Von der Radtour bis ins Rotlichviertel: Das war die Amsterdam Fashion Week
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Mode aus Hotelbettwäsche und eine Fahrradtour mit Viktor & Rolf: Das waren die Highlights der Amsterdam Fashion Week.
Zwischen Ende August und Anfang September stand Amsterdam vier Tage lang ganz im Zeichen der Mode. Wer Ende letzter Woche durch das Stadtzentrum spazierte, konnte die schick gekleideten Besucher:innen der Amsterdamer Modewoche durch das Rotlichtviertel radeln sehen oder dröhnende Musik aus einem Keller auf der zentral gelegenen Straße Rokin hören.
Auf dem Programm der Modewoche standen wiederkehrende Namen wie das belgische Modehaus Natan, Ronald van der Kemp und die Accessoire-Marke Wandler. Aber es gab auch Veränderungen. Marken wie Schepers Bosman, Jenneskens, Reconstruct Collective und Cruèl waren in diesem Jahr nicht mehr vertreten. An ihre Stelle traten unter anderem Martan, Atelier Reservé und Francon. Klassische Laufstegshows wurden mit künstlerischen Darbietungen und einer Reihe von Zwischenformen kombiniert, wie die Show von Martan im Hotel Amrâth und die Veranstaltung von Duran Lantink und Steve Madden im Erotikclub Moulin Rouge. FashionUnited hat die Highlights zusammengefasst.
Martan: Musik, Theater und Mode in einer Hotelatmosphäre
Das Amsterdamer Label Martan hatte die Ehre, die Amsterdam Fashion Week am Mittwochmorgen zu eröffnen. Die Marke tat dies mit einem Gesamtkonzept aus Musik, Theater und Mode im Hotel Amrâth. Gruppen von Gästen fanden dank verschiedener Hosts den Weg ins Hotel und wurden an verschiedenen Stellen des Veranstaltungsortes positioniert. Die Models kamen aus allen Ecken und führten ihre eigenen Performances auf.
Das Hotel Amrâth diente nicht nur als Kulisse, sondern hatte auch eine weitere Verbindung zur Show. Die Martan-Kollektion wurde aus wiederverwendeter Hotelwäsche wie Tischdecken und Laken aus ägyptischer Baumwolle gefertigt.
Das Debüt von 1/Off Paris
Während die Präsentation von Martan keineswegs als klassische Catwalk-Show bezeichnet werden konnte, war dies bei dem Newcomer 1/Off der Fall. Bei der SS23-Show der Marke mit dem Titel "Otherworld" wurde das Publikum in vier Welten entführt: "Space Denim", "Tenue de Table", "Scarf Couture" und "Shape Shifters" 1/Off war eine von vielen Marken auf dem Programm der Amsterdamer Modewoche, die sich mit "Unikaten" und Upcycling beschäftigten – das schien ein roter Faden in dieser Modewoche zu sein. 1/Off verwendet Artikel von Luxusmodehäusern und verarbeitet sie zu neuen Produkten. „Das Ziel der Show ist es, mehr Menschen mit unserer Kleidung bekannt zu machen. Und um zu zeigen, dass es auch anders gehen kann, dass das Ende von etwas auch der Anfang von etwas Schönem sein kann", sagt die Gründerin Renée van Wijngaarden in den Show Notes.
Tanzen mit Wandler
Wandler ist kein Neuling im AFW-Programm. Vor einem Jahr hatte sich die Marke noch für eine Kollektionspräsentation entschieden, aber wegen des fünfjährigen Jubiläums wurde der Mittwochabend zur Party-Nacht. Geladene Gäste konnten das Jubiläum gemeinsam mit der Marke im Van Eesteren Museum auf dem Sloterplas feiern. Die Marke habe sich bewusst dafür entschieden, während der Veranstaltung keine Artikel auszustellen, so ein Sprecher. Der Schwerpunkt lag nicht auf einem einzelnen Produkt, sondern auf der Marke als Ganzes. Das Einzige, was ab und zu zu sehen war, war eine Wandler-Tasche auf einem der Bildschirme, die den DJ auf der Party umgaben.
Róhe Frames: Mode zwischen Kunstwerken
Die relativ neue Marke Róhe Frames war während der AFW in einer Galerie in der Rozenstraat zu finden – wo die Kollektion im Showroom-Format präsentiert wurde. Für die Kreativdirektorin Marieke Meulendijks war dies der ideale Moment, um mit der Marke an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie sieht die Kollektion, die die Marke präsentierte, als die bisher beste an. Neben der Kollektion waren auch Kunstwerke der Künstlerin Fransje Gimbrère zu sehen, die die Präsentation von Róhe Frames zu einem schönen Erlebnis am Donnerstagmorgen machten.
Radeln mit Viktor&Rolf
Der Donnerstag wurde auf Fahrrädern fortgesetzt, mit einem "Markenerlebnis " von Viktor&Rolf. AFW-Mitarbeitende auf Fatbikes führten Presse und andere Gäste in langen Reihen durch das Zentrum, das an diesem sonnigen Septembermorgen gut besucht war. Die Tour führte an verschiedenen Orten vorbei, an denen Linien von Viktor&Rolf ausgestellt waren: die Tüll-Kollektion in einem kleinen Modegeschäft an einer Ecke im Jordaan, die Mister Mister-Kollektion für Männer in einem Friseursalon im Rotlichtviertel und die Parfums – darunter die berühmte Flowerbomb – in der Kunstblumenboutique Pompon. Die Tour endete im Hotel de L'Europe, wo die Brautmodenkollektion in einer Lounge mit weiß-goldenen Wandpaneelen ausgestellt war.
Claes Iversen
Einer der großen und etablierten Namen auf dem Programm war der niederländisch-dänische Couturier Claes Iversen. Der Designer präsentierte seine Kollektion 'Play' im Adyen-Gebäude auf dem Rokin. Es war wohl Iversens bisher verspielteste Kollektion. Auf dem Laufsteg explodierten Farben, Drucke und Formen, und die Gäste wurden mit einer gehörigen Portion Freude verwöhnt. Obwohl der Designer in der Show-Beilage betont hat, dass es keinen roten Faden der Kollektion gibt, sind wiederkehrende Details wie wellenförmige Säume und kontrastierende Paspeln zu erkennen.
„Ich habe mir die Freiheit gegeben, bei der Gestaltung der Kollektion Spaß zu haben, ohne alle Outfits zu bündeln oder als Ganzes zu betrachten", so Iversen. „Deshalb gibt es fast alle Stoffe und Drucke nur einmal. Letztendlich wurden die 19 Looks nach und nach zu einer eigenständigen Kollektion"
Van der Kemp und Kim Kardashian
Couturier Ronald van der Kemp veranstaltete keine Show, sondern einen Weckruf an die Modeindustrie in Form eines Kurzfilms. Der Film trug den Titel "Role Model" und zeigte die negativen Auswirkungen des Konsumverhaltens anhand von Bildern des Textilbergs in der chilenischen Atacama-Wüste, die sich mit TikTok-Clips und Bildern von Kim Kardashian, die über ihre "dreißigtausend Kleidungsstücke" spricht, abwechselnden. Der Film und das anschließende Interview mit dem Designer haben das Publikum in Erstaunen versetzt.
Moulin Rouge: Duran Lantink und Steve Madden
Am Donnerstagabend versammelten sich die modebegeisterten Gäste im Rotlichtviertel. Das Sex-Theater Moulin Rouge war Gastgeber der Veranstaltung des niederländischen Designers Duran Lantink und der Schuhmarke Steve Madden. Die Gruppe von Gästen, die geduldig vor dem Theater wartete, erregte viel Aufmerksamkeit, so dass sich auch Touristen in die Schlange einreihten und die Türsteher fragten, ob sie Eintrittskarten bräuchten und wo sie diese kaufen könnten. Zu ihrer großen Enttäuschung wurde ihnen gesagt, dass es sich um eine private Veranstaltung handele und sie nur eine der Vorführungen am nächsten Tag sehen könnten. Die Eingeladenen wurden über eine schmale Treppe in einen dunklen Raum geführt, in dem eine Poledancerin mit Laserlichtern an ihren Schuhen, ihrem BH und ihrer Maske das Publikum erwartete. Es folgten verschiedene Auftritte, bei denen im Hintergrund, hinter der Bar, Schuhe und Taschen von Steve Madden zu sehen waren. Die Schuhe der Marke waren bei jedem Auftritt des Abends zu sehen.
Zwischenstopp bei Francon in Rotterdam
Zur gleichen Zeit fand die Ausstellung von Francon in Rotterdam im Depotgebäude des Museums Boijmans van Beuningen statt. Das Publikum saß auf Bänken entlang der Wände des großen Atriums, das von schrägen Treppen und Glasvitrinen mit Kunstobjekten durchzogen ist. Das sorgte für interessante Eindrücke während der Show, die nicht umsonst den Titel "Vantage Point" trug.
Die Schauspielerin und Sängerin Annelinde Bruijs erweckte die architektonischen Archetypen, auf denen die ersten drei Francon-Kollektionen basieren, während der Show in Liedtexten zum Leben, gesungen zu einem kräftigen Beat. 'Die Hütte', das 'Haus am See' und 'der Turm': jeder wurde mit einem eigenen Vers bedacht. Die drei Kollektionen wurden abwechselnd gezeigt, so dass ein Mischmasch aus luxuriöser Loungewear, robuster Arbeitskleidung und eher geschäftlichen Anzügen entstand. Die harten Schnitte und reichhaltigen Materialien der Woll-Ensembles waren besonders auffällig, ebenso wie die geschmeidigen Linien eines dünnen goldenen Netzkleides, das über schwarzer Unterwäsche getragen wurde.
De Lichtingshow
Am Freitagabend ein jährlicher Höhepunkt: ‘De Lichtingshow’, bei der ausgewählte Absolvent:innen von sieben niederländischen Modeakademien ihre Arbeiten zeigen. Während früher alle Akademien zwei Schüler:innen vorschlugen, war der Ansatz in diesem Jahr etwas anders: Jede Akademie konnte eine:n Schüler:in in die Endrunde entsenden, zusätzlich wurden drei weitere Finalist:innen durch einen offenen Aufruf ausgewählt.
Wie immer war die Stimmung fröhlich und die Kollektionen erfrischend: mal schmuddelig, mal unbeschwert; sehr persönlich, wie die Kollektion von Rowen Lammers über ihre Jugend in einem Nimwegener Viertel. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt die Kollektion von Pablo Salvador Willems, die auf den Uniformen der niederländischen Eisenbahn basiert.
Am Ende des Abends nahm der Designer Ruben Jurriën von der Amsterdamer Modeschule Amfi den Lichting Award 2022 entgegen, den Preis für das vielversprechendste Modetalent. In seiner Kollektion "Take my heart!" kombinierte er handwerkliche Referenzen mit integrativer Schneiderei und einer verspielten Ästhetik. Die Jury lobte seine Arbeit für ihre positive Botschaft und ihre präzise Ausführung.
Roxane Mbanga und Darwin Winklaar
Zuvor waren bereits Arbeiten früherer Lichting-Gewinner ausgestellt worden. Im Kellergeschoss des Adyen-Gebäudes zeigten Roxane Mbanga und Darwin Winklaar, die den Lichting-Preis 2020 beziehungsweise 2021 verliehen bekommen haben, jeweils eine eigene Performance.
Mbanga erläuterte ihre Abschlussarbeit vom letzten Jahr. Ihre Performance 'Histoires de Femmes' fand auf einer Straße in Lagos statt, wo vier Frauen ihren täglichen Pflichten nachgingen: Wäsche aufhängen, Kleidung verkaufen. Mbanga selbst war die fünfte Frau, abwechselnd Passantin und Erzählerin. In ihrer Performance ging es um die Erfahrungen von Frauen im öffentlichen Raum: wie sie den Blicken anderer ausgesetzt sind und wie verletzlich sie sich dabei fühlen.
Es folgte ein Auftritt von Winklaar, der zusammen mit sechs Tänzer:innen eine beeindruckende Show bot. Mit Musik, Gesang, Choreographie und Schauspiel kehrte Winklaar in seine Kindheit auf Aruba zurück. „Ich habe mich von meiner Kindheit an die Hand nehmen lassen", erzählte er anschließend, "und mich an Orte und Räume führen lassen, wo noch Heilung nötig war." Diese inspirierten ihn zu sechs Songs, die in naher Zukunft mit jeweils einer kleinen Bekleidungskollektion auf den Markt kommen werden. Für die erste Kollektion, den Song 'Flores Para Tu Altar', fertigte Winklaar weiße Heimtextilien wie Tischdecken und Vorhangstoffe an – Verweise auf die Häuslichkeit der Vergangenheit. Die Kleider wurden von Winklaar und seinen Tänzer:innen während der Aufführung getragen.
Atelier Reservé bittet zu Tisch
Der dritte Tag der Amsterdam Fashion Week wurde mit dem Atelier Reservé beendet. Das Publikum wurde mit einer intimen Vorstellung empfangen, bei der sich "eine Gruppe von Freund:innen" nacheinander an einem schön gedeckten Tisch in der Mitte des Saals niederließ. Sie begrüßten und umarmten sich, unterhielten sich und machten Fotos – das gab den Gästen ein leichtes Gefühl von Voyeurismus. Die Szene wurde von einem DJ begleitet und wenig später durch mehrere Tänzer:innen, die aus dem Publikum gekommen sind, und durch einen rappenden Tischgast ergänzt. Im Mittelpunkt der Aufführung standen die einzigartigen Kleidungsstücke des Ateliers Reservé, die aus Stoffen aus Restbeständen hergestellt und mit Patchwork kreiert wurden.
Fotoausstellung bei Catwalk Junkie
Wie bei früheren Modewochen hat sich nicht jede Marke für eine Show oder einen Auftritt entschieden. Es gab auch Ausstellungen, wie von Catwalk Junkie. Die Marke kam in die Oode Gallery, wo Fotos des Fotografen Dion Bal ausgestellt waren. Die Fotos zeigten die Kleidung von Catwalk Junkie in "Power-Posen". Die Fotos wurden wiederum von der Illustratorin Beth Fraser in Modeillustrationen umgesetzt.
Zum Abschluss: Natan
Das belgische Modehaus Natan war der krönende Abschluss der Amsterdam Fashion Week. Nach all der Aufregung der Modewoche war die klassische Show ein beruhigendes Ende. Die Show fand im architektonischen Meisterwerk The Valley statt. Der Designer Edouard Vermeulen ließ sich von Natur und Technik inspirieren und übertrug dies auf seine Stücke, die auf Handwerkskunst und Minimalismus setzen. Ein Jahr zuvor, ebenfalls auf der Amsterdamer Modewoche, zeigte Natan zum ersten Mal einige geschlechtsneutrale Looks. Auch zum Abschluss der Modewoche gab es einige geschlechtsneutrale Looks zu sehen.