Die Tokyo Fashion Week kehrt zurück mit Schwerpunkt auf lokalen Marken und Handwerk
Wird geladen...
Seit Japan vor einem Jahr mit den Lockerungen der Covid-Beschränkungen begonnen hat, befindet sich das Land in einem kontinuierlichen Erholungsprozess und versucht der heimischen Modeindustrie neues Leben einzuhauchen. Das war auch die zentrale Aufgabe der Herbst/Winter 2023-Ausgabe der Rakuten Fashion Week Tokyo, die zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Pandemie wieder einen nahezu vollen Kalender hatte. Vom 13. bis 18. März standen insgesamt 58 Modehäuser auf dem offiziellen Kalender, von denen 42 physische Laufsteg-Shows präsentierten, während die anderen 16 sich für digitale Präsentationen entschieden.
Diese Saison war die erste, die nach der Aufhebung der pandemiebedingten Einschränkungen im ganzen Land stattfand, denn die Regierung nimmt nun das Ankurbeln der inländischen Wirtschaft ins Visier. Dieses Anliegen unterstützt auch Rakuten, der Hauptsponsor der Modewoche, seit seinem ersten Engagement für die Veranstaltung. Ein großer Geschäftszweig des japanischen Technologieunternehmens ist die Modebranche. In den vergangenen Jahren hat Rakuten seine Bemühungen in diesem Sektor verstärkt, etwa durch die Eröffnung einer US-amerikanischen Website und die Einführung neuer Kategorien, wie etwa Luxusmode. Seit der Pandemie konzentriert sich das Unternehmen jedoch vor allem auf die Unterstützung lokaler Marken .
Rakutens Engagement bei der Tokyo Fashion Week
Rakuten ist seit Ende 2019 als Sponsor Teil von Tokios Modewoche, kurz bevor die Pandemie die Welt zum Stillstand zwang und die Frage aufwarf, wie die Modewoche weitergehen sollte. Das Unternehmen entschloss sich, seine Unterstützung trotz der herausfordernden Rahmenbedingungen fortzusetzen und überlegte sich, wie es stattdessen die Modeindustrie in Tokio als Ganzes unterstützen könnte. Dabei konzentrierte sich das Unternehmenbesonders darauf, die regionale Mode für Einkäufer:innen, Presse und Öffentlichkeit attraktiver zu machen. Die ersten Schritte? Die Rückkehr starker japanischer Marken zur Fashion Week.
Als Teil seiner Bemühungen rief Rakuten 2020 das Projekt "By R" ins Leben, angesichts der Tatsache, dass Modelabels pandemiebedingt nicht an ausländischen Fashionshows teilnehmen konnten. Mit dieser Initiative, die seit ihrer Gründung in jeder Saison fortgesetzt wird, sollen Designer:innen unterstützt werden. Sie können die Bühne der Modewoche nutzen, um ihre neuesten Kollektionen zu präsentieren und werden dadurch ermutigt, in ihrer Heimat zu zeigen. Für diese Ausgabe von "By R" wurden die Marken TakahiroMiyashitaTheSoloist und Chika Kisada bekannt gegeben – letztere hat seit sechs Jahren keine Show mehr in Tokio veranstaltet.
Neben dem Verkauf von Produkten in limitierter Auflage für die teilnehmenden Marken von Rakuten Fashion wurde außerdem versucht, ihre Präsenz durch das Programm ‘Online Merges with Offline’ zu verstärken. Dazu gehörte beispielsweise ein Pop-up für TakahiroMiyashitaTheSoloist und neun weitere japanische und internationale Marken im Kaufhaus Shibuya Parco.
Das soll jedoch nicht heißen, dass Tokio die Beziehungen zu seinen westlichen Partnern vernachlässigt. Vielmehr sieht die Modewoche ihre Rolle im genauen Gegenteil: Sie will als Inkubator für japanische Talente fungieren, die dann hoffentlich einen Platz in Paris oder Mailand ergattern – etwas, das Modeschaffende wie Issey Miyake, Comme des Garçons und Yohji Yamamoto bereits realisiert haben. Darüber sprach Ryo Matsumura, der geschäftsführende Direktor von Rakuten, in einem Gespräch mit FashionUnited: „Wenn man sich die Geschichte der Tokyo Fashion Week und der Pariser Modewoche anschaut, haben viele der bekannten japanischen Marken ihre Aktivitäten in Tokio begonnen und sind dann nach Paris weitergezogen. Wir sind wirklich bestrebt, diese Richtung weiter voranzutreiben. In dieser Hinsicht glauben wir, dass wir in der Lage sein sollten, eine Zusammenarbeit zwischen Tokio und Paris oder anderen Fashion Weeks außerhalb von Tokio aufzubauen. Wir haben gerade erst damit begonnen, die Möglichkeiten auszuloten.”
Eine andere Art, wie Rakuten den Wandel der Veranstaltung vorantreiben will, ist durch verstärkte Digitalisierung und durch den Einsatz von Hologrammen und anderen Technologien bei den Schauen. Dieser Aspekt war laut Matsumura besonders während der Pandemie wichtig, als es auf die digitale Verbreitung von Inhalten ankam und man auf die Übertragung von Modenschauen per Livestream und den E-Commerce angewiesen war.
Dieser Entwicklung setzt sich auch in der aktuellen Saison fort, ebenso wie ein besonders wichtiger Unterschied zwischen der Fashion Week damals und heute: die Öffnung der Veranstaltung für die Endverbrauchenden – ein ähnlicher Schritt, der kürzlich auch von vielen Marken bei der Mailänder Modewoche unternommen wurde. „Modewochen richten sich in der Regel an Unternehmen und Interessengruppen, aber wir glauben, dass wir, um die Modekultur in Japan oder Tokio zu kultivieren, die Fashion Week wirklich für unsere Kund:innen öffnen müssen, damit sie selbst auf die Inhalte zugreifen können", sagte Matsumura.
Designer:innen betonen Handwerkskunst und traditionelle Werte
Das Bestreben der Fashion Week Tokyo, sich mit der Welt außerhalb Japans zu vernetzen, zeigte sich auch in der Einbindung unterschiedlicher internationaler Designer:innen, die in dieser Saison auf dem Laufsteg zu sehen waren. Die chinesische Designerin Yuenqi Qi und das französische Label J.Simone nahmen beide zum ersten Mal teil. Qi ist Stammgast der Shanghai Fashion Week, J.Simone zeigte auf der Paris Fashion Week SS23. Während Qi psychedelische Referenzen der 1960er mit dem Y2K-Trend kombinierte, ließ sich J.Simones Designerin Jude Ferrari bei ihrer Kollektion von berüchtigten Schurken inspirieren, wobei jedes Stück auf bestimmte Charaktere wie den Joker oder die Black Widow Bezug nahm.
Die japanischen Designer:innen präsentierten Kollektionen, die die japanische Gesellschaft kommentieren, und so eine lokale Sichtweise auf die Mode ihresLandes gaben. Besonders deutlich wurde dies in den Kollektionen der beiden Labels des "By R"-Programms, die sich für FW23 mit dem Thema Gender auseinandersetzten. Takahiromiyashita The Soloist griff das Thema in seiner Kollektion mit Kleidungsstücken auf, die normalerweise mit Weiblichkeit assoziiert werden, wie Miniröcke, fließende Kleider und flauschige Westen – die aber stattdessen von männlichen Models getragen wurden. Der Designer untermauerte diese Einstellung in seinem Motto für die Kollektion, das auf den Liebesbrief einer ungenannten "engen Freundin" hinwies. Chika Kisada hingegen entschied sich dafür, das Thema Weiblichkeit genauer zu ergründen und dabei auch die männliche Form zu berücksichtigen, indem sie eine Kollektion entwarf, die sich auf ihre Vergangenheit als Balletttänzerin bezog. Der männliche Balletttänzer Haruo Niyama trat im Hintergrund der Show auf, während die Models in übertriebenen Tüll-Silhouetten und Chiffonkleidern über den Laufsteg schritten, die laut der Designerin sowohl für männliche als auch für weibliche Kunden entworfen wurden.
Bei Akiko Aoki ging es weniger um das Geschlecht als vielmehr um die konservative Gesellschaft als Ganzes. Die junge Designerin, die nach fünf Jahren in die japanische Hauptstadt zurückkehrte, präsentierte eine Reihe von Entwürfen, die auf der Vorderseite schlicht und dezent wirkten, während die Rückseiten freizügige Ausschnitte und gewagte Säume enthüllten. Soshiotsuki verfolgte einen ähnlichen Ansatz und hinterfragte den gesellschaftlichen Anpassungsdruck durch die Augen eines japanischen Geschäftsmannes. Das Ergebnis waren Kleidungsstücke, die Eigenschaften widerspiegeln, die er mit Konformität in Verbindung setzt: buckelige Silhouetten, die eine schlechte Körperhaltung abbilden und graue Anzüge, die typisch sind für Japaner und oft spöttisch mit "Dobuzumi" oder Rattenanzüge betitelt werden.
Sowohl Aoki als auch Otsuki konzipierten ihre Entwürfe mit dekonstruierten Passformen, was von einem großen Teil der teilnehmenden Designer übernommen wurde, darunter auch Ablankpage, die Dekonstruktion und sozialen Kommentar zusammenbrachten. Das Label, gegründet 2022 von dem Thailänder Larprojpaiboon Phoovadej, entstand mit der Intention, Stereotypen abzubauen. Wie viele japanische Designer:innen bevorzugt Phoovadej komplexe Konstruktionstechniken und neu gestaltete Kleidungsstücke, die grob und offen erscheinen.
Rekonstruktion und kontrastierende Methoden waren ein unverkennbares Element bei vielen Shows. Während die anonyme, junge Designergruppe Khoki solche Themen mit skurrilen, von der Kindheit inspirierten Linien zeigte, stellte Ryota Murakami, der Designer von Pillings, dekonstruierte Strickwaren in den Mittelpunkt seiner Kollektion, die in unkonventionellen und abstrakten Formen zusammengefügt wurden. Andere Designer:innen verwendeten ähnliche Methoden, kombinierten sie jedoch mit traditionellen Produktionstechniken, die japanische Designwerte aufgreifen.
Bei Seivson kombinierte der taiwanesische Designer Tsu Chin Shen umgestaltete Oberbekleidung mit Gürteln und verband so moderne und klassische Formen miteinander. Irenisa zeigte Jacken und Hosen, die in Zusammenarbeit mit einem Kunsthandwerker aus Kyoto entstanden, der sich auf Färbetechniken aus dem 17. Jahrhundert spezialisiert hat. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte das Label UCF, das für seine Kollektion dekonstruierter Arbeitskleidung eine Kombination aus Denim aus dem Gebiet Okayama und anderen Materialien verwendete.
Das Thema Nachhaltigkeit wurde während einer dreitägigen Veranstaltung mit dem Titel "Sustainable World" hervorgehoben, die von dem Unternehmen Zero-Tex ausgerichtet wurde. Das Festival richtete sich sowohl an Modestudent:innen als auch an diejenigen, die sich für den Sektor interessieren. Es fanden Podiumsdiskussionen zu einer Reihe von Themen statt, darunter auch Informationen über die Einführung nachhaltiger Geschäftspraktiken. Außerdem gab es eine Zusammenarbeit mit dem Fashion Institute of Technology, bei der drei Studierende der New Yorker Schule das Zero-Tex-Material selbst verwenden durften, welches zu Beginn der Pandemie entwickelt wurde. Die fertigen Designs wurden in einer Ausstellung gezeigt, an die ein Workshop für japanische Studierende gekoppelt war, wodurch wiederum die Bedeutung des Handwerks im Design noch stärker hervorgehoben werden sollte.
Luxuskonsum in Japan nach der Pandemie
Die Vorliebe für handgefertigte Artikel und diverse Handwerkstechniken war auch beim Streetstyle zu beobachten und die Teilnehmenden übertrugen die Looks in ihre individuellen Garderoben. Außerdem sei zu beobachten, dass die Kund:innen in der Region sehr spezielle Charakteristika haben, wenn es um das Einkaufsverhalten geht, wie Matsumura von Rakuten betonte: „In den westlichen Ländern sind der Luxus- und Mittelklasse-Sektor stark voneinander getrennt, aber in Japan vermischen sie sich. Dafür gibt es zwei Gründe: Der eine hat mit der individuellen Finanzlage und der Verteilung zu tun. In Japan gibt es mehrere demographische Segmente, die statistisch gesehen kleiner sind als in den USA. Daher können Luxusmarken in Japan größere Gruppen ansprechen. Zweitens ist ein typisches Merkmal der Japaner:innen das"Editing" der Mode. Sie bearbeiten ihren Stil, indem sie verschiedene Segmente mischen. Es gibt viele Menschen, die Mittelklasse- oder sogar Fast-Fashion-Kleidung mit Luxusmarken mixen".
Während Rakuten sich darauf konzentriert, den Bekanntheitsgrad der einheimischen Marken zu erhöhen, sind japanische Verbraucher:innen auch Fans globaler Luxusmarken. Dadurch ist Japan einer der wichtigsten Regionen eben dieser Marken. Diese Stimmung spiegelt sich auch in den Finanzberichten der großen Modekonzerne wider, so bezeichnet Richemont Japan als die viertwichtigste geografische Region des Konzerns. Das führte dazu, dass Louis Vuitton mit der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama zusammenarbeitete und Dior in Tokio die Ausstellung "Designer of Dreams" und eine Reihe von neuen Filialen eröffnet hat. Im vergangenen Jahr präsentierte Chanel seine Metiers d'Art-Show in Tokio, und kürzlich zeigte auch Marni in der Stadt seine FW23-Kollektion. Kreativdirektor Francesco Risso wollte so die Marke in die "Epizentren" ihrer Kundschaft bringen, wie er vor der Veranstaltung gegenüber dem Fachmagazin WWD erklärte. Japan sei einer der wichtigsten Märkte für Marni und macht 23 Prozent des Gesamtumsatzes der Marke aus.
Auch die Studie von Bain & Company stützt diese Aussagen. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass vorsichtige japanische Verbraucher:innen die globalen Luxusmarken während der Pandemie als Investition betrachteten. Das Konsumverhalten hat sich zugunsten des E-Commerce verschoben. Konsument:innen wendeten sich entweder erstmalig dem Onlinehandel zu, oder weiteten ihre Nutzung dahingehend aus.
Fashion Week Tokio nimmt Paris ins Visier
Während globale Luxusmarken weiterhin ihren Platz auf dem japanischen Markt behaupten, wollen Rakuten und Tokios Modewoche weiterhin junge Talente aus Japan fördern. Rakuten will die Designer:innen unterstützen und ihnen helfen zu wachsen, um so an anderen einflussreichen Fashion Weeks weltweit teilzunehmen, so Matsumura: „Wenn wir eine Zusammenarbeit mit Paris oder anderen Modewochen aufbauen könnten, wäre das der beste Weg. Es gibt viele junge, alternative Designer:innen in Europa und anderen Regionen, die auch nach Tokio kommen könnten, und so könnten wir die Fashion Week Tokyo zu einer globalen Veranstaltung für junge Talente machen."