Modestudenten 2020: Wenn die Abschlusshow gecancelt wird

Modestudenten sind in der Krise. Das Coronavirus hat ihre Schulen auf unbestimmte Zeit dicht gemacht und die Hoffnung auf Abschlussmodeschauen und Portfolio-Präsentationen zunichte gemacht. Als Momentaufnahme des globalen Gesamtbildes interviewt FashionUnited vier Studenten der Kent State University in Ohio, deren Gefühl der Enttäuschung die Kameradschaft ersetzt hat, die eine Absolventenkohorte zum Abschluss ihrer vierjährigen Odyssee normalerweise erlebt. Ängstlich und mit Blick auf eine radikal geschrumpfte Industrie überprüfen sie ihre Ambitionen und äußern ihre Ängste.

Sage Dye hat eine Unisex-Kollektion mit dem Titel Anthropyre vorbereitet. Sie wurde dazu von einer persönlichen Erfahrung, bei der ein 15-jähriger Junge einen Waldbrand verursachte, der drei Monate lang in ihrer Heimatstadt wütete und die Wälder, die sie als Kind liebte, zerstörte, inspiriert. Sie erforschte die moderne Beziehung zwischen Mensch und Natur und wie die Umwelt heilen kann, nachdem sie zerstört wurde. Für die Kollektion schuf sie offenkantige Stücke aus vollständig recycelten oder Überschuss-Garnen, Fäden und Stoffen, und legte einen Fokus auf Handstickerei und Strickdetails.

Wie fühlt es sich an zu erfahren, dass die Modenschau abgesagt wurde?

Ich arbeite jetzt seit anderthalb Jahren an meiner Abschlussarbeit, es ist also ziemlich herzzerreißend, dass ich die Kollektion endlich fertig gestellt habe, aber keine Gelegenheit haben werde, sie zu feiern und zeigen. Wir haben das ganze Jahr damit verbracht, die Ausstellung vorzubereiten und uns als Designer vorstellen zu können. Ich verstehe, dass wir alle in dieser Zeit Opfer bringen, aber ich habe das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Wie würdest du deinen allgemeinen Gemütszustand beschreiben?

Ich versuche, von Tag zu Tag zu leben. Ich bleibe in Kent, da meine Familie auf der anderen Seite des Landes lebt, wo das Virus viel schlimmer ist, und jeden Tag kommen neue Informationen heraus, die sich beängstigend und unbekannt anfühlen. Ich versuche, positiv zu bleiben, und konzentriere mich darauf, Kunst zu machen und das Beste aus der sozialen Isolierung zu machen.

Kannst du dir andere Möglichkeiten vorstellen, deine Arbeit zu zeigen?

Ich denke, die digitalen Möglichkeiten waren noch nie so groß wie heute, deshalb versuche ich jetzt, meine Kollektion selbst zu fotografieren. Ich glaube, dass Kunst mehr denn je wichtig für unser Wohlbefinden ist.

Hast du dir Gedanken über die Arbeitssuche gemacht, die sich unweigerlich an die Fertigstellung der Diplomarbeit anschließt?

Um ehrlich zu sein, hatte ich erwartet, bis Ende März einen Job zu haben. Von den anstehenden Vorstellungsgesprächen und dem Gefühl, dass ich mich sehr wohl in meiner Zukunft fühle, entwickelte sich innerhalb weniger Tage das totale Chaos. Es fühlt sich immer noch sehr surreal an und ich glaube, meine Karriere ist das, wovor ich im Moment am meisten Angst habe. Ich erwarte nicht, dass in den kommenden Monaten viele Marken neue Mitarbeiter einstellen werden und ich hoffe, dass ich, solange ich kreativ und fleißig bleibe, bereit sein werde.

Gibt es einen Silberstreif am Horizont?

Ich denke, ich werde aus dieser Situation viel stärker und sicherer herauskommen. Ich bin gezwungen, meine Beziehungen zu anderen, zu meiner Familie, zu meiner Zukunft und zu meiner Kunst mit neuen Augen zu sehen. Ich bin dankbar für die Gelegenheit, Zeit zu haben, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und so viel zu kreieren. Ich konzentriere mich auf gutes Essen, sinnvolle Arbeit und den Austausch mit meinen Lieben.

Shannon Marshburns bewusste, auf Techwear fokussierte Kollektion, thematisiert den sinnlosen Konsumismus und die Überproduktion, die die Umwelt und die Erde an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben. Ihre Kollektion besteht aus unkonventionellen Futterstoffen, Naturtextilien und neuen Färbeverfahren und ist so konzipiert, dass sie nicht auf der Mülldeponie landet.

Wie fühlt es sich an zu erfahren, dass die Modenschau abgesagt wurde?

Es ist sehr traurig zu erfahren, dass das Ereignis, auf das ich mich seit vier Jahren freue und auf das ich seit vier Jahren hinarbeite, nicht stattfinden wird - wie auch so andere viele Dinge: der Katalog mit unseren Kollektionen und Biografien, die Anerkennung unserer Arbeit, die Fotoshootings und die Zusammenarbeit mit den anderen kreativen Köpfen innerhalb der Modeschule. Es hinterlässt ein Loch in mir, weil es so plötzlich passierte und die anderen Studenten und ich unser Jahr nie richtig mit der Feier abschließen konnten, die es verdient hätte. Es klingt vielleicht dramatisch, aber das ist unser Leben. Wir sind Studenten, unser Leben ist akademisch, dies wäre unsere Zeit gewesen, zu feiern - jetzt bleiben wir mit unseren Kollektionen in Kleidersäcken in unseren Wohnungen sitzen.

Wie würdest du deinen allgemeinen Gemütszustand beschreiben?

Ich war eine Zeit lang gefühllos. Nachdem wir unsere Kollektionen abgegeben hatten, erhielten wir jeden Tag neue Nachrichten. Erst, dass die Schule für kurze Zeit geschlossen wurde, dann für den Rest des Semesters, dann kamen alle Absagen von Veranstaltungen und die Universität, die die Studenten aus den Wohnheimen und nach Hause zwang. Es war ein Hindernis nach dem anderen, aber ich versuchte immer wieder, positiv zu bleiben. So sehr ich auch am Boden zerstört bin, versuche ich mich daran zu erinnern, dass alle im selben Boot sitzen. Es ist eine Zeit, in der wir alle langsamer treten und gemeinsam eine Pause einlegen müssen, und eine Pause klingt gut für den Moment.

Kannst du dir andere Möglichkeiten vorstellen, deine Arbeit zu zeigen?

Ja, und das ist eine Möglichkeit, eine positivere Einstellung zu behalten. Der Präsident der Modeschule und unsere Dozenten wissen sehr genau, wie viel Arbeit wir alle in die Modenschau gesteckt haben, sie verstehen mehr als jeder andere, wie verheerend dies ist, und deshalb haben sie ihr Bestes versucht, uns Optionen zu bieten.

Hast du dir Gedanken über die Arbeitssuche gemacht, die sich unweigerlich an die Fertigstellung der Diplomarbeit anschließt?

Ja und nein. Vor dem Fertigstellungstermin war ich völlig auf meine Kollektion konzentriert, in der Hoffnung, dass sich meine Arbeit auf dem Laufsteg auszahlen und bei den anwesenden Sponsoren und Fachleuten der Branche für Aufsehen sorgen würde. Wir haben uns auch auf die Prüfung vor einem Gremium von Fachleuten vorbereitet, um mit ihnen Interviews zu führen und unser Portfolio zu präsentieren - die besten Studenten werden ausgewählt, um ihre Arbeit vor weiteren Branchen- und Job-Scouts in New York zu präsentieren. Ich habe mich sehr auf diese beiden Gelegenheiten gefreut, mir bei der Arbeitssuche zu helfen. Da sich das alles geändert hat, erinnert mich meine Mutter jeden Tag daran, auf Jobsuche zu gehen. Kent State hat ein großartiges Postgraduiertenprogramm. Jetzt, wo ich mehr Zeit habe, werde ich mich damit auseinandersetzen.

Gibt es einen Silberstreif am Horizont?

Ich habe noch keinen großen Silberstreif erkennen können. Wenn es aber einen gibt, dann ist es die Erkenntnis, wie stark alle meine Kommilitonen sind und ich sein kann. Wenn unsere Karriere so beginnt und wir trotzdem nicht aufgeben und in der Isolation schöne Dinge schaffen können, dann ist das ein gutes Zeichen, dass wir alles überwinden können.

Abigail Rudolphs Abschlussarbeit "Urban Desert" reflektiert über zwei Umweltextreme, die sie erlebt hat, die Stadt und die Wüste, die sie durch die Gegenüberstellung von Schneiderei und Drapierung, Faltenwurf, Quilts mit gestickten Blumen oder Drucken übersetzt hat.

Wie fühlt es sich an zu erfahren, dass die Modenschau abgesagt wurde?

Definitiv hat mich das nicht kalt gelassen. Ich verstehe zwar die Notwendigkeit, aber ich wünschte, der Direktor unserer Schule hätte eine Verschiebung auf den Frühherbst in Betracht gezogen. Im Grunde genommen ist Modedesign eine 3D-Kunst und sollte auf diese Weise erlebt werden. Die Modenschau ist vieles. Sie ist nicht nur das, worauf wir seit anderthalb Jahren, seit wir unseren BFA-Abschluss hingearbeitet haben, sondern auch der einzige Moment, in dem wir als Studenten die Möglichkeit haben, miteinander, mit der Familie und mit Freunden zusammenzukommen und zu feiern, worauf wir so viele schlaflose Nächte und lange Tage hingearbeitet haben. Wenn ich mir anschaue, was meine Klassenkameraden erreicht haben, und aus erster Hand weiß, wie viel Anstrengung es sie gekostet hat, dann bin ich für meine ganze Klasse traurig.

Wie würdest du deinen allgemeinen Gemütszustand beschreiben?

Das ist eine schwierige Frage. Es wandelt sich. Es gibt viele soziale Bewegungen, die Positivität fördern. In einer Zeit, in der wir Gefühle von Verlust, Angst und Unsicherheit haben, fördern diese Bewegungen die gegenseitige Kontrolle. Es war schwer für mich, mich schnell von einem so stundenlangen Zusammensein mit meinen Klassenkameraden an das Alleinsein in meiner Wohnung zu gewöhnen. Zum Glück leben wir im digitalen Zeitalter und haben Zoom und Facetime. Es ist bedauerlich, an etwas arbeiten zu müssen, dessen Finale so aufregend gewesen wäre, das sich aber jetzt so reduziert anfühlt - ein schlechter Ersatz eben.

Kannst du dir andere Möglichkeiten vorstellen, deine Arbeit zu zeigen?

Ich kann es, aber keine, auf die ich mich ab sofort stürzen kann. Ich habe kürzlich ein GoFundMe in London für Modeabsolventen des Jahrgangs 2020 gesehen, um im Herbst eine von Studenten finanzierte Show zu veranstalten. Es war aufregend, das zu sehen, und ich hoffe, dass sich in den USA auch solche Gelegenheiten ergeben werden.

Hast du dir Gedanken über die Arbeitssuche gemacht, die sich unweigerlich an die Fertigstellung der Diplomarbeit anschließt?

Das ist eine Sorge, die sicher alle Absolventen angesichts der bevorstehenden Rezession haben. Ich habe mir gesagt, dass angesichts der bevorstehenden Arbeitsplatzverluste überall die Chance auf eine Einstellung erst Ende dieses Jahres besteht, wenn überhaupt. Wahrscheinlich werde ich länger vor Ort bleiben müssen, als mir lieb ist, und freiberuflich arbeiten müssen. Ein Kent-Alumnus sagte mir, ich solle die Hoffnung nicht verlieren, deshalb versuche ich, mich auf den Abschluss dieses Schuljahres zu konzentrieren.

Gibt es einen Silberstreif am Horizont?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon einen gefunden habe, vielleicht später. Es war cool zu sehen, wie einige große Akteure der Modeindustrie ihre Produktion umgestellt haben, um zu helfen, von Christian Siriano und Dov Charney, die sich für die Produktion von Masken und Kitteln für medizinisches Personal eingesetzt haben, bis hin zu LVMH, das Handdesinfektionsmittel herstellt. Vielleicht werden wir nach all dem eine größere Nachfrage nach Made in America sehen, wenn wir uns dafür einsetzen, dass unsere Wirtschaft wieder in Schwung kommt und unsere lokalen Unternehmen mehr geschätzt werden.

Alexandra Laurenzos Kollektion, ‘But The Muses Were Not Silent’, ist inspiriert von der Unterdrückung der Sowjetunion und dem Willen und der Stärke des russischen Volkes, die sich ihr entgegenstellen. In ihrer zeitgenössischen Abendkleidung, die Eleganz und Standhaftigkeit miteinander verbindet, interpretiert sie die traditionelle russische Tracht neu und lässt sie mit Aspekten der staatlich anerkannten sowjetischen Kunstbewegungen verschmelzen. Traditionelle Motive, die ihre Kindheit prägten, tauchen in Stickereien und Handarbeiten auf, wie Waben und Wollapplikationen, die die kulturelle Bedeutung von Kunstfertigkeit, Handwerk und kreativem Ausdruck angesichts der Not feiern.

Wie fühlt es sich an zu erfahren, dass die Modenschau abgesagt wurde?

Wir hörten, dass die Schau verschoben werden soll, da war uns allen klar, dass die Absage der Show sehr realistisch war, und als am Freitag die Nachricht kam, dass die Universität für das Semester geschlossen werden würde, war das zwar enttäuschend, aber nicht ganz überraschend. Ich war und bin immer noch sehr deprimiert darüber. Ich bin mir zwar voll und ganz bewusst, dass dies eine notwendige Maßnahme ist, um die Verbreitung des Virus zu bekämpfen, aber es ist schwer zu verarbeiten. Ich habe so viel von meinem Abschlussjahr der konstanten Arbeit geopfert, viel Geld in die Kollektion gesteckt, um sicherzustellen, dass sie so authentisch wie möglich wird, und 16-Stunden-Tage im Studio waren die Norm. Jetzt bin ich zwar immer noch sehr stolz darauf, die Kollektion fertig gestellt zu haben, aber es ist schwer, nicht extrem enttäuscht zu sein, dass ich nicht die Genugtuung bekommen werde, sie auf dem Laufsteg zu sehen. Es ist schwierig, das in Worte zu fassen, denn die Gefühle sind so kompliziert, und es gibt niemanden, auf den man wütend oder von dem man enttäuscht sein könnte.

Wie würdestz du deinen allgemeinen Gemütszustand beschreiben?

Alles an dieser Situation fühlt sich immer noch surreal an. All das, was ich mir als Motivation für mich selbst gesetzt habe, jede Nacht durchzuarbeiten, ist im Grunde genommen weg. Alles, was ich jetzt tue, ist für mich selbst. Aber man hat mir auch viel Zeit gegeben, um Arbeit und Schlaf nachzuholen und mich zu entspannen. Mein allgemeiner Geisteszustand könnte also als chaotisch bezeichnet werden. Manchmal bin ich sehr dankbar, manchmal überkommt mich Traurigkeit und ich habe das Gefühl, dass ich viel Zeit, Geld und Verstand verschwendet habe, und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jemals die Belohnung dafür bekommen werde, die eine Modenschau einem geben kann.

Kannst du dir andere Möglichkeiten vorstellen, deine Arbeit zu zeigen?

Ich setze wirklich darauf, großartige Fotoshootings meiner Arbeit zu bekommen. Ich habe einen sehr talentierten Fotografen gefunden, der meine Vision versteht, und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Ich werde die Bilder durch mein Instagram und andere Online-Plattformen und meine Website bringen. Es geht nur darum, wie man mit sozialer Distanz und Selbstquarantäne richtig fotografiert. Es gibt mehrere Designwettbewerbe, an denen ich nach meinem Abschluss noch teilnehmen könnte, die auch dieses Jahr noch laufen könnten, was eine weitere großartige Plattform wäre, um zu versuchen, meinen Namen bekannt zu machen.

Hast du dir Gedanken über die Arbeitssuche gemacht, die sich unweigerlich an die Fertigstellung der Diplomarbeit anschließt?

Oh je, die Arbeitssuche. Ich habe mich darauf gefreut und sie in den letzten vier Jahren gefürchtet. Wenn ich mit der Perfektionierung meines Portfolios, der Zusammenstellung meines Abschlussmagazins und der vollständigen Aktualisierung meiner Website fertig bin, werde ich bereit sein, in den Kaninchenbau der Stellensuche und -bewerbung zu springen. Das ist ein Prozess, den ich jetzt nicht überstürzen möchte, vor allem, da die Welt stillsteht. Ich möchte nicht von einem Unternehmen, für das ich arbeiten möchte, wegen etwas, für dessen Perfektionierung ich mir nicht wirklich Zeit genommen habe, aussortiert werden. Ich bin sehr besorgt darüber, wie der Arbeitsmarkt aussehen wird.

Gibt es einen Silberstreif am Horizont?

Was die Absage der Show selbst betrifft, kann ich keinen sehr überzeugenden Silberstreif am Horizont finden. Aber was die Auswirkungen auf den Rest meines Lebens betrifft, bin ich so dankbar, dass ich tatsächlich eine ganze Nacht schlafen und mehr Zeit für mein Portfolio haben kann. Aber abgesehen davon wünsche ich mir wirklich, dass ich meinen Abschluss machen und mein Werk wie alle BFA-Studenten der letzten Jahre präsentieren, und diesen Moment des Stolzes erleben zu können. Aber so sieht das Leben im Moment nicht aus...

Fotos: Cori Matlock, Matlock Photography, and Lisa Helland

Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ