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Retail-Experte: „Die Zeiten von in Stein gemeißelten Shops sind vorbei“

Von Ole Spötter

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Einzelhandel|Interview
Alexander Gehle Credits: Konrad Knoblauch GmbH

Die Zukunft des Ladenbaus im Modehandel liegt in der Flexibilität. Sie steht nicht still und sorgt immer für eine Prise Überraschung, sagt Ladenbau-Experte Alexander Gehle im Interview.

Gehle beschreibt sich selbst als „Concept-Store-Fan“. Er liebt es, etwas Neues zu entdecken und zeigt sich begeistert, wenn der Sound stimmt, der Kaffee duftet und der Matcha schmeckt. Seine Verbindung zum Modehandel geht bis in seine Kindheit zurück, als seine Eltern einen kleinen Herrenausstatter in Ostwestfalen betrieben haben.

Das Klingeln der alten Kasse begleitet ihn bis heute. Ein Klang von Nostalgie, den er sich auch gut in einem modernen Store vorstellen könnte, so Gehle. Welche anderen Details, einen Laden hervorheben, und welche Trends, das Store-Design bestimmen, berichtet der Retail-Experte vom Ladenbau-Spezialisten Konrad Knoblauch.

Knoblauchs Ideenwerkstatt:

    Retail-Experte Alexander Gehle ist Teil der „Ideenwerkstatt“ von Knoblauch. Diese Abteilung begleitet Kund:innen aus den Bereichen Retail, Hospitality und Office mit Impulsen, strategischem Know-how und kreativen Workshops auf dem Weg zu ihrem Raumkonzept. Der Trendscout nimmt die Kundschaft mit auf kuratierte Touren durch Stores, Szene-Cafés, Studios, Büros und Hotels verschiedener Städte und gibt dabei auch Einblicke hinter die Kulissen.

Decathlon bekommt nun eine Fläche an mehreren Galeria-Standorten. Sind solche Kollaborationen die Zukunft der großen Warenhäuser?

Ja, das ist ein guter Move und könnte mit anderen Unternehmen wie Ikea auch funktionieren, die sich mit einer 200, 300 Quadratmeter großen Fläche einmieten. Es können  alle möglichen Konzepte sein. Sie müssen nur die Größen bewerkstelligen, um die Quadratmeter füllen zu können. Dann bietet sich so eine Zusammenarbeit an.

Ist Zusammenarbeit auch interessant, wenn Modehändler:innen Kundschaft bei anhaltender Konsumzurückhaltung in ihre Läden locken wollen?

Das Thema Hospitality steht an erster Stelle. Ich habe bei Knoblauch vor sechs Jahren mit der Entwicklung des Kaffee-Konzepts „Echtzeit“ angefangen. Da war das Thema Handelsgastronomie total in. Jetzt haben alle eine Gastrofläche. Viele wie Henschel oder Engelhorn betreiben ganze Restaurants, aber es gibt natürlich auch welche, die diese „Power“ nicht haben, die sich dann Konzepte mieten oder ein Franchise einsetzen könnten. Das ist eigentlich Pflicht.

Es ist natürlich auch interessant, alle möglichen Branchen mit dazu zu holen. Sei es Floristik, Optiker:innen, Beauty-Anbietende. Wichtig ist nur, dass es auch die eigene Zielgruppe anspricht. Was braucht meine Zielgruppe und wie kann ich ein Einkaufserlebnis daraus machen?

Wie schaffen das Händler:innen konkret?

Ein gutes Beispiel ist unser Kunde Holger Wellner [Anm.d.Red. Betreiber Modehaus Wellner und Investor in den angrenzenden Concept Store], der eine Wedding Lounge in das Konzept integriert. Wellner bekommt diese Konsument:innen ins Haus und das Atelier, das die Brautkleider macht, kann seine Produkte verkaufen. Dazu gibt es noch eine Bar, in der sich die Leute aufhalten können.

So könnte die Ritterpassage in Zukunft aussehen Credits: Konrad Knoblauch GmbH

Ein gewisser Überraschungsmoment, der die Kundschaft triggert und ihre Aufmerksamkeit erlangt, ist auch ein Ansatz. Die Welle bei L&T [Anm.d.Red.: Künstliche Welle zum Surfen im Sportgeschäft des Modehauses Lengermann & Trieschmann] oder eine sensationelle Lichtinstallation, die für Wellner geplant ist, sind zwei gute Beispiele.

Wie bleibt dieses Erlebnis beständig und nicht nur ein einmaliger Ritt auf der Welle?

Der Job der Händler:innen ist definitiv nicht einfacher geworden… Es ist mittlerweile ein ganz anderer Umfang und geht darum, die Gäste im Jahr immer mit neuen Dingen zu entertainen – vom Pop-up im Eingangsbereich bis zur abendlichen Lesung. Viele unserer Kund:innen bewegt es, wie sie den Ladenbau möglichst flexibel halten und theoretisch innerhalb von kurzer Zeit den Laden zur Eventlocation umbauen können.

Bei einem Projekt in Österreich, dem Store Petera in Innsbruck, haben wir für die Kund:innen alles mobil gemacht, weil sie viele Events machen. Da kann selbst der Kassenbereich hin und her geschoben werden.

Petera in Innsbruck Credits: Jens Pfisterer/Konrad Knoblauch GmbH

Händler:innen werden also auch zu Eventmanager:innen…

…der Job hat sich einfach wahnsinnig verändert und es braucht dieses Entertainment. Die Einkäufer:innen in den Showrooms reden viel häufiger über irgendwelche Specials – die Künstler:innen-Kollektion hier, die Kollaboration da und dann noch Pop-up-Möbel. Unsere Marken-Kund:innen fragen uns mittlerweile auch gezielt nach speziellen Store-Elementen für eine Pop-up-Tour.

Pop-up-Möbel für Dawn Denim Credits: Jens Pfisterer/Konrad Knoblauch GmbH

Wie bleiben Traditionshäuser angesichts der wachsenden Digitalisierung am Ball?

Inditex zeigt mit  Bershka und Stradivarius natürlich wie es geht. Der Stradivarius-Store in Köln ist von der Inszenierung super cool. Dort holen die Kund:innen die Ware fast nur noch ab oder bestellen sie vor Ort und sie ist zwei Tage später da. Die Händler:innen müssen aber natürlich auch gucken, was zu ihnen passt und was sie leisten können. Haben sie überhaupt das Personal, das diese Prozesse managen kann?

Stradivarius Click&Collect in Köln Credits: Stradivarius

Welche Elemente bestimmen das Store-Design aktuell?

Besonders wichtig ist es, dass es einem gelingt für eine Marke oder Händler:innen ein Store-Design zu schaffen, bei dem das Design mehr im Hintergrund funktioniert. Ohne Labels und Bekleidung auf der Fläche soll für die Endverbraucher:innen klar sichtbar werden, dass es diese Marke ist und die Identität in den Ladenbau integriert wird.

Aber natürlich gibt es auch gewisse Tendenzen, die ich sehe. Brickwall ist gerade wieder ein Thema. Zara hat einen Store in China aufgemacht, wo sie das ganz schön umgesetzt haben. Es ist ein Riesending mit einem ganz cleanen Look – nicht so sehr Loft-, sondern fast schon Bauhaus-Style.

Zara-Store in Nanjing, China Credits: Zara.

Gibt es Komponenten, die Sie aktuell vermehrt einbauen?

Wir haben wieder mehr dunkles Holz eingesetzt, was man in den letzten Jahren nicht so viel gesehen hat, und machen auch viel mit Edelstahl. Das gibt auch einen schönen, cleanen Look.

Wie steht es um das Thema Farbe im Store: Schlichte Töne oder sind auch Farbakzente gewünscht?

Bei Knoblauch arbeiten wir schon auch mit Farben. Da wird eine Fläche komplett in einem Farbton gestaltet. Dieser muss wiederum zur Marke passen und vielleicht irgendwann mal in der Historie aufgetaucht sein. Vieles ist aber eher gedeckt, wenn es nicht gerade ein junges Streetwear-Ding ist. Ich sehe eher gedeckte Töne, vielleicht sogar ein bisschen pudrig oder Erdtöne – schön edel.

Wie steht es um das Thema Nachhaltigkeit im Ladenbau? Ist das für den Einzelhandel wirklich ein wichtiges Thema oder ist es mehr Greenwashing?

Ein gutes Beispiel, wie Nachhaltigkeit im Ladenbau funktioniert, ist die Ritterpassage in Hameln, die gerade umgestaltet wird. Die ist im oberen Teil komplett verglast, aus einem 80er-Drahtglas. Unsere Designer:innen nutzen dieses Glas, was energetisch natürlich schwierig ist, nun weiter als Einlegeböden für Regale oder als Tischplatte. Da steckt viel Arbeit dahinter, dieses Material für diesen Nutzen umzuwandeln und zu schneiden. Es ist super cool, dass es 40 Jahre alt ist und wir es in einem solch modernen Kontext verwenden.

Moodboard für nachhaltige Materialien Credits: Konrad Knoblauch GmbH

Aber dem steht natürlich die Umgestaltung von manchen Marken gegenüber, die Möbel aus Gründen der Corporate Identity nicht wiederverwenden. Die, die nach fünf bis zehn Jahren ihren Ladenbau erneuern, sollten mal darüber nachdenken, was sie mit den Möbeln machen. Es wäre ja schon mal ein Anfang, solche Dinge ohne großen Aufwand wiederzuverwenden.

Gibt es da schon Unternehmen, die damit begonnen haben?

Unser relativ neuer Kunde Globetrotter ist da so ein Fall, der in Sachen CO2-Reduzierung explizite Anforderungen hat. Aus einem Geschäft in Karlsruhe, das geschlossen wird, arbeiten wir die ganzen Materialien und Möbel auf. Die werden wegen der CO2-Bilanz gewogen, zwischengelagert, aufgearbeitet und in den neuen Store nach Münster, der im Herbst eröffnet, transportiert und wieder aufgebaut. Für einen Globetrotter-Store in Ulm arbeiten wir viel mit Vintage-Möbeln, die wir aufarbeiten. Und das passt dann zum Unternehmen, weil Globetrotter auch Secondhand-Produkte anbietet und eine eigene Reparaturwerkstatt hat.

Knoblauch-Designteam tauscht sich mit Globetrotter zu nachhaltigen Materialien aus. Credits: Konrad Knoblauch GmbH

Das klingt nach viel Aufwand…

Jein. Der Aufwand bei solchen Re-Use-Projekten liegt vor allem darin, bestehende Prozesse im Ladenbau zu ändern und weiterzuentwickeln – vom Design über die Materialauswahl bis hin zur Logistik und Montage. Wir bei Knoblauch haben uns entschieden, diesen Weg zu gehen – und unsere Kund:innen mitzunehmen. Denn natürlich gibt es Vorreiter:innen wie Globetrotter, aber es gibt eben auch viele Händler:innen, die sich noch kaum Gedanken machen.

Indem wir ihnen einen passenden Weg und neue Ansätze zeigen, begeistern wir auch für nachhaltigen Ladenbau. Es gibt mittlerweile so tolle Materialien, wie kreislauffähige Leichtbauplatten für Möbel. Aktuell ist dieses Material natürlich oft noch teurer, weil es keine Massenproduktion ist. Je mehr wir das verwenden, desto günstiger werden die Preise.

Alexander Gehle (rechts) gibt Studierenden der Textil-Hochschule Nagold Einblicke in nachhaltigere Materialien für den Ladenbau Credits: Konrad Knoblauch GmbH

Worauf sollten angehende Händler:innen bei ihrem ersten Store achten?

Das Wichtigste ist, seine Zielgruppe zu kennen und für diese die Marken und Inhalte zu kuratieren. Der Highsnobiety Store in Berlin ist zum Beispiel „on point“ für eine Zielgruppe gemacht. Meine Mutter würde sich da jetzt wahrscheinlich nicht so wohlfühlen, aber für deren Zielgruppe ist es perfekt. Der Sound ist gut – der Bass wummert so schön –, ist so optisch „halbfertig“, was natürlich extra so gestaltet wurde und sieht einfach super cool aus.

Oder auch der Voo Store. Da setzt man sich gerne hin, trinkt seinen Kaffee, beobachtet Leute und fühlt sich wohl. Es gibt so viele Chancen sowie Möglichkeiten und so viele leerstehende Flächen…also an den Ideen scheitert es nicht.

Woran scheitert es?

In Gesprächen sagen Leute, dass sie dies oder das machen könnten, aber dann ist die Miete zu teuer oder das Investment zu hoch und dann bleiben sie lieber fest angestellt. Da müssen die Vermietenden auch mal mehr Zugeständnisse machen und eher sagen: „Ich habe hier ein tolles Konzept in meinem Haus, bevor es leer steht und verzichte auf eine hohe Miete.“ Aber anscheinend ist der Schmerz noch nicht groß genug.

Was sollten die Stores besser von ihren Flächen streichen, wenn sie mit einem neuen Konzept starten?

Wir beschäftigen uns auch viel mit der Frage rund um den Kassenbereich. Oft sind es diese riesigen Dinger, wo drei Mitarbeitende hinter stehen und im Hintergrund hängen tausend Sachen. Das muss deutlich weniger werden. Apple ist da ein schönes Beispiel. Da zahlen die Leute mit ihren Handys. Diese ganze Self-Checkout-Thematik ist ja auch immer wieder ein Thema. Da könnte ich mir eher vorstellen, dass der Kassenbereich durch eine Art Rezeption wie im Hotel ersetzt wird. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in einen Laden und man wird direkt von einer Art Concierge begrüßt, der einen fragt, wie er helfen kann.

Stradivarius-Store mit Self-Checkout im Berliner Einkaufszentrum Alexa Credits: Stradivarius.

Bei Mode kommt dann natürlich noch immer der Punkt mit der Ware dazu. Wo werden die Stücke eingepackt und die Verpackung gelagert? Die ist ja meist total hässlich. Acne Studios hat in Berlin das ganze Verpackungszeug in einem extra Raum. Da läuft das Verkaufspersonal mit dem Ipad rum, man bezahlt und wenn es eingepackt werden soll oder die Kundschaft einen Beleg haben will, müssen die Mitarbeitenden in diesen extra Raum, der von außen nicht sichtbar ist.

Wohin muss sich der Ladenbau entwickeln?

Die Zeiten von diesen in Stein gemeißelten Shops, die zehn Jahre halten mussten, sind vorbei. Das bricht jetzt auf und es braucht mehr Flexibilität. Je mobiler und flexibler der Ladenbau ist, desto mehr Möglichkeiten hat man für die Nutzung als Händler:in sowie für andere Dinge. Wie toll wäre es, wenn die Fläche nach Feierabend für eine Yoga-Session genutzt werden kann und dafür die Scheiben verdunkelt werden, oder ein Kleiderständer in wenigen Handgriffen zum Regal für Bücher oder Kosmetik wird, weil das Sortiment dahin angepasst wird.

Maxundstella-Store in Feldkirch Credits: Jens Pfisterer/Konrad Knoblauch GmbH

Außerdem fällt mir auf, dass viele das Thema Sound nicht auf dem Schirm haben. Bei einer Store-Tour, die ich mit Kund:innen gemacht habe – die keinen ‘jungen Szeneladen’ haben – ist ihnen extrem aufgefallen, wie wichtig ein guter Sound und dessen Qualität ist. Welcher Sound muss in welchem Laden und in welcher Dosierung und Qualität gespielt werden, ist eine Frage, die sich die Betreibenden stellen sollten.

Apropos richtiger Sound und Sinneswahrnehmung. Sind Stores in der heutigen Zeit eine Reizüberflutung mit zu viel Sound, Licht und Digitalisierung?

Es ist gar nicht mehr so laut wie vor zehn Jahren. Und auch beim Thema Digitalisierung stelle ich fest, dass es zwar cool ist, mit riesigen Bildschirmen die Marke zu präsentieren, viele aber auf der anderen Seite auch lieber die Ware sprechen lassen und diese Tools weglassen. Man darf die Kundschaft nicht so überreizen und es ist viel wichtiger, dass sie sich wohlfühlt. Egal ob Sound, Licht oder Duft, es muss subtil sein und nicht wie wir es von Abercrombie und Co. kennen. Wenn man das noch auf die jeweilige Tages- und Jahreszeit sowie die dazugehörige Stimmung anpasst, ist es perfekt.

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