Tunis Fashion Week – Aufbruchstimmung in Tunesien
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Am Samstagabend ging im antiken Amphitheater von Carthage, zu deutsch Karthago, einem heutigen Vorort von Tunis, die Tunis Fashion Week zu Ende. Von Mittwoch bis Samstag präsentierten dort französische und tunesische Designer ihre Kreationen. Die Fashion Week Tunis findet seit 2009 jährlich statt, organisiert vom Chambre Syndicale de la Couture, des Couturies et des Créateurs de Mode.
Modeindustrie in Tunesien
Die Textil- und Bekleidungsindustrie in Tunesien ist laut der deutsch-tunesischen Industrie- und Handelskammer der „strategisch wichtigste Industriezweig der tunesischen Volkswirtschaft“. Sie stelle den größten Sektor der verarbeitenden Industrie dar, was sich sowohl in den Export- als auch in den Beschäftigungszahlen bemerkbar mache, heißt es dort weiter.
41 Prozent der verarbeitenden Industrie sind in den 1.815 Unternehmen im Textil- und Bekleidungssektor angestellt, die 2012 einen Branchenumsatz von 4,9 Milliarden TND (2,09 Milliarden Euro) erwirtschafteten. Den Löwenanteil der Fertigung machen Jeans mit 13 Prozent der Exporte und einem Umsatz von 642,7 Mio. TND (274,39 Mio. Euro) aus, gefolgt von T-Shirts mit 10,2 Prozent der Exporte und 506,7 Mio. TND (216,33 Mio. Euro). Kleidung und Textilien stellen damit, hinter elektrotechnischen Produkten, die zweitgrößte Exportprodukt Tunesiens dar, mit einem Gesamtvolumen von 3,38 Milliarden Dollar (3,03 Milliarden Euro) jährlich.
Die hohe Arbeitslosigkeit insbesondere der Jugend und steigende Lebensmittelpreise waren 2010/11 der Grund für die Unruhen, die schließlich zur sogenannten Jasminrevolution wurden. Der Tourismus, der seit den Anschlägen im vergangenen Jahr laut Ministerium für Tourismus und Handwerk um beinahe 50 Prozent zurück ging, macht 13,9 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes aus. Hoffnung bringen dem wirtschaftlich nach we vor geschwächten Land daher die Wachstumsraten in der Textilbranche. 2012/2013 nahm die Produktions- und Herstellungsentwicklung um 3,2 Prozent zu, die Exporte um 5,0 Prozent (Wert : 6227.2 MD) und die Importe um 4,7 Prozent (Wert : 4473,4 MD).
Dabei sind 83,6 Prozent der in Tunesien produzierten Textilien ausschließlich für den Export bestimmt, 95 Prozent der Textilexporte gehen nach Europa. Hauptabnehmer ist mit 33 Prozent Frankreich, gefolgt von Italien mit 31 Prozent und Deutschland mit 10 Prozent. Die Europäische Union spielt auch als Zulieferer eine wichtige Rolle in Tunesien. Rund 72 Prozent der Importe in Tunesien stammen aus Europa, wobei Textilprodukte überwiegend aus Italien (27,2 Prozent) und Frankreich (20,2 Prozent) kommen, meist um dort weiterverarbeitet zu werden. Auch Secondhand-Ware landet in Tunesien und wird auf den dortigen ‚Fripes’, etwa Flohmärkten, verkauft.
Mangel und Überfluss
Diese ‚Fripes’ sind mittlerweile zum hippen Anlaufpunkt für tunesische Fashionistas geworden – von der Schülerin bis hin zur kaufkräftigen älteren Dame tummeln sich die Tunesierinnen am Sonntagmorgen auf dem Markt um dort das eine oder andere Schnäppchen zu machen. Der tunesische Modemarkt ist noch von Mangel an internationalen Marken geprägt. Die Jungen, die die Mehrheit der Tunesier stellen, sind mobil vernetzt, gut informiert, und wollen den internationalen Trends folgen, stoßen aber oft an die Grenzen des tunesischen Angebots. Noch gibt es dort keinen H&M, Inditex ist mit Zara und Massimo Dutti aber bereits auf dem tunesischen Markt vertreten. Auch Louboutins oder Chanel – abgesehen von Parfüm - könne man in Tunesien nicht bekommen, erzählt Seyf Dean Laouiti, Gründer des ersten tunesischen Modemagazins FFD. Deshalb konzentrieren er und sein Team sich darauf, im Heft Marken zu zeigen, die die Tunesierinnen auch wirklich kaufen können – Shoppingtrips nach Europa sind für die meisten Tunesier aufgrund der strengen Visabestimmungen nicht möglich. Der studierte Designer, der einen Teil seiner Ausbildung in Peking absolvierte, zeigt sich täglich neu expressiv gestylt bei der Fashion Week mit Mickemausohren-Kappe und temporärem Tattoo am Bein – in Tunesien ein echtes Statement, waren doch Tattoos bis vor kurzem noch streng verboten. Mittlerweile gibt es auch in Tunesien Tattoostudios. Die meisten der Tattookünstler lernten ihr Handwerk im Ausland, in Frankreich oder Spanien, bevor sie in die Heimat zurückkehrten.
Rückkehrer bringen kreative Energie
Auch Boutiquebesitzer Sofiane Ben Chaabane, mit seinem Label Lyoum, ist so ein Rückkehrer. Nach der Revolution kehrte er mit seiner Frau aus Paris in seine Heimat zurück und beschloss, ein Label zu gründen. „Die Tunesier produzieren so viele Textilien, aber sie tragen das, was aus Europa importiert wird“, sagt er. Mit seiner Kollektion Couscous Pop bringt er auf humoristische Weise tunesische Eigenart und westliche Popkultur zusammen „Wir wollten den Leuten die Möglichkeit geben, tunesisches Design neu zu entdecken. Wir haben deshalb Messages auf die T-Die Shirts gebracht, die ikonische westliche Musiker mit tunesischen Speisen kombinieren“, so der Designer. „Mit unserer, zugegeben noch sehr kleinen, Kollektion wollten wir unseren Teil zur Verbesserung der tunesischen Binnenwirtschaft beitragen. Wir haben bereits vier Arbeitsplätze geschaffen und wollen so zeigen, dass Entrepreneurship auch hier funktionieren kann.“
Modedesign Made in Tunisia
„Die Tunesier sind von Stil her näher an den Italienern, als an den Franzosen,“ ist ein Satz Ben Chaabanes, der nachhallt. Im Amphitheater in Karthago sieht man hauptsächlich stark geschminkte Frauen jeden Alters, die ihre Röcke gerne glockig und ihre Pumps gerne halsbrecherisch tragen. Einige sehen aus, als gehörten sie zum Kardashian-Klan. Auch die gezeigte Mode auf dem Laufsteg richtet sich an eine teils überzeichnete Weiblichkeit, die der westeuropäischen Mentalität fast ebenso fremd ist, wie die Verschleierung, der sie teils im Straßenbild gegenübersteht. Unter den Designern der Tunis Fashion Week finden sich aber auch Talente, deren Kollektionen auf internationalem Level begeistern. Die Designerinnen Hend Gasmi und Cyrine Faillon von Mademoiselle Hecy sind solche, ebenso wie Ludovic Winterstan und Braim Klei.
Tunesien und die tunesische Mode hat sicherlich noch einen weiten Weg vor sich, doch die ersten Schritte sind getan. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Lage im Land weiter stabilisiert, um neue ausländische Investitionen anzulocken. Als Produktionsland für deutsche Textilfirmen ist Tunesien bereits beliebt. Vor allem die verkürzten Lieferwege und die einfachere Kommunikation auf Französisch oder gar Deutsch bietet Standortvorteile für das Land. In Tunesien produzieren unter anderem Van Laack, Mustang, Atelier Gardeur und Picard.
Photos: FashionUnited