Von einem Modesystem zu mehreren: konkrete Schritte für Modeunternehmen
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Traditionell entwerfen und vertreiben Modeunternehmen ihre Kleidung im eigenen Land, produzieren sie aber in Niedriglohnländern wie Bangladesch, Kambodscha oder Myanmar. Diese Arbeitsweise existiert bereits seit den 1960er Jahren und wurde vor allem in den 1990er Jahren populär. Das Ziel: möglichst kostengünstig zu produzieren. Der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch am 24. April 2013, der als die tödlichste Katastrophe der Modeindustrie gilt, machte deutlich, dass Outsourcing nicht nur mit Kosteneffizienz zu tun hat. Diese Arbeitsweise verlagert auch Probleme – wie etwa schlechte Arbeitsbedingungen – aus dem Blickfeld.
Das industrielle Modesystem basiert auf Outsourcing mit Überproduktion als Standard. Im Jahr 2020, während der Corona-Pandemie, schien sich dies kurzzeitig zu ändern. Designer:innen und Führungskräfte der Branche unterzeichneten einen offenen Brief, um diese Arbeitsweise zu verändern; die Modebranche schien das Modesystem grundlegend zu hinterfragen. Diese Phase, die von längeren Saisonen und weniger überflüssiger Produktion geprägt war, war jedoch nur von kurzer Dauer.
Dennoch ist ein Systemwandel möglich, so die niederländische Kulturwissenschaftlerin Daniëlle Bruggeman. FashionUnited sprach mit Bruggeman über verantwortungsvolles Modeunternehmertum. Am 20. März 2025 hielt sie ihre Antrittsvorlesung an der Radboud Universität Nijmegen mit dem Titel „Stitches of Care: Practising Solidarity through Fashion“, nachdem sie im April 2024 zur Professorin für Mode und Nachhaltigkeit ernannt wurde. Gemeinsam mit der ArtEZ Hogeschool voor de Kunsten und der Radboud Universität erforscht sie nun die Möglichkeiten, Mode und Nachhaltigkeit sowohl aus künstlerischer als auch aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten. Laut Bruggeman können Modeunternehmer:innen bereits kurzfristig zu einem nachhaltigeren Modesystem beitragen.
Was hoffen Sie, dass Modeunternehmer:innen aus Ihrer Antrittsvorlesung „Stitches of Care – Practising Solidarity Through Fashion“ mitnehmen?
Ich plädiere dafür, Mode nicht länger als ein dominantes System zu betrachten, sondern als mehrere, nebeneinander existierende Modesysteme. Diese Mehrseitigkeit verweist auf die Vielzahl an Möglichkeiten, Kleidung herzustellen und zu tragen. Im Westen, insbesondere in den Niederlanden, betrachten wir Mode vor allem als eine Industrie der Produktion und des Konsums. Aber Mode und Kleidung ist viel mehr: sie ist sozial und kulturell.
Mode ist auch ein System der symbolischen Produktion – sie kreiert Bedeutungen, Werte und Schönheitsideale. Täglich werden wir mit Werbung, Trends und kommerziellen Reizen konfrontiert. Dies beeinflusst, wie wir aussehen und was als schön gilt.
Das dominante Modesystem ist auch eng mit finanziellen Interessen verwoben. Es steckt enorm viel Geld in der Produktion und im Konsum von Kleidung. Das beeinflusst auch, wie wir über Nachhaltigkeit denken. Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, geht es oft um die Optimierung des bestehenden Systems. Ich versuche zu zeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt.
Ein „gebrauchsorientierter Ansatz“ statt „konsumorientierter“ wäre nachhaltiger. Was meinen Sie damit?
Menschen werden oft als „Konsument:innen“ bezeichnet. Damit erhält man ein System aufrecht, in dem sich Mode ums Kaufen dreht. Ich spreche lieber von „Träger:innen“ oder „Nutzer:innen“. Das eröffnet Raum für andere Umgangsformen mit Kleidung – wie Leihen, Tauschen oder Reparieren. Nachhaltigkeit dreht sich oft noch immer um den Verkauf neuer Produkte. Aber Unternehmer:innen sollten auch darüber nachdenken, was nach dem Verkauf passiert. Was machen die Träger:innen mit einem Kleidungsstück? Können sie es bei ihnen reparieren lassen? Diese Phase nach dem Kauf ist genauso wichtig. Sie erfordert ein anderes Geschäftsmodell, in dem die Sorgfalt im Mittelpunkt steht.
Wie können Unternehmer:innen innerhalb des traditionellen Modesystems praktisch mit diesem Wandel zu einem verantwortungsvolleren Ansatz beginnen?
Man muss nicht sofort alles umkrempeln. Fangen Sie klein an. Beteiligen Sie sich beispielsweise an Initiativen, die andere Formen des Wirtschaftens erkunden. Vertiefen Sie sich in Materialien und schauen Sie sich Ihre Produktion an. Welche Stoffe verwenden Sie? Woher kommen sie? Werden die Herstellenden fair bezahlt? Wir bewegen uns in Richtung einer erweiterten Verantwortung der Herstellenden. Sie müssen als Marke die gesamte Kette betrachten: vom Rohstoff bis zum Abfall.
Laut der Kulturwissenschaftlerin können Modeunternehmer:innen bereits kurzfristig zu einem diverseren und nachhaltigeren Modesystem beitragen.
KONKRETE SCHRITTE FÜR MODEUNTERNEHMER:INNEN HIN ZU EINEM BEWUSSTEREN MODESYSTEM
- Führen Sie ein Rücknahmesystem ein: Geben Sie Ihren Kund:innen die Möglichkeit, Kleidungsstücke zurückzugeben, wenn sie nicht mehr getragen werden. Dies fördert zirkuläre Geschäftsmodelle und unterstützt die Wiederverwendung von Materialien.
- Implementieren Sie Reparaturservices und Pflegeinformationen: Bieten Sie Reparaturmöglichkeiten innerhalb des bestehenden Vertriebskanals an oder stellen Sie den Kund:innen klare Anweisungen zur Pflege und Reparatur zur Verfügung. Dies verlängert die Lebensdauer der Produkte und stärkt die Kund:innenbeziehungen.
- Erkunden Sie Leih- und Tauschmodelle: Erwägen Sie alternative Eigentumsformen wie Miet- oder Tauschsysteme. Diese Geschäftsmodelle können zu einem bewussteren Umgang mit Modekonsum beitragen.
- Sorgen Sie für Transparenz bei der Materialherkunft: Kommunizieren Sie klar über die Herkunft und Produktionsweise der verwendeten Rohstoffe. Transparenz steigert das Vertrauen der Verbraucher:innen und stärkt die Positionierung als verantwortungsvolle Marke.
Gibt es inspirierende Beispiele für Modeunternehmen, die verantwortungsvoll(er) wirtschaften?
Die niederländische Modedesignerin Joline Jolink arbeitet und produziert beispielsweise lokal und ist am gesamten Prozess beteiligt – vom Saatgut bis zum Kleidungsstück. Annemieke Koster, Gründerin von Enschede Textielstad, produziert ebenfalls lokal, bedarfsorientiert und nachhaltig. Sanne van den Dungen konzentriert sich mit Raddis Cotton auf eine faire Entwicklung von regenerativem Baumwollanbau in enger Zusammenarbeit mit kleinbäuerlichen Familien in Indien.
Darüber hinaus gibt es Initiativen wie die Repair Society, die zeigen, dass es durchaus Alternativen zum traditionellen linearen Modesystem gibt. Auch Fibershed ist inspirierend: Sie bauen Netzwerke von Bäuer:innen, Verarbeitenden und Designer:innen auf, um natürliche, lokale Textilketten zu etablieren. Diese Art von Initiativen zeigt, dass man sich bewusst für Materialien und Produktionsmethoden entscheiden kann, die sich positiv auf die Umwelt und den Lebensraum auswirken.
Sie sprechen von einem Kulturwandel, der für ein neues, nachhaltigeres Modesystem notwendig ist. Was ist Ihrer Meinung nach die dringendste Veränderung, die wir innerhalb von fünf Jahren in der Branche erreichen müssen?
Kulturwandel bleibt eine Herausforderung. Aber ich glaube, dass Veränderung mit Zusammenarbeit beginnt. Wir (ArtEZ Hochschule für die Künste, Anm.d.Red.) sind Mitbegründer:innen des Konsortiums NewTexEco (New Textile Ecosystems), in dem Unternehmen, Hochschulen und Universitäten gemeinsam an praxisorientierter Forschung arbeiten. Themen sind beispielsweise Transparenz, Kreislaufwirtschaft, Materialinnovation, Nutzer:innenverhalten, neue Narrative und Recycling. Es ist wichtig, dass Unternehmen ihre Fragen einbringen, damit wir gemeinsam Wissen entwickeln, das direkt anwendbar ist.
Arbeiten Sie an weiteren solchen Initiativen?
Ja, wir starten auch ein neues Projekt zum Thema Care & Repair, zusammen mit ClickNL und unter anderem MilieuCentraal, der Hochschule van Amsterdam, Designer:innen und Einzelhändler:innen. Darin untersuchen wir, was die Pflege und Reparatur von Kleidung für alle Akteur:innen entlang der Kette – von den Herstellenden bis zu den Verbraucher:innen – bedeuten kann. Diese Art von Kooperationen ist vielversprechend. Man sieht, dass Unternehmen bereit sind, Schritte zu unternehmen, wenn auch manchmal nur mit kleinen Gruppen. Aber das kann sich schnell verbreiten.
In Ihrer neuen Rolle als Professorin haben Sie die Möglichkeit, Kunst und Wissenschaft mit nachhaltiger Mode zu verbinden. Welche wissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigen Sie?
Mich fasziniert der tägliche Umgang mit Kleidung. Nicht nur, wie Menschen Kleidung kaufen, sondern vor allem, wie sie sie tragen, aufbewahren und sich von ihr trennen. ‘Wardrobe Studies’ nennen wir das. Wie sieht Ihr Kleiderschrank aus? Was tragen Sie oft, was bleibt liegen? Warum bewahren Sie etwas zehn Jahre lang auf, während Sie etwas anderes schon nach einer Saison wegwerfen? Die ‘Nationale Kledingkast Audit’, eine Initiative von Mirella Soyer von der Hogeschool Rotterdam, ist ein gutes Beispiel, das hilft, dies zu veranschaulichen.
Lange Zeit dachte man, dass der emotionale Wert von Kleidung wichtig für Nachhaltigkeit sei. Die Theorie lautete: Wenn man eine emotionale Bindung zu Kleidung hat, pflegt man sie besser und wirft sie nicht so schnell weg. Aber Untersuchungen, zum Beispiel von Irene Maldini, zeigen, dass Menschen, die Kleidung einen hohen emotionalen Wert beimessen, oft auch größere Kleiderschränke haben – und somit mehr Kleidung besitzen. Dann stellt sich die Frage: Was ist nun wirklich nachhaltiges Verhalten?
Was bedeutet das für Unternehmen?
Es bedeutet, dass wir uns nicht nur auf alternative Geschäftsmodelle konzentrieren müssen, sondern auch auf Verhaltensänderungen. Wie können wir Verbraucher:innen bei nachhaltigeren Entscheidungen unterstützen? Mieten, Leihen, Reparieren – das sind alles gute Optionen. Aber wir müssen auch die Auswirkungen auf das Gesamtverhalten kritisch betrachten. Das ist komplex, und deshalb müssen Design, Wissenschaft und Industrie wirklich zusammenarbeiten.
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