Spiegelt der Mailänder Laufsteg die kreative Führungskrise der Mode wider?
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Wie viel Wandel ist zu viel? Diese Frage schwebte wie ein Schleier über der Mailänder Modewoche für Herrenmode. Nach gerade einmal drei Tagen im Kalender, aus dem einige der einst treuesten Schwergewichte verschwunden waren, wirkten die Präsentationen der Stadt nicht nur spärlich, sondern auch überraschend zurückhaltend.
Vieles von dieser Unruhe ist Mailand nicht direkt anzulasten. Das vergangene Jahr war geprägt von einem ständigen Umbruch in der Modebranche – ein Wandel, der insbesondere einige der führenden Häuser der Stadt hart getroffen hat. Fendi etwa hat bislang keine neue Creative Direction, obwohl Gespräche mit dem in New York ansässigen Designer Willy Chavarria im Gange sein sollen. Gucci wiederum bereitet sich auf die Ankunft von Demna Gvasalia vor und hat in der Zwischenzeit seine Herrenkollektion in eine geschlechterübergreifende Show im Damenkalender integriert. Die Marke JW Anderson pausiert derzeit, während Designer Jonathan Anderson sich auf sein Debüt bei Dior vorbereitet. Und Versace? Das Modehaus durchläuft nach der Übernahme durch Prada eine Neuausrichtung – wobei letzteres eines der wenigen Aushängeschilder bleibt, das in dieser Saison in Mailand Flagge zeigt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die 15 physischen Shows, 41 Präsentationen und 17 Events keine Highlights boten. Prada und Giorgio Armani präsentierten starke Kollektionen, und auch einige spannende Newcomer:innen – insbesondere internationale Talente – haben sich bewusst für Mailand als Plattform für SS26 entschieden.
Können neue Stimmen Mailand retten?
Vielleicht war die erste Show der Saison bereits ein Hinweis darauf, wohin sich Mailand bewegen sollte: hin zu einer Rolle als Inkubator für junge Talente – eine Position, die bislang vor allem Paris und London innehatten. Die ersten Laufstegmomente gehörten Setchu, dem Label des LVMH-Preisträgers von 2023. Nach seinem Auftritt im Januar als Gastdesigner bei der Modemesse Pitti Uomo zeigte Designer Satoshi Kuwata nun in Mailand seine Vision – und mit ihr einen dringend benötigten frischen Impuls.
Auf dem Laufsteg verschmolzen präzise Schneiderkunst mit japanischer Funktionalität und origami-inspirierten Faltungen. Kuwatas Zeit in den Victoriafällen in Simbabwe, wo er im Rahmen einer Initiative von LVMH Métiers d’Art mitwirkte, verlieh der Kollektion zusätzliche Tiefe. Ebenso beeinflussten ihn Erinnerungen an Angelausflüge und eine Prise Y2K-Nostalgie. Letztere zeigte sich in tief sitzenden Jeans und Cargohosen, während seine Reisen nach Simbabwe zu Kollaborationen mit Kunsthandwerker:innen des Batoka-Stammes führten – darunter palmgeflochtene Röcke und Hüte.
Setchu war nicht der einzige ehemalige Pitti-Gastdesigner, der Italien die Treue hielt. Auch Luca Magliano, gebürtig aus Bologna, blieb seiner Heimat verbunden. In dieser Saison entschied sich der Designer jedoch gegen eine klassische Laufstegpräsentation. Stattdessen zeigte er, wie er es selbst nannte, eine „Sabbatical-Show“ in Form eines Kurzfilms, der in einem mailänder Kino uraufgeführt wurde.
Das Konzept der Auszeit prägte nicht nur das Format der Show, sondern durchzog auch die Kollektion selbst. „Das Sabbatical muss sich im Design widerspiegeln – durch Elemente des freien Campings: Technisches infiltriert die Kleidung, es entstehen sich wandelnde Silhouetten – Zelte für ruhelose Körper“, erklärte der Designer in einer Pressemitteilung.
Diese Haltung zeigte sich deutlich in der Materialität und Konstruktion. Seile und Haken ersetzten Knöpfe, ein Mantel aus meliertem Baumwoll-Voile erinnerte – auf den ersten Blick – an klassisches Grisaille, und ein Flaggenkleid spielte mit flächigem Trompe-l’œil. Doch die Kollektion war keineswegs ausschließlich auf Campingplätzen oder Retro-Futurismus fokussiert. Einige Entwürfe, insbesondere jene aus locker gewebten Stoffen, nahmen Bezug auf den Kinokontext und zitierten die Ästhetik des Film Noir der 1950er-Jahre.
Während sich in dieser Saison viele Marken von Mailand fern hielten, schien die italienische Modemetropole bei britischen Labels nach wie vor hoch im Kurs zu stehen. So präsentierte Paul Smith – ebenfalls ein ehemaliger Gastdesigner der Pitti Uomo – seine Kollektion erstmals in Mailand und verzichtete dafür auf seinen gewohnten Platz im Pariser Fashion Week Kalender. Es war Smiths erste Laufstegshow in Mailand – und das Reisen schien nicht nur geografisch, sondern auch thematisch eine zentrale Rolle zu spielen.
„Die Kollektion zeichnet eine Route durch Pauls persönliche Reiseerinnerungen – mit Farben, Prints und Texturen, die Eindrücke vergangener Reisen heraufbeschwören“, hieß es in der Pressemitteilung. Ein besonderes Buch über Straßenfotografie in Kairo, das den Designer zu Beginn des Designprozesses inspiriert haben soll, wurde vielfach zitiert. Die gewohnt farbenfrohen Muster und Drucke trafen auf Silhouetten, die stark an das Tailoring der 1950er-Jahre erinnerten – mit verkürzten Jacken, hoch geschnittenen Hosen und zahlreichen Hemden mit hochgekrempelten Ärmeln.
Auch die Accessoires führten das Thema von Reise und Erinnerung fort. Schlüsselanhänger im Retro-Stil – gefertigt aus demselben Acetat wie die in Italien produzierten Brillen des Hauses – wurden ergänzt durch sammelbare Metallanhänger: Muscheln, Münzen und Peace-Zeichen zierten Ledergürtel, Schmuck, Baskenmützen und selbst klassische Tailoring-Pieces.
Smith war nicht der einzige britische Designerin, der in dieser Saison Mailand zu seinem kreativen Zuhause gemacht hat – auch Andreas Kronthaler für Vivienne Westwood wählte die italienische Modestadt für ein Comeback und präsentierte die erste eigenständige Menswear-Kollektion des Hauses seit 2017. Die Marke investiert offensichtlich verstärkt in zusätzliche Linien jenseits der Hauptkollektion – so wurde etwa im Mai auf der Barcelona Bridal Week die erste Brautmodenkollektion präsentiert – doch beide Initiativen erhielten bislang nicht die mediale Aufmerksamkeit, die man erwarten würde.
Möglicherweise liegt das auch daran, dass Kronthaler sich für Frühjahr/Sommer 2026 gegen ein großes Runway-Comeback entschieden hat und stattdessen einen intimeren Rahmen wählte. Die Show, mit dem Titel Colazione con Andreas – zu Deutsch: „Frühstück mit Andreas“ – fand in der Bar Rivoli statt, einem traditionellen Mailänder Szenetreff. Die Kollektion selbst zeigte eine dandyhafte Note mit subtiler Punk-Attitüde und spielte mit dem Bild der stilbewussten, älteren Dame – genauer gesagt: der Sciura, jener hyper-eleganten Mailänder Innenstadt-Ikone im Goldenen Alter.
Die Letzten ihrer Art?
Trotz einiger spannender Neuzugänge und frischer Impulse auf dem Kalender lässt es sich nicht leugnen, dass Mailand in dieser Saison im Wesentlichen von zwei Schwergewichten getragen wurde – wobei ironischerweise das physische Fehlen des einen für die meiste Aufmerksamkeit sorgte.
Zum ersten Mal in seiner legendären Karriere war Giorgio Armani nicht persönlich bei seiner eigenen Show anwesend. Stattdessen verbeugte sich am Ende Leo Dell’Orco, langjähriger Herrenkollektion-Direktor des Hauses, bei der Präsentation für Frühjahr/Sommer 2026. Der 91-jährige Designer, der sich Medienberichten zufolge von einem Krankenhausaufenthalt erholte, war dennoch auf spürbare Weise präsent – im Wortsinn wie im übertragenen.
Nicht nur kursierte das Gerücht, dass ein Anruf von Armani persönlich – mit der Frage, warum die Show noch nicht begonnen habe – für den überraschenden, fast überstürzten Start sorgte, sondern vor allem war seine Handschrift in der Kollektion unübersehbar.
Die Show war monumental, allein schon in ihrer Größe: Über 100 Looks, viele davon in der typischen Armani-Palette aus Grau, Greige und Beige, akzentuiert durch sanftes Flieder und zarte Creme-Töne. Die Kollektion setzte konsequent auf Tailoring – jenes legere, aber messerscharfe Schneiderhandwerk, für das Armani weltweit bekannt ist. Einige Looks erinnerten an die Garderobe, die er einst für American Gigolo entwarf, andere verkörperten die lässige Eleganz eines mediterranen Sommers.
Bei Prada waren zur Präsentation der Frühjahr/Sommer 2026-Kollektion beide Co-Kreativdirektor:innen – Raf Simons und Miuccia Prada – persönlich anwesend. Doch nur wenige Stunden nachdem die Kollektion über den Laufsteg schritt, verkündete die Prada Group überraschend den Rücktritt ihres CEO Gianfranco D’Attis. Laut Unternehmensmitteilung wird D’Attis das Haus zum 30. Juni verlassen – aufgrund von „unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der strategischen Ausrichtung der Marke“.
Auf dem Laufsteg war von internen Spannungen jedoch wenig zu spüren. Die Kollektion – treffend betitelt ‘A Change of Tone’ – setzte ein deutliches Statement. Sie zelebrierte jugendliche Energie, insbesondere in Form von ultrakurzen Shorts, die in den sozialen Medien bereits für Aufsehen sorgten. Die schlaksige, fast pubertäre Leichtigkeit hätte ebenso gut zu Miu Miu gepasst, doch die Prada-DNA war klar erkennbar – diesmal allerdings in helleren Farben und weicheren, verspielteren Silhouetten statt in den gewohnt strengen, architektonischen Linien.
„Wir wollten einen anderen Ton anschlagen“, erklärte Miuccia Prada laut Women’s Wear Daily nach der Show gegenüber Journalist:innen. „Das Gegenteil von der Aggression, Macht und Gemeinheit, die unsere Welt derzeit beherrschen. Wir wollten mit etwas Echtem, Freundlichem einen kleinen Beitrag leisten.“
Diese sanftere Haltung wirkte bewusst gewählt. Nur wenige Stunden vor der Show hatte die Nachricht eines US-Luftangriffs auf Iran die Runde gemacht. Inmitten globaler Unruhe, wirtschaftlicher Unsicherheit und wachsender geopolitischer Spannungen wirkte Pradas neue Kollektion nicht naiv, sondern wie ein stiller Widerstand – ein Plädoyer für Sanftheit in einer Zeit, die von Härte dominiert wird.
Dennoch, so stark die Kollektion auch war – wie viele andere dieser Saison –, dürfte SS26 weniger durch das Gezeigte als durch das, was fehlte, in Erinnerung bleiben.