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Bergzeit x Reverse.Supply: So funktioniert der Re-Commerce von Outdoorprodukten

Von Regina Henkel

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Einzelhandel

Beim "Grading" werden Produkte authentifiziert, bewertet und der Zustand eingeschätzt. Foto: Reverse.Supply / Bergzeit.

Der Markt für Secondhand-Produkte wächst rasant, aber wie kann man Re-Commerce ins eigene Business integrieren? Der Outdoor-Onlinehändler Bergzeit und das Berliner Start-up Reverse.Supply sind für diese Pionierleistung gemeinsame Wege gegangen. Seit einem Jahr etwa besteht der Bergzeit Re-Use Shop. Eine gute Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Innerhalb der letzten zehn Jahre ist der Bekleidungskonsum weltweit um rund 60 Prozent gestiegen. Laut Greenpeace produzieren wir pro Jahr über 70 Millionen Tonnen Bekleidung. Diese Mengen verbrauchen enorme Ressourcen. Das Schlimme ist allerdings, dass laut Studien rund die Hälfte aller Bekleidungsproduktion unnötig ist, weil die Kleidung entweder gar nicht verkauft wird, oder aber ungenutzt in unseren Kleiderschränken hängt. Seit Jahren verzerren diese Formen der „Überproduktion“ den tatsächlichen Bedarf. „Wenn wir mit der Masse an neuen Produkten so weitermachen wie bisher, können wir die Pariser Klimaziele auf keinen Fall erreichen“, lautete die Erkenntnis von Max Große Lutermann, Co-Founder des Berliner Re-Commerce Start-ups Reverse.Supply. Er hat selbst viele Jahre in der Modebranche gearbeitet und kennt die Probleme. „Wir müssen etwas tun, um weniger Ressourcen zu verbrauchen und weniger CO2 zu emittieren.“ Das erkennen auch immer mehr Händler und suchen nach neuen Lösungen.

Verhindern, dass mehr Produkte produziert werden

Zu diesen Händlern gehört Bergzeit, Outdoor-Onlinehändler aus der Nähe von München, der außerdem zwei stationäre Geschäfte betreibt. Bergzeit engagiert sich seit vielen Jahren für mehr Nachhaltigkeit, gerade erst ist der Händler offiziell genossenschaftlich organisierter Ökostromanbieter geworden. Bergzeit ist zudem einer von sieben strategischen Partnern von Reverse.Supply, neben Armedangels, Globetrotter, Ortovox, Hessnatur und weiteren. Die Kooperation startete vor rund einem Jahr. Warum ist Re-Commerce für Bergzeit interessant? „Unsere Überlegung war, dass 90 Prozent der CO2-Emissionen bei der Herstellung der Produkte entstehen, nur zehn Prozent entstehen bei uns“, erklärt Martin Stolzenberger, Geschäftsführer von Bergzeit. „Wenn wir also besser werden wollen, müssen wir verhindern, dass mehr Produkte produziert werden.“ Produkte weiterzukaufen, die nicht neu produziert werden müssen, ist eine Möglichkeit, das zu tun. Und nicht zuletzt ist Re-Commerce ein Wachstumsmarkt. Große Lutermann: „Secondhand wächst heute 21mal so schnell wie der klassische Handel.“

Die beiden Chefs stellen sich der Presse: Max Große Lutermann, Reverse.Supply, und Martin Stolzenberger, Bergzeit (re).

Herausforderung: Die Anzahl an Produkten

Seit Juni 2022 ist der Secondhand-Shop „Bergzeit Re-Use“ an den regulären Onlineshop angedockt. Rund 2.000 Produkte für Männer, Frauen und Kinder sind aktuell auf der Plattform verfügbar. Die größte Herausforderung besteht darin, genügend Produkte auf die Seite zu bekommen, am besten noch mit einer gewissen Auswahl an Größen oder Farben. Nur zum Vergleich, der reguläre Bergzeit-Shop hat rund 40.000 Produkte, wobei die Größen noch nicht eingerechnet sind.

Um nicht nur auf Konsument:innen angewiesen zu sein, die dort ihre gebrauchten Produkte anbieten, verkauft Bergzeit auch Reklamationsware und Retouren aus dem Bergzeit-Shop, die nicht mehr als A-Ware verkauft werden können. Diese Produkte machen im Moment etwa 30 bis 35 Prozent aus. Zudem testet Bergzeit, ob auch die eigenen Lieferanten den Re-Use Shop mitnutzen wollen. Gerade läuft dazu ein Pilotprojekt mit der Klettermarke Chillaz. „Der Großteil kommt aber auf alle Fälle vom Konsumenten“, so Stolzenberger. Zudem sinke der Eigenanteil in dem Maße, wie der klassische Secondhand-Anteil steigt.

Je mehr Prozesse, desto teurer wird es

Der Ankauf von Ware funktioniert bewusst einfach. Wer getragene Outdoorbekleidung verkaufen möchte, gibt die Marke des Produkts online in eine vorgefertigte Maske ein, außerdem die Kategorie, den Zustand des Produkts – also perfekt, gut und okay – und lädt am Ende noch ein Foto hoch, damit das Produkt eindeutig identifiziert werden kann. Daraufhin berechnet ein Algorithmus den passenden Preis und schlägt ihn dem Verkäufer oder der Verkäuferin vor. Wenn diese:r damit einverstanden ist, wird ein Versandlabel generiert und das Produkt kann verschickt werden. Sobald das Produkt bei Reverse.Supply in Berlin eingetroffen ist, unterprüfen Mitarbeitende die Angaben und legen dabei gleichzeitig die Produktbeschreibung für den Re-Use Shop an. Diese Prüfung dauert etwa zwei bis drei Minuten, je nach Produkt. Danach wird das Produkt fotografiert und geht ins Lager.

Warten aufs Foto: Bei Reverse.Supply werden die gebrauchten Artikel für den Bergzeit Re-Use Shop vorbereitet. Foto: Reverse.Supply / Bergzeit.

Dabei können die Mitarbeitenden aber nicht prüfen, ob die Funktion – beispielsweise die Wasserdichtigkeit – noch intakt ist, und auch Reparaturen sind nicht möglich. Große Lutermann: „Das würde einfach zu teuer. Schließlich wollen Verkäufer:innen und Käufer:innen einen attraktiven Preis, und wenn wir den nicht hinbekommen, funktioniert das ganze Modell nicht. Je mehr Prozesse dazwischen gelagert sind, desto schwieriger wird es.“

Hohe Komplexität der Aufgabe

Aber warum macht Bergzeit den Re-Commerce nicht selbst? Tatsache ist, dass Re-Commerce für viele Unternehmen mit hohen Kosten und zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Dabei geht es nicht nur darum, Prozesse wie Produktentgegennahme, Prüfung der Ware, Bestückung des Shops, Einlagerung und Versand effizient aufzustellen, sondern es geht zusätzlich auch darum, für jede einzelne Produktkategorie einen eigenen Fragenkatalog entwickeln, nachdem die Produkte geprüft werden müssen. Stolzenberger: „Wir haben die Komplexität etwas unterschätzt. Bekleidung ist noch vergleichsweise einfach aufzusetzen, andere Kategorien sind da schwieriger und manche so aufwändig, dass wir sie wahrscheinlich gar nicht secondhand anbieten können, wie beispielsweise Zelte oder Campingkocher.“ Auch das Logistikzentrum von Bergzeit ist nicht für Einzelteile ausgelegt, sondern für höhere Stückzahlen pro Produkt. Daher macht die Kooperation für alle Sinn.

Informationen übers Produkt liefern die Etiketten. Foto: Reverse.Supply/Bergzeit

Profitabel dank hochpreisiger Produkte

Bis man aus Re-Use aber eine Cash-Cow machen kann, wird es noch dauern, und profitabel kann das Geschäft überhaupt nur sein, weil im Outdoormarkt hochpreisige Produkte üblich sind. Wie rechnet sich das Business-Modell? Auch bei der Kalkulation lassen sich Stolzenberger und Große Lutermann über die Schulter schauen. Stolzenberger: „Je nach Zustand kalkulieren wir anders, grob kann man sagen, wenn ein Produkt im Neupreis 100 Euro im UVP kostet, liegt der Preis auf Re-Use zwischen 60 und 65 Euro. Davon wird etwa die Hälfte an den Besitzer ausgezahlt, die andere Hälfte ist unsere Marge, die sich Bergzeit und Reverse Supply teilen.“

Gut verkaufen lässt sich zum Beispiel eine Arc’teryx Jacke in schwarz in Größe M. Oder Produkte von Patagonia und Ortovox und sogar Schuhe. „Überhaupt verkaufen sich Schuhe sehr gut, was wir so nicht erwartet hätten“, sagt Stolzenberger.

Neue Zielgruppe und neues Image für Secondhand

Damit die Preislage gehalten werden kann, will Bergzeit das frühere ‚Schmuddel-Image‘ von Secondhand loswerden und spricht deshalb auch lieber von Re-Use. Das hat vermutlich seine Berechtigung, denn wie eine aktuelle Kundenbefragung zeigte, interessieren sich vor allem die jungen Bergzeit-Kund:innen für gebrauchte Outdoorware. Bei der klassischen Zielgruppe, die eher etwas älter und kaufkräftiger ist, ist da noch Luft nach oben. Überhaupt ist das mit den Zielgruppen komplizierter, denn es gibt ja immer zwei Richtungen, die unterschiedlich angesprochen werden müssen: Die der Verkäufer:innen und die der Käufer:innen. Um die Hürden für alle zu senken, werden die Produkte möglichst wertig präsentiert und - wie im regulären Shop – auch mit kostenlosen Retouren angeboten. Damit lässt sich das Risiko für die Käufer:innen minimieren und Vertrauen aufbauen.

Letztlich birgt die Tatsache, dass sich vor allem junge Konsument:innen für das Re-Use Angebot begeistern, weiteres Potenzial. „Wir sind bisher stark von unseren klassischen Kund:innen ausgegangen und wissen jetzt, dass sie bei Re-Use wesentlich jünger sind“, erklärt Stolzenberger. Damit erreicht er eine neue Zielgruppe, die er aufbauen kann. Gleichzeitig muss er die bisherige Zielgruppe dafür gewinnen, die gebrauchten Produkte wieder verkaufen zu wollen, so käme ein lohnender und nachhaltiger Kreislauf zustande.

FashionUnited besuchte die Veranstaltung in Berlin auf Einladung von Bergzeit und Reverse.Supply.

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