Neuer Vier Pfoten-Bericht zum Mulesing zeigt Transparenzlücke bei Modeunternehmen
Wird geladen...
Der Tierschutzorganisation Vier Pfoten zufolge ist die Lämmerverstümmelung (Mulesing) immer noch eines der dunkelsten Geheimnisse der Modebranche. Von den über 1,2 Milliarden Schafen, die jedes Jahr genutzt werden, um die globale Nachfrage nach Wolle - der am häufigsten verwendeten tierischen Faser - zu decken, werden mehr als zehn Millionen Lämmer durch diese schmerzhafte Praxis verstümmelt.
Dabei geht es anders, ist es doch erst die selektive Züchtung von Schafen mit übermäßigen Hautfalten (um mehr Wolle zu erzielen), die das Problem des Befalls mit Fliegenmaden auslöst. Die Lösung: die Züchtung von Schafen mit glatter Haut und einer natürlicheren Hautfülle. Neben angemessenen Tierhaltungspraktiken erhöht dies die Widerstandsfähigkeit gegen Fliegenbefall.
Australien hinkt hinterher
Während Länder wie Argentinien, Deutschland, Großbritannien, Neuseeland, Norwegen, Südafrika, USA und Uruguay Mulesing entweder verboten haben oder es nicht praktizieren, hält Australien als einziges wollproduzierendes Land noch an der Praxis fest. Dies ist tragisch, da 80 Prozent der für Bekleidung verwendeten Wolle aus Australien stammt.
„Alarmierend ist, dass australische Wolle nicht einmal zu 20 Prozent als „frei von Lämmerverstümmelung“ deklariert ist – was nichts anderes heißt, als dass wahrscheinlich weit mehr als die Hälfte der weltweit in der Mode verwendeten Wolle von Schafen stammt, die als Lämmer dieser schmerzhaften Prozedur ausgesetzt waren“, resümiert Vier Pfoten.
In einem neuen Bericht veröffentlichte die Tierschutzorganisation die Ergebnisse ihrer Untersuchung von 102 Modeunternehmen aus dem Outdoor, Fast Fashion und High Fashion-Bereich. Für „Das Leid hinter den Labels. Wie Modeunternehmen Verbraucher:innen über Lämmerverstümmelung im Dunkeln lassen” wurden deren öffentlich zugängliche Informationen herangezogen, also Websites und Beschaffungsrichtlinien. Ebenso Online- und In-Store-Produktinformationen (insbesondere an Hangtags) in stationären Geschäften in elf Ländern (Australien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland, Niederlande, Österreich, Schweiz, Südafrika, USA).
Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel (67 Prozent) von Modeunternehmen sind nicht transparent, was das Thema Lämmerverstümmelung angeht. „Sie haben keine öffentliche Richtlinie oder loben am Produkt keine Siegel aus - oder beides“, so Vier Pfoten.
Transparenzlücke
Die Mehrheit (84 Prozent) der untersuchten Unternehmen positioniert sich jedoch öffentlich gegen Lämmerverstümmelung; mehr als die Hälfte (58 Prozent) gab an, bereits damit begonnen zu haben, zertifizierte Wolle, die Mulesing nachweislich ausschließen kann, zu verwenden oder ausschließlich diese Wolle zu nutzen.
Nur ein Drittel (33 Prozent) gibt dies jedoch auch durch relevante Zertifizierungen dort an, wo es am wichtigsten ist - in den Verkaufsstellen.
„Dadurch fehlt Verbraucher:innen beim Kauf von Woll-Mode in den meisten Modegeschäften beziehungsweise Online-Shops eine transparente und nachvollziehbare Informationsgrundlage, um Tierwohl bei ihrer Kaufentscheidung zu berücksichtigen“, resümiert die Tierschutzorganisation.
Laut einer von Vier Pfoten in Auftrag gegebenen und von YouGov 2024 durchgeführten Umfrage unter knapp 11.000 Erwachsenen in den oben genannten Ländern wäre diese Information aber wünschenswert. Sobald den Befragten erklärt wurde, was es mit dem Mulesing auf sich hat, wünschten sich vier Fünftel (80 Prozent), dass Modeunternehmen diese Praxis aus ihren Lieferketten ausschließen.
Wie schnitten die untersuchten Modeunternehmen ab?
Die 102 untersuchten Unternehmen wurden nach einem Ampelsystem bewertet: „Grün“ bedeutet, dass ein Unternehmen zu 100 Prozent zertifizierte Wolle „ohne Lämmerverstümmelung“ verwendet und kommuniziert, mit welchen Zertifikaten es arbeitet, um dies zuverlässig zu gewährleisten.
13 Unternehmen (fast 13 Prozent) fallen in diese Kategorie von Vorreitern, darunter die deutschen Modeanbieter Olymp Bezner KG und Tchibo, ebenso die Outdoormarken Arc'teryx, Mammut und Patagonia. Die bulgarischen Marken DiKa, Junona und Teodor konnten sich von „Rot“ auf „Grün“ verbessern; entweder durch die Veröffentlichung neuer, strengerer Richtlinien zur Wollbeschaffung oder die deutliche Verschärfung bestehender. Zusätzlich kennzeichnen sie in den Produktinformationen ihrer Onlineshops nun entsprechende Zertifikate.
„Wir freuen uns über diese Anerkennung, aber wir sind noch nicht am Ziel“, betont Johann Trischberger, Operativer Geschäftsführer der OLYMP Bezner KG. „Bereits 98,7 Prozent unserer Wolle stammen aus mulesingfreien Quellen. Wir arbeiten mit Nachdruck daran, den vollständigen Ausschluss zu erreichen. Unser Engagement soll Verbraucher:innen klare Orientierung geben und zeigen, dass Verantwortung und Mode Hand in Hand gehen können.“
Eine Bewertung mit „Gelb“ erhielten solche Unternehmen, die sich in der Umstellung zu muelsingfreier Wolle bis spätestens 2030 befinden und dies auch öffentlich kommunizierten, ebenso wie die Information, mit welchen Zertifikaten das Unternehmen arbeitet, um den Ausschluss von Lämmerverstümmelung zuverlässig zu gewährleisten.
30 Unternehmen (29 Prozent) fielen in diesen Bereich, darunter Adidas, Brax, Breuninger (für Eigenmarken), Calida, Jack Wolfskin, Paul Kehl, Peek & Cloppenburg Düsseldorf (für Eigenmarken) im DACH-Bereich sowie Abercrombie & Fitch, H&M, Ralph Lauren und Zara.
Die Hälfte muss noch viel mehr tun
Eine Bewertung mit „Orange“ bedeutet, dass das untersuchte Unternehmen zwar verschiedene Schritte unternommen hat, jedoch kein entschiedenes Engagement zeigt. So werden etwa relevante Zertifikate, die Mulesing zuverlässig ausschließen, nicht kommuniziert, es liegt kein Zeitplan zur Umstellung auf mulesingfreie Wolle vor oder der Zielwert liegt unter 100 Prozent.
33 Unternehmen fielen in diesen Bereich und machten damit fast ein Drittel (32 Prozent) aus. Burberry, Coop, Decathlon, Ernsting’s Family, Falke, Gap, Marks & Spencer, Peek & Cloppenburg Hamburg, Schöffel, S. Oliver und Strellson sind hier einige prominente Namen.
Eine Bewertung mit „Rot“ bedeutet, dass das untersuchte Unternehmen zwar Wolle verwendet, aber keine Positionierung zum Ausschluss von Mulesing hat und auch keine relevanten Maßnahmen kommuniziert.
Das Schlusslicht mit „Rot“ bildeten 26 Unternehmen, darunter Ann Taylor, Benetton, Daphne, Fabienne Chapot, Hema und Superdry. Absoluter Nachzügler ist der US-amerikanische Modekonzern Michael Kors mit 0 von 100 Punkten.
„Obwohl das Unternehmen zahlreiche Wollprodukte verkauft, existieren weder öffentliche Richtlinien zum Tierwohl noch zur Wollbeschaffung. Auch eine Positionierung zur Lämmerverstümmelung sucht man vergebens. Online und im stationären Handel waren keinerlei Informationen zum Tierwohl auffindbar, und mehrfache Anfragen von Vier Pfoten blieben unbeantwortet“, begründet die Tierschutzorganisation die Bewertung. „Für eine internationale Modemarke dieser Größenordnung ist ein derartiger Mangel an Transparenz und Verantwortung inakzeptabel“, fügt sie hinzu.
Der Weg nach vorn
Alle untersuchten Unternehmen wurden von Vier Pfoten bereits vor Bekanntgabe der Ergebnisse kontaktiert und fast zwei Drittel (65 Prozent) arbeiteten während der Recherche aktiv mit der Organisation zusammen.
Ein Viertel (25 Prozent) verbesserte als direkte Reaktion auf die Untersuchung ihre Transparenz, etwa durch strengere Richtlinien und/oder eine klarere Produktkennzeichnung.
14 Unternehmen haben sich als Reaktion auf die Ergebnisse zudem einem offenen Brief für ein Ende des Mulesings angeschlossen, darunter auch Olymp. Sie unterstützen die „Absichtserklärung gegen Lämmerverstümmelung“, in der bereits über 140 internationale Modemarken an die australische Wollindustrie appellieren, diese Praxis spätestens 2030 vollständig einzustellen. „Die weltweit stark kritisierte Methode ist mit den modernen Tierwohlstandards nicht vereinbar“, so Trischberger.
Am Ende des Berichts bietet Vier Pfoten einen Fahrplan zur Abschaffung der Lämmerverstümmelung für Unternehmen. Die Organisation betont, dass diese damit nicht nur die Tiere schützen, sondern auch gleichzeitig das Vertrauen ihrer Kund:innen pflegen und ihr Geschäftsmodell zukunftssicher und ihre Lieferketten fit für etwaige regulatorische Verschärfungen machen.
„Vier Pfoten fordert die Modeunternehmen auf, sich klar und zeitlich bindend zur ausschließlichen Verwendung von zertifizierter Wolle, die Lämmerverstümmelung durch vollständige Rückverfolgbarkeit und regelmäße Audits aller Farmen ausschließt, verpflichten. Dadurch – in Kombination mit entsprechender Transparenz auf Produktebene - werden Verbraucher:innen nicht in die Irre geführt und Lämmer erhalten den Schutz, den sie verdienen.“