Identitätskrisen und kreative Übergänge auf der Mailänder Modewoche
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Der Ausdruck „The show must go on“ stammt ursprünglich aus der Zirkuswelt des 19. Jahrhunderts, könnte jedoch ebenso gut für die Modebranche gelten. Schließlich scheint selbst das Fehlen eine:r Kreativdirektor:in – einst das kreative Herzstück einer jeden Marke – keinen fatalen Einschnitt mehr darzustellen. Zumindest in der Theorie. Designteams werden immer häufiger damit betraut, die Lücke zwischen kreativen Leitfiguren zu überbrücken und Kontinuität zu wahren.
Und doch wurden auf der Mailänder Fashion Week viele Präsentationen weniger von den Kollektionen selbst als vielmehr von der Unsicherheit über Schlüsselpositionen und die Zukunft der jeweiligen Modehäuser überschattet.
Abschiede und Fragezeichen
Die Herbst/Winter-Saison 2025 markierte für viele Labels eine weitere Phase des Umbruchs. In den vergangenen Jahren hat sich der Wechsel an der kreativen Spitze zunehmend beschleunigt. Doch während Spekulationen über Abgänge und Neubesetzungen meist Wochen vor oder nach einer Show kursieren, ist es selten, dass eine Runway-Präsentation selbst den Abschied von Kreativdirektor:innen bestätigt.
Genau das geschah jedoch bei Jil Sander. Kaum hatten Luke und Lucie Meier den Laufsteg verlassen – nach einer Kollektion, die sich deutlich von ihrem ursprünglich sanften, femininen Ansatz für das Haus entfernte und von Schwarz dominiert wurde –, da war ihr schon lange vermuteter Abschied praktisch besiegelt.
Wenige Stunden später folgte die offizielle Pressemitteilung, doch für die Anwesenden hatte sich der Moment der Bestätigung bereits zuvor abgespielt, als Renzo Rosso, CEO der Jil Sander-Muttergesellschaft OTB, dem Duo backstage mit einem üppigen Blumenstrauß begegnete – ein schier unmissverständliches Zeichen. Die einzige verbleibende Frage daraufhin: Warum die plötzliche Eile, sie zu verabschieden, und wer wird nachfolgen?
Glenn Martens blieb ein derart öffentlicher Abschied bei Diesel erspart. Gerüchte halten sich allerdings hartnäckig, dass es seine letzte Show für die Marke gewesen sein könnte, bevor er innerhalb von OTB in seine neue prestigeträchtigere Rolle als Kreativdirektor von Maison Margiela wechselt.
Sollte die Herbst/Winter-Saison 2025 tatsächlich sein Ende bei Diesel markieren, wäre es ein passender Abschluss. Martens spielte einmal mehr seine Stärken aus und kombinierte Gegensätze. So traf etwa „Working-Class“-Denim auf Tweed und Bouclé, Stoffe, die einst Coco Chanel favorisierte. Auch die Silhouetten changierten zwischen extremen, etwa hohen Taillen und tief sitzenden Bundhöhen, die an Alexander McQueens berüchtigte „Bumster“-Hosen erinnerten.
Martens war jedoch nicht der Einzige, über dessen Abschied spekuliert wurde. Auch Versace könnte vor einem Führungswechsel stehen – und das nicht nur auf kreativer Ebene. Capri Holdings, der US-amerikanische Mutterkonzern des Hauses, soll Berichten zufolge nach einem Käufer für das italienische Luxuslabel suchen.
Versace, die einzige Luxusmarke in einem ansonsten von Michael Kors geprägten Portfolio, war innerhalb von Capri Holdings stets ein Sonderfall. Doch die Spekulationen über eine mögliche Übernahme durch die Prada-Gruppe werfen neue Fragen auf.
Trotz der klaren Luxuspositionierung beider Marken erscheint diese Verbindung nicht unmittelbar schlüssig. Ob der angeblich 1,5 Milliarden Euro schwere Deal zustande kommt, bleibt abzuwarten. Sollte es tatsächlich dazu kommen – und sollte Donatella Versace zeitgleich das Unternehmen verlassen –, wäre die Herbst/Winter-Saison 2025 jedoch kein würdiger Abschied für eine Designerin, die das Haus über Jahrzehnte hinweg durch Höhen und Tiefen geführt hat.
Die Kollektion selbst wirkte wie eine hektische Tour durch das Archiv der Marke – eine Hommage, die sich in erster Linie auf Gianni Versace, den 1997 ermordeten Gründer des Labels, bezog. Seit ihrem plötzlichen Aufstieg zur Kreativdirektorin nach seinem Tod hat Donatella immer wieder auf seine Ästhetik zurückgegriffen. Dieses Mal fühlte sich das Ergebnis jedoch weniger nach einer bewussten Referenz an, sondern wirkte eher wie ein überladenes, unzusammenhängendes Sammelsurium – chaotisch statt provokant, sexy oder spielerisch.
Wie lässt sich Geschichte umschreiben, ohne die Identität zu verlieren?
Die Modebranche müsste inzwischen gelernt haben, dass neue Kreativdirektor:innen und ein radikaler Stilbruch nicht zwangsläufig die Lösung für Markenprobleme sind. Wenn überhaupt, dann sollte Sabato De Sarnos kurzer Aufenthalt bei Gucci als warnendes Beispiel dienen.
Von Anfang an stand De Sarno vor einer undankbaren Aufgabe: Er sollte die von Alessandro Michele geprägte opulente Maximalismus-Ästhetik eliminieren und Gucci in Richtung einer reduzierten, zeitlosen Eleganz führen. Auf dem Papier mochte diese Strategie für Kering, Guccis Mutterkonzern, sinnvoll erscheinen – doch in der Praxis blieb der Erfolg aus und De Sarno nach nicht einmal zwei Jahren wieder entlassen.
Seine Abwesenheit führte dazu, dass die Herbst/Winter-Kollektion 2025 erneut vom Inhouse-Designteam entworfen wurde – derselben Gruppe, die bereits nach Micheles Weggang die Übergangsphase überbrückt hatte. De Sarnos Einfluss war allerdings sehr wohl noch spürbar. Kastenförmige Tweed-Tuniken und 60er-Jahre-Referenzen erinnerten an seine letzte Kollektion für die Marke, aber auch Anklänge an andere Gucci-Ären waren spürbar.
Und darin könnte die größte Herausforderung der Marke liegen. Ein Problem, das in den Show-Notizen, die keinerlei Erwähnung von De Sarno enthalten, deutlich wurde. Stattdessen sprach das Haus von den „vielen Eigentümer:innen und Hüter:innen“ von Gucci, eine Anerkennung der zahlreichen kreativen Persönlichkeiten, die ihre Identität geprägt haben. In der Tat hat die Marke viele solcher Hüter:innen erlebt, von denen einige so bleibende Spuren hinterließen, dass sie für eine Zeit nicht nur Guccis Ästhetik, sondern das gesamte Erbe der Marke definiert haben.
Es ist unbestreitbar, dass die Ära von Tom Ford und in jüngerer Zeit die von Michele die Geschichte des Hauses tiefgreifend geprägt haben. Aber was bleibt Gucci nun, abgesehen von den bleibenden Gespenstern vergangener Kreativdirektor:innen – insbesondere, wenn diese gänzlich unterschiedliche Visionen für die Marke verfochten haben? Es ist eine Frage, die der oder die nächste Designer:in beantworten muss – hoffentlich mit mehr Erfolg als De Sarno.
Das Fehlen eines neuen Kreativdirektors lässt sich leichter übergehen, wenn es etwas anderes zu feiern gibt – und so umschiffte Fendi geschickt die noch ausstehende Nachfolge von Kim Jones mit einer traditionsreichen Jubiläumsshow zum 100-jährigen Bestehen des italienischen Luxuslabels.
Die Jahrhundertfeier geriet zu einer echten Familienangelegenheit: Silvia Fendi kehrte zurück, um die Damenkollektion zu entwerfen – eine Aufgabe, die sie bereits an der Seite von Karl Lagerfeld und später mehrere Saisons allein meisterte, bevor Jones die kreative Leitung übernahm. Für die Co-Ed-Show zum Jubiläum griff Fendi jedoch nicht ausschließlich auf das Archiv zurück, sondern ließ vielmehr ihre eigenen Erinnerungen an die Marke einfließen, die 1977 ihre erste Ready-to-Wear-Kollektion lancierte.
Die Kollektion zelebrierte klassische Eleganz mit täuschend echten Mink-Mänteln, doch auch Wollmäntel spielten eine Rolle. Ikonische Taschen wie die Peekaboo und die Spy Bag erhielten moderne Updates, darunter flauschige Texturen und eine gefeierte Neuauflage. In der Herrenkollektion sorgten asymmetrische Revere, bodenlange Pelzstolen und kräftige Kontraste für eine subversive Neuinterpretation klassischer italienischer Schneiderkunst – eine verspielte, aber durchdachte Weiterentwicklung, die sich aus der Markengeschichte ableitete, ohne sich allein auf Vergangenes zu stützen.
Die Balance zwischen Alt und Neu, Archiv und Innovation ist zweifellos eine Herausforderung – ebenso wie es kaum möglich war, sich in dieser Saison auf neue Debüts zu konzentrieren, die angesichts zahlreicher personeller Veränderungen beinahe untergingen. Dennoch gab es sie: Lorenzo Serafini präsentierte seine romantisch-moderne Vision für Alberta Ferretti, nachdem die Gründerin und Namensgeberin des Hauses in der vergangenen Saison zurückgetreten war.
Sein Fokus lag auf fließenden, gerüschten Kleidern und bestickten Korsagen – Elemente, die, wenn auch in dunklerer, fast gotischer Stimmung, ebenso bei Blumarine zu finden waren. Dort läutete David Koma mit seiner ersten Kollektion einen Richtungswechsel ein und verabschiedete sich von den pastellfarbenen Y2K-Entwürfen der Vergangenheit.
Eine konstante Größe
Prada, eines der wenigen Luxuslabels, das sich dem unermüdlichen Kreativdirektoren-Karussell der Branche ebenso wie pompösen Jubiläumsinszenierungen entzieht, bot in Mailand eine verlässliche Konstante. Ihr Einfluss reichte jedoch weit über den eigenen Laufsteg hinaus. Anklänge an Pradas charakteristische ‘ugly-chic’ Ästhetik der 1990er-Jahre fanden sich auch anderswo, etwa bei Gucci, wieder. Doch vielleicht liegt Pradas nachhaltige Prägung der aktuellen und vergangenen Saisons an einer simplen Tatsache: Das Erfolgsrezept funktioniert. Der Beweis liegt in den Zahlen – während viele Luxusmarken mit schwankender Nachfrage und veränderten Konsumvorlieben ringen, bleibt Prada eine stabile Größe.
Das Interesse vieler Designer:innen an Prada ist allerdings nicht nur wirtschaftlich motiviert. Anders als zahlreiche Mailänder Modehäuser hat Prada stets eine klare Identität bewahrt und sich nie über die Maßen neu erfunden. Seit Jahrzehnten setzt sich das Haus mit Themen wie Intellektualität, unkonventioneller Schönheit und der Darstellung unerreichbarer weiblicher Ideale auseinander. Heute, in einer Zeit, die Perfektionismus, normierte Schönheit und eine Rückkehr zu traditioneller Weiblichkeit zelebriert, gewinnen diese Fragen neue Relevanz.
Das Design-Duo Miuccia Prada und Raf Simons reagieren darauf mit einer Kollektion, die als stilistischer Gegenentwurf zur aktuellen soziopolitischen Strömung dient. Die Prada-Frau bleibt das Gegenteil von unterwürfig und häuslich. Zwar gab es Anspielungen auf Stepford-Wife-Klischees – florale Tageskleider, kleine Schwarze und Pyjama-Ensembles –, doch wurden diese stets subtil dekonstruiert und verfremdet. Der Balanceakt erwies sich jedoch als Herausforderung: Die absichtlich zerknitterten Silhouetten und bewusst unperfekten Schnitte drohten mitunter, ins Unvorteilhafte abzurutschen.
Ob sich Spuren davon in der kommenden Saison auf anderen Laufstegen wiederfinden werden oder ob noch weitere Veränderungen – bei Prada oder anderen Mailänder Häusern – bevorstehen, bleibt abzuwarten. Die Modebranche lebt seit jeher von Neuerfindung, doch diese Saison hat einmal mehr gezeigt, dass der ständige Wechsel an der kreativen Spitze nicht zwangsläufig eine klare gestalterische Vision mit sich bringt. Stabilität, wo sie existiert, ist selten und zunehmend wertvoll. Letztlich sind es nicht die Marken, die den Zyklus mitlaufen, sondern jene, die ihn definieren, die Bestand haben. Und so bleibt Mailand vorerst eine Stadt im Wandel – geformt gleichermaßen von denen, die gehen, wie von denen, die nachrücken.