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Erinnerungen eines Ex-Models: „Vergiss nie, dass du mehr bist als dein Aussehen“

Von Simone Preuss

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Personen |Interview

Elisabeth Granli in Mumbai. Bild: FashionUnited

Das erste, was einem an Elisabeth Granli auffällt, ist ihr Lächeln - offen, freundlich und neugierig auf die Welt. Dann die strahlend blauen Augen und ihre Größe - die gebürtige Norwegerin neigt dazu, die meisten ein wenig zu überragen. Wir trafen uns kürzlich nach einem Flug in Mumbai, wo das Ex-Model und Fotografin ein paar Tage verbrachte, um auf Einladung einer gemeinnützigen Organisation Kinder von Sexarbeiterinnen im Rotlichtviertel von Mumbai zu fotografieren.

Granli ist jetzt um die Fünfzig und erinnert sich an ihre Jahre in der Modelbranche, in denen sie durch die ganze Welt reiste, um Anzeigen und Bilder für Kataloge für Mode, Brautmode, Accessoires und Schönheitsprodukte sowie eine Vielzahl anderer Produkte aufzunehmen. Obwohl sie bei einigen Modenschauen in Mailand dabei war, schaffte es Granli nie in die Riege der Topmodels - oder kam gar mit ihnen in Berührung.

Elisabeth Granli zu Beginn ihrer Modelkarriere. Bild: mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth Granli

Doch sie bekam auch so einen Eindruck der Glamourwelt - in einem Nachtclub in Paris tanzte sie einmal mit Jack Nicholson, dessen Freundin sie Jahre später im Film „Was das Herz begehrt“ („Something's Gotta Give“) spielte. Er erinnerte sich nicht an die Begegnung in Paris, aber er mochte ihre Antwort, als er sie fragte: „Was ist deine gute Seite?“, als sie zusammen beim Casting fotografiert wurden. Da sie sich von Prominenten nicht einschüchtern lässt, antwortete Granli keck: „Ich weiß nicht, was ist deine?“. In einem Interview mit FashionUnited erinnert sich Granli an die vielen Seiten des Modellebens.

Normalerweise wird die Welt der Models mit viel Glanz und Glamour auf der einen Seite und Skandalen und Ausbeutung auf der anderen Seite in Verbindung gebracht. Ist das auch Ihre Erfahrung?

Es ist auf jeden Fall ein Unterschied, ob man ein Topmodel ist und alle Augen auf einen gerichtet sind oder ob man das Modeln als finanzielles Sprungbrett sieht, wie es bei mir der Fall war. Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber damals konnte man mit dem Modeln in Japan gutes Geld verdienen. Eine Freundin von mir blieb drei Jahre lang und arbeitete in Tokio und sparte genug, um später Jura zu studieren. Und die Kultur dort ist ganz anders - Models werden weniger zum Objekt gemacht und es ist ein sehr sicheres Arbeitsumfeld.

Apropos sicher - haben Sie jemals unangenehme Erfahrungen gemacht oder sich bedroht gefühlt?

Ob Sie es glauben oder nicht, in all den Jahren gab es nur einen Vorfall, der einen bitteren Beigeschmack in meinem Mund hinterlassen hat, und das war ganz am Anfang meiner Karriere. Ich hatte gerade angefangen, bei einer Agentur in Mailand zu arbeiten, nachdem ich in Oslo entdeckt worden war. Ich war zwei Monate lang dort und hatte viele nette Leute kennengelernt und eine Menge Spaß gehabt. Aber eines Tages, bei einem Test-Shooting, fing der Fotograf an, vor meinen Augen zu masturbieren. Obwohl nichts weiter passiert ist, habe ich mich geekelt und bin zurück nach Norwegen gefahren.

Aber das war nicht das Ende Ihrer Modelkarriere?

Nein, vorher hatte ich angefangen, Französisch an der Universität Oslo zu studieren und arbeitete als Aushilfe in einem Café. Dort lernte ich zwei Fotografen kennen, die mich fragten, ob ich modeln wolle. Ich hatte nie darüber nachgedacht, aber sie brachten mich mit einer Agentur in Kontakt, und so bin ich in Mailand gelandet. Als ich zurückkam, wollte ich eigentlich wieder studieren, aber das Modeln (und das Reisen) ging mir nicht aus dem Kopf. Es gab einen Modelwettbewerb in Oslo, an dem ich teilnahm und gewann, und der Preis war ein Vertrag mit einer Modelagentur in Paris.

Elisabeth Granli zu Model-Zeiten. Bild: mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth Granli

Also packte ich meine Koffer und bin nach Paris gezogen. Das Leben dort war einfach magisch - ich liebte es, in den Cafés zu sitzen und Sartre und Camus zu lesen, ich war ein Philosophinnenmodel (lacht). Eines Abends gingen wir aus, und da war Jack Nicholson, und ich tanzte mit Prince, und es war alles so normal. Sie schienen ganz normale Leute zu sein.

Was war einer Ihrer denkwürdigsten Model-Aufträge und warum?

Meine Reisen waren auf jeden Fall unvergesslich. Ich war zum Beispiel für eine französische Bekleidungsfirma in Marokko - wir haben in der Wüste gedreht und hatten ein Team mit Beduinen und Kamelen, es war so exotisch. Außerdem habe ich fünf Monate in Tokio und einige Zeit in China verbracht, um für ein chinesisches Kaufhaus zu fotografieren.

Was haben Sie vom Modeln in Bezug auf ihre persönliche Entwicklung gelernt?

Es hat mich gelehrt, dass ich mehr innere Stärke habe, als ich dachte. Ich habe auch gelernt, keine Angst davor zu haben, andere Menschen um Rat und Hilfe zu bitten, das habe ich auf meinen Reisen gelernt. Wenn ich diese Erfahrung nicht gemacht hätte, wäre ich eingeschüchtert gewesen. Ich hatte auch das Glück, dass ich nicht sexuell belästigt wurde, aber ich war älter und hatte mehr Unabhängigkeit; ich war kein Kind oder Teenager, wie viele andere Models, wenn sie anfangen.

Ich habe mich also nie als Objekt gesehen, sondern immer als eine Person, die mehr ist als ihr Aussehen. Das ist etwas, was in Norwegen, wo ich aufgewachsen bin, sehr wichtig war, zusammen mit einer guten Ausbildung. Es gab auch viele weibliche Vorbilder, zum Beispiel hatten wir damals eine Ministerpräsidentin.

Aber Sie sind nicht in Paris geblieben?

Nein, 1993 zog ich nach Los Angeles und bekam sofort eine Agentur, Elite. Ich habe in Miami für viele europäische Kataloge fotografiert (zum Beispiel für Otto). Und wenn man dann in L.A. ist, kommt man früher oder später mit der Schauspielerei in Kontakt. Ich bekam eine kleine Rolle in „Was das Herz begehrt“, nahm Schauspielunterricht und hatte schließlich kleinere Rollen in „L.A. Confidential“ und ein paar Student:innenfilmen. Aber dann habe ich es aufgegeben, weil ich so viel an meinem Akzent arbeiten musste, um amerikanisch zu klingen. (lacht)

„Mein alter Freund Ray Anthony und ich in einer der magischen Nächte in der berühmten Playboy Mansion. Home away from Home“, erinnert sich Granli an dieses Foto. Bild: mit freundlicher Genehmigung von Elisabeth Granli.

Sie sind dann von vor der Kamera zu hinter der Kamera gewechselt - können Sie ein wenig über diesen Wechsel erzählen? Was hat Sie motiviert?

Ich war schon immer daran interessiert, wie man das Beste aus einem Outfit, der Beleuchtung, der Körperhaltung und so weiter herausholt. Ich habe also den gesamten Prozess und das Modeln als Teil davon gesehen. Ich interessierte mich für die Arbeit der Fotograf:innen als Teil einer gemeinsamen Kreation. Es gab auch ein paar Frauen unter ihnen. Ich fragte sie immer wieder nach den Kameras und der Beleuchtung, und sie erklärten es mir nur zu gern. Ich lernte auch viel durch einfaches Zuschauen, und das Posing war für mich sehr natürlich, es war irgendwie intuitiv.

Ende der 90er Jahre in L.A. war mein erster Auftrag, den Filmemacher David Lynch bei der transzendentalen Meditation zu fotografieren. Es folgten weitere Aufträge, viele Porträtfotos für Freunde und dann Wahlkampffotos für die politische Kandidatin Marianne Williamson. Zur Zeit mache ich viele Einzelporträts, Familienporträts, und fotografiere Hochzeiten und Haustiere. Ich habe schon vor dem Modeln gerne fotografiert, schon als Kind, und so schließt sich für mich der Kreis.

Was waren einige Ihrer denkwürdigsten Momente als Fotografin?

Vor ein paar Jahren habe ich mit einer gemeinnützigen Organisation zusammengearbeitet, die sich gegen Menschenhandel einsetzt, und Kinder fotografiert, die in Mumbai, Kalkutta und Dhaka vor dem Sexhandel gerettet wurden. Das waren unglaubliche Momente, als ich sah, wie sich diese Kinder öffneten. Ich habe schließlich ein Buch über sie veröffentlicht („The Lucky Ones“), dessen Verkaufserlös diesen Organisationen gespendet wurde.

Eines der Fotos für Granlis Fotobuch „The Lucky Ones“. Bild: Elisabeth Granli.

Was würden Sie Neueinsteiger:innen in den Bereich Fotografie raten?

Fangt einfach an, übt bei jeder Gelegenheit, auch mit dem Handy. Beleuchtung und Blickwinkel sind das Wichtigste, spielt einfach mit der Kunstform herum. Findet heraus, was eure Stärken sind und was euch am meisten liegt - für mich waren das Porträts. Zeigt eure Fotos anderen und bittet sie um eine ehrliche Meinung.

Was würden Sie Menschen raten, die mit dem Modeln anfangen wollen?

Wartet, bis ihr 18 oder 19 seid, bevor ihr anfangt. Ich war auch einen Monat lang allein auf Reisen - so habe ich einige Erfahrungen mit dem Alleinsein gesammelt. Eine Ausbildung ist wichtig, ebenso wie die Entwicklung eines positiven Selbstbildes, bevor man sich der ständigen Kritik aussetzt.

Man sollte auch immer daran denken, dass man mehr ist als nur der Körper, eine schöne Hülle. Man sollte nicht zulassen, dass das Selbstwertgefühl durch Feedback über einen verändert wird - sei es Lob oder Kritik. Ich bin dankbar, dass ich diesen starken Rückhalt hatte, da ich aus Norwegen komme, wo Frauen nicht nur wegen ihres Aussehens geschätzt werden.

Elisabeth Granli
Model
Workinfashion