Retail-Therapy: Horror-Geschichten aus dem Einzelhandel
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Jeder Verkaufsangestellte kennt Sie: Die Kunden, die einem das Leben zur Hölle machen wollen. Klar, es gibt die Tage, an denen einfach alles klappt: Selbst die anstrengende Stammkundin, die nur aus Problemzonen und Drama besteht, wird fündig und die Provision zaubert Dir für den Rest des Tages ein Lächeln auf die Lippen, das ausnahmsweise nur teil-gefaked ist. Diese Tage sind aber die Ausnahme.
Meistens sind Tage auf der Verkaufsfläche eher Tage, an dem Kunden versuchen, einen 25 Jahre alten Pullover umzutauschen, oder eine Größe aus der Mitte des eben gerade neu gefalteten Jeansstapels herausziehen, ohne die anderen dabei festzuhalten. Im Einzelhandel oder im Kundenservice zu arbeiten und dabei freundlich und hilfsbereit zu bleiben, kann manchmal eine echte Herausforderung darstellen - oft gibt es aber auch Anlass zum schmunzeln. Wir haben Situationen zusammengetragen, wie sie nur das Arbeitsleben mit Kundenkontakt schreiben kann.
Der Kunde hat immer Recht
Dies ist wohl die gemeinste Regel von allen, vermutlich hat Luzifer sie sich höchstpersönlich ausgedacht. Wir wissen natürlich alle, dass der Kunde nicht wirklich Recht hat. Aber das ist selbstverständlich irrelevant, denn DER KUNDE HAT IMMER RECHT. Also heißt es lächeln, nicken und versuchen, den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren. Auch wenn die Kundin Dir Klamotten ins Gesicht wirft, es eine Viertelstunde dauert, bis Du herausgefunden hast, welches Label der Kunde gerade falsch ausspricht und Du Dich deshalb beschimpfen lassen musst, Deine Ware nicht zu kennen, oder wenn sich jemand zum Bezahlen in eine Reihe Schaufensterpuppen stellt, die zur Deko am Eingang stehen.
„Arbeiten Sie hier?“
Oh, wie viele passiv-aggressive Antworten einem auf diese Frage mittlerweile einfallen würden! „Nein, ich bin unterwegs zu einer Verkaufsangestellten-Uniform-Convention,“ ist aber leider keine Option. Also wird stattdessen „Ja, wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ geantwortet.
Freundlich bleiben
Ich arbeitete während meines Studiums in München bei einem Luxusmodehaus auf der Maximilianstraße. Abgesehen davon, dass ich eine lausige Verkäuferin war, weshalb ich den Job nur etwa drei Monate lang behielt, war ich mit Kleidergröße 38 offenbar auch zu fett für die italienisch geschnittenen Uniformen des Hauses. Daher stand ich also in billigen schwarzen Klamotten und Schuhen auf der Verkaufsfläche einer High Fashion Boutique. Acht Stunden stehen auf Heels – ohne Anlehnen - für 8 Euro plus Provision pro Stunde waren für mich eine gute Schule in Sachen Menschen- und Selbsterkenntnis.
Lächeln, Nicken, Lügen
Vor allem aber lernte ich, dass in der Retail-Welt lächeln, nicken und freundlich, aber bestimmt lügen das A und O sind. Ob es die weibliche Seite einer arabischen Großfamilie ist, die sämtliche Umkleidekabinen besetzt und die engsten Kleider, die je ein Mensch geschneidert hat, in zwei Nummern zu klein anprobiert, der letzte Kunde eine Minute vor Ladenschluss noch nicht entscheiden hat, welche Farbe des Schlüsselanhängers ihm besser gefällt, oder der Sugar Daddy mit seiner 21-jährigen Modelflamme kurz in der Umkleide verschwinden möchte – das oberste Gebot ist: freundlich bleiben und die Provision im Auge behalten.
Wie sehe ich aus?
Diese Frage wurde in Schulungen immer wieder geübt. Trotzdem gibt es manchmal einfach keine richtige Antwort darauf (wenn man noch ein Gewissen hat.) Einmal probierte eine Dame in recht hohem Alter, die ihre eigene Vergänglichkeit aber nicht eingestehen wollte, ein Kleid mit einem auffällig tiefen Rückenausschnitt an. Sie war sehr schlank und die herabhängende Haut an Ihrem Rücken war kein Anblick, den man sich schön reden konnte. So sehr ich ein positives Körpergefühl unterstütze, und finde, jeder sollte tragen dürfen, was er oder sie möchte – dieser Ausschnitt war einfach nicht unterstützbar. Allerdings ging Sie auf meinen Vorschlag, „Wir haben hier auch noch ein sehr schönes (sprich hochgeschlossenes) Abendkleid, das ich mir gut an Ihnen vorstellen kann,“ nicht weiter ein. Die Provision, die ich an dem Rückenausschnitt verdiente, half schließlich bei der Überwindung des schlechten Gewissens.
Der Kundeservice hat es auch nicht besser
Aus der Sammlung ‚Kundenservice-Anfragen aus der Hölle’ kommen ein paar Glanzstücke eines deutschen Bekleidungshauses, das eine Auswahl zusammengetragen hat. Der wohl belustigendste Auszug: „Ich habe mir ein Kleid gekauft, was ich zu meiner Verlobung anziehen wollte. Meine Verlobung wurde kurzfristig abgesagt, aus persönlichen Gründen. Ich hatte das Kleid seit dem in meiner Ein - Zimmer Wohnung in meinem Schrank hängen gelassen. Ich bin Raucherin und in einer 1-Zimmer Wohnung ist es schwer, dass der Rauch nicht in jede einzelne Ecke liegt. Ich wollte heute das Kleid zurückbringen, da wie gesagt die Verlobung abgesagt wurde. Und ich meine, was soll ich mit einen 145 € Kleid, wenn ich es nicht anziehe und es mich an diese schreckliche Sache erinnert? Jedenfalls, wollte die Dame das Kleid nicht zurücknehmen, weil es nach Rauch riecht?! Sie wollte nicht mit sich reden lassen und behaarte darauf, dass sie es nicht zurück nimmt, weil es nach Rauch riecht! Meine Frage an Sie, wie kann ich weiter vorgehen, ich möchte es nicht mehr in meiner Nähe haben. Bitte helfen Sie mir.“
Echte Freunde: Unbezahlbar
Einen Kunden zum Kauf zu bewegen ist manchmal schwierig, aber nicht dann, wenn etwas nicht zum Verkauf steht. So auch hier: „Ich habe ein besonderes Anliegen: meine Freundin war in Australien und hat dort Wellenreiten zu lernen begonnen. Sie ist schwer davon begeistert. Ihr Wunsch wäre ein solches Board zu Wand-Deko-Zwecken ihn ihrer Wohnung. Bei meinem letzten Besuch ist mir Ihre Dekoration (Surfboards) der derzeitigen Kollektion aufgefallen. Nunmehr meine Anfrage: wäre es möglich, dass ich eines davon nach Kollektionswechsel, erwerben kann?“
Auch bei dieser Anfrage ist dringend Hilfe vonnöten: „Ich hoffe jemand kann mir helfen. Heute bin ich am Geschäft vorbeigelaufen. im Schaufenster standen große Bilder von Alexa Chung! Meine Freundin ist total verrückt nach Ihr! Nun meine Frage ob ich, so bald die Werbung im Schaufenster vorbei ist, die Möglichkeit hätte, eines der Bilder zu kaufen? Das wäre super! Meine Freundin würde ausrasten vor Freude!“
Superhelden in Markenuniform
Na klar, wir alle beschweren uns gerne mal über unseren Job. Aber weißt Du eigentlich, wie viel Glück du hast? Andere zahlen viel Geld, um innere Ruhe und Gelassenheit zu erlernen. Du bekommst das umsonst, nein, besser noch, du wirst dafür bezahlt. Sieh es einfach als Meditationsübung. Das schöne ist doch: Egal, was die Kunden sich heute für Dich ausgedacht haben: Du weißt, du kannst damit umgehen. Du bist ein Superheld in Marken-Uniform!
Illustration: Studio Iva (IGM: studio_iva)