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Mode als kulturelle Diplomatie: Ukrainian Fashion Week FW 25/26

Von Jule Scott

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Mode
Ukrainian Fashion Week FW25/26 Credits: Andriy Sokolov

Wie findet man Schönheit – und konzentriert sich darauf – inmitten des Leids? Diese Frage stellte sich die Ukrainian Fashion Week erneut. Zum zweiten Mal seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine und dem Beginn des Krieges 2022 kehrte das Event nach Kiew zurück. Bereits im September trat das Event erstmals wieder als modischer Hoffnungsträger auf. Das Thema Hoffnung bleibt zentral für die Organisator:innen der ukrainischen Modewoche sowie die 40 Designer:innen, die ihre Herbst/Winter 2025-Kollektionen unter dem Motto ‘Hope for the Future’ zeigten.

Für viele Designer:innen in der Ukraine nimmt Hoffnung nun die Form von Resilienz und Solidarität an, insbesondere gegenüber denjenigen, die weiterhin an der Front für ihr Land kämpfen. Mode, oft als oberflächlich abgetan, experimentiert schon seit einiger Zeit mit dem Konzept der adaptiven Kleidung – doch in Kiew erhält diese neue Bedeutung.

Modische Solidarität mit der Front

Das in dieser Saison ins Leben gerufene Programm Clothing with a Function hat das Ziel, Menschen mit besonderen Bedürfnissen – sei es durch Verletzungen an Händen, Augen oder Beinen oder durch die Nutzung von Prothesen und Mobilitätshilfen – nicht nur in die Modewelt einzubeziehen, sondern sie aktiv zu integrieren.

Ein Designer, der das Thema adaptive Mode auf den Laufsteg brachte – ohne es jedoch zum Hauptaugenmerk seiner Kollektion zu machen – war Andreas Moskin. Seine Herbst/Winter 2025-Kollektion ließ sich stark von der ukrainischen kulturellen Elite der 1920er- und 1930er-Jahre sowie den avantgardistischen Romanen des experimentellen Autors Mike Johansen inspirieren.

Andreas Moskin FW25/26 Credits: Andriy Sokolov

Innerhalb der Kollektion, die vor allem schwere Tweeds, Kaschmir und Wolle umfasste, wurde dieses Konzept durch verlängerte Jacken mit Gürtel – an Arbeitskleidung erinnernd – sowie dekonstruktiv gestaltete Anzüge mit unerwarteten Details wie aufgesetzten Taschen umgesetzt. Um die Entwürfe adaptiv zu gestalten, wurden zudem funktionale Elemente integriert, etwa abnehmbare Ärmel mit unsichtbarem Reißverschluss oder Hosen mit Reißverschlüssen an den inneren Seitennähten, die das schnelle An- und Ausziehen einer Prothese ermöglichen.

„Die asymmetrische Anordnung der Nähte auf der Vorderseite der Jacke erinnert an Verstümmelung und Zerstörung“, erklärten die Markenbegründer Andrew Moskin und Andreas Bilous in einem Statement. „In dieser Kollektion haben wir versucht, die Etappen der Entstehung unserer kulturellen Elite widerzuspiegeln – von schwarzen und roten Bildern, die an Zeiten der Zensur und Kriege erinnern, bis hin zu hellen, offenen Silhouetten, die für die Ära der Unabhängigkeit stehen.“

Adaptive Mode für Menschen mit Prothesenbedarf ist nicht das einzige Zeichen eines veränderten Bewusstseins der ukrainischen Modewoche. Die Charity-Initiative „Faces of Heroes“, ein Projekt zur Unterstützung von Menschen mit Gesichtsverletzungen, wurde ebenfalls in dieser Saison eingeführt. Dieses gibt Designer:innen die Möglichkeit, gezielt zur Behandlung und Rehabilitation einzelner Betroffener beizutragen.

Identität bewahren und junge Stimmen fördern

Die Auswirkungen des Krieges sind nicht nur in neuen Initiativen und visuellen Darstellungen spürbar – sie durchziehen das gesamte Event. Die Fashion Week fand nur wenige Tage nach der Ankündigung der umstrittenen Pläne für die Ukraine von US-Präsident Donald Trump und Wladimir Putin statt, bei denen bisher weder Präsident Zelensky noch europäische Abgeordnete involviert wurden.

Dennoch bleibt Iryna Danylevska, Gründerin und CEO der Ukrainian Fashion Week, standhaft und unterstreicht die Bedeutung der Mode in diesen kritischen Zeiten: „Für uns ist Mode nicht nur Kreativität; sie ist zu einem Instrument geworden, um unsere Freiheit, Identität und Zukunft zu schützen.“

Ein Stück dieser kulturellen Identität transportierte auch Ivan Frolov, Gründer und Creative Director von Frolov. Seine Kollektion Dirty as an Angel wirkte auf den ersten Blick wie eine Hommage an die Emo- und Goth-Ästhetik der frühen 2000er. Doch sie trug eine tiefere Bedeutung in sich. Die Show, inszeniert als Rockkonzert, stellte ukrainische Musik in den Mittelpunkt und thematisierte „Freiheit in jeder Form, die sie damals annahm“, wie der Designer in seinen Show-Notizen erklärte.

Frolov FW25/26 Credits: Andriy Sokolov

Visuell übersetzte der Designer – einer der bekanntesten des Landes, der bereits Stars wie Sabrina Carpenter und Beyoncé ausgestattet hat – seine jugendlichen Rock’n’Roll-Fantasien in mit Swarovski-Kristallen besetzte Nietengürtel, verlängerte Korsettsilhouetten und seine charakteristischen, herzförmigen Cut-outs an unerwarteten Stellen. Frolov hat sich bereits international etabliert. Doch für viele andere Designer:innen beginnt die Karriere erst jetzt. Die ukrainische Modewoche ist sich dieser Verantwortung bewusst und setzt genau hier an.

„Viele international bekannte ukrainische Modebrands haben ihre Laufbahn auf der Ukrainian Fashion Week begonnen“, betonte Danylevska. „Gerade in diesen schwierigen Zeiten eines umfassenden Krieges wissen wir, wie essenziell es ist, die nächste Generation ukrainischer Designer:innen zu unterstützen – sie sind die Zukunft unserer Modeindustrie. Unser Land ist reich an Talenten, und seit 27 Jahren arbeiten wir daran, ihre Stimmen weltweit hörbar zu machen.“

Um diesen Nachwuchs gezielt zu fördern, wurde die NewGen Lab-Plattform geschaffen – eine Bühne für junge Talente, die sich langfristig für den Hauptlaufsteg der Fashion Week qualifizieren möchten. Eines dieser Labels, das im Rahmen von NewGen Lab sein Debüt feierte, war Apsara. Die von Yulia Psaryova gegründete „konzeptionelle Slow-Fashion-Marke“ verfolgt das Ziel, bestehende Kleidungsstücke neu zu interpretieren. Ihre Designs entstehen durch eine seltene, traditionelle Technik – das Häkeln mit einer Gabel – und werden vollständig von Hand gefertigt.

Apsara FW25/26 Credits: Andriy Sokolov

Das Leitthema für Herbst/Winter 2025/26 war Transformation – ein Prozess, den die Designerin als Wachstum, Anpassung und Entwicklung beschreibt, aber auch in einem wörtlichen Sinne als Veränderung der Form. Diese Metamorphose spiegelte sich in recycelten Objekten wider, die zu neuem Leben erweckt wurden, ebenso wie in der Umgestaltung eines an Brautmode erinnernden Looks, dessen traditionelles Weiß in ein tiefes Rot getaucht wurde.

C.Cool FW25/26 Credits: Andriy Sokolov

Rot, wenn auch ein tieferer Burgunder-Ton, stand auch in der Kollektion der in Lviv ansässigen Marke C.Icon im Mittelpunkt. Das Label begann 2017 mit daunengefüllten Kleidungsstücken zu experimentieren und hat sich von der traditionellen Wahrnehmung von Daunenjacken als reine Sportbekleidung oder lässige Garderobe entfernt, indem es sie in klassische, verspielte und experimentelle Looks integriert hat. In Kiew präsentierte die Marke eine Kollektion, die gesteppte Jacken, lange Mäntel sowie einen Kombi aus einem Anorak und einem Rock in dem bereits erwähnten dunklen Burgunder-Ton umfasste.

Mode mag in Zeiten globaler Krisen unwichtig erscheinen, doch Violett Fedorova, Onlinechefin von Vogue Ukraine, unterstreicht die Kraft der Mode als universelle Sprache: „Seit Beginn des Krieges wurde mir noch bewusster, dass Mode ein mächtiges Werkzeug ist, mit dem man zur Welt sprechen kann. Sie benötigt keine Übersetzung und ist für alle verständlich. Zudem ist sie ein Teil der kulturellen Diplomatie – und lokale Modewochen sind essenziell, um junge Talente zu fördern und ihre Entwicklung sichtbar zu machen.“

FW25
Ukrainian Fashion Week