Mode für Millionen und die Polizei - von Heinz Oestergaard
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Er kleidete Prostituierte ein und Polizisten, stattete Leinwanddiven aus wie auch Versandhauskundinnen. Heinz Oestergaard gilt als wichtigster deutscher Modedesigner der Nachkriegszeit. Am 15. August jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.
Berlin, der Krieg ist vorbei, die Stadt liegt in Trümmern - wer denkt jetzt schon an Kleider und Glamour? 1946 hier einen Modesalon zu eröffnen, klingt nach Wahnwitz. Doch Heinz Oestergaard spürt die Sehnsucht der Frauen, sich wieder einmal hübsch zu machen. Und so zaubert er aus alten Kleidungsstücken, die sie ihm mitbrachten oder Stoffen, die er gegen Kaffee oder Zigaretten eingehandelt hatte, kleine Modeträume. Für ihn ist es der Beginn einer großen Karriere.
Geboren am 15. August 1916 in Berlin als Sohn einer deutsch-dänischen Verlegerfamilie, wendet sich sein Leben schon früh der Mode zu. Vom Großvater, einem Kartographen, hat er das Zeichentalent geerbt. Seine Mutter beeindruckt und inspiriert ihn mit ihrer Eleganz und Weltoffenheit. Heinz Oestergaard lernt Textilkaufmann und das Zuschneiden, studiert Kunst. Bis der Zweite Weltkrieg, hier geriet er in russische Gefangenschaft, seine gerade angebrochene Berufslaufbahn jäh unterbricht.
Zu seinen ersten Nachkriegskundinnen zählten auch viele Prostituierte. Frauen also, die schon aus Berufsgründen Aufsehen erregen mussten und somit wie geschaffen waren für die Entwürfe eines jungen, aufstrebenden Modeschöpfers. Der Besuch eines Defilees von Christian Dior hätte Oestergaard jedoch beinahe zur Aufgabe der eigenen Ambitionen bewogen. «Es war so schön, so stilistisch einwandfrei. Das kann ich nie einholen», gestand er einmal in der TV-Talksendung «alpha-Forum» - und raffte sich dann doch wieder auf.
> Überhaupt Dior. Als dieser 1947 in Paris den «New Look» schuf - Glockenrock, Wespentaille, Jacke mit Schößchen - waren die deutschen Frauen zunächst entsetzt. Diese Dekadenz! Dieser Rückfall in ein überholtes Frauenbild! Doch die Silhouette triumphierte. Auch Heinz Oestergaard orientierte sich zunächst daran, entwickelte Schritt für Schritt jedoch seinen eigenen Stil: jugendlich-elegant und weniger allürenhaft als die Pariser Mode.
Ohnehin erkannte er bald, dass die Zukunft nicht in der elitären, sündhaft teuren Haute Couture liegen könne. Ihm schwebte vor, dass seine Kleider von möglichst vielen Frauen getragen werden. Er wollte die Mode demokratisieren. Dafür ging er Kooperationen mit der Industrie ein, verarbeitete die neu aufkommenden synthetischen Stoffe - manch ein Kollege sah es mit Grausen. Vor allem aber überwand er die Trennlinie zwischen «oben» und «unten», indem er, der Couturier, sich vom Versandhaus Quelle als Modeberater anheuern ließ. Das war 1967. Also schon rund 40 Jahre bevor der schwedische Textilriese H&M auf die Idee kam, seinen Kunden durch saisonale Kooperationen mit verschiedenen Topdesignern etwas Glamour zu bieten.
Mit dem ihm angehefteten Etikett, er mache «Mode für Millionen» konnte Heinz Oestergaard sich eigentlich nicht so richtig identifizieren. Erschwinglich ja, aber eben auch raffiniert und elegant wollte er seine Mode verstanden wissen. Doch nicht nur dieses Beispiel zeigt, wie weit Heinz Oestergaard seiner Zeit oft voraus war. Auch an anderen Stellen klingt seine Vita nach 21. Jahrhundert: Er entwarf schon früh Accessoire-Kollektionen - heute der Umsatztreiber der Mode schlechthin. Er setzte auf den Werbeträger Star und stattete unter anderem Zarah Leander, Cornelia Froboess und Romy Schneider aus - «Celebrity Dressing» also noch bevor der Begriff überhaupt erfunden war.
Und der gut aussehende Sunnyboy verstand sich auch glänzend auf die Selbstvermarktung, was ihm stets beste Plätze auf den Magazinseiten sicherte. Und wahrscheinlich können auch nicht viele Designer von sich behaupten, dass jeder Deutsche zumindest einen seiner Entwürfe kennt. Heinz Oestergaard erfand 1973 die bundesweit einheitliche, moosgrün-beige-braune Uniform der Polizei, die sich knapp vier Jahrzehnte auf den Straßen behauptete. Nun ist sie blau - wie sein erster, damals aber abgelehnter Farbvorschlag.
Darüber hinaus entwarf er für den ADAC die Schutzkleidung und auch die sowjetische Handelsmarine durfte sich rühmen, einen echten Oestergaard zu tragen. Mitte der 1980er Jahre lässt Heinz Oestergaard, der seit 1967 in München lebte und arbeitete, die Mode hinter sich. Er entdeckt nun eine neue Leidenschaft: das Kunsthandwerk der Glasbläserei. Bis ihm der Arzt die Ausübung verbietet, weil die heiße Luft die Lunge angreift. Am 10. Mai 2003 schließlich stirbt Heinz Oestergaard im Alter von 86 Jahren in einem Seniorenheim in Bad Reichenhall. (DPA)