinesischen Froschverschlüssen und flauschigen Mänteln mit Herzaufdruck. Im wahrsten Sinne des Wortes bezog Chika Kisada Kinder in die Präsentation mit ein, indem das Label junge Ballerinen mitbrachte, die neben Models in mehrlagigen Tüllröcken und gehäkelten Kleidern auftraten. Die Marke war eine weitere, die nach der AW23-Saison unter der Initiative „by R“ wieder auf dem Programm stand.
Ein Gefühl von Nostalgie war auch in den Kollektionen von Kamiya und dem Gewinner des Tokyo Fashion Award, Shinyakozuka, zu spüren, die beide das Konzept der Zeit in ihren jeweiligen Kollektionen erforschten. Unter dem Motto „Time is Blind“ wollte Kamiya die „Doppelnatur des Vergehens der Zeit in der Mode“ durch Herrenmode zum Ausdruck bringen, die einen Hauch von Y2K-Flair verbreitete. Die Ideologie der Marke wurde durch die Modenschau in Shibuya Hyakken-dana noch verstärkt, einem Gebiet, das trotz der Modernisierung in der Gegenwart seiner Vergangenheit treu geblieben ist.
Bei der ersten Präsentation von Shinyakozuka ging es um Zeit, Menschen und Raum. Diese wurden mit den Erinnerungen des Designers an das Tauchen in einem Schwimmbad kombiniert, eine Aktivität, die er nach der Pandemie wieder aufnahm und die sich in seiner Wahl der Präsentation in einem poolähnlichen Raum widerspiegelte. Die Kollektion selbst enthielt starke Bezüge zur Wintersaison durch eine Reihe von Oberbekleidungsstücken wie Dufflecoats, wattierten Westen und Fleece, von denen viele mit kindlichen Drucken verziert waren.
Technologie, KI und digitale Präsenz
Die Rakuten FWT geht jedoch über Laufstegschauen hinaus. Das Bestreben der Veranstaltung, ein globales Publikum zu erreichen, wird auch durch externe Initiativen unterstützt, die die Reichweite erhöhen sollen. Dies wurde in dieser Saison mit der Einführung des Projekts „Digital Voice“ bestätigt, mit dem JWFO versucht, „mehr Menschen das ‘Echte’ der Modewoche spüren zu lassen“. Dementsprechend wurden , sowohl Gruppen von Influencer:innen als auch Fotograf:innen eingeladen, um die Veranstaltungsorte aufzusuchen und die Modenschauen aus ihrer eigenen Perspektive einzufangen. Das Ergebnis des Projekts ist das Konzept „My Runway Gallery“, bei dem Gäste und Besucher:innen ihre Inhalte auf einer offenen Plattform teilen können.
Auch die Technologie spielt für die Modewoche weiterhin eine wichtige Rolle. 2024 war das erste Jahr, in dem die Veranstaltung künstliche Intelligenz (KI) vollständig für die Werbung nutzte. Die Technologie wurde verwendet, um das ganzjährige Thema „Open, Fashion Week“ und das diesjährige Konzept der Koexistenz von Mensch und Natur darzustellen. Die Schlüsselvisualisierungen für die Modewoche zeigten die Gesichter echter Models in einer digitalisierten Umgebung, wobei das Gesichtslernen genutzt wurde, um neue Möglichkeiten zwischen Modelagenturen und Modewochen zu erproben.
Um den Einsatz von KI weiter auszubauen, wurde neben dem offiziellen Programm auch die Tokyo AI Fashion Week angekündigt, mit einem Wettbewerb und einer Ausstellung, die im Wesentlichen dazu dienen, den Einsatz der Technologie zu testen, während die JFWO darauf bedacht ist, sie auf positive Weise für die Modewoche im Allgemeinen einzuführen. Einen Vorgeschmack darauf gab bereits eine Ausstellungsinstallation des Sync Fabric Studio im Tokioter Nationalmuseum, bei der Kimonos aus der Edo-Periode von generativer KI untersucht wurden, um futuristische Haori - kurze japanische Übergewänder - zu entwerfen, die sich auf die „abfallfreie Struktur“ des ursprünglichen Designs konzentrieren.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.uk. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.