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Olivier Rousteings Balmain: Ein Vermächtnis zwischen Laufsteg und Social Media

Olivier Rousteing revolutionierte Balmain 14 Jahre lang, indem er Luxusmode mit Social Media und Popkultur verband. Sein Vermächtnis umfasst Vielfalt und starkes Wachstum des Modehauses.
Mode
Balmain Spring Summer 2018, Ready to Wear Olivier Rousteing Credits: ©Launchmetrics/spotlight
Von Jule Scott

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Mehr als ein Jahrzehnt lang stand Olivier Rousteing im Zentrum eines Modeuniversums, das er revolutioniert hatte. Es war eine Welt, in der Luxus und Popkultur aufeinandertrafen und in der Pariser Handwerkskunst auf digitale Sichtbarkeit stieß. Mit seinem Abschied von Balmain nach insgesamt 16 Jahren, davon 14 als Kreativdirektor, endet nicht nur eine Ära für das Modehaus, sondern auch ein Kapitel der Modegeschichte, das neu definierte, was ein Kreativdirektor im Zeitalter Sozialer Medien sein kann.

Bereits seine Ernennung schrieb 2011 Modegeschichte, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Mit gerade einmal 24 Jahren galt er als zweitjüngster nicht-gründender Kreativchef aller Zeiten. Nur Yves Saint Laurent war mit 19 Jahren noch jünger, als er 1957 die Leitung bei Dior übernahm. Doch während Saint Laurent nach drei Jahren sein eigenes Label gründete, blieb der Kreative Balmain über ein Jahrzehnt treu. Er verbrachte seine gesamte junge Erwachsenenzeit innerhalb der Mauern einer einzigen Maison – etwas, das in der heutigen Modewelt fast undenkbar ist. Hinzu kommt, dass Rousteing der erste Schwarze Kreativdirektor eines französischen Luxusmodehauses war, zu einer Zeit, in der Stimmen und Forderungen nach mehr Vielfalt in der Mode noch selten Gehör fanden.

Seine Ernennung bei Balmain war daher alles andere als selbstverständlich. Er war jung, ehrgeizig und für die meisten noch völlig unbekannt. Für das Modehaus jedoch war er kein Fremder, denn der Designer hatte bereits zwei Jahre unter seinem Vorgänger Christophe Decarnin gearbeitet. Dieser hatte Balmain mit einer neuen, rockigen Haltung wiederbelebt – ein Stil, der auch Rousteings erste Saisons prägte. Doch erst der junge Modeschöpfer übersetzte diese Haltung in eine globale Sprache und entwarf in den kommenden Jahren nicht nur Mode, sondern formte ein neues kulturelles Narrativ, das weit über die Laufstege hinausreichte.

Influencer:innen am Steuer eines Couture‑Hauses

Die von ihm geprägte Ästhetik bei Balmain bestimmte die Mode der 2010er Jahre nachhaltig. In den frühen Jahren seines Schaffens dominierten kompromissloser Glamour, metallische Stickereien, ausgeprägte Schulterpartien und körpernahe Silhouetten – Entwürfe, die perfekt für Blitzlichtgewitter und Instagram-Posts geeignet waren. Was Rousteing jedoch wirklich von seinen Zeitgenoss:innen abhob, war sein strategischer Umgang mit Sozialen Medien. Als einer der ersten Designer nutzte er digitale Plattformen gezielt, band Prominente ein und wurde selbst zu einem regelrechten Influencer.

Balmain SS25 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Früh erkannte er, wie entscheidend Sichtbarkeit und Storytelling für Luxusmarken werden würden. Während andere Häuser noch Distanz zu Prominenten hielten, insbesondere zu Influencer:innen und Reality-TV-Stars, nutzte Rousteing Popkultur als kreativen Motor. Seine enge Verbindung zu Persönlichkeiten wie Kim Kardashian und Kanye West stieß zunächst auf Skepsis, erwies sich aber als vorausschauend. Die von ihm geschaffene „Balmain Army“ – ein Netzwerk aus Models, Influencer:innen, Musiker:innen und Athlet:innen – machte die Marke zu einem globalen Phänomen, das in Sozialen Medien ebenso präsent war wie auf den Pariser Laufstegen.

Balmain FW23 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Dabei blieben seine Entwürfe keineswegs nur einer kleinen ausgewählten Gruppe vorbehalten. 2015 erweiterte der Designer die Reichweite seiner „Armee“ durch eine Kollaboration mit H&M. Bis heute gilt die Zusammenarbeit zwischen Balmain und dem schwedischen Modefilialisten als eine der erfolgreichsten – und teuersten – Designer:innenkollaborationen in der Geschichte von H&M. Innerhalb von Minuten war die Kollektion ausverkauft – ein Moment, in dem Luxus, Massenkultur und Social Media eindrucksvoll aufeinandertrafen.

Seine Erfolgsstrategie zeigte sich jedoch nicht nur an der Reichweite, sondern auch in Form vonharten Zahlen. Unter Rousteings Leitung verzeichnete Balmain ein kontinuierliches Wachstum. Laut Vogue lag der Umsatz 2012, in seinem ersten vollen Jahr als Kreativdirektor, bei 30,4 Millionen Euro, der Gewinn bei 3,1 Millionen. Im vergangenen Jahr wurden die Einnahmen auf rund 300 Millionen Euro geschätzt. Diese Entwicklung bestätigt, dass sein früher Instinkt, Luxusmode mit digitaler Strahlkraft zu verbinden, nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch wirtschaftlichen Erfolg brachte.

Ein Teil seiner Erfolgsgeschichte spiegelt sich auch in der Expansion von Balmains Produktwelt wider. 2016 führte er die Herrenkollektion wieder ein, die einst von Pierre Balmain selbst etabliert worden war, bevor er 2019 seine erste offizielle Couture-Kollektion präsentierte. Obwohl Balmain schon immer maßgeschneiderte Einzelstücke für ausgewählte Kund:innen fertigte, hatte das Haus zu diesem Zeitpunkt seit 14 Jahren keine offizielle Couture-Kollektion mehr gezeigt.

Balmain FW20 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Noch 2024 erweiterte die Marke ihr wachsendes Portfolio und führte Balmain Beauty in Zusammenarbeit mit dem US-Kosmetikkonzern Estée Lauder Companies ein. Die erste Kollektion, acht Unisex-Düfte, wurde von Rousteing vorgestellt, der erklärte, er wolle „alle Schönheiten der Welt repräsentieren. Ohne Ausnahmen.“ Diese Botschaft spiegelt einen Kernaspekt seiner Arbeit wider: das Streben nach Vielfalt und Inklusion, das eng mit seiner eigenen Lebensgeschichte verknüpft ist.

Persönliche Geschichte als kreativer Leitfaden

Als Säugling in Bordeaux adoptiert, entdeckte der Modedesigner später seine biologischen Wurzeln in Somalia und Äthiopien – eine Erkenntnis, die sein Selbstverständnis und seine kreative Mission entscheidend prägte. In seinem 2019 erschienenen Dokumentarfilm „Wonder Boy: Olivier Rousteing“ legte er seinen persönlichen Weg offen: von der Kindheit im Waisenhaus über die bürokratischen Hürden bei der Suche nach seinen Wurzeln bis hin zum Moment, in dem er schließlich seine Geburtsunterlagen einsehen konnte. Er betont darin, dass die Suche nach Identität und Selbstakzeptanz untrennbar mit seiner Arbeit in der Mode verbunden sei.

Dieses Bewusstsein spiegelt sich auch in seiner Philosophie wider, bei der Vielfalt nicht nachträglich gedacht, sondern strukturell verankert ist – sei es durch inklusive Castings, die unterschiedliche Ethnien, Geschlechter und Körperformen einbeziehen, oder durch ein kreatives Denken, das Raum für unterschiedliche Perspektiven lässt.

Ein weiterer Umstand, der sein Schaffen in den vergangenen Jahren stark prägte, war ein Feuerunfall in seiner Pariser Wohnung, der schwere Verbrennungen am Oberkörper des Designers hinterließ. Rousteing hielt die Verletzungen fast ein Jahr geheim und arbeitete währenddessen weiterhin an seinen Kollektionen. Erst später teilte er die Narben auf Instagram und zeigte damit, dass Verletzlichkeit ebenso Teil seiner Arbeit wie Glamour und Perfektion sein kann. Die Erfahrung beeinflusste seine Kollektionen nachhaltig. Motive wie Bandagen, an Mull erinnernde Texturen und Silhouetten, die Überleben und Stärke symbolisieren, wurden zu einem Ausdruck persönlicher und kollektiver Resilienz.

Balmain SS26 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

In den letzten Saisons verfolgte Rousteing einen reduzierteren Ansatz, der das Handwerk in den Mittelpunkt rückte und seine persönliche Weiterentwicklung widerspiegelte. Rückblickend könnte die nun als seine letzte Balmain-Kollektion bekannte Show für SS26 gerade jenen Wandel des Kreativdirektors verkörpern, der als finale Geste noch einmal zu seinen Anfängen zurückkehrte.

Die Kollektion zeigte der Modeschöpfer in einer neuen, gelasseneren Ausdrucksform, bei der die Opulenz erhalten blieb, aber organisch und bodenständig wirkte. Statt strenger Silhouetten trugen fließende Blousons, Kleider und Taschen mit Muscheln und Holzperlen sowie lässige Fransen und Quasten die Kollektion. Technische Meisterleistungen blieben präsent, dienten nun jedoch einem Ziel, das Natürlichkeit statt Überladenheit ausstrahlte.

Präsentiert wurde die Kollektion im Ballsaal des Intercontinental Hotels, wo er am 28. September 2011 seine allererste Kollektion gezeigt hat. Mit der SS26-Kollektion und der gewählten Location erklärte der Designer gegenüber verschiedenen Medien, ein Statement setzen zu wollen, ein eindringliches Erlebnis innerhalb einer Saison, die von einem neuen Zeitalter und Neuanfängen geprägt war. Vielleicht handelte es sich jedoch in Wirklichkeit um einen leisen Abschied.

Sollte man Rousteings Worte auf Instagram glauben schenken – „Ein neues Kapitel, ein neuer Anfang, eine neue Geschichte“ – handelt es sich allerdings lediglich um einen Abschied auf Zeit. Während Balmain nun ohne ihn weiter macht, deutet alles darauf hin, dass seine kreative Handschrift bald an einem neuen Ort Gestalt annehmen könnte, bereit, erneut den Dialog zwischen Luxus, Popkultur und persönlicher Vision zu eröffnen.

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Olivier Rousteing