Große Namen, kleine Wirkung: Wenn Debüts zwischen Hype und Bedeutungslosigkeit schwanken

Von Jule Scott

13. Juni 2025

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Mode|Kommentar
Alessandro Michele am Ende der Valentino FS25-Show Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Debüts von Designer:innen waren einst eine Seltenheit und verliehen den Fashion Weeks eine Aura von Aufregung und Neuheit, wie sie nur der Gedanke an eine wandelbare Markenidentität hervorrufen konnte. Heute vergeht kaum eine Modesaison ohne eine Handvoll solcher “Premieren”.

Und obwohl sie spannend sein sollten, haben ihre schiere Anzahl – gepaart mit der Tatsache, dass manche Kreative nicht einmal über ihre erste Saison hinauskommen – sie zu einem notwendigen Übel in einer Branche gemacht, in der große Marken zunehmend damit kämpfen, sich in einem sich wandelnden Luxusmarkt zu behaupten.

Mit dem aktuellen Tempo erscheint es beinahe zwecklos, eine vollständige Liste aller aufkommenden Debüts zusammenzustellen. Nachrichten über kreative Wechsel gehören längst zum Alltag und 2025 deutet sich bereits jetzt als ein Jahr mit einer nie dagewesenen Anzahl an neuen Design-Verantwortlichen an. Doch was erhoffen sich Marken von einem kreativen Neuanfang? Was definiert einen wirklich erfolgreichen Übergang? Und vielleicht noch entscheidender: Was sagen diese Entscheidungen über ihre Zukunftsvision, die Ambitionen und das Selbstverständnis aus?

Warum ist kontinuierliche Kreativität nicht mehr in Mode?

Debüts waren schon immer eine entscheidende Bewährungsprobe für Marken und deren Erbe. Doch während Designer:innen früher ganze Saisons – manchmal Jahre – Zeit hatten, sich zu beweisen und die Geschichte eines Hauses weiterzuschreiben, sind solche Gelegenheiten heute rar geworden. Die Ära der langjährigen Kreativdirektionen neigt sich dem Ende zu. Karl Lagerfelds berüchtigte lebenslange Zugehörigkeit zu Chanel war schon immer eine Ausnahme, doch früher war es durchaus üblich, dass Kreative ein Jahrzehnt oder länger ein Haus prägten.

Marc Jacobs definierte Louis Vuitton von 1997 bis 2014, während John Galliano ganze 14 Jahre bei Dior blieb – bis zu seinem abrupten Abgang. Das heißt nicht, dass es keine langjährigen Kreativleitungen mehr gibt. Olivier Rousteing ist seit 2011 nahezu untrennbar mit Balmain verbunden, und Nicolas Ghesquière scheint Jacobs’ Amtszeit bei Louis Vuitton womöglich sogar noch zu übertreffen. Dennoch, solche treuen Konstellationen werden seltener.

Diese Entwicklung spiegelt einen grundlegenden Wandel im Verhältnis zwischen kreativen Köpfen und den Luxusmarken wider, die sie führen. Die Beziehung war schon immer komplex. Eine visionäre Person kann ein Haus revolutionieren, Aufmerksamkeit erzeugen, kulturelle Relevanz schaffen und im Idealfall auch wirtschaftlichen Erfolg bringen. Heute jedoch verschwimmen die Grenzen zwischen Designer:in und Marke zusehends.

Man denke an Demna Gvasalias siche dem Ende neigenden Ära bei Balenciaga, Alessandro Micheles beinahe wundersame Transformation von Gucci oder Riccardo Tiscis Zeit bei Givenchy. Sie alle stellten die Marken gewissermaßen auf den Kopf. Doch das eigentliche Problem zeigt sich oft erst nach dem Abklingen des Hypes, wenn die Designer:innen – die mitunter zur Verkörperung der Marke geworden sind – das Haus verlassen und damit eine Lücke hinterlassen, die kaum zu füllen ist.

Genau das ist mittlerweile zu einer der größten Hürden der Branche geworden. Immer mehr Designer:innen verlassen langjährige Positionen auf der Suche nach neuen Herausforderungen – oft nehmen sie ihre charakteristische Formsprache gleich mit. Ihre Nachfolger:innen wiederum sind häufig schon wieder verschwunden, bevor sie richtig angekommen sind. Das Lücke erweist sich oftmals einfach als zu groß.

Wenn Designerbe zur Last wird

Gucci ist mittlerweile beinahe zu einem Paradebeispiel – oder vielmehr zu einer warnenden Lektion – für die Folgen geworden, die ein überlebensgroßer Designer mit sich bringen kann. Wobei kaum eine Geschichte so deutlich mahnt wie Ludovic de Saint Sernins kurze Amtszeit bei Ann Demeulemeester: eine einzige Saison – nicht, dass die Marke die kommerzielle Tragfähigkeit von Saint Sernin hätte voraussehen können. Er war bereits verschwunden, bevor seine Kollektion überhaupt in den Läden hing.

Der Kampf von Gucci, sich nach dem Weggang eines kreativen Visionärs neu zu positionieren, zeigt jedoch eindrucksvoll, wie schwierig es ist, eine Marke umzugestalten, sobald sich eine prägende Ästhetik einmal durchgesetzt hat. Als sich das Modehaus von Alessandro Michele trennte – jenem Designer, der den Umsatz von Gucci während seiner siebenjährigen Amtszeit auf über zehn Milliarden Euro mehr als verdoppelte – begann das rasante Wachstum zu stocken.

Ungeduldig, wie die Modebranche nun einmal ist, entschloss sich der Mutterkonzern Kering zu einem radikalen Kurswechsel: Die überschwängliche Opulenz Micheles wurde durch eine minimalistischere, stärker kommerziell ausgerichtete Vision ersetzt.

Doch die besten Absichten scheiterten. Der als „kommerziell“ gelabelte Ansatz fand bei den Kund:innen keinen Anklang – und auch nicht bei Michele-Nachfolger Sabato De Sarno. Er wehrte sich öffentlich gegen den Begriff. In einem Interview mit dem Branchenmagazin Vogue Business nannte er die entsprechende Kritik „Bullshit“. Und tatsächlich, die wirtschaftlichen Erfolge, die man von einem kommerziell ausgerichteten Konzept erwarten könnte, blieben aus.

Heute ist De Sarno nicht mehr als ein Kapitel in Guccis Geschichte, ein Übergang zwischen zwei Giganten: Michele und dem neuen Hoffnungsträger Demna Gvasalia. Seine Berufung mag nicht überall auf Begeisterung stoßen, doch eines hat sie bereits geschafft, was De Sarno verwehrt blieb: Sie polarisiert.

Wir aus Balenciaga bald Gucci? Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Gvasalias Verpflichtung ist ein weiterer Kurswechsel – und ein aufschlussreicher noch dazu. Während Gucci bislang eher dafür bekannt war, neue Stars hervorzubringen – etwa einen jungen Tom Ford oder Alessandro Michele –, handelt es sich bei Gvasalia erstmals in der über hundertjährigen Geschichte des Hauses um eine:n Kreativdirektor:in mit bereits etablierter Handschrift.

Ob seine nachgewiesene Branchenerfahrung Kering näher an das Ziel bringt, sich als zeitlose Luxusmarke nach dem Vorbild von Hermès zu positionieren – oder ob dieses Ziel längst aufgegeben wurde zugunsten von Gvasalias eigener Vision – bleibt abzuwarten. Doch eines steht bereits fest: Seine erste Kollektion, zu einem bislang unbestätigten Zeitpunkt, wird nicht unbemerkt bleiben.

Das lässt sich überraschenderweise nicht über jedes Debüt sagen. Inmitten der Flut an neuen Visionen und ersten Kollektionen verschwinden viele, die weder durchfallen noch begeistern, in der Bedeutungslosigkeit. Lorenzo Serafinis erste Kollektion für Alberta Ferretti und David Comas für Blumarine etwa blieben weitgehend unbeachtet – ein Zeichen für eine gefällige Mittelmäßigkeit, die weder Fragen aufwarf noch Begeisterung auslöste. Und sie sind bei weitem nicht die Einzigen. Selbst Sean McGirrs Debüt bei Alexander McQueen – der erste Designer ohne Verbindung zum Namensgeber – löste bei seiner Präsentation im März des Vorjahres nur verhaltene Reaktionen aus. Trotz eher negativer Kritiken ist es seither auffallend ruhig um ihn geworden. Zwar scheinen seine Kollektionen an Profil zu gewinnen, doch das öffentliche Interesse hält sich in Grenzen – ein mögliches Zeichen dafür, dass Debüts heute nicht mehr automatisch als PR-Moment genutzt werden (können), da ihnen das einstige Überraschungsmoment fehlt.

Natürlich gibt es auch die Shootingstars, deren Debüt wie ein lang ersehnter frischer Wind wirkt. Eine Seltenheit, obwohl Mode technisch gesehen auf der Idee der Neuheit basiert. Früher wäre Michele bei Gucci das beste Beispiel dafür gewesen, aber in jüngster Zeit wäre es fahrlässig, Chemena Kamali nicht hervorzuheben. Ihr Debüt bei Chloé hat nicht nur die Marke wieder fest in den 70er Jahren verankert – wenn auch mit einem modernen Twist –, sondern auch unterstrichen, wie transformativ ein Debüt sein kann, wenn die Sterne, eine Marke und der Designer:innen, in Einklang stehen. Doch was hat ihr Debüt von anderen abgehoben und was sagen all diese jüngsten Debüts – von denen einige strategisch unterschiedlicher nicht hätten sein können – über den aktuellen Zustand der Mode aus?

Ein Debüt mit Feingefühl?

Das Beispiel, das Kamali bei Chloé gesetzt hat, galt lange Zeit als Blaupause für ein Debüt in der Modebranche: eine Brancheninsiderin, die der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt war, mit einer beeindruckenden Bilanz hochkarätiger Design-Positionen und einer tiefen Vertrautheit mit der Marke, für deren Leitung sie eingestellt wurde. Nicht nur aus der Perspektive einer Außenstehenden, sondern aus erster Hand. Kamali war in einigen der prägendsten Jahre von Chloé dabei, zunächst unter Phoebe Philo und später als Design-Direktorin während der Amtszeit von Clare Waight Keller.

Chloé FW24 Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Seit sie die Leitung des traditionsreichen französischen Modehauses übernommen hat, ist Kamali nur selten in der Öffentlichkeit aufgetreten und hat nur wenige Interviews gegeben, aber sie scheint den Geist dessen zu verkörpern, was oft als „Chloé-Girl” bezeichnet wird – bohemian, feminin und freigeistig. Diese Übereinstimmung mit der Identität der Marke wirkte wie die Krönung eines Debüts, das mühelos zu gelingen schien.

Optisch hat Kamali die Marke nicht neu erfunden, sondern sich auf ein Gefühl von Nostalgie und Déjà-vu gestützt und dabei auf Erinnerungen an vergangene Epochen zurückgegriffen. Sie verweist oft auf Karl Lagerfelds Zeit bei Chloé als wesentlichen Einfluss, doch die starken Anklänge an die 2000er und 2010er Jahre sind unverkennbar. Ihre Neuauflage der ikonischen Paddington-Tasche, die erstmals in der Frühjahr/Sommer-Kollektion 2005 vorgestellt wurde, ist eine der vielen deutlichen Anspielungen auf diese Zeit. Mit einer Fülle von Volants, Volumen und Verspieltheit ist es Kamali gelungen, Nostalgie in etwas Neues zu verwandeln, ohne dabei die etablierten Codes, das Erbe und die willkommene Vertrautheit des Hauses aus den Augen zu verlieren.

Debatte um Debüts: Von authentischer Kontinuität zu vorhersehbaren Formeln

Dieser Ansatz mag zwar als naheliegende Wahl, ja sogar als Voraussetzung für alle Kreativdirektor:innen erscheinen, die sich einer traditionsreichen Marke wie Balenciaga oder Dior annehmen, doch die jüngste Geschichte zeigt etwas anderes. Immer häufiger neigen Marken und Designer:innen dazu, bereits ausgereifte kreative Visionen in neue Kontexte zu übertragen. Viele zeitgenössische Modeschöpfer:innen machen weiterhin das, was sie am besten können – oft ohne ihre Ästhetik an die historische DNA des Hauses anzupassen, das sie leiten. In diesem Klima wirkt Kamalis Ansatz, der auf Respekt für die Vergangenheit von Chloé basiert und diese gleichzeitig behutsam neu interpretiert, sowohl selten als auch erfrischend.

In letzter Zeit gibt es für jedes Debüt, das auf Authentizität und Kontinuität basiert, unzählige andere, bei denen die Geschichte weniger als Inspiration, sondern eher als Rechtfertigung herangezogen wird. Das Erbe wird neu verpackt, um einer Erzählung zu entsprechen, und Archive werden nach Belegen durchforstet, die die Vision der Kreativen mit einer Marke verbinden. Egal wie schwach die Verbindung auch sein mag, solange sie letztendlich dem gewünschten Ziel dient.

Was genau dieses Ziel ist, scheint jedoch unterschiedlich zu sein. In vielen Fällen soll die Ernennung selbst für Aufsehen sorgen, noch bevor auch nur eine einzige Skizze veröffentlicht wurde. Spekulationen und Hype sorgen für Aufruhr, der durch die sozialen Medien noch verstärkt wird. Ob dieser Wirbel zu langfristiger kultureller Relevanz oder kommerziellem Erfolg führt, ist eine ganz andere Frage. Denn obwohl Algorithmen Disruption belohnen mögen, ist es in einer zunehmend volatilen Branche vielleicht eher Beständigkeit und nicht Neuheit, die die Verbraucher:innen wirklich suchen. Es ist diese Spannung – zwischen dem Bedürfnis nach sofortiger Aufmerksamkeit und dem Wunsch nach nachhaltiger Wirkung –, die für viele im Mittelpunkt der aktuellen Debatte um Debüts steht.

Das und die Tatsache, dass die meisten kreativen Debüts heutzutage zunehmend vorhersehbar wirken. Es sind immer dieselben Namen, die herumgereicht werden: Gvasalia, Michele, Piccioli – sie sind bereits etabliert und brauchen keine Vorstellung mehr. Ihre Ernennungen garantieren zwar eine eingebaute Fangemeinde, aber auch eine weitgehend vorbestimmte Ästhetik. Micheles erste Show für Valentino kam einem unheimlich bekannt vor. Nicht wegen seiner Anspielungen auf die Vergangenheit des Hauses, so vage diese auch sein mögen, sondern weil sie im Wesentlichen nach Michele aussah. Die Vision hatte sich nicht geändert, nur der Name an der Tür.

(links) Valentino FW25, (rechts) Gucci SS20, beide von Alessandro Michele Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Gucci war im Wesentlichen zu Valentino geworden. Und auch wenn Kering erklärt hat, dass Gvasalias Vision für Gucci sich von dem unterscheiden wird, was er in den letzten zehn Jahren bei Balenciaga geschaffen hat, muss sich dies auch erst noch zeigen.

Geht die ‘Reise nach Jerusalem’ weiter?

In gewisser Weise ist es sinnvoll, sich auf das Offensichtliche zu verlassen. In Zeiten finanzieller Unsicherheit im Luxussektor ist die Ernennung eines Kreativdirektors mit einer klar definierten und erkennbaren Vision eine sichere Wahl. Die Marken wissen, was sie bekommen, es gibt keine Überraschungen und kein echtes Risiko. Anstatt sich auf das Unbekannte einzulassen, verlassen sich viele Marken auf bewährte Formeln und gehen davon aus, dass das, was einmal funktioniert hat, auch wieder funktionieren wird. In diesem Zusammenhang bietet eine Debütkollektion jedoch nicht mehr den Reiz einer frei zum Ausdruck gebrachten Vision oder einer einzigartig gestalteten Erzählung. Stattdessen wird sie zu einem Stresstest für die Marktattraktivität.

Diese Dynamik hat Debüts von einem Moment der Erkundung und des Ausdrucks zu standardisierten Metriken für Erfolg gemacht, wie auch immer dieser definiert sein mag, denn die kommerzielle Rentabilität – zumindest bei Verbraucher:innen und nicht bei Einkäufer:innen – kann bis zu drei Saisons dauern, bis sie sich einstellt. Designer:innen haben heute selten diese Zeit und können sich kaum richtig in ihre Rolle einfinden, da ihre Position ständig gefährdet ist. Ohne Zeit werden die meisten Kreativdirektor:innen weiterhin zu Fußnoten in einem endlosen Wechsel von sicheren Wetten und verpassten Chancen. Oder sie bekommen vielleicht gar keine Chance.

Das Ergebnis? Ein wachsendes Gefühl der Vorhersehbarkeit, bei dem neue Kreative und sogar die Marken selbst sich völlig austauschbar anfühlen. Es gibt eine ständige Wiederholung, die dem schwindelerregenden Spiel „Reise nach Jerusalem” ähnelt, bei dem immer dieselben zehn bis fünfzehn Namen von Haus zu Haus weitergereicht werden. Ohne eine ernsthafte Neukalibrierung, Bekräftigung und Wiederentdeckung der Identität seitens der Marken wird dieser Kreislauf wahrscheinlich nicht so schnell enden – auch wenn die meisten vakanten Posten an der kreativen Spitze nach Monaten des Umbruchs langsam, aber stetig besetzt wurden.

Alessandro Michele
Chemena Kamali
Chloé
Demna Gvasalia
Fashion Week
Sabato De Sarno