Vestiaire-Collective-Mitbegründerin Sophie Hersan: Gen Z steigt mit Secondhand in den Luxuskonsum ein
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Der Secondhand-Markt boomt und bietet besonders bei den aktuellen Preissteigerungen eine oftmals günstigere und kreislauforientierte Alternative für Konsument:innen. Dass der Markt – im Zeitalter des Internets mit Drops und exklusiven Limits – nicht mehr nur bei Sparfüchsen gefragt ist, die sich durch Grabbeltische auf dem Flohmarkt wühlen, sondern auch echte Schätze und Wertanlagen bietet, weiß auch Sophie Hersan.
Als Mitgründerin von Vestiaire Collective nutzt auch sie die französische Wiederverkaufsplattform, um in Sammlerstücke zu investieren. Im Interview erzählt die Fashion Director neben ihren Investments auch davon, wie sich das Konsumverhalten von gebrauchter Kleidung verändert hat, auf welchen Märkten das Geschäft boomt und welche Trends die Secondhand-Mode beeinflussen.
Welche Marken werden auf Vestiaire Collective am häufigsten gesucht?
Wir verfolgen den Firsthand-Markt, und sie sind in Bezug auf die Trends sehr nahe beieinander. Gucci war letztes Jahr eine sehr angesagte Marke, und die Plattform folgte dem gleichen Schub für sie. In diesem Jahr war Prada sehr angesagt und wir folgten. Aber im Allgemeinen sind Gucci, Prada, [Louis] Vuitton, Hermès und Chanel globale Evergreen-Marken, die immer funktionieren. Danach kommen aber auch angesagte Marken wie Jacquemus und andere Designer:innen.
Wodurch werden diese Trends beeinflusst?
Wir haben festgestellt, dass nach Veranstaltungen wie Cannes oder der Met-Gala, bei denen wir Gucci, Versace oder Jean Paul Gaultier sehen konnten, die Recherche zunimmt. Die Menschen sehen viel in den Sozialen Medien, was die heutigen Trends beeinflusst. Aber es ist nicht die Marke selbst, die angesagt ist oder nicht.
Früher waren es eher die Designer:innen wie Phoebe Philo, die die Marke angesagt machten. Heute kann eine Marke transparent und wertvoll sein, dann bleiben die Leute bei ihr. Mode hat immer noch eine emotionale Komponente. Influencer:innen, Stars oder Musik und Filme haben einen stärkeren Einfluss auf die Menschen, als die Marken selbst. Wenn man im Film Carrie [Bradshaw, fiktive Rolle beim HBO-Franchise Sex and the City] sieht, wie sie plötzlich eine Vintage-Tasche trägt, recherchieren sie über Vestiaire.
Welche Produkte verkaufen sich gut?
Taschen sind immer noch unsere stärkste Kategorie. Aber danach sind es auch viele andere Accessoires. Vielleicht machen es die Größe und die Beurteilung des Wert des Artikels einfacher. Bei Kleidung ist es manchmal schwieriger, weil sie an Wert verliert. Für manche Marken kann man im Laden viel bezahlen, aber dann sinkt der Wert sehr stark. Taschen und Accessoires behalten ihren Wert. Wir haben auch mehr Potenzial bei Schuhen, Schmuck und Uhren – besonders für Männer ist das ein guter Einstieg.
Hat die Pandemie die Denkweise über Kleidung als Investment beeinflusst?
Post-Covid hat dieses Gefühl mitgebracht, dass ich etwas Wertbeständiges kaufen muss, es aber nicht zu teuer sein darf und das dann im Wert steigt. Natürlich gibt es auch das Drop-Phänomen, das den Preis in die Höhe treibt. [Anm.d.Red.: Bei einem ‘Drop’ wird eine Kollektion/ein Produkt in meist geringer Anzahl angeboten, wodurch der (Wieder-)Verkaufspreis durch die Seltenheit höher ausfallen kann] Aber daneben gibt es durchaus gute Stücke, mit denen man im Laufe der Zeit mehr Geld verdienen kann. Die Leute wollen nicht mehr das Geld in irgendein Stück stecken, weil sie es jetzt haben wollen, sie denken anders...
Geht es mehr um das Produkt als den Kaufpreis?
Und was die Geschichte hinter dem Produkt ist. Es ist auch ein bisschen Stolz dabei. Wenn man etwas Secondhand gekauft hat, hat man es gejagt – man hat es gesehen, will es finden und weiß, wer es anbietet. Und wenn man es findet, ist es ein Schatz. Es ist nicht dasselbe, wie wenn man etwas neu kauft, es nicht passt und zurückgibt – viele Leute zahlen heute so viel für die Rückgabe. Stoppen Sie diesen Konsum ohne Gewissen!
Haben Sie einen persönlichen Schatz?
Zunächst einmal verkaufe ich sehr viel. Bevor ich Vestiaire ins Leben rief, fiel es mir nicht leicht zu verkaufen, da ich nicht die richtige Plattform dafür finden konnte. Hier möchte ich verkaufen, weil mir mein Produkt am Herzen liegt und ich die Geschichte dahinter kenne. Und da ich ein 'Fashion Connaisseur' bin, kenne ich den Wert und den physischen Teil des Artikels. Er hat auch eine persönliche Geschichte, also möchte ich das Produkt nicht umsonst anbieten. Ich hatte eine Menge – 20 Jahre Modegeschichte vor Vestiaire. Bevor ich also etwas in meine Garderobe aufnehme, sortiere ich eine Menge aus.
Ich bin nicht die Person, die super im Trend ist. Ich mag zeitlose Stücke. Wenn etwas super angesagt ist, sind meine Emotionen sehr stark und mein Glücksgefühl ist am Anfang sehr groß. Wenn ich es dann kaufe und dann in meinem Kleiderschrank landet, lässt es nach. Wenn ich also etwas haben will, warte ich, bis der Trend vorbei ist, und kontrolliere meine Emotionen, und wenn ich dann wirklich weiß, dass ich es haben will – ich lasse einige Monate verstreichen – kann ich es kaufen. Das war bei einer Vintage-Tasche von Chanel der Fall. Bei Vestiaire investiere ich viel in Vintage-Uhren und andere zeitlose Stücke.
Auf welchen Märkten ist Secondhand-Mode besonders gefragt?
Es bewegt sich eine Menge. Wir starten auf einem Markt nach dem anderen. Wir sind in Frankreich geboren, also sind wir in Frankreich wirklich stark – sowohl bei Verkaufenden als auch bei Käufer:innen. Das Vereinigte Königreich ist sehr stark. Dann haben wir Deutschland, Italien und Spanien eingeführt. Europa ist sehr stark, aber auf verschiedenen Ebenen.
Italien – jetzt einer der Top-Märkte – war zu Beginn eher ein Verkaufsmarkt, wo nicht viel gekauft wurde. Das war eine Frage der Aufklärung, denn die Länder sind unterschiedlich. Jetzt überschneiden sich Käufer:innen und Verkaufenden.
War es in Deutschland auch so?
Zu Anfang haben sie Produkte verkauft, die allerdings nicht von unserer Community gesucht wurden. Jetzt sind wir in Deutschland durch den Zulauf aus dem E-Commerce – Zalando, Mytheresa – super stark. Je mehr der E-Commerce in Deutschland wächst, desto mehr Zulauf gibt es. Auch Partnerschaften mit Mytheresa funktionieren sehr gut, weil sie die Zertifizierung haben und super gute Stücke verkaufen.
Wir müssen die Länder ein wenig aufklären, und es ist lustig zu sehen, wie wir die Verkaufenden zu Käufer:innen von Gebrauchtwaren gemacht haben. Denn das entsprach nicht den Gewohnheiten und der Mentalität der Länder.
Die USA sind natürlich auch stark – sie sind sehr gut über Secondhand informiert. Es war also viel einfacher, aber wir hatten auch mehr Konkurrenz. Jetzt sind wir an der Westküste.
Welche Märkte sind schwieriger für gebrauchte Kleidung zu gewinnen?
In Asien lag Secondhand der Kultur etwas ferner. Sie tragen ihre Kleidung nicht oft und wussten nicht, was sie verkaufen sollten. Der Wiederverkauf war super neu. Also mussten wir sie über den Wiederverkauf aufklären.
Dort konnten Sie also überzeugen. Gibt es Märkte, die nicht so leicht zu knacken sind?
Wir verkaufen nicht in Südamerika – es passt einfach nicht. Wir warten immer, bis die Länder wirklich passen, und selbst wenn sie passen, müssen wir die DNA von Vestiaire vermitteln.
Sind neue Kooperationen geplant?
Unser Ziel ist es, den Kreislauf mit so vielen Marken wie möglich zu erweitern. Wir haben die erste Partnerschaft mit Alexander McQueen gestartet, dann Mulberry, dann die beiden Plattformen Mytheresa und LuisaViaRoma. Wir haben auch andere Partnerschaften, die im Laufe des Jahres kommen werden und die in den Startlöchern stehen.
Wir wollen uns mehr und mehr einbringen. Wir hatten Pop-up-Partnerschaften, hatten eine Ecke bei Selfridges. Wir sind kein Einzelhändler, wir sind ein digitaler Akteur, und wir wollen wirklich, dass mehr Marken zu uns kommen, denn es ist auch für Einzelhandelsmarken nicht einfach, auf die Kreislaufwirtschaft umzusteigen – es ist eine Menge Logistik und Technologie, die sie nicht verstehen. Es braucht also auch für sie Zeit.
Wer ist Teil der Vestiaire-Community?
Wir haben heute 23 Millionen Mitglieder. Wir konzentrieren uns mehr auf die persönliche Einstellung, den Konsum, die Gewohnheiten und so weiter, als auf das Alter. Am Anfang waren wir wirklich stärker bei Millennials sowie im Alter von 30 bis 50 Jahren. Sie mögen es, zeitlose Stücke, Luxus und Designerschuhe zu verkaufen. Jetzt kommt mehr und mehr die Gen Z zu uns. Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Weil sie sich die Stücke nicht aus erster Hand leisten können. Sie wissen, dass Gucci im Trend ist und wollen die Gucci-Stücke. Vielleicht werden sie sie später auch aus erster Hand kaufen, aber ihr Einstieg ist der Kauf aus zweiter Hand.
Ist die Herangehensweise der Gen Z anders?
Für sie ist es also ganz natürlich, zuerst Secondhand zu kaufen und zu wissen, welchen Einfluss sie auf die Mode haben. Meine Generation – ich bin 50 – hat ganz anders konsumiert, als ich 20 war. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich es brauche, welchen persönlichen Wert es hat oder welchen Einfluss ich habe. Aber ihnen liegt es im Blut. Sie kaufen Vintage-Stücke, haben einen einzigartigen Style und erforschen und unterstreichen ihre eigene Persönlichkeit mit ihrer Kleidung, anstatt mit dem Trend zu gehen, weil es der Trend ist.
Hat die jüngere Generation auch die Älteren beeinflusst, mehr Secondhand zu kaufen?
Die jüngere Generation erzieht ihre Eltern und ihre Generation dazu, anders zu kaufen und anders zu denken. Für sie ist es völlig normal, Secondhand zu kaufen. Wenn sie pleite sind, finden sie die guten Stücke mit einem kleineren Budget und entfernen sich von der Fast Fashion.
Die ältere Generation hat bereits über Investitionsobjekte nachgedacht: Ich kaufe etwas, das lange hält, das ich weitergeben kann. Wir haben diese Denkweise weitergegeben, und vielleicht hat die jüngere Generation diese Denkweise weniger übernommen. Es ist weniger selbstverständlich [für Familien], Stücke an die jüngere Generation weiterzugeben. Sie sind aufgeklärter – als wir es waren – und haben eine Menge Informationen. Vielleicht haben sie nicht den Filter, um die Informationen zu selektieren, aber sie wissen, dass sie eine Auswahl treffen müssen, was für eine junge Person schwieriger ist als für eine ältere, die zu filtern weiß. Die ältere Generation kann sie also dazu erziehen, die richtige Wahl zu treffen.