Warum die Mode weiter nach Jugend lechzt
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New York - Einer der Gründe für den Gegenwind, den das Debüt von Hedi Slimane bei Celine erfuhr, scheint zu sein, dass er Phoebe Philos erwachsene, selbstbewusste, anspruchsvolle Frau durch ihre jugendliche Tochter ersetzt hat. Eine schlaksige, rebellische Elfe, die die ganze Nacht in kaum vorhandener Kleidung ausharrt, ist die neue Botschaft des französischen Hauses. Aber was hatten wir von einer Kollektion, die der Designer "Journal Nocturne de la Jeunesse Parisienne" betitelt hatte, erwartet? So gibt es heute zwei Céline/Celine-Lager: Philophiles und Slimane-Fans. Die erste Show von Slimane hat deutlich gemacht, dass seine Celine-Kundin nicht Vorstandssitzungen einberuft und Tagesordnungen festlegt, sondern protokolliert und atemlose jugendliche Überlegungen in ihr Tagebuch schreibt.
Ist das jetzt unerwartet? Kaum. Die Mode hat die Jugend schon immer fetischisiert. Während eine Supernova wie Kate Moss, die im Alter von 14 Jahren entdeckt wurde, drei Jahrzehnte später noch immer Magazincover und Laufstege ziert, gibt es unzählige weitere Modelle, die ebenso früh gescoutet wurden, aber mit 21 Jahren in den Ruhestand gingen. Cindy Crawfords Tochter Kaia Gerber trat in die Fußstapfen ihrer Supermodelmutter, um mit 14 Jahren ihr erstes Vogue-Cover zu zieren. Das System der Mode basiert auf der scheinbar zeitlosen Idee, dass sich die Kundinen von High-End-Luxusgütern – wahrscheinlich kaum unter 35 Jahren mit solid e n Karrieren und Kaufkraft – sich jung, energisch und lebensfroh fühlen wollen, und sich deshalb die Abschlussball-Kleider dieser Saison, die neuesten Dad-Sneakers oder die Grandma-Bag für einen fünfstelligen Betrag kaufen.
Wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten
Das Alter auf den Laufstegen ist die letzte Bastion der Diversity, die sich hartnäckig hält. Diese Milliarden-Dollar-Industrie existiert, um unseren Widerstand gegen das Altern zu bestätigen, unseren inneren Dämonen einen Spiegel vorzuhalten und unseren Wunsch zu schüren, dem Lauf der Zeit entgegenzuwirken. Wir werden hinters Licht geführt und glauben gemacht, dass wir durch saisonale Ausflüge zu Barneys verbergen könnten, wie viele Runden um die Sonne wir bereits zurückgelegt haben.
Aber es ist klar, dass wir von der Jugend fasziniert sind. Sie stellt den Kontakt mit unserem vergangenen Selbst wieder her, erinnert uns an die Zeit, als wir voller Verheißung der Zukunft waren, und buchstäblich den Traum lebten, denn echte Selbstverwirklichung schien noch möglich, bevor die Enttäuschungen des Lebens sie zunichte machten. Auf die jungen Models können wir das Gespenst unserer eigenen Vergangenheit projizieren. Sie geben unserer tiefsten Nostalgie Form und spiegeln gleichzeitig die gesamte Gesellschaft wider. Anti-Aging-Cremes und plastische Chirurgie sind Multi-Milliarden-Dollar-Industrien, und wer über 25 Jahren ärgert sich schon, beim Betreten einer Bar nach dem Ausweis gefragt zu werden?
Während sich Designer traditionell von jugendlichen Subkulturen, gequälten High-School-Helden, missverstandenen Teenagern und jugendlichen Prinzessinnen inspirieren ließen, wurde diese Inspiration für die Demographie kaufender Kunden - ein im Vergleich fast schon geriatrische, zu Reichtum gekommene Zielgruppe - neu verpackt. Doch das scheint der Vergangenheit anzugehören.
Der Fetisch ist finanziell geworden.
Die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten UBS-Studie zeigen, warum Slimane sich gegen das Geld der älteren Kunden wendet. Aus einem Pool von über 3.000 Verbrauchern in China, Europa und den USA trieben Millennials im vergangenen Jahr 85 Prozent des Wachstums im Luxusgütersektor voran, wobei insbesondere die chinesischen Millennials dominierten. Gucci und Louis Vuitton sind die beliebtesten Marken, wobei letztere 33 Prozent ihres Wachstums im Jahr 2017 auf Verbraucher im Alter zwischen 21 und 33 Jahren zurückführen. Saint Laurent setzt 65 Prozent seines Wachstums im vergangenen Jahr dank der Millennials um, während Guccis Schätzung 50 Prozent beträgt. 45 Prozent der gesamten Luxus-Ausgaben werden bis 2025 auf diese Weise erzielt.
Influencer unterstreichen die Attraktivität bestimmter Marken für junge Konsumenten, die im digitalen Zeitalter erwachsen geworden sind und Social Media fließend beherrschen. In einer Stellungnahme zum Börsengang der erfolgreichen E-Commerce-Site Revolve im September, die ein Netzwerk von mehr als 2500 Influencerinnen unterhält, heißt es, dass "ein Großteil des bisherigen Wachstums unserer Kundenbasis auf Social Media und von Influencern getriebene Marketingstrategien zurückzuführen ist… [diese] haben einen überproportionalen Einfluss auf das Kaufverhalten der Konsumenten der nächsten Generation". Die Erklärung zitiert Beispiele der Blogger Camila Coelho, Julie Sarinana und Natasha Oakley, die 7,3 Millionen, 4,9 Millionen bzw. 2 Millionen Anhänger haben.
Hinzu kommt, dass die Geschlechterfluidität oder die unter anderem von Maison Margiela so überzeugend vorgeschlagene "geschlechtslose" Ästhetik für das Frühjahr 2019 an diesem uneindeutigen prä-pubertär wirkenden Körpertypen festhält. Während die Inklusivität auf dem Laufsteg ein kurvigeres Ideal unterstützt, scheinen Figuren, die zwar so groß wie Erwachsene sind, aber ohne die Hüften oder die Brust, also der pubertierende, unentwickelte Archetyp, weiter en vogue bleiben. So geht die Suche nach einer neuen Phoebe Philo hinter den Kulissen weiter. Bis sie gefunden wird, dürfte die Mode nicht so schnell erwachsen werden.
Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ
Bilder: CatwalkPictures.com; Gucci Men Cruise 2019 Kampagne