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Louis Vuitton nach Virgil Abloh: Ein Schiff ohne Kapitän?

Von Jule Scott

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Mode
Louis Vuitton Spin Off Show Frühjahr/Sommer 2022. Foto: Louis Vuitton

Vor einem Jahr nahm die Modewelt Abschied von Virgil Abloh. Sein kreatives Vermächtnis ist ein mächtiges – voller Hoffnung, Inklusion und Streetwear. Abloh galt als Multitalent, war Designer, DJ und Meister der Kollaboration. Der Berufsbezeichnung des Designers konnte er nie viel abgewinnen und beschrieb sich selbst als "Macher" – denn am Ende des Tages ging es für ihn um mehr als Mode. Dennoch ist es sein modisches Erbe, das derzeit für Diskussionsstoff sorgt. Warum ist der von Abloh hinterlassene Kreativdirektor-Posten bei Louis Vuitton seit seinem Tod weiter offiziell unbesetzt?

Louis Vuittons Zukunft ohne Virgil Abloh noch unbekannt

Im Januar, wenige Wochen nach Ablohs Tod, versammelte sich die Modewelt in Paris, um der letzten Modenschau des Designers für Louis Vuitton beizuwohnen. Die Kollektion stand angeblich kurz vor der Fertigstellung, als der Modeschöpfer starb und wurde von dem hauseigenen Herrenmode-Designteam vollendet. Dasselbe Team, das seither drei weitere Kollektionen – Resort 2023, Frühjahr 2023 und Pre-Fall 2023 – für das französische Modehaus auf die Beine stellte und das offiziell ohne kreative Leitung geblieben ist. Man könnte spekulieren, dass Vuitton auf eine Zukunft gänzlich ohne Kreativdirektor hinarbeitet, geht man allerdings davon aus, dass eine Nachfolge für Abloh geplant ist, dann nimmt sich Louis Vuitton hierfür ungewöhnlich viel Zeit. Als Designer Kim Jones das Modehaus nach einer siebenjährigen Ära im Januar 2018 verließ, vergingen lediglich zwei Monate, bis Abloh offiziell zu dessen Nachfolger ernannt wurde.

In vielerlei Hinsicht war es Jones, der das 1854 gegründete und 1997 um Ready-to-Wear erweiterte Modehaus Louis Vuitton mit der Streetwear vertraut machte und somit Abloh den Weg ebnete. Als der Designer 2011 die Herrenkollektion von Vuitton übernahm, waren Sneaker, T-Shirts und auch Jogginganzüge fortan keine Seltenheit mehr, sondern ergänzten moderne Anzüge und Alltagskleidung. Seine Vorliebe für Streetwear gipfelte in der Kooperation der französischen Marke mit dem US-amerikanischen Hype-Label Supreme. Sie wurde im Januar 2017, ein Jahr vor Jones' Abschied enthüllt. Mit der Ernennung von Abloh schien Louis Vuitton letztendlich ihr durch Jones entdecktes Faible für Streetwear zu zementieren.

Ablohs letzte Kollektion für ”Louis Dreamhouse”, Herbst/Winter 2022 Bild: Louis Vuitton

Im Rahmen einer vom Fachmagazin Women's Wear Daily veranstalteten Konferenz Anfang November bestätigte Louis-Vuitton-CEO Michael Burke, dass die französische Luxusmarke es nicht eilig habe, eine Nachfolge für Abloh zu finden. „Wir versuchen nicht, Virgil zu ersetzen, nicht weil er unersetzlich ist, sondern weil er einzigartig ist”, so Burke. Der 65-Jährige arbeitete zuvor mit Karl Lagerfeld bei Fendi – einem Designer, dessen Nachfolge am Tag seines Todes bekannt gegeben wurde – und betonte, dass die Zeit auch in Bezug auf die kreative Zukunft eines Modehauses einige Wunden heilen könne „Glauben Sie mir, es ist extrem schwierig, die Nachfolge von Virgil, Karl [Lagerfeld] oder jemandem von dieser Größenordnung anzutreten, aber mit dem Verstreichen der Zeit wird es für den Nachfolger weniger schwierig, das zu etablieren, was er sagen will, und dafür benötigt es etwas Abstand."

Somit sei die Nachfolge für den Mann, der die Branche dazu aufforderte, "alles in Frage zu stellen" – vor allem das Fundament, auf dem sie steht – noch nicht geklärt, allerdings gab der Louis-Vuitton-Geschäftsführer Einblicke in einen möglichen Entscheidungsfaktor: „Als ich Virgil einstellte, war er noch ein Baby in unserer Branche, dennoch hat er den Pullover ausgefüllt. Ich stelle am liebsten jemanden ein, der den Pullover und die Schuhe im Laufe der Zeit füllt.”

Zwei Marken, ein Erbe?

Off-White, die Streetwear-Marke, die Abloh 2013 auf den Markt brachte, ernannte Ibrahim Kamara – Chefredakteur des Dazed Magazine, renommierter Stylisten und vor allem Freund und Vertrauter von Abloh, – bereits Ende April zu ihrem neuen Art und Image Director. Off-White und Abloh sind synonym, der Designer war die Gallionsfigur seiner Marke, die sein Lebenswerk nun weiterträgt. „Wir haben bewiesen, dass der Tod eines Designers traumatisch ist, aber es ist nicht der Tod der Marke. Nicht bei Vuitton”, sagte Burke gegenüber WWD im Dezember 2021 bei einer Ladeneröffnung in Miami, nur wenige Tage nach Ablohs Tod. Es scheint, als stünde Louis Vuitton nicht nur vor der Aufgabe, das Erbe des verstorbenen Designers, sondern auch die Firmengeschichte der Marke zu bewahren.

Virgil Abloh am Ende seiner Frühjahr/Sommer 2020 Show für Louis Vuitton. Bild: Anne-Christine Poujoulat / AFP

Virgil Abloh wurde im März 2018 zum Künstlerischen Leiter der Herrenmode von Louis Vuitton ernannt und schaffte als erster Schwarzer Kreativdirektor an der Spitze des prestigeträchtigen Modehauses einen neuen Präzedenzfall. Unter Ablohs Leitung machte sich die französische Marke Streetwear zu eigen, kombinierte diese mit klassischer Schneiderkunst und führte einen Wandel in der Welt der Luxusmode bei. Allerdings veränderte Abloh die Branche nicht nur optisch, sondern vor allem systematisch.

Der Sohn ghanaischer Einwanderer war gelernte Bauingenieur und Architekt, hatte keinerlei formelles Designtraining – abgesehen von einem Praktikum bei Fendi. Er regte häufige Vergleiche mit der Figur der Dorothy aus dem Zauberer von Oz an – das Mädchen aus dem Mittleren Westen, das in der fantastischen Welt von Oz Abenteuer erlebt, die jegliche Vorstellungskraft sprengen, wurde auch in Ablohs erster Kollektion für Louis Vuitton zitiert, – und betrat jene Räume, die “Außenseitern” wie ihm so lange verwehrt waren. Abloh wurde Teil des modischen Epizentrums, ruhte sich jedoch nicht auf seinem Erfolg aus, denn diesen wollte er mit anderen Kreativen teilen.

Off-White Herbt/Winter 2019. Bild: Catwalkpictures

„Für mich gibt es eine Ebene der Arbeit und das ist das Designen bei Louis, aber meine eigentliche Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass es sechs junge Menschen gibt, die meinen Job nach mir übernehmen“, so Abloh in einer Episode des Othertone-Podcasts über die Bedeutung seiner Arbeit und seines möglichen Vermächtnisses bei Louis Vuitton. Es ist ein Wunsch, den Louis Vuitton nun in Erfüllung gehen lassen könnte.

Bekennt sich Vuitton zu dem Erbe von Virgil Abloh?

Möglicherweise ist es jedoch gerade der besagte Präzedenzfall, der die Situation für die Marke und Ablohs potenzielle Nachfolge verkomplizieren könnte. Jede Ernennung könnte entweder als ein echtes Bekenntnis zum Erbe Ablohs, das für Veränderung und Fortschritt steht, gewertet werden, oder letztlich seine ursprüngliche “Außenseiterrolle” hervorheben. Das bedeutet nicht, dass nur eine weitere Person of Colour für die Rolle ausgewählt werden sollte, allerdings gibt es viele diverse, häufig übersehene Talente, die sich als würdige Nachfolger:innen für Abloh bewähren könnten – und spätestens seit Michael Burke in der Front-Row der Frühjahr/Sommer 2023 der Designerin Martine Rose saß, brodelt die Gerüchteküche der Modewelt.

Abloh öffnete die Türen, wer wird sie durchschreiten?

Menswear-Designerin Rose ist für den Louis-Vuitton-Mutterkonzern LVMH keineswegs eine Unbekannte – sie war 2018 für den renommierten Preis des Luxuskonzerns für junge Designende nominiert. Auch Modeschöpferin Grace Wales Bonner, die wie Rose, Herrenmode entwirft, und der Designer Telfar Clemens, dessen Fokus auf Unisex-Designs liegt, wurden in verschiedenen Medienberichten als Spitzenanwärter:innen für den offenen Kreativposten gehandelt. Sowohl Wales Bonner als auch Rose würden als erste Schwarze Kreativdirektorin für Männermode für die Marke einen ähnlichen Präzedenzfall schaffen wie einst Abloh, doch das ist keineswegs der einzige Grund für die Spekulationen rund um ihren möglichen Aufstieg an die Spitze von Louis Vuitton.

Martine Rose SS23. Bild: Pitti Imagine

Grace Wales Bonner hat 2016 den LVMH-Preis, für den Rose später nominiert wurde, gewonnen. Beide haben bereits mit Sport- und Sneaker-Giganten zusammengearbeitet: Rose für Nike und Wales Bonner für Adidas. Ein Faktor, der für Vuitton durchaus eine Rolle spielen könnte, war es doch Abloh, der die Brücke zwischen der Luxusmode und der riesigen Welt der Sneakerheads und Streetwear-Fans festigte. Während beide Designerinnen aus England stammen, machte sich Telfar Clemens in den USA einen Namen, bevor er mit seiner "Bushwick Birkin", einer veganen Ledertasche zu einem moderaten Preis, ins globale Scheinwerferlicht katapultiert wurde. Seine Vorliebe für begehrenswerte Taschen und Accessoires könnte für die französische Luxusmarke, deren Hauptaugenmerk seit jeher auf Lederwaren liegt, von besonderem Interesse sein.

Ganz gleich, wer letztendlich in die Fußstapfen von Virgil Abloh bei Louis Vuitton treten wird, der Einfluss des “Machers” in der Modewelt wird höchstwahrscheinlich noch lange zu spüren sein. Aurora James, Designerin und Gründerin der Non-Profit-Organisation Fifteen Percent Pledge, ehrte Virgil Abloh posthum mit dem Board of Trustee's Award bei den CFDA-Awards Anfang November und richtete folgende Worte an ihren Freund und Mentor; „Du hast Schuhe hinterlassen, die viel zu groß sind, um sie zu füllen, aber zu deinen Ehren werden wir das machen, was du uns gelehrt hast, und nicht versuchen, diese unmöglich großen Schuhe zu füllen, sondern stattdessen das Gehen völlig neu erfinden.”

Louis Vuitton hat bisher auf eine Anfrage von FashionUnited nicht reagiert.

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