Nachhaltige Mode: Grün in der grauen Zone
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Nachhaltigkeit ist en vogue in der Modeindustrie, wirft aber mehr Fragen als Antworten auf. Was wir brauchen, ist ein Systemwandel.
Seit Jahren steigt die Anzahl der Modeunternehmen, die auf Nachhaltigkeit bei der Herstellung ihrer Produkte setzen, genauso wie die Umsätze der Fast-Fashion-Anbieter und die Menge der gekauften Textilien – eine paradoxe Entwicklung, die womöglich gerade jetzt einen anderen Lauf nimmt. Das komplette “Lockdown” gibt nicht zuletzt in Modekreisen viel Zeit zum Nachdenken. Die einflussreiche Trendforscherin Li Edelkoort hat von einer „Quarantäne für den Konsum“ gesprochen, die verheerende Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und Kultur hat, aber letztendlich „eine leere Seite für einen Neuanfang“ bietet.
Während Teile der Modebranche bereits wussten, dass sie ihren derzeitigen Weg nicht fortsetzen konnten, war es unvorstellbar, dass Marken gezwungen werden könnten, langsamer zu werden, geschweige denn die Produktion ganz einzustellen. Aber genau das passiert jetzt - Prada, Zara, Trigema, Olymp, und viele andere haben bereits ihre Produktionslinien auf die Herstellung von medizinischen Kleidern und Masken umgestellt; Luxushäuser wie LVMH haben von der Herstellung von Parfüm zur Produktion von Desinfektionsmitteln gewechselt. Es ist eine beispiellose Umstellung der Branche, die sich darauf verlassen hat, jede Saison kontinuierlich wachsen zu müssen.
Wir blicken zurück. Laut Statistischem Bundesamt gaben die deutschen Haushalte im Jahr 2019 rund 64,4 Milliarden Euro für Bekleidung aus. Jeder Deutsche kaufte im Jahr durchschnittlich 60 Kleidungsstücke laut Studie der Umweltorganisation Greenpeace – das macht etwa fünf Stück pro Monat oder ein bis zwei neue Teile jede Woche. Erstaunlich und erschreckend zugleich, dass der Großteil davon nie getragen wird (87 Prozent laut Institut für Konsumforschung). Mehr als eine Million Tonnen an Textilien wurden nach einer Schätzung von Greenpeace in Deutschland pro Jahr aussortiert und meist in Container geworfen. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl an Kleidungsstücken, die im Hausmüll entsorgt wurden.
Andererseits ist Fair Fashion oder nachhaltig produzierte Mode, gerade en vogue: Die französischen Konzerne Kering und LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton beschäftigen Nachhaltigkeitsbeauftragte. LVMH strebt nach einer besseren Klimabilanz, indem das Unternehmen die umweltbewusste Designerin Stella McCartney als Beraterin engagiert. Die italienische Kultmarke Prada hat Ende vergangenen Jahres als erstes Unternehmen aus der Luxusbranche einen Kreditvertrag mit der französischen Geschäftsbank Crédit Agricole Group abgeschlossen, bei dem sich der jährliche Zinssatz an die erreichten nachhaltigen Ziele anpassen sollte.
Der Sportriese Adidas wirbt mit recycelten Sneakern. Die schwedische Fast-Fashion-Kette H&M bot jedes Jahr eine sogenannte Conscious Collection an - neben dem wenig nachhaltigen Angebot von Kleidungsstücken aus Polyester für weniger als 10 Euro. Inditex, Eigentümer der weltweit größten Fast-Fashion-Marke Zara, hat 2019 eine Reihe neuer umweltschonender Ziele kommuniziert. Das Unternehmen verpflichtete sich unter anderem, ausschließlich recyceltes Polyester zu verwenden und sicherzustellen, dass alle Baumwoll-, Leinen- und Viskoseprodukte nachhaltiger hergestellt werden.
Marketing oder Substanz?
Zugegeben, Sneaker und Abendkleider aus wiederverwerteten Plastikflaschen sehen sexy aus. Große Marken, von Fast Fashion bis zu Herstellern von Luxusmode, möchten die Verbraucher wissen lassen, dass sie sich um die Umwelt sorgen. Doch so einfach ist es nicht, wirklich „grüne“ Mode herzustellen und zu vertreiben. Kern des Problems ist eine alte und bewährte Wachstumsformel der Branche, der alles untergeordnet ist: immer mehr, immer öfter. Dadurch wird die Umwelt zusätzlich geschädigt, etwa durch steigende Treibhausgas-Emissionen beim Transport der Waren zum Kunden und wieder zurück bei der Retoure – fair und wiederverwendbar produzierte Sneaker hin oder her.
Die großen Akteure, allen voran die Fast-Fashion-Anbieter, haben sich bislang auf ihre Rolle als Händler konzentriert, die Produktion ausgelagert und ihre Verantwortung gleich mit. Auf Druck von Greenpeace haben sich Tchibo, Aldi, Lidl, Rewe und weitere Händler zwar verpflichtet, bis zum Jahr 2025 nur noch Textilien ohne umwelt- oder gesundheitsschädliche Chemikalien anzubieten. Das ist aber ein Wermutstropfen auf dem Stein der komplexen Wertschöpfungskette.
Nehmen wir Organic Cotton, also Bio-Baumwolle, jenen Stoff, der ohne Pestizide kontrolliert biologisch hergestellt wird. Etwa 84 Prozent des ‘Wasserfußabdrucks’ des Baumwollkonsums in der EU25-Region befindet sich außerhalb Europas, stellte eine Studie im Auftrag von UNESCO 2019 fest. Angesichts des allgemeinen Mangels an angemessenen Wasserpreismechanismen oder anderen Möglichkeiten zur Übermittlung von Produktionsinformationen außerhalb der EU haben Baumwollverbraucher wenig Anreiz, Verantwortung für die Auswirkungen auf abgelegene Wassersysteme zu übernehmen.
Zwei Länder sind für diese Art von Produktion bekannt: Indien und Usbekistan, wo die Arbeitsbedingungen nicht unbedingt als fair gelten und Kinder ihre Zeit nicht auf der Schulbank, sondern auf dem Feld verbringen, um ihre Familien zu ernähren. Zwar werden die Regeln zum Anbau von Biobaumwolle wie GOTS regelmäßig überprüft, aber eine ‘Conscious Collection’ ist ein Widerspruch in sich, weil man nicht immer davon ausgehen kann, dass die Teile aus Baumwolle wirklich 100 Prozent fair produziert wurden. Zwar verpflichten sich viele Marken, Richtlinien zum Schutz der Arbeiter sowie Gehälter in den Fabriken überprüft zu haben, aber oft sind es eigene Angaben und nicht die von Rohstofflieferanten oder lokalen Hersteller, die als Partner für solche Marken agieren. Dazu kommt die Umweltbilanz: Der Baumwollanbau für ein einziges T-Shirt verschlingt bis zu 2000 Liter Wasser laut World Wide Fund for Nature - eine Folge der ineffizienten Bewässerungstechniken in vielen Anbauländern. Eine alarmierende Statistik, die jedoch selten der breiten Öffentlichkeit bekannt ist.
Beim Müll anfangen
Der Spanier Javier Goyeneche gründete das Modelabel Ecoalf und eröffnete 2012 einen Laden im Stadtzentrum von Madrid. Eines der wichtigsten Projekte der Ecoalf Foundation, einer sozialen Dachmarke des Unternehmens, ist die Säuberung der Ozeane: Bei der Initiative „Upcycling the Oceans“ arbeitet Ecoalf unter anderem mit spanischen Fischern, um Abfälle aus dem Meer zu holen. Der Müll, den die Fischer in ihren Schleppnetzen finden, landet in den Containern von Ecoalf und wird anschließend von einem Aufbereitungsunternehmen getrennt. Aus PET-Flaschen wird so wieder Kleidung hergestellt, vollständig „made in Spain“. Der Großteil sind jedoch andere Abfallprodukte, die Ecoalf laut eigenen Angaben nachhaltig entsorgt.
Es gibt gute Ansätze und Lösungen; dennoch scheint ein Systemwandel nötig zu sein in der heutigen linearen Wirtschaft, in der die meisten Produkte wenig benutzt und dann weggeworfen werden. Kirsten Brodde von Greenpeace vertritt einen klaren Standpunkt: „Das aktuelle Konzept ist kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell. Früher hatten Mode und das Design einen Wert an sich. Heute fehlt es an Respekt für das Material und die Ressourcen, aus denen unsere Kleidung gewonnen wird.“ Die Greenpeace-Aktivistin fordert nicht weniger als den Umbau der gesamten Branche: „Es geht um das ethische Konzept hinter der Wegwerfmode“, betont sie.
Beratungsfirma McKinsey präsentierte in Berlin Mitte Januar die jährliche Studie “State of Fashion 2020”. In der Diskussionsrunde saß Ecoalf-Gründer Javier Goyeneche. Als die Top Performing Brand Liste bekannt wurde, fand man dort seine Firma nicht. Goyeneche lächelte und sagte: “Ich bin nicht überrascht. Denn ich falle durch die Erfolgsmatrix hier durch.” Sein Erfolg wäre nicht an stetig steigenden Umsätzen zu messen, meinte der Spanier.
Doch ein Wandel, wo die Modebranche Umweltbilanz und soziale Verantwortung als wichtige Parameter für den wirtschaftlichen Erfolg berücksichtigt, ist ein langwieriger, komplizierter Prozess. Notwendig wäre ein komplettes Umdenken der Firmen, eine Neuaufstellung der gesamten Wertschöpfungskette. Richtig nachhaltige, eine transparente und vor allem an den Marktbedürfnissen angepasste Produktion bleibt nach wie vor für die meisten Marken eine Herausforderung.
"Sobald wir erkennen, dass das derzeitige System immer begrenzt sein wird, weil es nur begrenzte Ressourcen gibt, ist es die einzige Option, Umwelt und unsere Erde an die erste Stelle zu setzen", sagt die britische Journalistin Kate Fletcher, die den Begriff Slow Fashion bereits im Jahr 2008 ins Leben gerufen hat, und heute an dem London College of Fashion lehrt. “Es geht nicht darum, an den Rändern der bestehenden Arbeitsweise herumzubasteln, „nachhaltige“ Kollektionen oder Recycling-Systeme zu schaffen”.
Es geht auch und primär darum, das gesamte Wirtschaftsmodell in Frage zu stellen, und die bestehende Überproduktion sowie die Notwendigkeit jeden Monat eine neue Kollektion herauszubringen, zu überprüfen - und damit die Menge der dafür verwendeten Ressourcen. Es bedeutet, von globalisierten, verworrenen und unsicheren Lieferketten zu kleinen Produktionszentren überzugehen, die auf die Bedürfnisse und Wünsche der lokalen Märkte und Gemeinden eingehen. Hört sich nach einem Neuanfang an.
Geschrieben von Natasha Binar. Die studierte Betriebswirtin und Soziologin mit Tech-Background arbeitete als Projektleiterin bei Sky Interactive und dem British Fashion Council. Heute berät Natasha Binar als Marketing- Expertin Unternehmen und Designer, schreibt für verschiedene Fachmedien und unterrichtet an der AMD Akademie Mode & Design in München.
Bild: Greenpeace Detox-Kampagne