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MCM-Präsidentin Sabine Brunner über ‘Mavericks’, Marketing und das Metaverse

Von Jule Scott

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Mode
Sabine Brunner, President MCM Global AG Bild: MCM

‘Modern Creation München’ – dafür stand MCM einst, als die Modemarke 1976 gegründet wurde. Doch wie garantiert man, dass Kreationen stets modern bleiben und wie schafft man den Spagat zwischen Tradition und Innovation für eine neue Generation von Luxuskund:innen?

Alles Fragen, mit denen sich Sabine Brunner konfrontiert sah, als sie vergangenes Jahr ihren Posten als Global Commercial and Brand Officer & President bei der MCM Global AG antrat. Brunner, die zuvor unter anderem als Managing Director bei Tod’s in Hong Kong, Roger Vivier, Bonpoint und La Double J tätig war, scheute diese Herausforderung jedoch nicht, vielmehr lag genau darin der Reiz, das Ruder zu übernehmen, wie sie FashionUnited im Interview verriet.

Rückbesinnung auf das Erbe und eine ‘vergessenen’ Kund:innengruppen

„Ich kam zu MCM, da Sung-Joo Kim, die Vorsitzende der MCM Group, die Marke wieder näher an ihre ursprüngliche Position heranführen wollte, ohne sie jedoch drastisch zu verändern“, erklärte Brunner gegenüber FashionUnited. Die Entscheidung der strategischen Neuausrichtung kam nach dem Abgang von Kreativdirektor Dirk Schönberger, der das Münchner Modehaus Anfang 2023 still und leise verließ.

Nach vier Jahren bei MCM hinterließ der Designer, der einst Kanye West und Adidas zusammenbrachte, eine „zu Recht“ von Streetwear und Subkulturen geprägte Markenidentität und jede Menge Rucksäcke, doch die Zeiten hatten sich geändert. Kim, Chief Visionary Officer des MCM-Mutterkonzern Sungjoo Group, habe diesen Wandel vorweggenommen und verstanden, “dass sich die Marke wieder auf ihr Erbe besinnen musste, um Konventionen zu hinterfragen und Grenzen zu überschreiten.“

„Gemeinsam haben wir beschlossen, unsere bestehenden Kund:innen zu respektieren und zu halten, aber die Marke weiterzuentwickeln, um Innovationen innerhalb unseres aktuellen Produktportfolios, wie etwa unser Visetos-Monogramm, voranzutreiben“, erklärte die MCM-Markenchefin. Dabei liege der Schwerpunkt vor allem auf der Entwicklung neuer Produkte, die multifunktional und technologieorientiert sind und sich an die jüngere Generation richten. „Wir haben unsere Marken-DNA und unsere wichtigsten Kund:innengruppen neu bewertet und erkannt, dass wir einige Teile der Community, die MCM-Fans sein sollten, übersehen haben.“

Bei der bislang zu kurz gekommenen Gruppe handelt es sich um von Brunner als ‘Mavericks’ bezeichnete Menschen, also diejenigen, die ihren eigenen Weg gehen. Sie gehen Hand in Hand mit Brunners Auffassung von der Marke als ‘enfant terrible’, denn sie ist der festen Überzeugung, dass dies die Emotion ist, aus der die Marke Ende der 70er-Jahre geboren wurde. „Der Geist der Marke war schon immer rebellisch, aber es ist eine anspruchsvolle Rebellion. MCM ist eine Marke, die nicht dem Trend hinterherläuft. Und es ist eine Marke, die laut und mutig ist – und wir mussten all das in unserer Kommunikation vereinen, damit wir Gleichgesinnte ansprechen können.“

Credos, Mantras und Mottos von MCM

Das Stichwort Kommunikation ist ein wichtiges, denn seit Brunners Ankunft startete die Münchner Marke eine regelrechte Marketingoffensive und heuerte mitunter die Design- und Werbeagentur Baron & Baron an. „Das allererste Ziel war es, alle Elemente des heutigen MCM und all diese internen Gespräche, unsere internen Credos, Mantras und Mottos zu nehmen und neu zu schreiben, wer MCM ist, woher es kommt und an wen es sich richtet. Die erste Kampagne, die wir mit Fabien [Baron] entwickelt haben, war eine Konsequenz aus all dem. Wir griffen auf unsere eigene Geschichte mit Cindy [Crawford] zurück und wählten die Frau, die in den 90er-Jahren die Muse der Marke war, denn das ist es, woran sich die Menschen bei MCM erinnern.“

Cindy Crawford für MCM Bild: MCM.

Auch Brunners Freund:innen sollen sie bei ihrem Wechsel zu MCM auf die damals vom Fotografen Herb Ritts abgelichtete Kampagne mit Crawford aus den 90er-Jahren angesprochen haben, was den Beschluss bekräftigt habe, die Kampagne mit dem deutschen Fotografen Jürgen Teller nachzustellen. „Er war jemand, mit dem wir schon immer zusammenarbeiten wollten, nicht nur, weil er Deutscher ist und in München lebt, sondern auch, weil dies unsere einzige Chance war, mit einem einzigen Image zu verkünden, dass MCM zurück ist.“

MCM-Maverick Cara Delevingne Bild: MCM

Die darauffolgende “Mavericks”-Kampagne mit Model und Schauspielerin Cara Delevingne sowie dem Model Xu Meen entstand als natürliche Konsequenz der herausgearbeiteten Markenidentität und gab der zuvor bereits genannten Kund:innengruppe eine Galionsfigur, “die den Geist von MCM verkörpern konnte“ und auf der nun immer weiter aufgebaut werde. Besondere Beachtung kommt allerdings nicht nur den ‘Mavericks’, sondern auch den ‘digitalen Nomaden’ zu, wobei diese sich keineswegs gegenseitig ausschließen. Brunner zufolge suchen die ersteren jedoch vor allem nach Produkten, die unkompliziert, cool, multifunktional und intelligent sind und deren Ethos sich sowohl in der Positionierung als auch in der Preisgestaltung der Marke widerspiegelt.

Ein fließender Wechsel an der Kreativspitze

Was die genaue Positionierung von MCM angeht, betont Brunner, dass sich MCM keineswegs mit den „Giganten“ der Branche messe, sondern den Raum “genießen”, den sie in Bezug auf Produkte und Preisgestaltung freimachen. Produkte aus der SS24-Kollektion der Münchner Marke liegen preislich zwischen 175 Euro für ein Hundehalsband mit Visetos-Logo und 2700 Euro für eine schwarze Lederjacke mit Visetos-Lining.

Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Kund:innen von MCM und Marken wie Balenciaga oder Gucci – zumindest insofern, als die Logoliebhaber:innen fündig werden würden – sehe sie aber allemal. Logomania für Quiet Luxury einzutauschen scheint für die Münchner Marke also nach wie vor, Trend hin oder her, kein Thema zu sein. Vielmehr setzt das Team um Brunner auf Smart Luxury, was in diesem Fall für Seasonless, Made for Movement, Ageless, Responsible und Transformative steht. „Das sind Elemente, die wir in jedes Produkt, das wir entwerfen, einbauen“, so Brunner, die im Zuge dessen ein deutsches Design-Urgestein erwähnt. „Es ist eine Rückkehr zur Bauhaus-Philosophie: Form folgt Funktion.“

MCM "From Munich to Mars" Bild: MCM

Entworfen werden die besagten Produkte seit der Neuausrichtung der Marke, die zudem einen zunehmenden Fokus auf Ready-to-Wear legt, von Katie Chung, mit der MCM “mit frischem Engagement für Kreativität, Visionen und Innovation in die Zukunft schreiten werde“. Ganz nach Plan lief es dabei allerdings nicht, denn ursprünglich sollte das Label eine kreative Doppelspitze aus Chung und der Modeschöpferin Tina Lutz bekommen. Die beiden Designerinnen wurden vergangenes Jahr mit der globalen Design- und Kreativdirektion der in München gegründeten Marke betraut, saßen jedoch an unterschiedlichen Orten der Welt und trugen unterschiedliche Titel.

Die in Seoul ansässige Chung nahm die Rolle des Creative Directors ein und Lutz übernahm als Global Creative Lead von MCM das Design und die kreative Leitung des globalen Designstudios in Mailand. Die räumliche Trennung auf Aufteilung ist für MCM nichts Ungewöhnliches, denn die HW24-Kollektion der Marke mag zwar den Titel “From Munich to Mars“ getragen haben, in der Realität agiert MCM aktuell jedoch zwischen seinem Herkunftsort München, dem schweizerischen Zug, der südkoreanischen Metropole Seoul und dem italienischen Mode Mekka Mailand, welches Brunner als einen wichtigen Ort für Design, Kreativität und Beschaffung bezeichnete. „Wir produzieren in Italien, also ist es wichtig, näher an den Fabriken zu sein, das ist hilfreich.“ Seoul beherbergt die globalen Funktionen, seit das Unternehmen 2005 von der südkoreanischen Sungjoo Group gekauft wurde, und ist nun auch das kreative Zentrum des Hauses, das nicht mal ein Jahr nach ihrer Ernennung wieder ohne Lutz auskommen muss.

„Tina ist immer noch Teil des Creative Boards, aber ihre eigene Marke [Anm.d.Red.: Lutz Morris] läuft im Moment so gut, dass sie leider nicht so viel Zeit mit uns verbringen kann, wie ursprünglich geplant war“, so Brunner. „Sie musste ihren Aufgabenbereich bei MCM reduzieren, aber sie ist immer noch Teil des kreativen Gremiums und gehört zur Familie.“

MCM-Kreativdirektorin Katie Chung. Bild: MCM

Brunner selbst vervollständigt das geografische Puzzle und hat ihren Sitz in der Schweiz, wo "ein großer Teil der globalen Funktionen" angesiedelt ist, ist deshalb allerdings keineswegs fernab von kreativen Entscheidungen. Ihr Titel als Global Commercial and Brand Officer & President lässt bereits erahnen, dass es sich bei Brunner um eine Art ‘Jack of all Traits’ handelt, dabei betont sie allerdings, dass sie zwar “alle diese Hüte gleichzeitig trage“, sich aber nicht überall einmische. „Ich habe keinen Einfluss auf das Design oder den kreativen Prozess, aber wir haben Design-Meetings, um sicherzustellen, dass sich alles nicht nur in die richtige, sondern auch in die gleiche Richtung bewegt.“

„In der Branche gibt es verschiedene Arten von Profilen: produktorientierte und nicht produktorientierte. Ich bin und war schon immer ein sehr produktorientierter Mensch“, ergänzt Brunner, die sich selbst in die produktorientierte Gruppe kategorisiert, auch aufgrund ihrer Wirkungszeit unter Diego Della Valle beim italienischen Modekonzern Tod’s, der längst sehr produktorientiert, aber auch PR-affin gewesen sei. „Wenn man ein Unternehmen wirklich kennen und führen will, kann man nicht zwischen "kreativ“ und "geschäftlich“ trennen. Kommerziell können wir nur erfolgreich sein, wenn wir das richtige Produkt und die richtige Kommunikation haben – alles hängt zusammen.“

‘Es sind viele Dinge in der Pipeline’

Auf den kommerziellen Erfolg angesprochen nennt Brunner zwar keine konkreten Zahlen, betonte jedoch, dass die Ergebnisse die Erwartungen des Unternehmens bis dato weit übertroffen haben, auch wenn ein Wandel immer etwas Zeit brauche. Die Resonanz in den Läden, seit der Auslieferung der SS24-Kollektion vergangenen November, sei „überwältigend positiv“ ausgefallen und die Verkäufe in den Geschäften sollen sich derzeit verdoppeln.

Das Produktportfolio der Marke wurde außerdem, etwa durch Lizenzvereinbarungen mit dem Brillenhersteller Marcolin sowie einem neuen Parfum namens ‘Crush’ mit dem Beautykonzern Interparfums, erneut erweitert. Hinzu kommen nachhaltige Bemühungen wie eine Kollaboration mit der nachhaltigen Koffer-Marke Harper Collective, bei der Koffer aus recycelten Fischernetzen hergestellt werden und ein neues Mirum-Material, mit dem MCM seine erste vegane und plastikfreie Tasche auf den Markt brachte. Dabei soll es sich allerdings keineswegs um die einzigen Neuheiten in diesem Jahr handeln, wie Brunner im Gespräch anteaserte: „Es sind viele Dinge in der Pipeline. Sie werden im Laufe des Jahres von uns hören.“

Die (digitale) Zukunft

Wachstum wird bei MCM aktuell großgeschrieben, allerdings nicht lediglich durch weitere Expansionen in ferne Länder, auch wenn einige Orte noch auf der Liste der 46 Länder, in denen die Marke vertreten ist, bis dato fehlen. Ein solcher Ort, der sich vielleicht nicht unbedingt auf der besagten Liste befindet, den MCM jedoch unbedingt erobern will, ist das Metaverse. Nicht zuletzt auch, weil Kim, die Vorsitzende der Gruppe, fest an die digitale Zukunft glaubt.

Brunner nennt ihre Vorgesetzte eine Visionärin und betont, dass diese ihrer Zeit voraus sei, was auch einen weiteren Schritt ins Metaverse und den bevorstehenden für Juni geplante Launch eines Projekts, das äußerst anspruchsvoll ist und sehr rasch voranschreitet, vorangetrieben habe. Die gemeinsam mit Kollaborationspartner "The Caliverse" geschaffene Welt beschreibt die Global Commercial and Brand Officer als eine 'vollwertige Umgebung', in der man ein paralleles digitales Leben führen kann. Verbindungen zum realen Leben gebe es allerdings auch, denn MCM-Produkte, die man in Zukunft dort für seinen personalisierten Avatar ersteht, würde man auch zu Hause erhalten. „Dieses Projekt wird viele Türen öffnen – und es ist sehr nachhaltig.“

Die Erschließung eines weiteren Landes in der echten Welt sei allerdings mit Indien trotz aller digitalen Pläne noch in diesem Jahr geplant. Auch wenn das Hauptaugenmerk darauf liege „mit dem, was wir bereits haben, viel zu erreichen“, so Brunner. „Letztendlich wollen wir, dass MCM immer präsenter und sichtbarer wird.“

Interview
MCM
Sabine Brunner