Neue Geschichten und klare Statements: Die Pariser Männermodewoche
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Während die Stimmung in Mailand noch zurückhaltend schien, drehten die Designer:innen in der französischen Hauptstadt voll auf und ließen sich dabei auch nicht von der anhaltenden Konsumflaute unterkriegen. Es zeigte sich besonders, dass Streetwear und klassische Herrenmode immer näher zusammenrücken.
Die Träumer
Die Kollektion von Emeric Tchatchoua, Creative Director der Streetwear-Marke 3.Paradis, zeigt, wie lässige Silhouetten aus Outerwear und weiten Shorts neben formellen Looks funktionieren können. Die asymmetrischen Schnitte von taillierten Sakkos und verspielte Details wie einer Vielzahl von Uhren, die an einem langen Mantel hingen, schafften die Brücke zu den eher lockeren Pieces.
Zeit beziehungsweise dessen Illusion war auch das Thema von Tchatchouas Kollektion “Steps to Nowhere”, die durch die weite, stille und unendliche Wüste visualisiert wurde, so 3.Paradis auf Instagram. Außerdem tauchte auch die Hauptfigur „Der kleine Prinz“ des gleichnamigen Werks des französischen Autors Antoine de Saint-Exupéry auf verschiedenen Stücken der Kollektion auf.
Kidsuper-Gründer Colm Dillane lud seine Gäste zum Träumen ein und visualisierte in seiner Kollektion, die er im Kunstmuseum Musée des Arts Décoratifs des Louvres zeigte, das Kinderbuch „The Boy Who Jumped to the Moon“. Bei der fantasievollen und farbenfrohen Kollektion ging es um neugierigen Optimismus der Jugend und der eleganten Naivität derer, die es wagen, zu groß zu träumen, hießt es in den Shownotes.
Dillane schien auch groß zu träumen. Er integrierte nicht nur das Mond- und Sterne-Thema rund um das Buch, sondern kollaborierte auch noch mit dem deutschen Autobauer Mercedes, der Fastfood-Kette Papa Jones sowie dem deutschen Sportartikler Puma. Diese einzelnen Kapseln erschienen zusammen wie ein überwältigender, aber dennoch stimmiger “Fiebertraum”.
Walter Van Beirendonck zwinkerte uns derweil mit “strahlenden Augen” zu. Er präsentierte eine für den belgischen Designer typische, verspielte Kollektion mit vielen floralen Prints. Statt fiktiven Jungen zog sich bei ihm eine Schwarz-Weiß-Aufnahne, auf der mehrere Kinder zu sehen sind, durch die Looks. Asymetrische Schnitte, Cut-outs und ein Mix aus verschiedenen Mustern wie Camouflage, Streifen und Pünktchen verstärkten seine kunterbunte Welt. Wiederkehrende Buttons mit Peace-Zeichen verdeutlichen, dass dies nur mit einem friedlichen Miteinander so bunt sein kann.
Politische Statements
In anderen Kollektionen wurden reale Probleme nochmal deutlich verstärkter aufgegriffen und mit klaren Statements thematisiert. Jeanne Friot setzte sich mit ihrer sportlich-schicken und gleichzeitig freizügigen Kollektion gegen Krieg und für Transpersonen ein, wie auf mehreren T-Shirts zu lesen war. Mit der Farbkombination aus hellblauen, pinken und weißen Streifen – die Farben der Trans-Fahne – verdeutlichte sie diese Nachricht. Natürlich durften auch in dieser Kollektion die für die Designerin typischen Schnallen-Details nicht fehlen.
Der in den USA geborene Willy Chavarria leitete seine Präsentation derweil mit einer Protestaktion ein, bei der mehrere tätowierte Männer in weißen T-Shirts und Shorts knieten. Die Haltung und Kleidung erinnerten an die Insassen des salvadorianischen Hochsicherheitsgefängnis Centro de Confinamiento del Terrorismo, zu denen auch mehr als 250 Venezolaner gehören, die aus den USA abgeschoben wurden. Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele kritisierte die Darstellung anschließend auf der Kurznachrichten-Plattform X und warf der Modewoche vor, „Kriminelle zu glorifizieren“.
Die Kollektion mit dem Titel “Huron" – eine Hommage an Chavarrias Heimatstadt im US-Bundesstaat Kalifornien – sei ein Ausdruck der Freude und zugleich des Widerstands, schreibt der Designer mit mexikanischen Wurzeln auf Instagram und widmete sie Menschen, die keine Papiere haben und ihrer menschlichen Würde. Zu sehen war eine breite Spanne an Looks, die von locker geschnittenen 80er-Jahre-Anzügen mit Nadelstreifen und offenem Hemd über verschiedene Workwear-Pieces zu einem urbanen Look mit weiten Short und T-Shirts reichten. Abgerundet wurde die Kollektion von farbenfrohen Anzügen und pompösen Kleidern, die das vielseitige Talent des Designers unterstreichen.
A$AP Rocky mischte derweil für AWGE Streetwear, Business-Looks und Uniformen. Der Rapper und Designer, der mit bürgerlichem Namen Rakim Mayers heißt, verwandelte den Laufsteg seiner zweiten Show in Paris in einen US-amerikanischen Gerichtssaal. Dafür skizzierte er verschiedene Teilnehmer:innen einer Anhörung und schickte die Models durch einen Metalldetektor. Der US-Amerikaner stand zuletzt selbst in einem Verfahren wegen Körperverletzung vor Gericht, wurde im Februar aber freigesprochen. “Not Guilty” (Eng.: Unschuldig) war derweil auch auf mehreren Oberteilen zu lesen.
Kulturelle Einflüsse
Louis Vuitton machte derweil eine kulturelle Reise nach Indien. Pharrell Williams beleuchtete den Einfluss der modernen indischen Schneiderkunst auf die globale zeitgenössische Garderobe und spiegelte ihn im Dandyismus wider, so die Shownotes. Dafür experimentiert der Menswear-Designchef auch mit den Einflüssen der Natur und wie sich die Sonne auf die Bekleidung auswirkt.
Kleidungsstücke und Accessoires bekamen einen taktilen und abgetragenen Charakter, als hätten sie die Einflüsse von Wetter und Abnutzung durchlebt. Seide, Leder und feine Wolle wirkten in ihrer Textur sonnengebleicht, während Kaschmir gemischt mit Seide, Lama oder Vikunja so behandelt wird, dass es rohen Texturen ähnelten.
In Anspielung an Indiens Nähe zum Himalaya-Gebirge im Norden des Landes integriert Williams auch Outerwear-Einflüsse, die mit traditionellen Mustern und opulenten Verzierungen dekoriert wurden.
Der autodidaktische Designer Daquisiline Gomis verwandelt Jahjah – ein afro-veganes Restaurant in Paris – zu einer Marke, die „in einer diasporischen, rastafarischen und panafrikanischen Vision der Gegenwart verwurzelt ist“, heißt es in den Shownotes. Für die Saison Frühling/Sommer 2026 fand er Inspiration bei westafrikanischen Männer der 1970er Jahre, maßgeschneiderten Anzügen, die auf Baustellen als würdevolle Rüstung getragen wurden, sowie Rasta-Propheten und Handwerkern. Dabei trifft Tailoring auf Patchwork- und Do-it-Yourself-Elemente.
Die Farben der Flagge des Panafrikanismus [Anm.d.Red.: Übergeordneter Begriff für verschiedene politische Strömungen im Bezug auf afrikanische Diaspora und Dekolonialisierung] – Rot, Schwarz und Grün – sowie die der jamaikanischen Rastafari-Bewegung – Grün, Gelb und Rot – sind wichtiger Bestandteil der Kollektion. Außerdem waren auch verschiedene Motive, wie der „Löwe Judas“ – oftmals Symbol der Rastafari-Fahne – sowie mehrere Musikboxen auf Hemden zu sehen, die in Zusammenarbeit mit Comme des Garçons entstanden sind. Neben der in Paris ansässigen japanischen Marke gehören auch die Sportswear-Marken Salomon und Adidas zu den Kollaborationspartnerinnen für SS26.
Die Egonlab-Gründer Florentin Glémarec und Kévin Nompeix erinnerten in ihrer SS26-Kollektion an die reiche Geschichte der bretonischen Kleidung. Als Hommage an ihren Großvater betrieben sie eine umfassende Recherche in den Archiven der französischen Region.
Spitz zulaufende Halskrausen erinnerten an bretonische Trachten, während breite, umgeschlagene Revers an traditionelle bretonische Herrenhemden angelehnt waren. Den Höhepunkt bildete ein statisches Porzellan-Hemd, das in Zusammenarbeit mit dem Künstler Flávio Juán Núñez entstand.
Simon Porte Jacquemus nahm Bezug zu seinen Vorfahren und erinnerte mit einer Show in der Orangerie des Schloss Versailles an das ländliche Erbe seiner Familie, die Obst und Gemüse erntete.
Dafür vereinte er Schlichtheit und Eleganz. Ein langes, tailliertes Kleid verdeutlicht diese Symbiose: Der graue Stoff erinnerte zusammen mit einem passenden Kopftuch an eine einfache Bäuerin, wirkte durch die Raffinesse der Silhouette aber zugleich anmutig. Verschiedene Techniken wie die Handwerkskunst des „Tüll-Klöppelns“ und Verzierungen wie maßgefertigten Quasten verdeutlichen die Liebe zum Details des französischen Designers. Jacquemus’ Menswear überzeugte durch seine Simplizität. Die Looks bestanden vor allem aus kurzen Jacken und weit geschnittene Hosen, die an verschiedene handwerkliche Berufe erinnerten.
Anderson feiert Dior-Debüt
Der absolute Höhepunkt der Pariser Herrenmodewoche war wohl der Einstand von Jonathan Anderson als neuer Creative Director von Dior. Es war die erste Kollektion, die der nordirische Designer nach seiner Berufung im Juni – beziehungsweise im April als Menswear-Chef – für das französische Modehaus präsentierte. Die Show wurde sehnsüchtig erwartet, sodass selbst nicht geladene Gäste sich versammelten, um den Livestream gemeinsam zu verfolgen. So lud der digitale Modekritiker ‘Lyas’ – wie er auf Instagram heißt – zur Watch-Party in die Pariser Bar Le Saint Denis ein, was für Andrang von vielen Gleichgesinnten sorgte.
Anderson begab sich für seinen Start in das weitreichende Archiv des Modehauses und folgte dem Interesse des Gründers Christian Dior für die englische Kultur. Fracks mit großen Knöpfen und zur Schleife gebundene Krawatten erinnerten an das 18. Jahrhundert, die mit modernen Schnitten und Stoffen umgesetzt worden. Sie gesellten sich zu den ‘preppy Looks’ der Eliteschulen, die mit Stehkragen, über die Schultern geworfene Strickpullover, Westen und Details wie Fliegen daherkamen. Dem gegenüber standen weite Cargohosen, verschiedene Denim-Pieces und legere Hemden, die lässig über die Hose gestylt wurden. Diese scheinbaren Gegensätze begegneten sich auch immer wieder in den einzelnen Looks, wodurch der Designer besonders den adretten Pieces einen zeitgenössischen Touch verlieh.
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