Carhartts Nachhaltigkeitsdirektorin über positive Auswirkungen und wie die Marke so cool bleibt
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Seit den späten 80er Jahren ist Carhartt eine Kultmarke, die von DJs, Designer:innen, Gabelstaplerfahrer:innen und Mode-Influencer:innen getragen wird. Sie ist ein fester Bestandteil der Kleiderschränke von Rappern wie Tupac und ASAP Rocky und wurde zur Zusammenarbeit mit dem italienischen Luxusmodehaus Marni, der japanischen Marke Sacai sowie mit Studierenden des College for Creative Studies in Detroit eingeladen. Wie schafft es Carhartt, so mühelos von der Elite zum Mainstream überzuwechseln und weiterhin diesen gewissen unaufdringlichen Coolness-Faktor zu besitzen, an dem alle teilhaben möchten?
„Ich glaube, das liegt ehrlich gesagt daran, dass wir uns gar nicht bemühen,“ sagt Gretchen Valade, Nachhaltigkeitsdirektorin bei Carhartt, in einem Gespräch mit FashionUnited auf ihrer jüngsten Reise nach New York. „Wir konzentrieren uns wirklich sehr auf die Arbeiter:innen. Und selbst wenn wir in, sagen wir, New York oder Brooklyn wieder im Trend liegen, ist das wirklich cool, aber wir fragen uns, was brauchen Klempner:innen und Holzarbeiter:innen? Wir erkennen das an und wissen es zu schätzen, aber letzten Endes stellen wir Funktionskleidung für Arbeiter:innen her, und das ist unsere Denkweise. Wir haben Einzelhandelsgeschäfte und sind bei Amazon erhältlich, aber auch über die Tractor Supply Company.“
Es ist genau diese generationenübergreifende, trendüberschreitende Qualität von Carhartt, die das quadratische Patch-Logo mit dem orangefarbenen „C“ so unverkennbar macht. Für den Herbst hält der Berufsbekleidungsriese seine „Work In Progress“-Kollektion frisch, indem er Artikel aus seinen eigenen Archiven mit der böhmischen Kunst der Bloomsbury Group kombiniert. Unter den Double Knee Pants, dem Michigan Chore Coat und den Latzhosen mit Details wie den dreifach genähten Cargotaschen, den Schlaufen für den Hammer und den Tunneln für die Stifte der Arbeiter:innen finden sich Dandy-Anklänge in Paisleymustern und Deckenfutter.
Valade, eine Nachfahrin von Gründer Hamilton Carhartt, erinnert sich, dass eines ihrer ersten Projekte in ihrer Funktion als Nachhaltigkeitsdirektorin zu Beginn der Pandemie die Einführung von Carhartt Reworked war. Das Wiederverkaufsprogramm bietet die Rücknahme von gebrauchten Carhartt-Artikeln an, die gereinigt, repariert und wieder auf den Markt gebracht werden. Auf der Instagram-Seite des Programms heißt es: „Wenn man Kleidung auf die richtige Art und Weise herstellt, indem man die hochwertigsten Materialien verwendet und auf jedes Detail achtet, stellt man Kleidung her, die im Umlauf bleibt und nicht auf der Müllhalde landet.“
Das 134 Jahre alte Unternehmen bleibt seinen Wurzeln treu
Hamilton Carhartt aus Michigan begann 1889 mit der Herstellung von Overalls für die örtlichen US-Eisenbahnarbeiter, doch die Marke wurde bald von Viehzüchtern, Landwirten und Bauarbeitern übernommen, die bei landwirtschaftlichen Genossenschaften oder in Baumärkten einkauften. In den 1980er Jahren trugen Hip-Hop-Künstler:innen in ihren Musikvideos Carhartts Canvas-Kleidung in gedämpftem Khaki und Senfgelb und verbanden die Marke mit dem ikonischen Baggy-Streetwear-Stil. Während des Krieges produzierte das Unternehmen Overalls für Soldaten, Dschungelanzüge für Marines und Arbeitskleidung für Frauen, die an der Heimatfront in den Arbeitsmarkt eintraten. Auch heute noch ist Carhartt ein privat geführtes Familienunternehmen mit Hauptsitz in Dearborn, Michigan. Das Unternehmen verfügt über vier US-Fabriken in Kentucky und Tennessee und beschäftigt nach Angaben der New York Times einige der letzten gewerkschaftlich organisierten Textilarbeiter:innen Amerikas sowie Betriebsstätten in Mexiko und China, die der Worldwide Responsible Accredited Production (WRAP)-Zertifizierung folgen. Für Baumwolle, Knöpfe und Kordelzüge nutzt die Marke heimische Lieferbetriebe.
Obwohl die Daten zeigen, dass die Modebranche ihr Ziel, Emissionen zu reduzieren, weiterhin verfehlt und Greenwashing die Schlagzeilen beherrscht, lässt sich Valade nicht entmutigen und arbeitet weiter an ihren Plänen, ein auf Nachhaltigkeit bedachtes Team zu gründen.
„Es kann unglaublich schwierig sein, Nachhaltigkeit tatsächlich in einer Marke und einem Unternehmen zu verankern“, sagt sie. „Aber ich wurde irgendwie hineingeboren.“ Wenn sie über Nachhaltigkeit spricht, ist das so, als wäre es etwas, das existiert und atmet, und wirft sogar die Frage auf, wo Nachhaltigkeit in einem Unternehmen „wohnt“. Wenn sie in den Fasern lebt, kann die Verantwortung an das Entwicklungsteam weitergegeben werden, aber wenn sie in der Transparenz lebt, liegt sie in den Händen des Kommunikationsteams, so Valade. Bei Carhartt sieht die Nachhaltigkeitsdirektorin ihre Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass Nachhaltigkeit überall gelebt wird. „Um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, entwickeln wir eine Strategie, was Nachhaltigkeit für Carhartt bedeutet, denn es kann für verschiedene Menschen so viele verschiedene Dinge bedeuten. Dann haben wir einen Lenkungsausschuss, dem Führungskräfte aus dem gesamten Unternehmen angehören, die uns helfen, unsere Ziele zu erreichen.“
Sie weist darauf hin, dass einige Marken früher vielleicht keine eigenen Nachhaltigkeitsdirektor:innen hatten, sondern Strategiedirektor:innen, die Nachhaltigkeit zu ihrem Aufgabenbereich zählten. „Aber jetzt gibt es so viele Gesetze und Vorschriften, dass ein fehlender Fokus darauf zu noch mehr Störungen innerhalb eines Unternehmens führen kann, weil man nicht die Voraussicht hat, zu verstehen, was auf einen zukommt”, mahnt Valade.
Der Aufstieg zur Nachhaltigkeitsdirektorin des Familienunternehmens ist nicht nur das Ergebnis glücklicher Fügung, sondern auch von harter Arbeit. Noch in der High School und in den Sommerferien im College durchlief Valade verschiedene Abteilungen. „Ich hatte das Privileg, diese Möglichkeit zu haben“, sagt sie über ihre Arbeit in den Produkt- und Designteams, bevor sie auf eigene Faust für das globale Supply-Chain-Unternehmen Li & Fung in Hongkong und Neu-Delhi tätig wurde. „Irgendwann“, so sagt sie, „verlagerte sich mein Denken vom Produkt zu den Werten und ich begann mich zu fragen, wer Carhartt außerhalb der Kleidung, die wir herstellen, ist“. Sie wurde Mitglied im Detroit Industrial Sewing and Innovation Center und im Kuratorium der Nature Conservancy in Michigan. Eines ihrer ersten Projekte war die Schaffung eines Raums, der Carhartt repräsentiert, aber keine Produkte herstellt. Sie baute die Carhartt-Werkstatt auf, zu der auch eine Werkzeugaleihbibliothek gehört, in der die Menschen ausleihen können, was sie für die Reparatur ihrer Häuser und Gärten brauchen. „So habe ich mich dorthin manövriert, wo ich jetzt bin, mit dem Fokus auf Umweltverträglichkeit, eng verbunden mit sozialer Verträglichkeit und Lieferkette.“
Für viele junge Modefachleute, die nach Möglichkeiten suchen, in etablierten Unternehmen etwas zu bewirken, kann es leider schwierig sein, bei den Verantwortlichen Gehör zu finden. Valade ist der Meinung, dass es auch ohne Zugehörigkeit zu einem Nachhaltigkeitsteam Möglichkeiten gibt, einen Beitrag zu leisten, da sich jedes Unternehmen an einem anderen Punkt seiner Reise befindet. „Als ich anfing, traf ich mich mit etwa 30 Leuten aus dem gesamten Unternehmen, um zu sehen, wo wir stehen und was unsere Ausgangsbasis ist“, erinnert sie sich. „Ich stellte fest, dass die Leute etwas taten, um unsere Auswirkungen zu verringern, aber sie nannten es nicht Nachhaltigkeit. Es geht also darum, offen zu bleiben, Gespräche zu führen, zu verstehen, wie alles zusammenhängt, und Gemeinsamkeiten zu finden, um eine größere Wirkung zu erzielen.“
Es ist laut Valade wichtig, Wissen über Nachhaltigkeit in die Designräume, die Materialbeschaffung und die Kommunikationsteams zu bringen, aber auch die Fähigkeit, das Thema für Kolleg:innen oder die ältere Generation, die nicht damit aufgewachsen ist, zu vereinfachen, kann ausreichen, um etwas zu bewirken. Kleinere Marken ebnen den Weg, weil sie sich anpassen und schnell handeln können, um ihre Systeme zu verbessern, während es in größeren Unternehmen schwieriger sein kann, etwas zu bewegen. „Aber niemand kann es allein schaffen. Ehrlich gesagt, ist das Erfrischendste für mich, dass Marken zusammenarbeiten“, erklärt Valade. „Die Branche braucht einen Wandel. Es kann nicht nur eine Marke mit einer Mission sein, wie zum Beispiel Patagonia, die ich für das, was sie tut, sehr schätze, aber sie allein werden die Welt nicht retten können. Es müssen wirklich alle an einem Strang ziehen und zusammenarbeiten.“ Und Teams, die zusammenarbeiten, stehen ja bereit seit 1889 im Mittelpunkt von Carhartts Geschäfts.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.uk. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.