Munich Fabric Start: Binäre Trends bestimmen die Saison HW2023/24
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Laut oder leise, harmonisch oder schrill, ruhig oder bewegt, schnell oder langsam. Die Stofftrends für den Herbst/Winter 2023/24, die gerade auf der Munich Fabric Start gezeigt werden, bilden äußerst gegensätzliche Tendenzen ab. Im weitesten Sinne geht es dabei um das Spiel zwischen der realen Welt, deren Mode nachhaltiger werden muss, und der digitalen Welt, in der das Überraschende gewinnt.
Eine Messe in Zeiten der Pandemie zu veranstalten bedeutet eine Herausforderung. Doch davon merkte man auf der heute zu Ende gehenden Munich Fabric Start wenig. Etwa 900 Aussteller konnte das Team um Managing Director Sebastian Klinder und Creative Director Frank Junker im Münchener MOC, der Bluezone, des Keyhouse Areals und neuerdings auch in den Hallen der gegenüberliegenden Motorworld willkommen heißen. „Wir spüren die Nachwirkungen der Pandemie genau wie alle auch, aber wir haben auf nichts verzichtet, was wir bei unseren bisherigen Messen auch angeboten haben. Im Gegenteil, wir haben eher noch eine Schippe draufgelegt“, sagt Sebastian Klinder.
Neues Segment: The Source für Manufacturing
Statt zu schrumpfen, weil beispielsweise chinesische Aussteller nicht kommen konnten, hat Klinder die Messe vergrößert und das Angebot ausgeweitet. Nicht nur die Anzahl der ausstellenden Design Studios konnte sich verdoppeln, in der neuen Halle acht, die sich gegenüber vom MOC im ersten Stock der Motorworld befindet, konnte die Messe erstmals das Thema Manufacturing darstellen. „Wir versuchen, die Branche möglichst komplett abzubilden, sozusagen „1 place for fashion in 3 days. Die Leute reisen nicht mehr so viel“, erklärt Frank Junker.
Der neue The Source Bereich für internationale Fertigung präsentierte 65 ausgewählte internationale Fertigungsunternehmen und All-in-One Anbieter, die End-to-End-Lösungen von PLV bis White-Label zeigten. Das erweiterte Angebot war ein Risiko, kam aber zum rechten Zeitpunkt. Klinder: „Wir haben erst vor vier Monaten angefangen die Halle zu planen und einen riesen Zuspruch bekommen. Wir merken, dass die Branche versucht, näher an die EU zu rücken und neue Wertschöpfungsketten zu denken.“
Stofftrends: Zwischen Wohlfühlatmosphäre und Metaverse
Nachdem in den aktuellen Saisons das Auffällige den Ton angab, geht es im Herbst/Winter 2023/24 darum, das Haptische und das Wohlfühlen zu betonen. „Es geht um bewegte Oberflächen mit 3D-Optiken, um wattierte Materialien, Fake Fur, Wildseide, Leinen“, erklärt Trend-Analyst und Kurator Jo Baumgartner. Hochwertige Materialien betonen den Nachhaltigkeitsaspekt der langen Haltbarkeit, auch regionale Produkte, wie beispielsweise Bavarian Wool oder regionaler Hanf gewinnen an Bedeutung. Demgegenüber wartet das Metaverse als Inspirationsquelle mit seinen glitzernden, glänzenden Optiken auf. Leuchtende Farben, Lurex, changierende Folienprints übertragen die virtuellen Welten ins Reale und inspirieren die Mode. „Pink feiert bei vielen Stoffherstellern ein Comeback “, so Baumgartner weiter.
Post-Pandemie: Speed up or Slow down?
Auf binäre Trends setzte auch Carl Tillessen im Rahmen seines DMI-Trendvortrags. „Man muss nicht nur wissen was ist, sondern auch warum. Erst dann kann man planen und langfristige Entwicklungen erkennen.“ Die Pandemie hat die Konsument:innen in zwei Lager geteilt. Die einen haben die Entschleunigung und die Rückbesinnung auf das Wichtige als etwas Positives empfunden, die anderen sahen sich in ihrem Tatendrang ausgebremst. Beide Tendenzen – Speed up und Slow down – bestimmen derzeit die Mode und stellen die Branche vor die Frage, für welche Richtung sie sich entscheiden soll. Tillessen: „Wir sehen derzeit viele Widersprüche: Einerseits haben die Menschen während der Pandemie ausgemistet um sich zu reduzieren, gleichzeitig haben sie mehr gekauft als je zuvor.“ Zunächst zwar nicht Mode, aber sobald irgendwo Lockerungen möglich wurden, sorgte Revenge Shopping bei Luxuslabels und Billiganbietern gleichermaßen für enorme Umsätze.
Fakt sei jedoch, so Tillessen, dass die Modeindustrie schon aufgrund des Bevölkerungswachstums immer mehr Ressourcen verbrauchen wird, ganz egal, wie grün die Produkte in Zukunft werden. „Das bedeutet, wir müssen weg von Fast Fashion und hin zur Slow Fashion.“
Secondhand und virtuelle Mode können in Zukunft den Modehunger stillen
Aber gerade die junge Generation „wird, will und kann nicht auf Fast Fashion verzichten“, erklärt Tillessen weiter. Sie ist mit Fast Fashion aufgewachsen und nicht zuletzt Social Media befördert das Bedürfnis nach schneller Mode und schnellem Konsum. Er sieht daher in Secondhand-Mode und virtueller Mode einen Ausweg. „Secondhand hat das gleiche Preisgefüge wie Fast Fashion und ist in modischer Hinsicht oft sogar schneller. Auf Ebay gibt es all das schon, was gerade auf Tiktok läuft.“ NFTs und virtuelle Produkte sind nicht nur für Luxuslabels lukrativ, auch Marken wie Nike machen damit bereits viele Millionen US-Dollar Umsatz. Echte Mode hingegen werde zwangsläufig teurer, das zeichne sich derzeit überall ab. Das ebne den Weg für hochwertigere, langlebigere und zeitlosere Produkte. Wie lautet also seine Antwort darauf, ob wir schneller oder langsamer werden sollen? Tillessen: „We should speed up to slow down!“