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Digitale Barrierefreiheit: 49 Prozent von Verbraucher:innen werden früher oder später auf sie angewiesen sein

Von Caitlyn Terra

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Einzelhandel

Die digitale Barrierefreiheit betrifft mehr Menschen, als man auf den ersten Blick sieht. Bild: Pexels

Die digitale Zugänglichkeit von Modegeschäften ist immer noch gering, wie Erhebungen seit mehreren Jahren in Folge zeigen. Ab dem 28. Juni 2025 tritt das Europäische Gesetz zur Barrierefreiheit in Kraft. Dieses Gesetz umfasst neben der Zugänglichkeit von Geschäften auch die Zugänglichkeit des elektronischen Handels. Aber wie genau macht man einen Webshop für blinde und sehbehinderte Menschen, ältere Menschen, Menschen mit geringer Lesekompetenz, Menschen mit Farbenblindheit und anderen Behinderungen zugänglich?

Die Verbesserung der Zugänglichkeit, sowohl in physischen Geschäften als auch in Onlinestores, ist die Aufgabe der belgischen Initiative The Warmest Entrance (De Warmste Entree). Hinter ihr stehen die Branchenvereinigung Comeos und Inter „Accessible Flanders“. Ende 2022 starteten sie eine übersichtliche Website mit Tipps zur Verbesserung der Zugänglichkeit von Geschäften. Dazu gehört die Zugänglichkeit für Menschen mit körperlichen Behinderungen, Blinden und Sehbehinderten, Gehörlosen und Schwerhörigen, Menschen mit geistigen Behinderungen oder Menschen, die neurodivers sind und Informationen auf eine andere Art und Weise verarbeiten, etwa Menschen mit ADHS, Autismus oder Legasthenie. Im Jahr 2023 wird The Warmest Entrance ihren Schwerpunkt auf die digitale Barrierefreiheit ausweiten. FashionUnited sprach mit Nathalie De Greve von Comeos, Kathleen Achten von Inter und Erik De Snerck von Diax, die alle drei an dem Projekt beteiligt sind.

Digitale Unzugänglichkeit bei Einzelhandelsunternehmen: „Kein Unwille, sondern Unwissen“

Wer glaubt, die Gruppe der Verbraucher:innen mit irgendeiner Form von Behinderung sei klein, irrt sich. „Neben den Beeinträchtigungen, die man sieht, gibt es noch viele weitere“, betont Achten. Wenn jemand Probleme mit der Sehkraft hat, ein Hörgerät trägt oder weniger mobil ist, kann man das äußerlich erkennen. Andere Beeinträchtigungen sind weniger leicht zu erkennen. Letztendlich werden 49 Prozent der Verbraucher:innen von einer Behinderung betroffen sein, entweder vorübergehend oder dauerhaft. Schockierende Zahlen, vor allem wenn man bedenkt, welche Auswirkungen dies auf die Umsatzzahlen der Einzelhändler:innen haben kann. „Oft stellen Unternehmen eine Gewinnberechnung an. Wie viel kostet es, in Barrierefreiheit zu investieren, wie viele Menschen haben eine Behinderung und so weiter“, erklärt De Snerck. Diese Gruppe von Menschen mit Behinderungen wird als viel zu klein eingeschätzt.“

Die Tatsache, dass die (digitale) Zugänglichkeit im Allgemeinen nicht gut ist, ist jedoch nicht beabsichtigt. „Es ist nicht der Unwille, sondern die Unwissenheit“, so De Snerck. Achten fügt hinzu, dass alles mit dem Bewusstsein beginne. Denken Sie zum Beispiel an Menschen, die farbenblind sind und aufgrund des schlechten Kontrasts auf einer Website oder sogar an einem digitalen Zahlungsterminal im Geschäft (auch das ist digitale Barrierefreiheit) Schwierigkeiten haben, Texte zu lesen. Die Anpassung des Farbkontrasts wird dieser Gruppe bereits helfen. „In gewerblichen Betrieben gibt es oft Konkurrenz. Wenn also Menschen mit einer Behinderung Schwierigkeiten haben, den Serviceprozess zu durchlaufen, werden sie das Produkt woanders kaufen“, betont De Snerck.

Ein Bildschirmlesegerät, das Text mit Hilfe von Braille-Schrift für Blinde lesbar macht. Bild: Unsplash

„Verbessern Sie als Einzelhändler:in Ihre digitale Zugänglichkeit“ rät The Warmest Entrance

Die von The Warmest Entrance auf der Website gesammelten Informationen und Tipps stammen aus Schnellbefragenungen im Einzelhandel. Wie einfach ist es für Menschen mit Behinderungen, bei Einzelhändler:innen eine Bestellung aufzugeben? Zum Beispiel wird geprüft, ob die Website von einem Bildschirmlesegerät gelesen werden kann, das blinde Menschen benutzen. Ist die Website für Menschen mit körperlichen Behinderungen mit der Tastatur statt mit der Maus bedienbar? Dazu gehören auch vorübergehende Behinderungen wie eine gebrochene Hand oder ein gebrochener Arm. Werden Preisnachlässe auf Produkte nicht nur durch farbigen Text, sondern auch durch ein Symbol angezeigt, so dass auch farbenblinde Menschen es sehen können? Ist die Website und der Kaufvorgang für Menschen mit geringer Lesekompetenz verständlich? Man sieht also: Barrierefreiheit betrifft viele Menschen.

Für diese Schnellbefragenungen wurden Einzelhändler:innen aus dem Comeos-Netzwerk befragt. „Wir hatten mehr Anmeldungen, als wir brauchten“, erklärt Achten. Auch das Interesse an den verschiedenen Informationsveranstaltungen war groß, sogar größer als erwartet. Die drei Expert:innen sind jedoch realistisch, dass diese Gruppe wahrscheinlich die Vorreiterin mit einem überdurchschnittlichen Interesse an Barrierefreiheit ist. Die Gruppe zu erreichen, die nicht sofort auf das Thema anspringt, wird wahrscheinlich die größte Herausforderung sein. „Wir werden unsere Mitglieder weiter sensibilisieren“, sagt De Greve. „Außerdem werden wir 2024 weitere Informationsveranstaltungen organisieren und wollen bewährte Verfahren besser herausstellen.“

De Snerck fügt hinzu, dass die Arbeit mit Beispielen von anderen Einzelhändler:innen, die Zugänglichkeit gut hinbekommen haben, „positiven Neid“ erzeugen kann. Wenn ein Einzelhandelsunternehmen die positiven Auswirkungen der Zugänglichkeitsverbesserungen demonstriert, kann dies zum Handeln anregen.

Frau mit Down-Syndrom. Bild: Unsplash

Verbesserung der digitalen Zugänglichkeit: immer Endnutzer:innen in den Prozess einbeziehen

Bei der Verbesserung der digitalen Zugänglichkeit sollten nicht nur die eigenen Angebote unter die Lupe genommen werden (Website, Bezahlterminals und Begrüßung im Geschäft), sondern auch die der Partner, mit denen zusammengearbeitet wird. „Wenn Einzelhändler:innen mit großen Zahlungsunternehmen zusammenarbeiten, zum Beispiel für den Check-out-Prozess auf der Website, gehen sie fast davon aus, dass sie in Sachen Barrierefreiheit alles im Griff haben. Leider ist das nicht immer der Fall, so dass die Einzelhändler:innen kritisch bleiben und sich auch selbst testen müssen“, warnt De Greve.

Letztlich sorgen die Verbesserungen dafür, dass nicht nur Menschen mit Behinderungen eine bessere Erfahrung machen, sondern dass der Serviceprozess für alle besser wird, betonen die drei Expert:innen. The Warmest Entrance bietet bereits viele Tipps und Tricks zur Verbesserung der Zugänglichkeit, aber Achten sagt, dass es jetzt das Beste vom Besten sei. „Es wird eine lebendige Website bleiben und wir werden weiterhin Tools hinzufügen, die Einzelhändler:innen helfen“, bestätigen Achten und De Greve.

Das Wichtigste ist jedoch, dass Endverbraucher:innen weiterhin angesprochen werden. „Theoretisch wissen wir bereits eine Menge und Einzelhändler:innen können bereits mit diesen Informationen arbeiten, aber einzelne Verbraucher:innen erleben Zugänglichkeit anders. Es geht immer noch um die Arbeit mit Menschen. Deshalb ist es immer am besten, die Endverbraucher:innen miteinzubeziehen.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.nl. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.

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