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Nach Bottega Veneta: Ist die Modewelt bereit für Matthieu Blazys Vision von Chanel?

Von Jule Scott

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Matthieu Blazy, bei der Bottega Veneta SS23-Show. Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Während der Großteil der Welt in der Vorweihnachtszeit das Tempo drosselt, hat die Modeindustrie entschieden, noch ein letztes Mal richtig Gas zu geben. Nach monatelangen Spekulationen wurde am Donnerstagabend das lange Rätsel um einen der begehrtesten Posten in der Modebranche endlich gelöst.

Matthieu Blazy, seit gestern ehemaliger Kreativdirektor der italienischen Modemarke Bottega Veneta, wird die Rolle des Kreativdirektors bei Chanel übernehmen. Diese Enthüllung beantwortet eine der am häufigsten diskutierten Fragen der Modewelt, wirft aber auch neue Fragen auf. Was bedeutet seine Ernennung für die Branche, und was kann man vom neuen Wunderknaben des französischen Luxushauses erwarten?

Die größte Herausforderung der Modebranche?

Zu behaupten, dass das Gewicht der Modewelt nun auf Blazys Schultern lastet, wäre noch untertrieben. Es gibt nur wenige Positionen in der Modebranche, deren Besetzung sich aufgrund des immerwährenden Vermächtnisses von Karl Lagerfeld als so schwierig erwiesen hat. Spekulationen darüber, wer eines Tages die Nachfolge Lagerfelds antreten könnte, begannen lange vor seinem Tod, der das Ende seines lebenslangen Vertrags mit der französischen Marke markierte. Obwohl Chanel nach seinem Tod 2019 schnell eine Nachfolgerin für ihn fand und die Leitung an seine rechte Hand Virginie Viard übergab, hielt ihre Ernennung die Gerüchteküche nicht davon ab, immer wieder neue Namen in Umlauf zu bringen. Schon gar nicht nach ihrem plötzlichen Rücktritt Anfang Juni.

Für einige wird Blazy wie eine überraschende Wahl erscheinen. Schließlich wurde sein Name erst kürzlich in den Ring geworfen, während andere – Hedi Slimane, Haider Ackermann und Simone Porte Jacquemus, um nur einige zu nennen – oft als Lagerfelds bevorzugte Wahl für die Nachfolge genannt worden sind. Es überrascht daher nicht, dass viele die Zukunft in die Sterne geschrieben sahen, als Slimane, nur wenige Wochen nach Viards Abschied von Chanel seine Tätigkeit bei Celine beendete. dessen Arbeit Lagerfeld befürwortet und für den er bekanntlich sogar abgenommen hatte. Andererseits gab es zu diesem Zeitpunkt kaum Designer:innen, die nicht mit dem Haus in Verbindung gebracht wurden und sich zumindest für den Posten beworben haben sollen.

Viards stiller kommerzielle Erfolg

Die zahlreichen Gerüchte und Spekulationen der letzten Wochen deuten zwar auf den Hunger der Branche nach Wandel bei Chanel hin, sind aber keine Garantie dafür, dass es Blazy leicht haben wird. Es mag auf den Wunsch nach Veränderung bei der französischen Modemarke hindeuten, nachdem Viard treu die Linie Lagerfelds fortgesetzt hat, obwohl es ihr manchmal an Fantasie und Vorstellungskraft fehlte, was wiederum zu einer lauwarmen Aufnahme der allermeisten ihrer Kreationen führte. Es weckt allerdings auch Erwartungen für das, was nun folgen wird. In den Geschichtsbüchern von Chanel könnte Viard – wahrscheinlich zu Unrecht – zwischen zwei Großen stehen, als Platzhalter, bis die Welt bereit war, sich von ihrer Vorstellung von Kaiser Karl und dem, was sein Chanel immer gewesen war, zu lösen.

Viards letzte Chanel-Kollektion für SS24 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Eine viel wichtigere Frage, die die Branche in all ihrer Aufregung gelegentlich vergisst, ist allerdings die des kommerziellen Erfolgs. Die Presse mag zwar nicht von allem begeistert gewesen sein, was Viard in den vergangenen fünf Jahren geleistet hat, aber in finanzieller Hinsicht hat sie das Haus zweifellos auf Erfolgskurs gebracht. Das allerdings könnte einen Übergang zu einer neuen kreativen Vision komplizierter machen, als manche auf den ersten Blick vermuten.

Viards letzte Chanel-Kollektion für SS24 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Die Kritiken mögen verhalten gewesen sein, aber die Ergebnisse waren das genaue Gegenteil. 2023 stieg der Umsatz des französischen Luxusunternehmens auf 18,17 Milliarden Euro. Im Vergleich zu den ebenfalls rekordverdächtigen Zahlen aus dem Vorjahr betrug der Anstieg auf Basis konstanter Wechselkurse 15,8 Prozent. In den vergangenen fünf Jahren, an denen Viard maßgeblich beteiligt war, hat Chanel damit seinen Umsatz demnach von 9,8 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2018 verdoppelt.

Eine Erfolgsgeschichte, an die die Marke gerne anknüpfen möchte, und so bleibt eine große Frage offen: Die Modewelt mag bereit sein für eine Neuausrichtung der Traditionsmarke, aber sind die Kund:innen ebenfalls an Veränderungen interessiert?

Viards letzte Chanel-Kollektion für SS24 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Eine ruhige Hand für den 'Marktführer des Luxus'

Zweifel daran, dass Blazy, der 2025 in das Unternehmen eintritt und seine erste Kollektion für Frühjahr/Sommer 2026 präsentieren wird, Chanel in eine ebenso erfolgreiche, wenn nicht sogar noch erfolgreichere Zukunft führen kann, scheint die französische Marke nicht zu hegen.

„Seine Vision und sein Talent werden die Energie der Marke und unsere Position als führendes Luxusunternehmen weiter stärken“, erklärten Alain Wertheimer, Global Executive Chairman, und Leena Nair, Global CEO von Chanel, am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung. „Wir sind zuversichtlich, dass Matthieu Blazy unter der Führung von Bruno Pavlovsky [Anm. d. Red.: Präsident von Chanel Fashion und Chanel SA] weiterhin die Zukunft gestalten und eine neue Seite in der Geschichte von Chanel schreiben wird.“

Der Ehrgeiz, „der Marktführer des Luxus“ zu bleiben, kommt zu einer Zeit, in der die Luxusmode mit einem Abschwung konfrontiert ist – einem Abschwung, den Blazy bei Bottega Veneta 2024 zuletzt nachweislich trotzen konnte. Während andere Marken innerhalb der Muttergesellschaft Kering aktuell damit zu kämpfen haben, das Momentum aufrechtzuerhalten – der Umsatz von Gucci fiel im dritten Quartal des aktuellen Geschäftsjahres um 26 Prozent auf 1,64 Milliarden Euro, und der Umsatz von Yves Saint Laurent schrumpfte um 13 Prozent auf 670 Millionen Euro – hat sich Bottega Veneta als widerstandsfähig erwiesen. Der Umsatz der italienischen Luxusmarke blieb nicht nur stabil, sondern stieg sogar an, wenn auch nur geringfügig um vier Prozent auf 397 Millionen Euro.

Bottega Veneta SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Auch wenn die Zahlen von Bottega Veneta nicht ganz mit dem vergleichbar sind, was Chanel von Blazy erwarten wird, so spiegeln sie doch die Anziehungskraft seiner Vision auf die Kund:innen wider. Überdies ist Blazy die Herausforderung nicht fremd, eine erfolgreiche Marke zu übernehmen und sie zu noch größeren Höhen zu treiben. Als er den Kreativposten bei Bottega Veneta übernahm, durchlief die Marke gerade eine bemerkenswerte Wende, die von ihrem ehemaligen Kreativdirektor Daniel Lee eingeleitet wurde, der im November 2021 unerwartet von Bord ging.

Was das Ende der Verjüngung der italienischen Marke hätte bedeuten können, wurde stattdessen der Beginn eines neuen Kapitels unter Blazys Führung. Nachdem er ein Jahr zuvor als Designdirektor zu dem Haus gestoßen war, wurde er damit betraut, die positive Entwicklung fortzusetzen. Während Lee zu Burberry wechselte und versuchte, die transformative Magie zu wiederholen, mit der er Bottega Veneta beglückt hatte, konnten nur wenige vorhersehen, dass es Blazy sein würde, der bald das Rampenlicht einnehmen und in aller Munde sein sollte.

Bottega Veneta SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Wie viel von Blazys Handschrift wird auf dem Laufsteg von Chanel wieder auftauchen?

Es wird einige Zeit dauern, um abzuschätzen, wie viel von dem von Blazy geprägten Stil der italienischen Marke auf dem Laufsteg von Chanel wieder auftauchen wird. Die Ungewissheit gibt der Branche jedoch reichlich Gelegenheit, ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: dem Spekulieren.

Wird die Welt aus Leder gefertigten Tweed sehen, das an Blazys erste Bottega-Kollektion für den Herbst 2020 erinnert? In dieser Kollektion täuschten Trompe-l'oeil-Jeans und ein weißes Tanktop, beide aus Leder, die Modewelt und lösten eine Begeisterung über die leise, aber bahnbrechende Neuinterpretation des Alltäglichen aus. Wird der Designer auch weiterhin das Wunder im Banalsten finden, das Einfache romantisieren und die Branche einladen, sich ihm auf einer Reise anzuschließen, die selbst die gewöhnlichsten Momente – und Kleidungsstücke – in etwas verwandelt, das die Welt begehrt?

Blazys Bottega-Debüt Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Wenn ja, wird er dies wahrscheinlich tun, indem er die traditionelle Handwerkskunst in neue und unerwartete Bereiche führt, ähnlich wie er es bei Bottega Veneta getan hat. Seine oft skurrilen Entwürfe haben diejenigen, die eine raffinierte, stromlinienförmige Ästhetik suchen, nie verprellt. Stattdessen lieferte er Kleidungsstücke, die bei genauerem Hinsehen eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit für Textur und Form erkennen ließen.

Dieser Ansatz könnte ihm bei Chanel außerordentlich dienlich sein, denn Textur wird dort von Tweed verkörpert, und Form ist längst zum Synonym für die Kombination aus Jacke und Rock geworden, die die Marke seit Generationen prägt. Obwohl beide Elemente seit jeher mit Chanel verbunden sind, könnten sie von einer modernen, modebewussten Neuinterpretation profitieren.

Blazys Bottega-Debüt Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Zudem bietet der Kalender des Modehauses mit sechs Laufstegshows pro Jahr, die sowohl Konfektionskleidung als auch Haute Couture umfassen, Blazy die Möglichkeit, die Kunst der Haute Couture neu zu interpretieren. Diesen Bereich hat er bereits während seiner Zeit bei Maison Margiela erkundet, wo er an der Artisanal-Linie der Marke arbeitete und sein Talent für Handwerkskunst und Innovation verfeinerte.

Was auch immer Blazy aus Chanel machen wird, seine Ernennung hat der französischen Kultmarke bereits frischen Wind und neuen Schwung verliehen. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, ob er die immensen Erwartungen, die die Branche an ihn und seine Vision stellt, erfüllen – und vielleicht sogar übertreffen – kann.

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