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Schweizer Start-up Finally. enttabuisiert Mode für Menschen in fragilen Zeiten

Von Simone Preuss

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Mode|Interview
„Bin fragil“ - Statement Wear von Finally. Bild: Mina Monsef für Finally.

Das Schweizer Start-up Finally. deckt Mode und nachhaltige Produkte für einen Zeitraum ab, an den wir nicht gerne denken: Krankenhausaufenthalte, chronische Krankheit, die letzten Tage eines Menschen. Fragile Zeiten, wie das gemeinwohlorientierte Design Studio und Forschungslabor sie nennt. Denn alle Produkte entstehen nach sorgfältiger Überlegung und Planung, häufig in Zusammenarbeit mit Betroffenen, also Kranken, Angehörigen und Pflegepersonal.

„Pflege findet oft in einer nüchternen, funktional geprägten Atmosphäre statt. Für die persönlichen Bedürfnisse der Betroffenen und ihres Umfelds bleibt wenig Raum. Finally. will das ändern: mit Pflegehilfsmitteln und Begleitprodukten, die Menschen in fragilen Lebensphasen ästhetisch wie funktional unterstützen – und damit auch den gesellschaftlichen Umgang mit Fragilität, Krankheit und Sterben entstigmatisieren und enttabusieren.”

Ein Nachthemd (links) und eine Bettjacke (rechts) sind auch Teil des Angebots. Bild: Mina Monsef für Finally.

Finally. war jüngst auf der Krebsmesse Yes!Con in Berlin zu sehen. Die deutsche Modeprofessorin und Gründerin der Marke Bitten Stetter teilte ihre Eindrücke und beantwortete einige Fragen von FashionUnited in Bezug auf Herausforderungen, Lieblingsprodukte und mehr.

Wie entstand die Idee zu Finally.?

Das Anliegen entstand aus einer sehr persönlichen Erfahrung. Als ich eine nahestehende Person während ihrer Krebserkrankung über mehrere Jahre bis zum Lebensende begleitete, wurde mir als Designerin schmerzlich bewusst, wie wenig sinnstiftende krankheitsbegleitende Produkte es im klinischen Alltag gibt. Vieles ist nur funktional, nutzt dabei teilweise mehr den Fachpersonen als den Betroffenen, vieles ist frei von Wärme, Sinnlichkeit oder Würde. Das war der Anstoss, mich tiefer mit dem Thema zu beschäftigen. Ich machte Weiterbildungen, begann über mehrere Jahre auf einer Station forschend mitzuarbeiten und begann dann zu gestalten.

Was waren einige der Herausforderungen, die es zu überwinden galt, bevor die ersten Artikel auf den Markt kamen?

Viele unserer Produkte haben ihren Ursprung im Pflegealltag; sie wurden im Grunde von Pflegenden erfunden, es waren Improvisationen, die in Krisenmomenten ad hoc gestaltet wurden. Ich habe sie übersetzt  erprobt und während der Testings stetig angepasst.

Die Herausforderung lag darin, aus diesen Einzelstücken marktfähige Produkte zu entwickeln: mit der richtigen Haptik, im passenden Preisrahmen und in einer Qualität, die berührt. Dabei muss bedacht werden, dass Care Produkte für alle nützlich sein müssen, nicht nur für die Care-Taker sondern auch für die Care-Giver, privat und institutionell. Dank der Unterstützung des Migros-Pionierfonds konnten wir geeignete Produktionspartner finden und unsere erste Kollektion in die Serienreife führen.

Das Schirmtuch „Helping Hands“. Bild: Mina Monsef für Finally.

Wie wurde das Label auf der Yes!Con in Berlin aufgenommen?

Wir waren überwältigt – von der Resonanz, den Begegnungen, den Geschichten. Es war berührend zu erleben, wie sehr die Menschen sich nach solchen Produkten sehnen, die nicht nur funktionieren, sondern den Menschen in seiner Fragilität ganzheitlich wahrnehmen.

Es waren so viele Menschen da, die uns mit grossen Augen anschauten und sagten, ‘ja, genau sowas fehlt, sowas hätte ich gebraucht’. Sie erzählten von ihren Therapieerfahrungen und gaben uns weitere Tipps für weitere Produkte. Es hat etwas in ihnen und uns zum Klingen gebracht.

Besonders wichtig ist: Unsere neue Care Collection ist gemeinsam mit einer krebserkrankten Frau entstanden, die auf uns zugekommen ist und ihre Erfahrungen in den Gestaltungsprozess eingebracht hat. Das haben die Besuchenden gemerkt. Design entsteht nicht ‘top down’ sondern mit den Menschen. Das braucht Zeit, lohnt sich aber.

Gab es bestimmte Produkte, die besonders gefragt waren?

Ja, neben unsere neue Care Collection kam auch der „Turnarounder“ sehr gut an, dieser wurde nach der Messe auch viel online bestellt. Dieses Teil verstehen wir als Reisebegleiter, auf der Reise durch Phasen der Gesundheit aber auch in Phasen, in denen wir fragil sind, ins Spital müssen.

Der „Turnarounder“ kann als Kleid, Morgenmantel oder Spitalhemd getragen werden. Bild: Mina Monsef für Finally.

Der Turnarounder ist eine Mischung aus Kimono, Morgenmantel und Wohlfühltext, Menschen können es in guten Zeiten tragen, aber wenn sie dann ins Krankenhaus müssen, dann  begleitet das Textil uns und hat alle Funktionen eines Pflegehemdes, was wichtig ist, wenn Menschen auf Hilfe andere angewiesen sind.

Der Turnarounder kann schon bei der Geburt begleiten und zum treuen Gefährten für fragile Momente werden. Auch bei wenn wir Therapien bekommen uns nicht immer voll entblössen wollen, entfaltet er seine Wirkung.

All unsere  Care Produkt sind so gestaltet, dass sie textile Fürsorge mit funktionalem Design kombinieren; sie schaffen Bedeutung jenseits reiner Zweckmässigkeit. Es geht um Nähe und Würde, aber auch darum, dass wir unsere Identität nicht aufgeben müssen, nur weil wir krank oder verletzlich sind. Und wie eine Pflegefachperson zu mir sagt: „Wenn Menschen den Turnarounder anziehen, fühlen sie sich gleich viel besser und auch wir von der Pflege haben Freude, dass etwas Farbe in unseren Alltag kommt.“ Solche Reaktionen motivieren.

Wo werden die Kleidungsstücke hergestellt und aus welchen Materialien?

Unsere Textilien entstehen grösstenteils in Europa. Wir verwenden hautfreundliche, nachhaltige Materialien wie Biobaumwolle, Bambusfaser oder Woll-Kaschmir-Mischungen – sorgfältig ausgewählt für sensible Haut und ein sanftes Tragegefühl. Dabei ist uns wichtig, wenn wir uns für Care stark machen, dass wir die Produkte unter fairen Bedingungen produzieren. 

Das Deckencape besteht aus 90 Prozent Wolle und 10 Prozent Cashmere und wird in der Ukraine hergestellt. Bild: Mina Monsef für Finally.

Was möchten Sie, dass Menschen über Personen in fragilen Lebensphasen wissen?

Wir wünschen uns, dass fragile Zeiten nicht mehr versteckt, sondern gesehen und als menschlich angenommen werden. Denn sie gehören zum Leben – zu jedem und jede:r von uns. Unser Ziel ist es, genau diesen Momenten, Phasen oder Zeiten Gestalt zu geben.

Zudem wünsche ich mir, dass wir eine Sprache in Wort, Bild und Material schaffen, die uns erlaubt, einen offenen Umgang mit auch abwesender Gesundheit zu finden. Es geht nicht nur darum stark und kraftvoll zu sein, es geht auch nicht immer um ein Kämpfen, es geht auch um Anerkennung und Akzeptanz, denn nur so können wir Lebensqualität für uns sehr individuell definieren. 

Ist die Teilnahme an weiteren Messen geplant?

Ja, unbedingt. Wir waren kürzlich bei der Messe „Leben und Tod“ in Bremen – ein intensiver, sehr passender Ort für Finally. In der Schweiz werden wir dieses Jahr erstmals an der Ornaris [Fachmesse für Trends, Inspiration und Design, Anm.d.Red.] vertreten sein. Und im Herbst folgt eine weitere Teilnahme an der Messe „Leben und Tod“ – wieder in Bremen und auf der Yes!Con wären wir auch gern dabei. Und na klar, auf Designmessen und von Museen etc. werden wir natürlich auch eingeladen, aktuell sind wir noch rechte Pioniere mit unserem forschenden und gestaltenden Ansatz. Wer eine weitere Messe weiss oder einen Ort, wo Finally. sich präsentieren müsste, soll sich unbedingt melden. Wir freuen uns, unser Anliegen in die Welt zu tragen. 

Verschiedene Artikel von Finally., die das Leben im und am Krankenbett erleichtern. Bild: Mina Monsef für Finally.

Neben Kleidungsstücken wie dem Turnarounder, dem Betthemd, dem Deckencape, T-Shirts und mehr gibt es auch andere Produkte wie Bettwäsche, Organisationshilfen, einen Baldachin, der am Krankenbett etwas Privatsphäre schafft, einen praktischen Hänger für das Mobiltelefon, eine Duftlaterne, Grußkarten und mehr. Die Preise reichen von 19 Schweizer Franken (rund 20 Euro) für Socken bis zu 199 Franken (rund 213 Euro) für das Deckencape.

Finally. hat einen Laden in der Ankerstraße 27 in Zürich, der sich Care Atelier nennt, und verkauft auch online.

Das Interview wurde in schriftlicher Form geführt.

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