Mode-Shopping nach dem Lockdown: Was Unternehmen schon jetzt über den Konsumenten verstehen müssen
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Vor dem erhofften Ende jedes Lockdowns stellt sich eine Frage: Werden die Menschen wieder genauso Kleidung einkaufen wie vorher, wenn die Läden wieder öffnen?
Wie kaum ein anderes Unternehmen weiß Hachmeister+Partner darüber Bescheid, welche Kleidung in Deutschland gerade gekauft wird. Die Fülle der Daten verrät aber nicht, warum die Menschen etwas kaufen. Die Mode-Beratung hat sich deshalb mit den Marktforschern von Concept M zusammengetan, um die innersten Wünsche der Konsumenten zu ergründen. In tiefenpsychologischen Interviews wurde eine besonders spannende Gruppe befragt: Menschen, die erst während der Pandemie begonnen haben, im Internet einzukaufen oder mehr online shoppen waren.
Tobias Humpert, geschäftsführender Gesellschafter bei Hachmeister + Partner und Thomas Ebenfeld, Managing Partner bei Concept M, entschlüsseln im Gespräch die Fantasien der Verbraucher, die Beweggründe hinter Casualisierung oder Konsumscham – und was das für Modeunternehmen bedeutet.
In tiefenpsychologischen Gesprächen mit Endkonsumenten haben Sie festgestellt, dass einige Menschen etwas wie “Konsumscham” während der Pandemie entwickelt haben. Was verstehen Sie darunter?
Tobias Humpert:Wir haben festgestellt, dass dieser stationär erzwungene Konsumverzicht eben auch zu einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Konsumverhalten geführt hat. Die Konsumenten haben viel darüber berichtet, dass sie nachgedacht haben, was sie eigentlich hinsichtlich Bekleidung wirklich brauchen. Viele haben auch ihre Kleiderschränke aussortiert und die waren nach dem Ausmisten immer noch ziemlich voll. Das hat in vielen Köpfen zumindest dazu geführt, dass man sein eigenes Konsumverhalten kritisch hinterfragt hat.
„Wir leben heute in einer Zeit, wo Trends und Gegentrends zugleich wirksam sind.”
Konsumscham – das klingt nach düsteren Aussichten für die Modebranche. Gab es auch Einblicke in die Konsumentenseele, die Hoffnung gemacht haben?
TH: So negativ dieser Begriff auch klingt, was man dabei verstehen muss, ist das der Konsument zwischen zwei Polen pendelt. Auf der einen Seite gibt es Konsumbedenken, auf der anderen Seite eine starke Sehnsucht nach Neuem.
Thomas Ebenfeld: Das ist ein ganz spannender Punkt. Wir leben heute in einer Zeit, wo Trends und Gegentrends zugleich wirksam sind. Das lässt sich auch kaum noch trennen. Es soll ganz, ganz hedonistisch und zugleich nachhaltig sein. Es soll ganz individualistisch sein, Menschen möchten glänzen und zugleich nicht aus der Gruppe fallen. Es soll abenteuerlich sein, tolle Erlebnisse sollen geboten werden, aber man möchte trotzdem die gewohnte Vollkasko-Mentalität.
Wie spiegelt sich dieses Paradox konkret im Leben der Menschen wider?
TE: Diese Widersprüche sind Teil unseres Konsumalltags: Sobald wir als Konsumenten aufstehen und einen Schluck Milch in den Kaffee tun, ist die Frage, ob sie unter Tierwohl-Bedingungen hergestellt ist. Dann streifen wir uns ein Sweatshirt über und wissen nicht, wie und wo es produziert worden ist. Das heißt wir versündigen uns ständig.
Wie sollten Modeunternehmen mit diesen widerstreitenden Gefühlen der Konsumenten umgehen?
TH: Wichtig zu verstehen ist, dass die Leute beides tun. Das ist auch die große Herausforderung für die Modemarken und Händler. Sie müssen in der Lage sein, beides glaubwürdig zu spielen. Dieses Pendeln zwischen Konsumscham und Sehnsucht nach Neuem ist für den Konsumenten erstmal anstrengend. Der hat durchgehend ein schlechtes Gewissen, aber will trotzdem etwas Neues haben. Den wenigsten Konsumenten geht es darum, dass irgendetwas schon perfekt nachhaltig sein kann. Das glaubt er auch nicht. Aber wenn ich in der Lage bin, etwas schönes Neues anzubieten, das auch nachhaltiger produziert ist als andere Alternativen, dann komme ich in einen Bereich, wo ich viele Konsumenten in diesem Zwiespalt abhole. Nur ein kleiner Teil der Konsumenten wird Mode kaufen, nur weil sie nachhaltig ist. Die meisten wollen etwas schönes Neues kaufen, das gut aussieht und sitzt – und ‘on top’ muss es nachhaltiger sein als in der Vergangenheit.
„Die Sehnsucht, etwas im Einklang zu machen, wird wichtiger. Wir bewegen uns von einer Zeit der Maximierungskultur – von höher, schneller, besser – zu einer Zeit, wo es um Komplementierung und Aussöhnung geht.”
Heißt das, dass Konsumenten mehr auf Nachhaltigkeitslabel als auf Schnäppchen achten werden?
TE: Früher haben wir uns gefreut, wenn wir ein Schnäppchen gemacht haben. Heute freuen wir uns immer noch, aber ein Aspekt der Nachhaltigkeit muss erfüllt werden, damit das Konsumerlebnis wirklich befriedigend ist. Das sind entweder besonders gute Herstellungsbedingungen oder Materialien. Das wird wichtiger werden und da war und ist die Krise ein Katalysator. Die Sehnsucht, etwas im Einklang zu machen, wird wichtiger. Wir bewegen uns von einer Zeit der Maximierungskultur – von höher, schneller, besser – zu einer Zeit, wo es um Komplementierung und Aussöhnung geht. Unter der Woche muss die Rendite im Unternehmen stimmen, am Wochenende sucht man diese Rückbesinnungsbewegung auf. Bei der Mode entstehen da vielleicht hybride Segmente, wie ‘Formal und Casual’. Das muss man aber weiter beobachten.
Sieht man bereits nachhaltige Sortimente und Modeunternehmen von dieser Entwicklung profitieren?
TH: Wir sehen im Moment durchaus, dass Marken, die glaubhaft als nachhaltigere Alternative positioniert sind, einen Zulauf haben. Das ist mit Sicherheit so. Auf der anderen Seite wird es unübersichtlich für den Konsumenten, weil fast jede Marke Aspekte der Nachhaltigkeit in den Vordergrund stellt. Da ist aus unserer Sicht insbesondere der Multibrandhandel momentan gefragt, diese Filterfunktion für den Konsumenten auch vorzunehmen. Wir beobachten zunehmend, dass Händlern Fragen rund um das Thema Produktionsbedingungen im Laden gestellt wird. Es ist aber eine Riesenaufgabe, diese Informationen über den Einkauf zum Point of Sale zu transportieren. Der Verkäufer oder die Verkäuferin auf der Fläche weiß darüber oft weniger als der Konsument, der vorher vielleicht mal zwei Minuten gegoogelt hat.
Welche Sehnsüchte und damit verbundenen Auftrittsphantasien haben Sie bei Ihren Probanden beobachtet?
TH: Das sind die Bilder in den Köpfen der Konsumenten zu den Dingen, die sie momentan nicht machen dürfen, aber sich wieder darauf freuen. Das heißt typischerweise das Treffen von Freunden im Restaurant, vielleicht auch ein kleinerer Anlass wie das gemeinsame Spazieren, das manche auslassen. Diese Bilder, die der Konsument heute im Kopf hat, verbindet er wieder mit etwas Neuem und viele wollen das auch auf sich selbst übertragen und in einem neuen Outfit erleben.
TE: Bei den Werbespots, die wir testen, sehen wir, dass alles, was Aufbruch verspricht, der Urlaub, das Mediterrane, das Flanieren an den Promenaden gut punktet. Das nimmt die Leute mit – irgendwann will man nicht mehr die 48. Netflix-Serie sehen und sich in Jogger und Hoodie auf dem Sofa lümmeln.
„Sobald die Meldung kommt, dass wir die heutigen Einschränkungen bis in den Juli hinein erleben, schlägt sich das sofort im Kaufverhalten nieder.”
Zeigen sich diese Phantasien bereits an den Kleidungsstücken, die zur Zeit gekauft werden?
TH: In den Kaufdaten werden wir das erst über die kommenden Wochen und Monaten sehen. Dieses zähe Auf und Ab bei den Lockdowns hat dazu geführt, dass die Auftrittsphantasien präsent sind, aber sie sind noch so wenig greifbar, dass sie heute schon zu einem veränderten Konsum führen. Das heißt wir sehen im Moment in unserem Datenpanel, dass Casual-Teile & Co. noch sehr stark sind. Im formelleren Bereich haben wir lediglich ein paar zaghafte Nachholeffekte in den ersten zwei Wochen der Wiedereröffnung beobachtet. Die wirklich spannenden Veränderungen im Warenkorb des Konsumenten sehen wir ab dem Zeitpunkt, wo der Konsument eine erhöhte Sicherheit darüber hat, wann für ihn die Einschränkungen fallen.
Können Modeunternehmen überhaupt noch auf Veränderungen reagieren, wenn die Kollektionen für SS21 schon längst produziert sind?
TH: Naja, ich habe schon eine Menge Handlungsoptionen, die mit Kommunikation zu tun haben und was ich am POS tatsächlich herausstelle. Diese Stellschrauben müssen sich stark daran orientieren, was gerade auch medial passiert. Wir müssen nicht warten bis die Einschränkungen wirklich fallen, wir sehen es heute schon in den Kaufdaten. Sobald die Meldung kommt, dass wir die heutigen Einschränkungen bis in den Juli hinein erleben, schlägt sich das sofort im Kaufverhalten nieder. Trotz des Eskapismus, den mein Kollege beschrieben hat, ist das, was den tatsächlichen Kauf kurzfristig antreibt erstmal die Auftrittsphantasie, die ich in den nächsten Wochen für realistisch halte.
Sie sagen in der Studie, dass das Modebewusstsein in der Zeit nach dem Lockdown wieder erlernt werden muss. Warum und was bedeutet das für Modehändler?
TH: Das eigene Modebewusstsein entsteht auch stark in der Interaktion. Auf der einen Seite ist es, wie ich auf andere wirken will, auf der anderen meine tägliche Beobachtung von anderen. Insbesondere letzteres ist in den vergangenen Monaten komplett ausgefallen: Ich habe andere nicht mehr in Bars, Restaurants und am Arbeitsplatz beobachten können. Das hat eben durchaus dazu geführt, dass ich jetzt wieder ein Stück neu erlerne mich mit Mode auseinanderzusetzen. Diese Lücke lässt nicht komplett durch Soziale Medien schließen. Hier entsteht auch eine erhebliche Chance für Marken, Konsumenten in diesem Prozess zu unterstützen und die richtigen Leitbilder anzubieten.
„Casualisierung ist also sehr viel mehr als die plumpe Auslegung, dass die Leute zuhause sitzen und die Jogginghose da am bequemsten ist.”
Welche Leitbilder wären das?
TE: Statt reiner, purer, überdrehter Selbstdarstellung geht es jetzt um authentisches Wachstum, um Erfüllung, die Stabilisierung mit der man sich gut fühlt – gerade in Krisenzeiten. Da wird vielleicht eine Casualisierung bleiben, die aber mehr aufgewertet wird. Nicht mehr ausgelutschte Jogger, die Leute nach einem Jahr auch nicht mehr sehen können.
TH: Was ich beim Casualisierungs-Trend im Rahmen unserer Studie spannend fand, ist, dass Konsumenten das mit einem Gefühl verbinden in ihrer Komfortzone bleiben zu dürfen. Das heißt, weg von diesem Zwang bei anderen eine Wirkung erzielen zu müssen. Casualisierung ist also sehr viel mehr als die plumpe Auslegung, dass die Leute zuhause sitzen und die Jogginghose da am bequemsten ist. Sie ist der Gegenentwurf zu all den Bekleidungsdiktaten, die wir erlernt haben.
Werden damit also die Dresscodes im Büro weiter fallen?
TH: Dieses Entkoppeln davon, dass andere Richtlinien darüber verfassen, was ich zu tragen habe, ist in unserer Sicht der Teil der Casualisierung, der bleiben wird. Insbesondere im Business-Segment wird es sicherlich nicht in eine Welt zurückgehen, wo es einen klaren Dresscode geben wird, was ich im Büro zu tragen habe. Aber einzelne Aspekte aus einem Business-Look – mit anderen Sachen ergänzt – werden bleiben.
Warum haben ausgerechnet Masken diesen Trend zu Casualisierung verstärkt?
TH: Durch die Maske entsteht beim Konsumenten ein Gefühl der Unsichtbarkeit. Seine Mimik ist für andere nicht sichtbar. Wenn ich für andere unsichtbar bin, bleibe ich in meiner Komfortzone.
Sie haben auch Vorfreude auf den kommenden Einkaufsbummel bei den Konsumenten festgestellt. Auf was freuen sie sich besonders?
TH: Da stecken Sehnsuchtsbilder dahinter, die wir alle wahrscheinlich schon gehört haben: Das Schlendern durch die gut kuratierte Boutique, wo ich zufällig vielleicht auch noch Freunde treffe, mit denen ich mich nachher in ein Café setzen kann. Das ist das eine Bild, auf das wir stoßen. Auf der anderen Seite gibt es noch das toll inszenierte Event auf der Großfläche. Das sind die beiden Dinge, die man am häufigsten antrifft. Es ist wenig überraschend, dass die Leute nicht an das gehetzte Suchen nach Bekleidung in den unpersönlichen Formaten denken. Das wird auch der Teil sein, der am Ende stärker durch online substituiert wird.
Wie wird die künftige Verteilung von online und offline Mode-Shopping aussehen?
TH: Das wird dazu führen, dass große Teile des Bedarfskaufs – eben durchaus auch von Leuten, die vorher stationär gekauft haben – online stattfinden wird. Aber man bekommt auch einen guten Vorgeschmack darauf, wie sehr sich die Kunden nach einem gut gemachten stationären Erlebnis sehnen. Das ist auch das, was wir zwischen den stationären Lockdowns festgestellt haben. Gemessen daran, dass die Leute eine Maske aufsetzen mussten, Angst vor Ansteckungen hatten und nicht wussten, wie es mit ihrem Einkommen weitergeht, waren die Umsätze wieder sehr positiv.
TE: Früher hatten Leute die Furcht nach dem Online-Einkauf etwas zurück zu schicken, gerade auch bei einer etwas älteren Klientel. Jetzt haben viele beschrieben, dass das Highlight der Woche ein Rewe- oder Aldi-Einkauf war, was früher vielleicht noch eine Last war und da nimmt man noch das Paket mit zur Post und beobachtet die Leute links und rechts.
TH: Spätestens, wenn man die Menschen an der Frischetheke am Samstag beobachtet, kamen einem die Einschränkungen für den Bekleidungshandel absurd vor. Dann sind sie halt da bummeln gegangen und durchflaniert.
TE: Da war das nicht mehr die Kleidung, da waren das die verschiedenen Wurstscheiben. Oh, die Sülze, ist die toll. (lacht)
Die Menschen werden soziale Wesen bleiben und möchten wieder raus und bummeln gehen. Aber sehen Sie auch Chancen für stationäre Händler online mitzuhalten?
TE: Wir werden eine Verschiebung online haben, da müssen sich die Händler auch einstellen. Da muss sich auch das Multichannel-Angebot der Händler in vielen Bereichen auch noch attraktiver werden. Die Menschen stellen sich Amazon als besten Logistikplanet der Welt vor, wie ein geöltes Getriebe, aber nicht unbedingt sympathisch. Da hat der Einzelhandel eine Chance, weil viele sagen, dass sie die Lokalen unterstützen wollen. Aber die Convenience zieht doch noch häufig in die etablierten Formen.
Sie wollen in den kommenden Wochen über Workshops das Gespräch mit der Branche über Ihre Befunde aufnehmen. Wie könnte das aussehen?
TH: Allen ist klar, dass diese Pandemie ein Einschnitt in das Leben des Konsumenten war, der dazu führt, dass sich auch in den nächsten Wochen und Monaten mehr verändert wird in dessen Präferenzen, als das in den Jahren vorher schon der Fall war. Das heißt, dass unsere Studie nur ein Auftakt für das sein kann, was es noch zu beobachten gilt. Wir wollen Teil dieses Prozesses sein, dass die Branche, jetzt innerhalb von relativ kurzer Zeit basierend auf den richtigen qualitativen und quantitativen Informationen, diese Veränderungen versteht.
Bleiben Sie dran: Nach der Initiativ-Studie von Hachmeister+Partner und Concept M wird FashionUnited in einem Folgeinterview über die weiteren Erkenntnisse berichten. Wer sich in der Zwischenzeit mit den Machern der Studie weiter austauschen will, kann sich mit Tobias Humpert in Verbindung setzen: thumpert@hachmeister-partner.de.
Bild: Tim Douglas von Pexels