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Frankreich: Wo steht die Modeindustrie angesichts ihrer ökologischen und sozialen Herausforderungen?

Von Florence Julienne

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Mode

Bild: Paris Good Fashion. Raphael Glucksmann. @p.Sagnes

Volles Haus: Die Diskussionsrunden zur Präsentation der von ‚Paris Good Fashion X Climate Chance‘ initiierten Studie waren gut besucht. Schließlich ging es im Amphitheater des Institut Français de la Mode über die Strategie der französischen Modebranche im Bereich der nachhaltigen Entwicklung.

Das von Paris Good Fashion (PGF) vorgestellte Dokument soll ein Werkzeug für Transformationsprojekte sein. Es soll ermöglichen, Visionen zu teilen und Dynamiken zu unterstützen. „Es ist das erste Mal, dass 24 französische Akteur:innen der Textilindustrie ihre Daten zu den Schlüsselthemen Klima, Biodiversität, Zirkularität, Produktion und soziale Fragen der Unternehmensführung austauschen“, sagte Sylvie Bénard, Vorsitzende der Branchenorganisation Paris Good Fashion.

Paris Good Fashion ist eine 2019 gegründete Vereinigung nach dem Gesetz von 1901, die Fachleute zusammenbringt, die sich dafür einsetzen, den Wandel in der Modeindustrie voranzutreiben. PGF vereint mehr als 100 Mitglieder, darunter Balzac, Chanel, Chaussettes Orphelines, Richemont, die Etam-Gruppe, Galeries Lafayette sowie die wichtigsten französischen Verbände und Schulen.

„Um Fortschritte zu machen, muss man sich messen können und sich mit wissenschaftlichen Werkzeugen im Dienste einer globalen Vision ausstatten“, erklärte Isabelle Lefort, Mitbegründerin von PGF und Moderatorin des Vormittags. Die Methode ergänzt öffentliche und nicht öffentliche Daten von 24 Unternehmen durch Interviews mit einem Panel von 50 Fachleuten der französischen Modebranche, die 2021 einen Umsatz von etwa 70 Milliarden Euro repräsentieren.

Der Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann eröffnete die Debatte und erinnerte an die ‚Vorbildfunktion der Mode’: „Diese Konferenz findet im Vorfeld der großen Revolution statt, am Ende eines Zyklus, jenem einer Globalisierung ohne Regeln, der durch die Zerstörung des Klimas, der Menschenrechte und des übermäßigen Konsums gekennzeichnet ist. Themen, die sich langfristig mit der Frage der Autonomie und der Wiedererlangung der Kontrolle über unser Schicksal überlagern werden.”

25 Unternehmer:innen, Ökonom:innen und CEOs, nahmen anschließend an den fünf thematischen Rundtischgesprächen teil und brachten ihre Erkenntnisse und Überlegungen ein, die in Zukunft helfen sollen, im Sinne der Transformation zu handeln.

Bild: Paris Good Fashion. Links: Sylvie Bénard. Rechts: Isabelle Lefort. Credit: P.Sagnes

Die Faserproduktion ist die größte Quelle von Treibhausgasemissionen

Im Bestreben, sich der wissenschaftlichen Forschung und zuverlässigen Daten zu nähern, wies Ronan Dantec, Senator und Vorsitzender von Climate Chance, während des ersten Gesprächs auf die Rolle seiner Beobachtungsstelle hin. Man solle „die Logik der Verpflichtungen hinter sich lassen und in wissenschaftliche Überlegungen darüber einsteigen, wie diese Verpflichtungen eingehalten werden können.“

Climate Chance ist seit 2015 die einzige internationale Vereinigung, die versucht, alle nichtstaatlichen Akteur:innen durch ihre Vernetzung, die Analyse und den Austausch von Informationen zu vereinen und zu unterstützen, um so zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens beizutragen.

Die Transparenz der Unternehmen in Bezug auf ihre Klimaauswirkungen nimmt zu. In Unternehmen sind Positionen im Bereich Corporate Social Responsibility noch relativ neu und nehmen zu, auch auf der Ebene der Exekutivausschüsse. Die Messungen der Umweltauswirkungen ist uneinheitlich und die Textilunternehmen haben immer noch Schwierigkeiten, Pläne für den Übergang zum nachhaltigeren Wirtschaften bis 2050 zu formulieren.

Modeunternehmen gehen viele Verpflichtungen bei der Versorgung mit erneuerbaren Strom und der Reduzierung des Transportbedarfs ein, aber nur wenige in Bezug auf Faserproduktion und industrielle Prozesse.

Die meisten Kohlenstoffdioxid-Emissionen entstehen in der vorgelagerten Produktionskette, bei der Herstellung und Rohstoffgewinnung. Zu den wichtigsten Emissionsquellen gehören der Anbau und die Gewinnung von Baumwolle und synthetischen Fasern, die Herstellung einschließlich Weben, Gerben, der Transport, die Auslieferung und der Gebrauch. Die Faserproduktion stieg von 8,4 Kilogramm pro Person im Jahr 1975 auf 14 Kilogramm pro Person 2020 und könnte laut Textile Exchange bis 2030 auf 17,5 Kilogramm pro Person ansteigen. Insbesondere Kunstfasern, die fast zwei Drittel der produzierten Fasern ausmachen – wobei 54 Prozent davon allein auf Polyesterfasern entfallen – die seit den 1990er Jahren die Baumwollproduktion überholt haben.

Bild: Paris Good Fashion. Credit: F Julienne

Das Problem der Umweltverschutzung durch synthetische Mikrofasern ist riesig

Fünf Unternehmen erwähnten die Wasserverschmutzung durch Plastik und Mikrofasern, aber es werden nur wenige konkrete Ziele gesetzt. Die Verwendung von Natur- oder Zellulosefasern oder die Verbesserung der physischen Haltbarkeit der Produkte tragen dazu bei, die Geschwindigkeit des Abbaus und die Freisetzung von umweltschädlichen Mikrofasern zu reduzieren. Zwei Wege sind klar identifiziert, um die Auswirkungen der Faserproduktion im Besonderen und der Rohstoffe im Allgemeinen (pflanzlich oder tierisch) zu reduzieren: die Beimischung von recycelten Materialien und der Einsatz von biologischer Landwirtschaft.

Unter dem Druck des Gesetzgebers (AGEC-Gesetz Art. 13, Umweltkennzeichnung) in den letzten drei Jahren haben sich die Schritte, die benötigt werden, um durch Transparenz und Rückverfolgbarkeit eine Sichtbarkeit und Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette zu erreichen, vervielfacht. Die Mehrheit des für die Studie befragten Panels hat sich dank der Begleitung durch spezialisierte Dienstleistungs-Unternehmen wie CrystalChain, Fairly Made, Good Fabric, Trustrace in dieses Programm begeben.

Bild: Paris Good Fashion. Credit: F Julienne

Eine französische Textilrecyclingkette wäre ein echter französischer Wettbewerbsvorteil

Frank Gana, Gründer von (Re)set hat die Gespräche mit drei internationalen Unternehmen vorangetrieben. Diese könnten Produktionsstätten in den französischen Regionen Aquitaine, Hauts de France und Provence Alpes Côte d'Azure einrichten.

Sophie Hersan, Mitbegründerin von Vestiaire Collective, erinnerte daran, dass jede Woche 15 Millionen Textilprodukte in Ghana ankommen, von denen 60 Prozent unbrauchbar sind. Zusammen mit Paris Good Fashion und einem kleinen Ausschuss von Interessenvertreter:innen gab das Resale-Unternehmen eine Studie in Auftrag, mittels derer es die Textilabfallströme besser verstehen will, die zur Erstellung eines „Positionspapiers“ für die europäische Kommission und das Parlament führen soll, um den Export von Altkleidern zu regulieren.

Für eine bessere Regulierung des Exports von Altkleidern hat Paris Good Fashion eine Arbeitsgruppe initiiert. (Re)Paire bietet Eigenmarken-Schuhmacherei-Lösungen und Schulungen für Schuhmacher an. Eine Arbeitsgruppe zu Kleiderbügeln und Polybags aus Kunststoff befindet sich in der Phase der Feldversuche. Erste Rückmeldungen zeigen, dass die weltweite Umweltverschmutzung insgesamt noch zu niedrig eingeschätzt wird.

Die Maßnahmen zur Förderung von wiederverwendbarem Versanmaterial werden fortgesetzt, dazu gehören Kampagnen wie Paris Good Fashion x http://Make.org, die in Frankreich auf 600.000 Decaux-Schildern durchgeführt wurde. Der nächste Schritt besteht darin, die Hauptakteur:innen des Online-Handels wie Vinted oder Amazon anzusprechen, um sie für die Verwendung von wiederverwertbaren Materialien zu sensibilisieren.

Naturschutz: Eine Million Arten sind weltweit bedroht

Zurzeit konzentrieren sich die Maßnahmen auf die Begrenzung der Risiken: In der Wertschöpfungskette beispielsweise im Bereich des Sourcings und guter Tierhaltung, bei den Verarbeitungsprozessen sind es Vorgänge wie Färben, Waschen, Gerben und Rohstoffproduktion.

Das Problem dabei ist, dass es keine globale Maßeinheit gibt und die Auswirkungen in der Regel lokal sind. Es gibt einige Instrumente zur Messung der Auswirkungen wie das LCA – Life Cycle Assessment, das die Ökobilanz eines Produktes misst, aber es fehlt ein Gesamtüberblick. Julia Marton-Lefevre, The Tyler Prize For Environmental Achievement, betont, dass es für den Sektor von Vorteil wäre, mit Institutionen wie dem Internationalen Wissenschaftsrat, der Internationale Union zur Bewahrung der Natur IUCN und der Zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen ISPBES enger zusammenzuarbeiten.

Bild: Paris Good Fashion. Von links nach rechts: Timothée Parrique, Philippe Aghion, Lucas Delattre, Pascal Morand, Philippe Moati. Credit: P.Sagnes

Wachstum oder Rückgang, dieses gesellschaftliche Modell ist nicht mehr tragfähig

Die entscheidende Frage nach den Geschäftsmodellen wurde bei der Podiumsdiskussion, , die von Lucas Delattre, Professor am IFM, moderiert wird, ebenfalls gestellt. Philippe Aghion, Wirtschaftswissenschaftler und Professor am Collège de France, tritt als Gegner des Wachstumsrückgangs als Lösung auf. Wenn „das Wachstum zweifellos für die Erwärmung verantwortlich ist”, so Aghion, müsse die Lösung dort gesucht werden, wo der Staat, eine grüne Industriepolitik vorantreibt, und der Verbraucher:innen und die Zivilgesellschaft einbeziehe. Für Timothée Parrique, Ökonom an der Universität Lund und Autor des Buches „Ralentir ou Périr (éditions du Seuil): l'école de la décroissance” [Verlangsamung oder Untergang (Editions du Seuil): Die Schule der Entschleunigung], ist das Bruttoinlandsprodukt „unkorreliert mit der Lebensqualität”. Er fordert dazu auf, die Produktion zu reduzieren und den Konsum einzuschränken. Es ist bereits zu spät, um eine andere Wirtschaftsform als den Kapitalismus zu verfolgen“, entgegnete Philippe Moati von der Université Paris Cité. „Wir haben es nicht geschafft, das Wachstum schnell genug grün zu machen. Wir müssen von der Quantität wegkommen: weniger, aber besser produzieren.“

Diese Ansicht teilt auch Pascal Morand, Präsident des französischen Modeverbands, der auf das Thema Volumen eingeht: „Seit 2017 wachsen diese kontinuierlich. Die Digitalisierung bringt neue Akteur:innen auf den Markt und es sollte nicht so sein, dass es auf der einen Seite führende Marken gibt, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen, und auf der anderen Seite neue Unternehmen, die sich davon fernhalten.“ Zum Abschluss dieser intensiven halbtägigen Diskussion sprach Valérie Martin, Leiterin der Mobilisierungs- und Verbraucherabteilung der französischen Agentur für Umwelt und Energie Ademe, über die Gefahren des Greenwashing und die Instrumente, die zu seiner Bekämpfung eingesetzt werden.

Greenwashing wird durch Werbung, aber auch durch Einflussmarketing betrieben, das heute in den Markenstrategien eine große Rolle spielt. Sie erinnert an die Studie „Mut zur Veränderung“, die über Verschwendung aufklärt. Teil davon ist die BISOU-Methode: B für „Brauche ich das wirklich?“, I um die Unmittelbarkeit [immédiateté] des Kaufs zu hinterfragen, S, um zu überprüfen, ob wir nicht bereits etwas Ähnliches [semblable] in unseren Schränken haben, O, um die Herkunft [origine] des Produkts zu hinterfragen und U, um zu wissen, ob es wirklich nützlich [utile] ist.“

Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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