Tabula Rasa: Modischer Neuanfang mit weißer Weste und Gendershift für H/W 24/25
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Unter dem Motto “Catch my Fall” stellte das Deutsche Mode Institut (DMI) während des Online Fashion Days die modischen Strömungen für die Herbst/Winter-Saison 2024/25 vor. Während die Mode im Frühjahr noch ganz im Zeichen des Genusses stand, prognostiziert das jüngste Trendseminar für die Herbst/Winter Saison einen Reset. FashionUnited erklärt was sich hinter dem Motto verbirgt und hat die vier Modetrends für die HW24/25-Saison zusammengefasst.
„Da hatten wir uns so auf die Zeit nach der Pandemie gefreut, hatten uns im Lockdown immer wieder ausgemalt, wie schön das seien würde, und dann das” – es sind eindringliche Worte mit denen Trendforscher Carl Tillessen seine Zeitgeist-Analysen und damit die Basis der Trendthemen des Deutschen Mode-Instituts einleitet. Die modischen Phänomene, die das Trend-Team im laufe des Vortrages prophezeien, unterscheiden sich optisch Teils stark, doch sind sie “allesamt Ausdruck einer große Nostalgie, die unsere gesamte Gesellschaft und die Mode befallen hat”, so Tillessen.
„Weil wir die Gegenwart als Problembelastet erleben, versuchen wir zu der Unbeschwertheit zurückzukehren, die wir in der Vergangenheit empfunden haben. In der Rückschau erscheint uns unser früheres Leben wie ein Paradies”, erklärt der Trendexperte. „Ein Paradies, aus dem wir vertrieben wurden, weil wir etwas falsch gemacht haben und nun wünschen wir uns nichts sehnlicher als eine zweite Chance zu bekommen, noch einmal zurück auf Start zu gehen und ganz von vorne anfangen zu dürfen.”
Zurück zu den Grundzutaten der Mode
Klingen die Worte auch pessimistisch, werden sie von den Modedesigner:innen zum Anlass zur Besinnung auf das Wesentliche genommen. So steht die erste der zwei Zeitgeist-Analysen des diesjährigen Fashion Days unter dem Motto “How do we package people?” – zu deutsch, “Wie verpacken wir Menschen?”. Eine Frage, die sich auch Designer J.W. Anderson stellte, als er für seine HW23/24 Kollektion ein in Unterwäsche gekleidetes Model mit einer Rolle Stoff unterm Arm auf den Laufsteg schickte. Der menschliche Körper und Stoff, das sind die Grundzutaten, aus denen alle Mode entsteht, erklärt Tillessen – und es ist auch das unbeschriebene Blatt, auf der sich die Mode jetzt noch einmal neu erfinden kann.
Doch nicht nur die Verpackung des Menschen wird für Herbst/Winter neu gedacht, auch die Geschlechterrollen werden weiterhin in Frage gestellt. „Unbestreitbar trägt unsere Kleidung, die seit Jahrtausenden immer darauf aus war, die Primären und Sekundären Geschlechtsmerkmale von Männern und Frauen zu akzentuieren, eine nicht unerhebliche mitschuld daran, dass wir immer zuerst als Mann, beziehungsweise als Frau, und erst danach als Mensch wahrgenommen werden”, so der Trendforscher, der erläutert, dass nachfolgende Generationen so nicht weiter Leben wollen.
Einem Wunsch, dem einige Designer:innen nachkommen. “Gendershift – Gleichstellung statt Travestie”, lautet der Titel dieser zweiten Zeitgeist-Analyse. Modeschöpfer:innen wie Anthony Vaccarello – dessen Saint Laurent Menswear und Womenswear für Herbst/Winter 2023 bereits aus dem selben Holz geschnitten waren – aber auch Alexander McQueen von Designerin Sarah Burton werden hier als Beispiele für den zunehmenden Wandel genannt.
„Um die eingefahrenen Vorstellungen von Frauen und Männerkleidung zu ändern, braucht es zuerst einmal ein gewisses Maß an Travestie”, so die Ansicht Tillessens, denn bei so manch einem Trend der Saison zeige sich die Frau an vielen Stellen männlicher als der Männer, oder die Männer femininer als die Frauen. Hierbei geht es allerdings nicht um Provokation oder Irritation, sondern um die Selbstverständlichkeit, die künftig erreicht werden soll. „Es geht darum, dass es irgendwann einmal genauso selbstverständlich und normal sein soll, dass Männer Röcke tragen, wie es für uns selbstverständlich und normal ist, dass Frauen Hosen tragen, denn auch das, war vor gar nicht so langer Zeit noch ein Grund zur Aufregung,” so der Trendexperte am Ende seiner Analyse, die in vier prägende Trends für die kommende Herbst/Wintersaison überleitet.
Vier modische Strömungen für Herbst/Winter 2024/25
Wie sich der Geist der Zeit in der Mode abzeichnet, erklären DMI-Trendanalystin für Womenswear Bettina Hauff und Menswear-Experte Winfried Rollmann. Trotz der sich wandelnden Geschlechterrollen werden die vier Trendthemen des Online-Vortrags beim Fashion Day separat betrachtet.
Solitaire – The Allure of Radiant Darkness
Das Thema Solitaire stellt sowohl für Damen als auch für Herren Tailoring in den Mittelpunkt. Es ist, erklärt Bettina Hauff, der angezogenste und eleganteste Trend für Herbst/Winter 24/25, der jedoch nichts für Menschen ist, die in der Menge verschwinden wollen. „Der Look zeigt von der Lust zum Glänzen und mit dem eigenen Glanz alles um sich herum in den Schatten zu stellen”, betont die Trendexpertin.
Bei den Männern setzt der Look des Solitaire-Trends das Besondere gegen das Banale, das Rebellische gegen das Angepasste, leitet Winfried Rollmann in die Menswear ein. In Zeiten der Prekarität suchen auch Männer in ihrer Garderobe nach Sicherheit, so der Experte, wodurch Kleidung mit Substanz und Wert – auch im Zeichen der Nachhaltigkeit – an Bedeutung gewinne.
Femintuition – The strength of poetic neutral
Comfort-Dressing wird erwachsen, so die Ansage des Trend-Themas Femintuition. Die Looks dieses poetisch neutralen Trends strahlen Ruhe aus, sollen aber nicht beruhigen, sondern sowohl bei den Damen als auch bei den Herren die einkehrende innere Ruhe widerspiegeln.
Coexistence – The Evolution of Natural Belonging
Coexistence ist der Trend für Herbst/Sommer 2024/25 bei dem die Geschlechter, getreu dem zuvor schon erwähnten Gendershift, noch weiter verschwimmen.
Die Womenswear bedient sich bei diesem Trend an Elementen der Menswear und setzt auf Naturverbundenheit und Outdoor-Effekt, so die einleitenden Worte von Hauff. „Outdoor heißt in dieser Thematik nicht mehr hightech. Ganz im Gegenteil, wir suchen mit unserer Kleidung nicht mehr den maximalen Kontrast zwischen Natur und Kultur, sondern gleichen uns ihr an”.
Dementsprechend prägend ist die Outdoor-Thematik auch bei den Herren für Herbst/Winter 2023.
Quiet meets Loud – The Vigor of unexpected Contrast
Den krönenden Abschluss des DMI Fashion Day bildet das Trendthema “Quiet meets Loud”. Das Thema widmet sich der Schnelllebigkeit der Mode und setzt ein Zeichen, denn um die Langlebigkeit von Kleidung wiederherzustellen, braucht es, so die These, nicht nur solidere Qualitäten, sondern auch ein zeitloses Design. Es wird Zeit, sich wieder den “tugenden der Moderne des 20. Jahrhunderts, die geradezu systematische Designklassiker geschaffen hat” und den damit einhergehenden Klassikern der Mode zu widmen, so Trendanalystin Bettina Hauff.
Alltägliches wieder zum Hingucker zu machen wie einst Andy Warhol oder Roy Lichtenstein, darum geht es bei Quiet meets Luxury in den Worten von Trendexperte Rollmann. „Architekturhafte klare Farben und Formen erzählen von Modernismus und Klarheit”, erklärt er, doch auch die Streetwear spielt weiterhin eine wichtige Rolle.