Shanghai Fashion Week SS26: Nostalgie, Tradition und das Spiel mit den Archetypen
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Über den Modeschauen in Shanghai schwebte in den vergangenen zwei Wochen ein Hauch der Nostalgie. Die Designer:innen suchten ihre Inspiration vielfach in der Vergangenheit – von den glamourösen 20er Jahren bis hin zur tief verwurzelten chinesischen Ästhetik. Sie scheuten sich nicht vor Verzierungen, erforschten Archetypen und die Verknüpfungen zu Ballett und Laufsport.
Nostalgie in gedämpften Farben
Florale Motive und gedämpfte Töne zogen sich durch die Kollektionen, von denen viele nicht mit Samt, Seide und Spitze sparten. Silbern durchwirkt ist das ornamentale Spitzenkleid des für seine eleganten Entwürfe bekannten Designers Jacques Wei. Pailletten und Federboas lassen seine feinen Ausgeh-Ensembles umso dekadenter wirken und erinnern an das glamouröse Shanghai der Zwanziger Jahre.
Knöchellange, fließende Röcke und Kleider durften auf den meisten Laufstegen nicht fehlen. Bei dem Label Rureminds wird der hochgeschlitzte Rock mit einem Netz-Top aus überdimensionierten Schmuckdetails ergänzt, die Perlenketten und die ellenbogenlangen Handschuhe runden die Anspielung an die Flapper Girls der 1920er ab. Die Entwürfe der Marke Lacerta und des Designers Xuzhi bekamen ihre nostalgisch-romantische Note durch Anleihen an Art Nouveau und Boho-Chic. Die Marke Lacerta bezog Inspirationen vom katalanischen Lebensgefühl Barcelonas und Xuzhi vom französischen Dichter Arthur Rimbaud sowie dem Pariser Quartier Latin.
Ebenfalls in Paris liegt der Ausgangspunkt für die SS26-Kollektion des Labels Shushu/Tong. Die Regisseurin Agnès Varda drehte 1962 den 90-minütigen Film Mittwoch zwischen 5 und 7, in dem die Heldin Cleo angesichts ihrer schwerwiegend medizinischen Diagnose bemerkt: „Solange ich schön bin, bin ich lebendig.“
An diesem Ausspruch orientierten sich die Entwürfe des Labels, das für seinen Lolita-Look über Chinas Grenzen bekannt geworden ist. Nun sind die Elemente der feminin-subersiven Looks rauer geworden, ein meliertes Tweed-Ensemble ist beinahe brutal in der Mitte zerteilt und an den Rändern ausgefranst, der Rosa-Blümchen Overall sitzt knapp und lässt die Beine bloß. Die mit Schönheit assoziierten Images und Stoffe erscheinen so fragil und verletzlich, aber gerade dadurch lebendig.
Laufsteg trifft Modebusiness
- Die Shanghai Fashion Week ist nicht nur das Gesicht der chinesischen Mode, sondern auch ein Business-Treffpunkt mit Messen und zahlreichen Showrooms. In dieser Saison verzeichnete die größte Modemesse einen Besuchendenzuwachs von 20 Prozent gegenüber dem Vorquartal, teilten die Veranstaltenden mit. Das gesamtwirtschaftliche Umfeld in China ist weiter angespannt. Einkäufer:innen von Boutiquen bemerkten, dass Menschen dazu tendieren, in qualitativ hochwertige Kleidung zu investieren, die zu vielen Anlässen getragen werden kann, so die Shanghai Fashion Week in einer Mitteilung. Showroom-CEOs sehen einen Verlagerung der Buyer-Nachfrage von Glamour-Y2K hin zu komfortabler Bekleidung, deren Haptik überzeugt – wie Leinen-Blazer oder Strickwaren in Morandi-Farben.
Neue chinesische Ästhetik
Die Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe Chinas ist derzeit einer der größten Trends im Kleidungsstil der Bevölkerung und das zeigte sich auch in vielen Looks der Shanghaier Modewoche. In dieser Saison schafften es Labels zunehmend, traditionelle Elemente aufzugreifen, ohne dass es zu plakativ oder offensichtlich wurde.
Designer:innen schafften es vermehrt, chinesische Ästhetik subtil in gegenwärtige Looks zu übersetzen und manchmal Einflüsse zu Neuem zu verschmelzen. Das Label Pantterfly kombinierte einen türkisblauen Fransen-Blazer mit einem transparenten, wallenden Rock. Ein kaltweißes, mit kräftigeren Fransen besetztes Oberteil kontrastierte den fließenden Rhythmus des Looks, der eine mythische Wassergottheit aus der digitalen Welt heraufzubeschwören scheint.
Auch beim Label Evvly mischten sich Elemente traditioneller Kostüme wie rote Stoffballen, Stehkragen und Froschknöpfe mit digital-inspirierter Übertreibung, Bildschirm-saturierten Farben und Cosplay-Ästhetik. Bei der Marke We Prive scheinen die Schönheitsideale subtiler durch, wie beispielsweise der lose Fall des Blumen-Girlanden-Schals oder die Art, wie der Fluss des transparenten Pailletten-Spitzen-Tops in die Drapierung des Rocks übergeht.
Das Label Yayi kreierte Designs mit Seide, die mit Khaki und Gambier durch eine traditionelle Schlammtechnik gefärbt wurden. Die Ärmel eines schwarzen Blazers wurden mit Fransen verlängert und erinnern an die langen Ärmeln der Gewänder aus der chinesischen Song-Dynastie. Wie der Lebensweg der Designerin Yayi Chen Zhou bewegen sich auch ihre Mode zwischen China und Spanien, die Übergänge zwischen den Kulturen sind fließend und die Entwürfe erscheinen dadurch gerade zeitlos.
Das Label Ao Yes spielte gekonnt wie kaum ein anderes mit Referenzen aus der chinesischen Kultur und übertrug sie in relevante Entwürfe für die Gegenwart. Schmetterlinge wurden als kulturelles Symbol in der Kollektion durchdekliniert. Als Origami auf einer weißen Blusen erinnerten sie in Kombination mit dem floralen Print eines glänzenden Rocks an tradierte Schmetterlings-Blumen-Motive. Ein Origami-Schmetterling zierte ebenfalls ein Kopftuch, das zugleich an Y2K-Styling und an eine traditionelle Art der Kopfbedeckung erinnerte. Ein gelbes Seidenkostüm mit Flip-Flops vermischte die historische Kaiserfarbe mit dem lässigen Streetstyle der Marktfrauen.
Modelabels trotzen dem Markt
- Angesichts der herausforderungen wirtschaftlichen Situation und der sich wandelnden Konsumgewohnheiten zeigten chinesische Designer:innenmarken eine beeindruckende Anpassungsfähigkeit”, sagt Madame Lu, Generalsekretärin des Organisationskomitees der Shanghai Fashion Week und stellvertretende Vorsitzende der Shanghai Fashion Designers Association in einer Mitteilung. „Einige verfeinern ihr Storytelling und ihre visuelle Identität, um ihre Marken unverwechselbarer und emotional ansprechender zu machen, während andere ihre Stärken in Bereichen wie Lieferkettenintegration, E-Commerce und digitales Marketing nutzen, um Geschäftsmodelle zu entwickeln, die wirklich zu ihrem eigenen Wachstumspfad passen.”
Auf der Spur weiblicher Archetypen
Neben dem Spiel mit den kulturellen Referenzen widmeten sich andere Kollektionen der Erforschung von weiblichen Archetypen. Das Label Fordare präsentierte ein zuckersüßes Bild aus leichtem Rosa, Spitze und Blumenmotive, das eine subversive Note durch gewagte Schnitte und sichtbare Strapsgürtel bekam.
Die Models auf dem sandigen Laufsteg des Designers Mark Gong wurden zu Ganovinnen auf der Flucht. Sie trugen viel Leder, wie mehrere schwarze Gürtel mit Silberschnallen zugleich und überdimensionierte Cowboy-Boots. In seiner gewohnt ironischen Manier durchbrach der Modeschöpfer die raue Western-Nostalgie durch Elemente wie ein senkrechtes Polizeilicht als Bustier.
Die Designerin Zita Tan erforschte das Bild der Weiblichkeit mit ihrer archaischen Meeresästhetik. Futuristische Cutouts fügten sich zu Kleidern zusammen, die an Rüstungen erinnerten. Könnten so die Frauen von Stämmen aus der Zukunft aussehen? Ihre Kollegin Camey Liu tauchte mit ihren Haute-Couture-Kreationen ebenfalls in eine futuristische mythische Sagenwelt ab. Models erschienen in Lagen von Tüll und Spitze gehüllt als Märchenfee oder mit feinen 3D-Hörnern als Wiedergeburt der Dämonin Lilith.
Mode-Ballet
Sport und Tanz brachten bemerkenswerte Impulse in die SS26-Kollektionen Das Label AS Dalio brachte Elemente von Ballett-Trainingsoutfits in ihre Entwürfe. Boleros wurden zu körperbetonten Tops und kurzen Shorts kombiniert, Ballett-Trikots wurden mit einem markanten Gurt unter einem Mantel getragen.
Der Laufsport inspirierte das Label 8ON8 bei seinen Entwürfen. Die Kollektion war in einem urbanen Umfeld situiert und enthielt auch Outdoor-Elemente für eine städtische Mittelschicht auf der Suche nach Erlebnissen in der freien Natur. Leicht überdimensionierte Röcke und Trainingsanzüge aus funktionalen Stoffen trafen auf handgeflochtene Lederschuhe und erzeugten so eine Kombination aus Lässigkeit und Dynamik.