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Barrierefreiheit: Neue Pflichten für Onlinehandel ab 28. Juni

Von Simone Preuss

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Einzelhandel
Für viele Menschen ist die Bedienung von Websites und Onlineshops mühsam - darunter auch viele „Silver Surfer“, also ältere Generationen. Bild: Andrea Piacquadio / Pexels

Barrierefreie Läden sind schon lange keine Seltenheit mehr - Rampen am Eingang sind inzwischen Standard, auch Umkleidekabinen werden größer und leichter navigierbar. Aber wie sieht es mit Onlineshops aus? Tatsächlich gilt ab diesem Samstag, dem 28. Juni 2025, für Onlinehändler:innen in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG).

Viele Einzelhändler:innen glauben jedoch immer noch, dass die neuen Anforderungen sie nicht beträfen, so der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel e.V. (BEVH). Das ist laut Elisa Rudolph, Justiziarin des Vereins, „ein großer Irrtum“. „Grundsätzlich betrifft das BFSG alle Onlinehändler:innen; ob klein oder groß, ob mit eigenem Webshop oder auf Marktplätzen tätig und unabhängig von den angebotenen Sortimenten“, erklärt sie in einer Mitteilung.

Dies ist in der Tat unklug, denn nicht nur entgehen diesen Onlineshops potenziell Milliardenumsätze, ihre Website könnte auch abgeschaltet werden. „Wer seine digitalen Angebote nicht barrierefrei zugänglich macht, dem entgeht ein riesiges Kund:innenpotenzial“, mahnte Accenture-Beraterin Anke Lenz im letzten Jahr nach der Veröffentlichung einer Studie zum Thema.

Allein in Deutschland sind dies über 13 Millionen Menschen oder mehr als 15 Prozent der Bevölkerung. Dies schließt Seh- und Hörschwächen sowie kognitive und motorische Einschränkungen ein, die das Navigieren im Internet und somit den E-Commerce erschweren.

Was bedeutet „barrierefrei“?

Die UN-Behindertenrechtskonvention hat einen weltweit anerkannten Standard, den sogenannten „Web Content Accessibility Guidelines“ (WCAG 2.1), mit vier Grundprinzipien entwickelt, die jeder barrierefreie Onlineshop erfüllen sollte. Diese sind:

  • 1. Wahrnehmbarkeit:
    Die meisten Onlineshops - wie die meisten Inhalte im Internet - gehen davon aus, dass Nutzer:innen sie sehen können; viele von ihnen haben jedoch verschiedene Sehbehinderungen, die die Wahrnehmung erschweren. Die Informationen und Komponenten einer Webseite müssen daher so dargestellt werden, dass alle Nutzer:innen sie wahrnehmen können. Sie können also etwa Untertitel und alternative Texte oder Hörmöglichkeiten anbieten beziehungsweise sollten mit gängigen Screenreadern kompatibel sein.
  • 2. Bedienbarkeit:
    Zudem gehen die meisten Onlineshops davon aus, dass ihre Nutzer:innen auf Elemente klicken oder sie einfach bedienen können. Die Komponenten einer Website beziehungsweise ihre Navigation müssen aber auf verschiedene Weisen möglich sein, etwa über eine Tastatur oder als Sprachausgabe. Für letztere ist wichtig, sich nicht auf zu viele Bild-Datei zu verlassen, die nur schwer wiedergegeben werden können.
  • 3. Verständlichkeit:
    Jeder Onlineshop ist verpflichtet, seine Informationen verständlich aufzubauen und auch Fehlermeldungen klar zu kommunizieren. Wer schon einmal eine automatisch übersetzte Website zu navigieren versucht hat, wird verstehen, wie schwierig dies sein kann.
  • 4. Robustheit:
    Website-Inhalte müssen robust genug sein, um zuverlässig von einer Reihe von Benutzer:innen interpretiert werden zu können, etwa von assistiven Technologien.

Ein Tipp des BEVH: „Als grober Leitfaden hilft das „2 Sinne-Prinzip“ – alle Inhalte auf der Webseite sollten über zwei Sinne erreichbar sein. Das heißt zum Beispiel, dass eine Webseite sowohl per Maus als auch per Tastatur bedienbar sein muss oder dass ein Bild einen alternativen Text für Blinde hat oder das ein Video mit Untertitel für Gehörlose ausgestattet wird. Mit diesem Prinzip werden circa 80 Prozent der Barrierefreiheitsprobleme bereits gelöst.“

Welche Folgen gibt es ab Samstag für nicht-barrierefreie Onlineshops?

Die Accenture-Studie vor knapp einem Jahr ergab, dass 90 Prozent der deutschen Websites noch nicht barrierefrei waren - darunter auch die der Mode- und Textilbranche. Doch die Auflagen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden: „Wer sich bis jetzt nicht um die Einhaltung des BFSG gekümmert hat, muss damit rechnen, dass dies früher oder später rechtlich geahndet wird, inklusive der damit verbundenen Kosten”, warnt der BEVH.

Im schlimmsten Fall kann die Marktüberwachung sogar eine Website sperren; eine
„Marktüberwachungsstelle der Länder für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen“ (MLBF) wurde als neue Anstalt des öffentlichen Rechts speziell dafür aufgebaut und nimmt ab Samstag die Arbeit auf.

Der BEVH appelliert an die Behörde, „auf die Verhältnismäßigkeit zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der technischen Machbarkeit zu achten“, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Fragen zur technischen Umsetzung und die damit verbundenen Herausforderungen im Standard wenig beachtet wurden, das heißt, Onlineshops sind auf sich selbst gestellt.

Barrierefreiheit als Chance

Anleitung können Websites und Onlineshops bieten, die gute Anstrengungen unternehmen, etwa die von DM und Rewe: Während letzterer gute Kontraste für bessere Lesbarkeit einsetzt, legt ersterer Wert auf eine gute Anpassung von Textgröße und Kontrasten. Mehr Beispiele lassen sich etwa im dritten Aktion Mensch-Testbericht „So barrierefrei sind Onlineshops in Deutschland 2025” finden, der zusammen mit BITV-Consult, Google, UDG und der Stiftung Pfennigparade erstellt wurde.

Wichtig ist auch die richtige Einstellung zu den Auflagen: „Onlinehändler:innen sollten sich trotz vieler offener Fragen nicht abschrecken lassen, sondern Barrierefreiheit als Chance für eine größere Reichweite und stärkere Kund:innenbindung auch in Hinblick auf eine alternde Gesellschaft verstehen“, rät der BEVH.

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