Zurück in London – das war die erste Ausgabe der Pure London x JATC
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In der britischen Messelandschaft hat der Zusammenschluss der zwei Modemessen Pure London und Just Around The Corner (JATC) für viel Aufmerksamkeit in der Branche gesorgt. Die einstigen Rivalen gaben im August 2023 bekannt, sich für eine gemeinsame Veranstaltung in London zusammenzuschließen, um so ihre Reichweite und ihr Angebot zu vergrößern. Damit folgen die britischen Veranstaltungsformate einem Trend, der in der gesamten Messebranche zu beobachten ist: So hat auch die Copenhagen International Fashion Affair (CIFF) ihren einstigen Konkurrenten Revolve übernommen und die Ausstellenden unter ein Dach gebracht.
Die erste Ausgabe der Pure London x JATC fand vom 11. bis zum 13. Februar statt, gleichzeitig mit der Schwestermesse Scoop, die ebenfalls von der Muttergesellschaft Hyve Group veranstaltet wird. Mit einer „Rekordzahl” an Ausstellenden kehrte das neue Format in die Heimat der Pure – das Messezentrum Olympia London – ein. In den drei Tagen fanden Trendseminare, Podiumsdiskussionen und Laufstegshows statt, bei denen die vertretenden Marken und die wichtigsten saisonalen Trends für alle Besuchenden präsentiert wurden.
Gemeinsame Missionen und der Zusammenschluss von Marken
Wie auch bei der CLIFF bestand die große Herausforderung beim Zusammenschluss der Pure und der JATC darin, ihre Ziele zu verbinden, was vor allem für die Organisator:innen Gloria Sandrucci und Juls Dawson ein enormer Lernprozess war. Neben dem Anliegen, die neue Messe für die Einkäufer:innen und Aussteller:innen zugänglicher zu machen, waren an den Messeständen einzelne Elemente der jeweiligen Ursprungs-Messen zu erkennen und ein neues ‘Showroom-Paket’ ermöglichte den Ausstellenden eine einfachere und kostengünstigere Teilnahme. „Wir haben die einfachere Art, die Juls schon auf der JATC hatte, übernommen. Wir haben andere, sehr einfache Angebote eingeführt, um neuen Marken und jungen Talenten die Möglichkeit zu geben, die Messe auf innovative Weise zu erleben”, erklärt Gloria Sandrucci, Veranstaltungsleiterin der Pure, im Interview mit FashionUnited.
Dieses Bestreben wurde auch in dem erweiterten ‘Pop’-Bereich der Pure x JATC deutlich. Dort waren neben etablierten, auf die Zielgruppe GenZ ausgerichteten Marken, auch eine Reihe von Nachwuchs-Labels zu finden, die von Vertreter:innen dieser Generation gegründet wurden. Dazu gehörte auch das Label Heretic Nine, das vor einem Jahr von Leyla Edwards mitbegründet wurde. Die Designs der außergewöhnlichen und nostalgischen Kollektionen des Labels beziehen sich auf vergangene Epochen. Die Mission der Gründerin ist es, mit ihrer Marke die Geschlechtergrenzen in der Mode aufzulösen – damit passt ihre Arbeit genau in das ‘Pop’-Konzept der Messe. Auch wenn sich das junge Label von einigen der bekannten Namen abhob, sagte Edwards, dass die Teilnahme an der Messe ihr geholfen hat, eine Menge über die Branche und die Arbeitsweise zu lernen.
Die Teilnahme von Heretic Nine auf der Pure x JATC findet im Vorraus einer anstehenden Zusammenarbeit der Marke mit dem britischen Bekleidungshändler Asos statt, der bisher die Kollektionen der Brand in seinem Onlineshop angeboten hat. Außerdem plant das Label die Eröffnung eines Concept Stores in Shoreditch. Die Teilnahme an der Messe hat die Zukunftsaussichten für Edwards noch verbessert, wie die Gründerin gegenüber FashionUnited sagte: „Eine ganze Reihe von aufstrebenden Streetwear-Boutiquen und Einzelhändler:innen, haben mich angesprochen – viele aus Irland und ein paar aus den USA und Europa. Ich bin auch auf der Suche nach Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten kann. Hier gibt es viele Gleichgesinnte, sodass sich ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt hat und ich habe viele Kontakte geknüpft.”
Die Unterstützung von Newcomern ist ein zentraler Bestandteil der Pure x JATC und auch eine wichtige Mission für Sandrucci. Auch deswegen war von Anfang an klar, dass die Messe weiterhin mit der Graduate Fashion Foundation zusammenarbeitet und die Teilnehmer:innen ihre Kollektionen auf der Ausstellungsfläche zeigen. „Sie sind die Zukunft und absolut entscheidend für die Modelandschaft. Wir setzen uns sehr für junge Talente ein und bieten mit fertigen und möblierten Ständen eine einfache Lösung für Labels, die am Anfang ihrer Reise stehen – sie können einfach mit ihren Produkten auftauchen und so wird ihnen die Teilnahme erleichtert.”
Ehemalige JATC-Ausstellende kommen auf die Pure
Dieses Anliegen baut auf der früheren Ausgabe der JATC auf, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, diejenigen zu unterstützen, die einen schlechteren Zugang zur Industrie insgesamt haben. Vor allem für JATC-Direktor Dawson liegt der Fokus auf der nordischen Industrie: Da die JATC früher zweimal jährlich in Manchester veranstaltet wurde, hatten Einzelhändler:innen aus Nordengland, Nordirland und Schottland einen leichteren Zugang, der nun durch eine Reise nach London aufgrund der finanziellen Belastung erschwert wurde.
Es war das Ziel der JATC, viele Ausstellende mit zur Pure nach London zu nehmen – dafür ließen viele andere Veranstaltungen aus, die für sie eigentlich zugänglicher wären. Die Hyve Group, die Muttergesellschaft der Messe, hat eine weitere Veranstaltung in Birmingham im Norden des Landes. Die Abkehr von dieser Messe hat sich für einige als Enttäuschung erwiesen.
Dazu gehörte auch Byoung, eine dänische Marke unter dem Dach der DK Company, die bei der neuen Ausgabe der Messe einen der größeren Stände besaß. Das Label war ein langjähriger Aussteller auf der Pure, bevor es zur JATC wechselte. Bei ihrer Rückkehr auf das Messegelände in London stellten die Vertreter:innen der Marke fest, dass trotz der zahlreichen Teilnahme von unabhängigen Händler:innen ein deutlicher Mangel von Einzelhändler:innen aus dem Norden herrschte. Sie hatten auch eine ähnliche Mentalität bei den Einkäufer:innen festgestellt, die eine viel größere Auflage der Messe erwartet haben.
„Das Problem ist, dass bei der Aufteilung der Messen und ihrem jetzigen Zusammenschluss nicht genügend Marken zurückgekommen sind. Viele Einkäufer:innen sind zurückgekommen, aber das allgemeine Empfinden ist eindeutig: Es gibt nicht genug. Es müssen mehr größere Marken teilnehmen. Wir sind Teil der DK Company, also haben wir diesen großen Bereich. Ich denke, dass viele Einkäufer:innen zurückgekommen sind, weil sie die Idee einer gemeinsamen Messe mögen, aber einige von ihnen sind enttäuscht, da sie ein größeres Format erwartet hatten," kommentiert Agentin Mary Ryan.
Ein anderes Empfinden hat Cara Melzack, Gründerin und Geschäftsführerin von Cara & The Sky, die auch schon früher an der JATC teilgenommen hat. Für sie war die Neuauflage der Messe eine positive Erfahrung: „Ich finde es gut, dass sie das Konzept der JATC mit den Kleiderstangen beibehalten haben, so dass wir nicht riesige Produktionsmengen einkaufen mussten. Es ist ein großer Vorteil, dass es nur eine Show gibt, zu der alle kommen, denn so muss man seine Zeit nicht aufteilen. Ich habe viele neue Kund:innen gewonnen. Es ist ein großer Veranstaltungsort, dadurch ist es manchmal sehr ruhig – aber ich verkaufe. Es war eine wirklich positive Erfahrung und das Team hat mich sehr freundlich aufgenommen.”
Comeback der Herren- und Abendgarderobe
Die Messe verzeichnete eine Rekordzahl von Ausstellenden und Sandrucci sprach von einer steigenden „Kurve”. Eine solche Expansion war auch bei den Kategorien der Veranstaltung zu beobachten. Während sich die Pure ursprünglich auf Damenmode konzentrierte, war die JATC trotz ihres kleineren Formats deutlich diverser aufgestellt und brachte eine ausgewogene Mischung aus Damen- und Herrenmode und Accessoires zusammen. So waren auf dem Balkon des Olympia London, mit Blick auf das Messegelände, eine Auswahl von Herrenmode- und Accessoire-Marken zu sehen, die weitere Kategorien für die Saison repräsentierten.
Sandrucci betont die Relevanz dieser Kategorien: „Die Zahl der Menschen, die wieder reisen, wird höher sein als vor der Pandemie. Das spiegelt wider, was wir bei der Entwicklung neuer Kategorien im Auge behalten müssen. Kleidung ist sehr vielseitig geworden, man kann sich nur durch die Verwendung von Accessoires aufstylen. Daher ist es besonders wichtig, dass wir alle diese Segmente zusammen bringen und den Einzelhändler:innen so ein Kaufhaus-Erlebnis bieten.”
Die Herrenmode war durch die Welle der wirtschaftlichen Unsicherheiten mit mehr Schwierigkeiten konfrontiert als die Damenmode. Doch mit dem bevorstehenden Aufschwung des Taylorings – laut Sandrucci einer der maßgeblichen Trends unter den Marken in dieser Saison – war die Wiedereinführung der Kategorie Herrenmode für diese Ausgabe der Messe entscheidend. In einem Gespräch mit dem Journalisten Eric Musgrave sagte Dawson: „Viele Marken und Boutiquen bieten sowohl Herren- als auch Damenmode an und spezialisieren sich auf beides, und das bedeutet, dass wir das anbieten können, was sie wollen. Die Damenmode macht etwa 60 Prozent unserer Branche aus, aber die Herrenmode ist immer noch sehr bedeutend. In einer Zeit, in der so viele Geschäfte in den Einkaufsstraßen miteinander konkurrieren und gleich aussehen, sind unabhängige Boutiquen ein fantastisches Unterscheidungsmerkmal. Sie können sich wirklich darauf konzentrieren, was die Menschen in ihrem Geschäftsgebiet wollen.
Eine weitere Kategorie, die nach einem pandemie-bedingten Stillstand wieder Aufschwung bekommt, ist die Abendmode. Die Kategorie hatte auf der Pure x JATC zwar eine wachsende, aber immer noch sehr kleine Präsenz. Für die in Manchester ansässige Marke Portia & Scarlett, die im vergangenen Jahr von der australischen Gruppe Allure Bridals übernommen wurde, bedeutete das, dass ihre typischen, auf Abschlussbälle ausgerichteten Kund:innen, fehlten. Doch die Messe ermöglichte es ihnen einen breiteren, multikulturellen Markt zu erschließen, den sie zuvor nicht in Betracht gezogen hatten. Das Team der Marke ist an das Chaos von saisonalen, spezialisierten Fachmessen gewohnt, die es normalerweise besucht. Auf der Pure herrscht dagegen eine viel ruhigere Atmosphäre, die es ihnen aber ermöglichte, eine Reihe potenzieller Kund:innen anzusprechen.
Über die Veranstaltung und die Branche insgesamt sagte die Agentin Eleanor McKinnon: „In der Brautmoden-Branche hatten wir 2022 einen Boom, als alle wieder einkaufen konnten, doch der ist bereits etwas abgeflacht. Wir hoffen auf ein stärkeres Wachstum in diesem Jahr. Die Abendmode ist davon stärker betroffen, weil es sich dabei nicht um Produkte handelt, die auch auf anderen Plattformen zu einem niedrigeren Preis erhältlich sind. Die jungen Frauen, die auf Abschlussbälle gehen, haben darauf geachtet, was sie ausgeben, aber sie kommen zurück, weil sie das physische Einkaufserlebnis und die breite Auswahl wollen. Sie wollen nicht online gehen, sie wollen die Kleider anprobieren. Für uns war es [auf der Pure] ruhig, aber ich denke, dass wir mit unseren Produkten wahrscheinlich mehr Besucher:innen auf einer Messe haben, die auf diese Kategorie ausgerichtet ist. Wir haben vor allem kleine Boutiquenbesitzer getroffen, die hochpreisige Artikel wollen, das war also kein Problem. Ich bin zu dieser Veranstaltung eher unter dem Aspekt des Networkings gekommen, und es war wirklich gut zu sehen, dass es andere Geschäfte gibt, die an dieser Art von Produkten interessiert sind."
Die Sorge um den Einzelhandel bleibt
Ein großer Teil der Bevölkerung von Großbritannien ist im vergangenen Jahr sehr viel sparsamer geworden, da die steigenden Lebenshaltungskosten weiterhin auf die Geldbörsen der Endverbraucher:innen drücken. Diese Entwicklung hat auch Zweifel an der Langlebigkeit der Highstreets im ganzen Land aufkommen lassen – eine Sorge, die selbst bei den größten Aussteller:innen von Pure zu beobachten war. Ryan von Byoung sagte, dass die Muttergesellschaft DK zwar nicht über die anhaltenden Probleme in der Lieferkette besorgt sei, dass aber die physischen Einzelhändler:innen und insbesondere die unabhängigen Händler:innen Druck spüren.
Ryan sagte über die derzeitige Atmosphäre unter den britischen Einzelhändler:innen, die versuchen, sich ein festes Standbein auf den größeren Märkten wie den USA aufzubauen: „Sie rackern sich ab, tun ihr Bestes, aber der Onlinehandel macht ihnen zu schaffen. Das sagen sie alle. Aber ich denke, dass im letzten Jahr viele Dinge passiert sind, die die Situation verschlimmert haben: Wir hatten die steigenden Lebenshaltungskosten, den Krieg in der Ukraine, und all das wirkt sich darauf aus, nicht nur der Onlinehandel."
In Bezug auf die Probleme der Lieferkette – die sich weitgehend auf die Angriffe am Roten Meer drehen – ist die allgemeine Stimmung weniger besorgniserregend. Die spanische Marke Vilagallo, die ebenfalls auf der Messe ausstellte, erklärte, dass das Team bei der Produktion in Europa keine großen Schwierigkeiten hatte, sondern nur gelegentlich mit leicht verspäteten Bestellungen zu kämpfen hatte.
Da die Schwierigkeiten in der Lieferkette nun schon einige Jahre andauern, hofft Dawson von JATC, dass sich die Marken auf die erforderliche Flexibilität eingestellt haben: „Es gab schon lange Probleme mit der Lieferkette, und ich hoffe, dass die Menschen das jetzt in ihren Entscheidungsprozess einbauen, denn an diesem Punkt gibt es immer Probleme. Ich bin auch Handelsvertreter, und die meisten meiner Marken liefern die Frühlingssaison pünktlich, obwohl es eine oder zwei Wochen Verzögerung gibt, da sie das in ihren Prozess eingeplant haben. Heutzutage muss man Rücksicht nehmen."
Was noch kommen wird
Sowohl Dawson als auch Sandrucci blicken positiv in die Zukunft und haben viel Hoffnung für die britische Industrie. „Meschen können wieder reisen. London hat unter mangelndem Tourismus gelitten, doch jetzt planen die Leute große Reisen – nur um einzukaufen. Das ist etwas, das ich wieder kommen sehe", sagte Sandrucci. Auf die Frage, wie die Organisator:innen sicherstellen, dass die Veranstaltung für die Teilnehmer:innen interessant bleibt, fügte sie hinzu: „Wir stellen uns auf Veränderungen ein, damit wir relevant bleiben. Wir erfinden uns ständig neu, wenn es darum geht, wie wir Messen veranstalten. Dies ist ein Beispiel für das Zusammenkommen und die Ressourcen, die man vereinen kann. Wir bringen eine große Bandbreite von Marken ein und wir erweitern den Markenmix, was den Einzelhändler:innen die Möglichkeit gibt, ihre Zeit hier zu verbringen. Wir sind den Trends immer einen Schritt voraus, und dabei helfen uns unsere Trendpartner:innen, denn so wissen wir, worauf wir unsere Energie konzentrieren müssen."
Wenn es darum geht, was in der nächsten Saison zu erwarten ist, hält sich das Duo bedeckt. Doch ihr Enthusiasmus deutet auf spannende Entwicklungen hin. Für Dawson ist mit der Zusammenlegung der Messen ein „Traum in Erfüllung gegangen". „Es ist genau das, was wir wollten, um es den Käufer:innen und der Branche leichter zu machen, alles zusammenzubringen. Wir haben gesehen, wie das in anderen Hauptstädten auf der ganzen Welt funktioniert, zum Beispiel in Kopenhagen. Und die Reaktion, auf unsere Ankündigung vor über sechs Monaten, war wirklich positiv. Wir haben die Auswirkungen darauf gesehen, denn die Messe ist stark gewachsen. Und angesichts der Reaktionen der letzten Tage, können wir auch weiter ein großes Wachstum erwarten.”
Dieser übersetzte Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.uk. Übersetzung und Bearbeitung: Pia Schulz