Mode in Deutschland: Eine Kultur ohne Stimme
Wird geladen...
Meinung. Post mortem tut Karl Lagerfeld das, was er immer tat: den Finger in die Wunde legen. Ungewollt diesmal. Aber nicht weniger effizient. Er entlarvt sein Herkunftsland als notorischen Modeverweigerer. Er tat es nicht selbst. Es geschah durch die Feder von Inga Griese, Gründerin und Chefredakteurin von Icon, dem Stil-Magazin von Die Welt: Am 4. März wunderte sie sich in ihrem Beitrag auf Iconist über die deutsche Stille anlässlich des Todes des prominenten Deutschen… Kondolenz? Sieht man von Christian Lindners eher flapsigen Bemerkung und einem knappen Statement des Hamburger Bürgermeisters Peter Tschentscher ab, ließen Amtsträger jegliche Anteilnahme vermissen. Inga Griese zieht daraus die richtigen Schlüsse: „Noch immer verweigert die Politik, sich gegen Modeaversion impfen zu lassen“.
Inga Grieses Artikel wurde über die sozialen Netzwerke vielfach geteilt und kommentiert. Die Kommentare verdeutlichen einmal mehr, dass die hochgeschätzte Journalistin uns Modeschaffenden aus dem Herzen spricht und sagt, was viele denken: Modekultur hat in Deutschland keinen Stellenwert! Wie sonst ist es zu verstehen, dass der erste Mann beziehungsweise die erste Frau des Staates das Ableben des international wohl bekanntesten Deutschen völlig unkommentiert ließen?
Ein deutscher „Modemacher“ ist in Deutschland so unwichtig wie Mode
Karl Lagerfeld war zweifellos ein streitbarer Zeitgenosse – eine Eigenschaft, die gerade Menschen auszeichnet. In einem Land, dem Demokratie und Meinungsfreiheit so am Herzen liegen, muss man das aushalten, nicht nur, wenn’s probat ist.
Es fällt mir schwer zu glauben, dass das Stillschweigen von oberster Stelle eine Retourkutsche sein soll… schmollen?! Das darf nicht sein! Womit ich zwangsläufig zur Ursprungsthese zurückkomme: Ein deutscher „Modemacher“ - ungeachtet dessen, welchen Stellenwert er auf internationaler Ebene hat, in diesem Fall leider hatte - ist in Deutschland offensichtlich so unwichtig wie Mode, die über (Bedarfs)Bekleidung hinausgeht.
Karl Lagerfeld war, um es mit Christian Lindner zu sagen „ein Botschafter des kreativen Deutschlands“, er hat dem Land Verve verliehen, es jenseits der Landesgrenzen – und von „Vorsprung durch Technik“ – ein bisschen bunter, lebendiger und dadurch durchaus sympathischer aussehen lassen. Das in Zeiten, wo die „Lieblings-Wirtschaftsfaktoren“, die vermeintlich starken natürlich, das Land eher in Verruf brachten und bringen. Da tut ein bisschen „weicher Wirtschaftsfaktor“ doch ganz gut, oder?
Mode mehr kann, als auf den ersten Blick vermutet
Wirtschaftsfaktor? Ja, ich bin durchaus von dieser Welt! Wenn man mal über den Tellerrand hinausblickt und weiterdenkt, als herstellende Industrie, wird man feststellen, dass Mode mehr kann, als man auf den ersten Blick vermutet… Was wären die Innenstädte ohne den Modeeinzelhandel? Was wären Verlage ohne Modezeitschriften, ob in analoger oder digitaler Form? Influencer – man mag davon halten, was man möchte – würden am Hungertuch nagen und… die Welt wäre insgesamt ein bisschen trostloser.
Mode ist Glanz und Glamour. Karl Lagerfeld hat Deutschland internationale Strahlkraft verliehen und einem Sektor, der in Deutschland durchaus existent ist, eine Stimme gegeben. Dass die Deutschen, die auf dem internationalen Modeparkett eine Rolle spielen, in Deutschland wenig sichtbar sind, liegt weniger an ihnen selbst… Hier möchte ich die Bibel bemühen: „Der Prophet gilt nirgends weniger als im eigenen Land“.
Danielle De Bie gehört zum Gründer-Team der Bread & Butter Berlin. Als freie Marketing & Communication Consultant betreut sie u.a. Kunden aus Handel, Industrie und Medien. Sie arbeitet darüber hinaus als freie Journalistin und Übersetzerin sowie als Store Managerin in Berlin.
Dieser Text gibt die Sichtweise des Autors wieder und spiegelt nicht unbedingt die Meinung von FashionUnited wider.
Foto: MBFW Juli 2018 / Danny Reinke