Attraktivität mittelmäßig: Deutschlands Innenstädte haben ein Problem
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In vielen deutschen Innenstädten herrscht Alarmstimmung: Die Kunden machen sich rar. Nach einer Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Shoppertrak lagen die Besucherzahlen in den Innenstädten im vergangenen Jahr in zehn von zwölf Monaten unter dem Vorjahresniveau.
Tatsache ist: Die Einkaufsstraßen in den deutschen Innenstädten sorgen bei den meisten Verbrauchern derzeit allenfalls für lauwarme Begeisterung. Bei einer Befragung von mehr als 59 000 Innenstadtbesuchern in 116 Städten durch das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) gaben die Verbraucher den Stadtzentren im Durchschnitt nur die Schulnote "Drei plus". Am besten schnitten noch die Großstädte mit mehr als 500 000 Einwohnern ab. Sie erhielten immerhin eine "Zwei minus", wie das IFH am Mittwoch mitteilte.
IFH-Geschäftsführer Boris Hedde sieht darin ein Alarmsignal. Denn seit der ersten derartigen Umfrage des IFH im Jahr 2014 habe sich bei der Beurteilung der Städte kaum etwas verändert. "Die Innenstädte kommen nicht voran. Eine "Drei plus" reicht auf Dauer nicht, um in Zeiten des Strukturwandels konkurrenzfähig zu sein", warnte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Knallharter Standortwettbewerb
Der Handelsexperte drängte die Kommunen, mehr für die Aufwertung ihrer Innenstädte zu tun. Denn der Handel befinde sich in einem knallharten Standortwettbewerb. "Viele Standorte, die kein klares Profil haben, werden das nicht überleben."
Tatsächlich haben die Innenstädte mit einem ganzen Bündel von Problemen zu kämpfen. Da ist der Boom des Onlinehandels, der allein im vergangenen Jahr nach einer aktuellen Studie des Branchenverbandes bevh um mehr als 11 Prozent wuchs. Immerhin rund jeder fünfte befragte Innenstadtbesucher gab laut IFH an, er komme inzwischen seltener ins Stadtzentrum, weil er verstärkt online einkaufe. Bei den unter 25-Jährigen waren es sogar 29 Prozent.
Doch gibt es auch andere Herausforderungen. "Während der Einzelhandel in den vergangenen Jahren insgesamt wuchs, schrumpften ausgerechnet die Kategorien, die für die Innenstädte besonders relevant sind, wie der Textilhandel. Dem Handel sind hier Umsätze in Milliardenhöhe verloren gegangen", erklärt Hedde. Statt für Mode geben viele Konsumenten ihr Geld inzwischen lieber für Essen und Trinken, Streaming-Abos oder Konzertbesuche aus.
Der Kampf um die verbliebenen Kunden wird umso erbitterter geführt. "Der größte Gegner für die Einzelhändler in den Innenstädten ist aktuell noch nicht der Online-Handel, sondern die Einkaufsstraße in der Nachbarstadt", betont Hedde. Wer überleben wolle, dürfe die Wünsche der Kunden deshalb nicht ignorieren.
Wichtig ist den Verbrauchern der IFH-Umfrage zufolge vor allem das Ambiente der Innenstädte und die Vielfalt des Einzelhandelsangebots. "Wer mit einer historischen Altstadt oder einer in Jahrhunderten gewachsenen Stadtsilhouette punkten kann, hat es immer einfacher", urteilt der IFH-Geschäftsführer Hedde.
Erlebnisse bieten
Aber auch Innenstädte, die nicht mit Historie glänzen könnten, hätten Möglichkeiten, ihre Attraktivität deutlich zu steigern. "Das Ambiente einer Stadt und das Einzelhandelsangebot in der Fußgängerzone kann man nicht von jetzt auf gleich verändern. Aber die Themen Erlebnis und Kundenfreundlichkeit sind für die Verbraucher fast genauso wichtig - und hier können die Städte sehr schnell sehr viel tun", fasst er die Erkenntnisse der Studie zusammen.
Seine Empfehlung: Auch Städte ohne attraktive historische Bausubstanz könnten bei den Verbrauchern Erfolg haben, "wenn sie Events und gastronomische Erlebnisse bieten und das Einkaufen für die Kunden so bequem wie möglich machen". Gerade kleinere Städte könnten laut Hedde mit Events die Besucherzahlen deutlich steigern.
Das IFH kürte gleichzeitig die attraktivsten Innenstädte in verschiedenen Größenklassen. Sieger bei den Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern war in der Verbraucherwertung Leipzig. Spitzenreiter in ihren jeweiligen Größenklassen waren außerdem Erfurt, Trier, Stralsund und Wismar. (dpa)
Foto: FashionUnited | Grafik: IFH