Pierpaolo Picciolis Vermächtnis: Moderne Couture, ‘PP Pink’ und Menschlichkeit bei Valentino
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Die Modebranche ist seit jeher von Veränderungen geprägt, doch Pierpaolo Picciolis Abschied von Valentino kam dennoch überraschend.
Der Weggang des Designers nach mehr als zwei Jahrzehnten bei dem italienischen Modehaus folgt nur wenige Wochen nach seiner letzten Herbst/Winter 2024 Kollektion – eine Kollektion, die nun dazu verleitet, über ihre Bedeutung zu spekulieren. Waren die ganz in Schwarz gehaltenen Ensembles als Vorboten eines Wandels zu deuten, der bereits in der Luft lag?
So verlockend es auch sein mag, über die Bedeutung der Farblosigkeit sowie über die mögliche Nachfolge des Designers zu spekulieren, ist der Abschied vor allem Anlass, um auf Picciolis beste Momente, seinen meisterhaften Einsatz von Farben und seine prägende Zeit bei Valentino zurückzublicken.
Valentino immer in Ehre gehalten
In vielerlei Hinsicht war Piccioli, ähnlich wie der ehemalige Gucci-Kreativdirektor Alessandro Michele, der Gerüchten zufolge nun seinen Platz einnehmen könnte, ein Prototyp für die heutigen Designer:innen der großen Modehäuser. Anstatt von einem anderen großen Haus zum Kreativdirektor ernannt zu werden, hat sich Piccioli bei Valentino hochgearbeitet.
Der Italiener kam 1999 zu Valentino und war zunächst als Accessoire-Designer tätig. Sein Ritterschlag zum Kreativdirektor folgte 2008, als er die Rolle an der Seite von Maria Grazia Chiuri, mit der er zuvor bereits zehn Jahre für Fendi arbeitete, übernahm. Chiuri wechselte schließlich 2016 zu Dior, wo sie noch immer tätig ist, und überließ Piccioli die alleinige Leitung von Valentino. Während viele Kreativdirektor:innen wie Demna Gvasalia bei Balenciaga und der ehemalige Givenchy Kreativdirektor Matthew Williams versuchen, die Geschichte des jeweiligen Traditionshauses umzuschreiben und die Codes des Gründers neu zu definieren, blieb Piccioli dem Mann treu, dessen Name die Tür des Ateliers zierte. Im Laufe der Jahre gab es viele Anspielungen auf Markengründer Valentino Garavani, und dieser weiß diesen Umstand durchaus zu schätzen.
„Ich danke dir, Pierpaolo, vor allem für deine Freundschaft, deinen Respekt und deine Unterstützung“, schrieb der Garavani in einem Beitrag auf der Social-Media-Plattform Instagram, der zugleich auf seine eigene Pensionierung 2007 verwies. Er habe sich damals entschieden, genau wie Piccioli nun, „die Party zu verlassen, während sie noch im vollen Gange war“.
„Du bist der einzige Designer, den ich kenne, der nicht versucht hat, die Codes einer großen Marke zu verzerren, indem er neue Codes und den Größenwahn eines lächerlichen Egos auferlegt hat“, so der Valentino-Gründer.
Zwischen Treue, Moderne und Couture-Revolution
Die besagten Codes, – von einer klaren Vorliebe für Couture hin zu einer anhaltenden Begeisterung für das ‘Valentino-Rot’ –, flossen nahtlos in Picciolis eigene Handschrift über, und dennoch schien der Designer nie in der Vergangenheit gefangen gewesen zu sein. Aus Rot wurde Pink, immer mehr Alltagskleidung, sogar 'Denim', wurde in die Couture aufgenommen, die Marke wurde zunehmend verjüngt und Piccioli bewies, wie menschlich selbst die höchste Schneiderkunst sein kann. Unter seiner Anleitung wurde die Mode zu einem Werkzeug für eine bessere Welt, in der Inklusion nicht mehr nur ein Konzept war und Schönheit eine heilende Kraft hatte.
Kaum eine Show war so sinnbildlich für Picciolis Vision und sein Können wie seine Couture-Kollektion für Herbst/Winter 2022. Gezeigt wurde sie unter dem Namen ‘The Beginning’ auf der berühmten Spanischen Treppe in Rom. Eröffnet wurde die Show von einem mit großen Rosenblüten bedeckter Look, der einem Gegenstück aus Valentino Garavanis Debüt glich. Was dann folgte, war eine Ode an die Welt von Valentino, wobei er darauf achtete, sie für eine vielfältige Besetzung von Models verschiedener Geschlechter, Kleidergrößen, Altersgruppen und Hautfarben zu öffnen – sowie für 120 Student:innen aus Roms Modeschulen, die dabei zusehen durften, wie sich das gesamte Valentino-Atelier zusammen mit ihrem Kreativdirektor verbeugte.
Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass Piccioli seine Definition von Schönheit präsentierte, die gerade in der Welt der Couture bis heute eine Seltenheit ist. Seine SS19-Show basierte auf der Idee der Nachbildung einer berühmten Cecil Beaton Fotografie mit Kleidern des Couturiers Charles James von 1948. Dieses ikonische Werk interpretierte Piccioli jedoch mit Models of Color neu und wählte dabei Farben, die die jeweiligen Hauttöne der Models akzentuierte, während er für seine Frühjahr/Sommer 2022 Couture-Kollektion auf die traditionelle Anprobe an einem sogenannten ‘Fit-Model’ verzichtete und Kleider direkt für die individuellen Körper und Hauttöne seiner Models entwarf – und damit den ursprünglichen Geist der Couture ehrte.
Es wäre jedoch vermessen, so zu tun, als wäre eines der bleibendsten Vermächtnisse des Designers etwas anderes als eine bestimmte Farbe, denn lange bevor der Sommer von Barbie kam, gab es PP Pink. Was mit einem 'Pink-Out' für Herbst/Winter 2022/23 begann und als ‘radikale Geste’ gedacht war, wurde schnell mit Picciolis Arbeit gleichgesetzt. Die einzige Farbe, die in der besagten Saison präsentierte, wurde mit Hilfe des Farbinstituts Pantone kreiert und sollte „die expressiven Möglichkeiten im scheinbaren Mangel an Möglichkeiten maximieren“, wie es damals in den Shownotizen von Valentino hieß. Und obwohl die leuchtende Farbe in den folgenden Kollektionen allmählich verblasste und andere, ebenso kräftige, aber nicht so singuläre Farbtöne angeboten wurden, konnte keine Farbe die Fantasie des Publikums so sehr beflügeln wie das Pink.
Ein Grund mehr, darüber nachzudenken, ob Piccioli, der „Farbe schon immer als einen mächtigen Kanal für unmittelbare und direkte Kommunikation betrachtet hat“, sich für seine finale Abschiedskollektion für etwas entschieden hat, dass er „weder als Abwesenheit von Farbe noch als eine Übung in Monochromie oder Monotonie“ betrachtete, sondern vielmehr als die Entdeckung eines ganzen Spektrums von Schattierungen, die unendlich nuanciert sind, in einer einzigen Farbe – wie es einst bereits mit ‘PP Pink’ der Fall war.
Sicher ist, dass die Modewelt Zeit haben wird, das Ende von Pierpaolo Picciolis Ära bei Valentino sowohl zu betrauern, als auch zu feiern, denn obwohl bereits Gerüchte über eine mögliche Nachfolge kursieren, soll die italienische Marke im Juni weder eine Couture-Kollektion noch eine Herrenkollektion präsentieren.