Mode Suisse 2025: Die „leise Hoffnung“ der Schweizer Mode ganz laut
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22 Designer:innen, weit mehr als 100 Looks – für eine Modewoche keine Besonderheit. Doch die alljährliche Mode Suisse ist keine ausufernde, mehrtägige Veranstaltung, sondern ein einziger, verdichteter Abend im Zeichen Schweizer Talente.
Die mehrstündige Soirée begann bereits um 14 Uhr mit einem Showroom. Gäste bekamen bereits eine Vorschau auf die zu erwartende Mode, bevor die Kollektionen schließlich Backstage gebracht wurden und leere Stangen hinter sich ließen. Zwar mag die Kombination aus Fingerfood und Drinks, umringt von Laufsteg-Looks so kurz vor dem Defilee empfindliche Gemüter nervös machen, doch verlief alles reibungslos. Und während Modenschauen andernorts notorisch verspätet starten, begann die erste Show der Mode Suisse pünktlich.
Die hohe Taktung an Looks und Designer:innen und die daraus resultierende Länge stellte die Aufmerksamkeitsspanne der Gäste auf die Probe. Dem schien sich Organisator Yannick Aellen allerdings bewusst. So begann der Abend mit einer Stimme aus dem Off, die das Publikum auffordert, dem Programmheft zu folgen, um die Labels richtig zuzuordnen. Erst danach erklang die Musik – ein Mix auf Elektronik und Folk von Bit-Turner, Gael Faure und Jono McCleery –, und ein Look von Maximilian Preisig, frisch von der Modeschule FHNW in Basel, eröffnete den Modemarathon.
Die bunte Bühne der Schweizer Designer:innen
Der Eröffnungs-Look bestand aus einer orangefarbenen Hose und einem weißen Oversized T-Shirt. Für sich genommen keine bahnbrechende Silhouette, doch das T-Shirt, das den Slogan „Die Leise Hoffnung“ trug, verlieh der Kombination Gewicht.
Zugegeben, die Botschaft ging mitunter in den grellen Hosen verloren, die dem Model bei jedem Schritt zu entgleiten drohten – ein Detail, das unter den Gästen später lebhaft diskutiert wurde. Geniestreich oder Missgeschick? Vielleicht beides. Und so wurde dieses Bild unversehens zum Leitmotiv eines Abends, der sich sonst nur schwer in Worte fassen lässt.
Dass Politik für Designerin Anastasia Bull eine Rolle spielt, wurde bereits in einem Gespräch vor der Show deutlich und das nicht nur durch ihre Worte. Den Backstagepass der Designerin zierte ein Pin mit Palästinensischer Flagge, während sie darüber sprach, mit ihrer Kollektion “das Patriarchat zu beerdigen”. Auf dem Laufsteg übersetzte sich dieses Vorhaben vor allem in Opulenz. Minikleider aus Pailletten und mit Stickerei verziert trafen auf jede Menge Farbe, zumindest bis diese langsam der Dunkelheit wich um Platz für den besagten 'Beerdigungs-Look' zu machen, der zugleich an eine düstere Braut erinnerte – komplett mit Blumenkrone und Bouquet.
Bei Jill Bloch wiederum konterkarierte das „Trad Wife“-Narrativ mit augenzwinkernder Subversion. Models kombinierten Brot und Schaufel neben Minirock, Bloomer und Gummistiefel, Gartenhandschuhe kombiniert mit teils ultra-femininen Silhouetten. Das Ganze schien irgendwo zwischen Ballerina-Farmgirl und urbaner Großstadthaltung zu landen. Die stolzen Eltern – so zumindest schien es – klatschten im Publikum und verdrückten dabei die eine oder andere Träne – ein kleiner Familienmoment auf der Mode-Suisse-Bühne.
Während bei Bloch alltägliche Gegenstände der aus dem Bauernhofalltag den Laufsteg bevölkerten, tauchte Lundi Piscine das Publikum förmlich ins Wasser. Von Arbeitskleidung und Uniformen inspirierte Parachute-Pants, Balaclavas und ein vom 500-Euro-Schein abgeleitetes Top trafen auf Rettungsringe, Angelruten und Lifejackets – eine Bildsprache, die das Verlangen nach einer besseren Welt direkt auf den Catwalk brachte. Das Statement „We want a better world“ prangte sowohl auf Kleidung als auch auf einer Fahne und verwies zugleich auf den Arbeitsprozess von Designerin Lucie Guiragossian, deren Materialien aus lokalen Quellen stammen und upgecycelt werden.
Nicht weniger augenfällig war der Auftritt von Tati, einem Label, das folkloristisch-sexy Strick-Punk mit Upcycling-Textilien verbindet. Handgefertigtes Strickwerk gilt gemeinhin nicht als Inbegriff von Sexiness – doch gerade hierin liegt die Stärke von Designerin Tatjana Haupt, die sowohl die Organisator:innen als auch die Mode Suisse-Jury überzeugte und in diesem Jahr als Newcomerin ins Programm aufgenommen wurde. Unterstützt wurde sie wie auch Lundi Piscine, Sonney und Thomas Clément von der D.E.S.I.G.N. Foundation, die die gesamten Teilnahmekosten sowie einen Teil der Ausgaben für vier unter 35-jährige Talente aus dem Mode Suisse & Friends-Line-up übernimmt.
Tati verstand es, den Laufsteg in eine verspielte, queere Welt zu verwandeln. Am Ende der Show trat Haupt, umringt von ihrem kichernden Team, lachend und händchenhaltend auf den Catwalk – ein Bild, das die gleiche unbeschwerte Energie ausstrahlte wie ihre fünfzehn Looks. Zwischen Plüschkatzen, Y2K-Anspielungen und einem Augenzwinkern formte die Kollektion ein quirliges Manifest und eine klare Einladung zur Revolution, sichtbar auf Shirts, Accessoires und in jedem liebevoll inszenierten Detail.
Ähnlich viel Lebensfreude wie Tati versprühte auch JMQ – Jordan Martinez Quintana. In den Shownotes wurde die Kollektion des Designers als „maximalist fashion, somewhere between a flamenco feria and a parking lot rave“ beschrieben – und in diesem Fall entsprach die Beschreibung genau dem Programm. Polka Dots trafen auf Frucht-Prints, flamenco-inspirierte Rüschenröcke und Kopftücher standen neben Mini-Baguettes und Einkaufstrolleys, perfekt für einen leicht verkitschten Marktbesuch. Ein anderer Look zeigte einen nackten Oberkörper, beklebt mit Motorsport-Stickern, dazu eine übergroße Goldkette und eine opulent bestickte Pufferjacke – ein Ensemble zwischen Streetstyle und Popkultur-Collage, das Männlichkeitsbilder mit Humor und überschäumender Energie zerlegte.
Nahezu genauso viel Freude wie die Kollektion von JMQ bereitete jedoch die Erkenntnis, dass der Beginn einer wohlverdienten Verschnaufpause erreicht war. Der erste Teil der abendfüllenden Show dauerte fast eine Stunde länger als der Zeitplan es vorsah. Die Models hatten demnach den Catwalk noch nicht verlassen, da sprangen die rund 400 Zuschauer:innen bereits von den Stühlen – bereit, ihre Gläser aufzufüllen und das Gesehene sacken zu lassen.
Trotz dieses stürmischen Laufs zur Bar fanden sich die meisten rechtzeitig und geordnet zum zweiten Teil des Abends wieder ein, der nicht weniger an Vielfalt und Fülle zu bieten hatte als der Erste.
Ein besonderes Highlight boten dabei die drei für das Showcase der Modeuniversität HEAD ausgewählten Student:innen Alan Clerc, Marie Boutin und Thibaut Barraud. Fast mehr als jede andere Kollektion bewiesen die jungen Talente ein feines Fingerspitzengefühl und verbanden Konzept und Kommerz nahtlos.
Clerc hatte seine Kollektion ursprünglich für den männlichen Körper – seinen eigenen, um genau zu sein – entworfen. Stark beeinflusst von klassischer Schneiderei, gelegentlich an die Arbeiten von Martin Margiela erinnernd, untersuchte sie Konstruktion und De-Konstruktion des Körpers und wurde auf sowohl männlichen als auch weiblichen Models präsentiert.
Boutin wiederum ließ sich von Motorsport und Bikes inspirieren und schuf eine Lederkollektion mit präzise gearbeiteten Korsetts, Bralettes, Jacken, Mänteln und Hosen – alles Stücke, die man sich leicht auf jungen Popstars vorstellen kann, auf der Bühne wie im Alltag. Ein Seidenkleid mit ausgefranstem Saum – als hätte es die Reifen eines Motorrads berührt – entstammt den Motoranzug-Prints ihres Vaters, den sie auf ihre eigenen Entwürfe übertrug. Barraud, der einzige Bachelor-Student unter den Dreien, während Clerc und Boutin kürzlich ihren Master abgeschlossen hatten, präsentierte eine schwarz-weiße Kollektion aus seidigen Tops und figurbetonten Kleidern – ebenso präzise und überzeugend wie die Arbeiten seiner Kolleg:innen.
Skulptural traten anschließend die Entwürfe des HEAD-Absolventen Thomas Clément auf, der allerdings nicht unter dem Dach der Schule, sondern als eigenständiger Designer antrat. Ausgangspunkt waren banale Handlungen wie das Umschnallen eines Rucksacks oder vertraute Formen wie die Silhouette einer Schneiderpuppe. Anstatt diese eins zu eins zu zitieren, verfremdete Clément sie zu irritierenden Körpererweiterungen.
Ein olivgrünes Top etwa erinnerte an einen umgedrehten Rucksack, dessen Gewicht genau dort saß, wo normalerweise die Brust formgebend ist. Darunter schwang ein Rock aus pinken und petrolfarbenen Fransen bei jeder Bewegung wie eine zweite Haut mit. Clément entwarf Körperbilder, die weder stabil noch selbstverständlich wirken, sondern verschoben, neu zusammengesetzt und damit fragil – ein poetisches Spiel mit der Frage, wo der Körper endet und Mode beginnt.
Als sich der Abend dem Ende zuneigte, wurde noch einmal deutlich, dass Mode Suisse weit mehr ist als eine bloße Präsentationsplattform. Sie ist ein Raum für Haltung, Experimente und Geschichten – für Mode, die provoziert, unterhält und teils auch irritiert. Von provokanten Statements über spielerische Subversion bis hin zu subtilen gesellschaftlichen Kommentaren spannt sich ein Bogen, der die Vielfalt der Schweizer Szene in all ihren Facetten zeigt. Der Rahmen wirkt dabei fast etwas zu weit gespannt für die vergleichsweise kurze Veranstaltung. Vor Ort hätte es jedenfalls genug Vision und Talent für ein längeres Präsentationsformat gegeben – sei es über einen ganzen Tag oder vielleicht sogar über zwei Tage.
Und so schließt sich der Kreis, denn vielleicht ist das die „leise Hoffnung“ des Anfangs: dass sich die Plattform noch weiter wächst und den jungen Talenten künftig mehr Raum bieten kann, um zu experimentieren, sich zu entfalten und die Schweizer Modeszene stärker zu prägen.