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Fashion Changers Konferenz: Das Wort Fairness mit Bedeutung füllen

Von FashionUnited

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Mode
Fashion Changers Konferenz 2023 Bild: FashionUnited

Diskussionen zum Thema Nachhaltigkeit drehen sich in der Regel um neue Materialinnovationen, zirkuläre Geschäftsmodelle oder Recyclingtechnologien. In Anbetracht derzeitiger globaler Konflikte, gesamtgesellschaftlicher Krisen und Menschenrechtsverletzungen scheint es aber wichtiger denn je, sich eine andere Perspektive der Nachhaltigkeit anzuschauen: Soziale Gerechtigkeit.

Bei der vierten Ausgabe der jährlichen Fashion Changers Konferenz vergangene Woche in Berlin wurde in Paneldiskussionen und Impulsvorträgen der Blick vor allem auf die soziale Ebene von Nachhaltigkeit gerichtet. FashionUnited hat drei Schwerpunkte zur sozialen Nachhaltigkeit für Sie zusammengefasst.

Repräsentation von BIPoC in der Branche

Nachdem zuletzt Kritik an dem Luxusgüterkonzern Kering wegen mangelnder Vielfalt in der Kreativspitze laut wurde und Supreme-Kreativdirektor Tremaine Emory die Marke wegen ihres „systemischen Rassismus" verlassen hat, ist die Thematik der geschlechtlichen aber vor allem auch ethnischen Unterrepräsentation in der Modebranche hoch aktuell.

In einem ersten Vortrag hat die Journalistin und Gründerin des ‘Daddy Magazins’ Kemi Fatoba über Diversität und die Repräsentation von BIPoC in der Modebranche gesprochen. Bereits vor vier Jahren hielt sie einen Vortrag auf der Konferenz und hat nun einen Rückblick gewagt – was hat sich in vier Jahren verändert und was ist der Status Quo in der Branche?

BIPoC

  • Der Begriff BIPoC steht nach dem Glossar der Neuen deutschen Medienmacher:innen für Black, Indigenous and People of Colour und ist eine Selbstbezeichnung von Menschen mit Rassismuserfahrungen, die nicht als weiß und westlich wahrgenommen werden und sich selbst auch nicht so definieren. Die Wörter weiß und Schwarz sind in diesem Kontext politische Begriffe, die andere Lebensrealitäten widerspiegeln und keine Bezeichnungen für Hautfarben.

In ihrem Vergleich zur Situation vor vier Jahren, stützte sich Fatoba zunächst auf eine Umfrage des Fachmagazins Vogue Business, bei der 52 Prozent der Befragten PoC der Aussage zugestimmt haben, dass ihre Race oder Ethnie einen Einfluss auf ihre Karriere in der Branche hat oder hatte. Demgegenüber haben nur sechs Prozent der weißen Befragten der Aussage zugestimmt. Auch bei der Bezahlung zeichneten sich in der Umfrage Unterschiede ab: So stimmten 48 Prozent der Befragten weißen Menschen der Aussage zu, dass sie für ihre Arbeit fair bezahlt werden, aber nur 37 Prozent der PoC.

Trotz der nachweislich ungleichen Ausgangslage in Bezug auf Repräsentation in der Branche – sei es medial, in Führungspositionen, auf Modewochen oder im Einzelhandel – hat sich die Journalistin und Aktivistin dafür entschieden, die positiven Veränderungen der letzten vier Jahre hervorzuheben.

Allen voran lobte sie die Arbeit verschiedener Organisationen, darunter der ‘Black in Fashion Council’ in den USA, die gemeinnützige Organisation ‘Fashion Minority Alliance’ sowie die Berliner PR-Agentur Reference Studios. Auch die US-amerikanische Initiative ‘Fifteen Percent Pledge’ hat bereits wichtige Erfolge für die Sichtbarkeit von BIPoC erzielt. Die Initiative setzt sich dafür ein, dass Einzelhändler:innen in den USA 15 Prozent ihrer Regalflächen für Black-Owned-Brands zur Verfügung stellen – das entspricht genau dem Bevölkerungsanteil von PoC in den Vereinigten Staaten.

Auch in der Medienlandschaft hat sich einiges getan und BIPoC bekommen zunehmende Sichtbarkeit in den Modemedien und auch hinter den Kameras großer Covershootings. So erschien im letzten Jahr erstmals eine indigene Person auf dem Cover der Vogue Australia und auch die Vogue Philippines fotografierte in diesem Jahr ein indigenes Covermodel.

Auch wenn aktuell ein wachsendes Interesse an der afrikanischen Kultur in der westlichen Popkultur zu beobachten ist, muss diese Beachtung von Dauer sein, um die Branche langfristig und nachhaltig zu verändern. Fatoba sprach sich für ein „dekoloniales Mindset” aus – man müsse traditionelle Handwerkstechniken vom afrikanischen Kontinent wieder aufleben lassen und auch Designer:innen aus dem globalen Süden eine Plattform und mehr Relevanz geben. Man kann nicht von Nachhaltigkeit sprechen, wenn man Menschen aus dem globalen Süden aus dem Diskurs ausschließt und ihre Perspektiven nicht beachtet – denn sie sind es, die in erster Linie von den negativen Auswirkungen der Modeproduktion betroffen sind.

Achtung Social Washing

Green Washing ist ein Begriff, der durch die zunehmenden Nachhaltigkeitsbemühungen vieler Unternehmen an Popularität gewonnen hat. Er ist jedoch nur ein Teil des sogenannten Social Washing, was Marketingpraktiken von Unternehmen beschreibt, bei denen Begrifflichkeiten missbraucht werden, um Konsument:innen zu täuschen und dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen.

Mit diesem Thema hat sich Salma Akli-Bichowski, Beraterin für gesellschaftliche Unternehmensverantwortung, auseinandergesetzt und erklärt, wie Unternehmen aus dem Gerechtigkeitsbedürfnis ihrer Kund:innen Profit schlagen wollen.

Social Washing wird von Fast-Fashion-Unternehmen genutzt, die auf den „Nachhaltigkeitszug aufspringen”, so Akli-Bichowski, ist aber auch bei vielen anderen Marken zu finden. Die Kommunikationsstrategie basiert auf der Idee der sozialen Gerechtigkeit und einem Verantwortungssinn der Menschen – es geht um soziales Engagement.

Die Praktik lässt sich in drei verschiedene Strategien unterteilen, die unterschiedliche thematische Schwerpunkte fokussieren: Green Washing, bezieht sich auf Klima und Umwelt, Pink Washing geht auf Interessen der LGBTQI+-Bewegung ein und Blue Washing setzt bei den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen an.

Corporate Social Responsibility

  • CSR beschreibt nach dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine wirtschaftlich, sozial und ökologisch verantwortungsvolle Unternehmensführung, die dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung folgt. Dadurch verpflichten sich Unternehmen zur Einhaltung ethischer, sozialer und ökologischer Grundsätze.

Was im Grundsatz vielversprechend klingt, sieht in der Realität anders aus: Viele Unternehmen nutzen CSR als Werbung, um so die Kaufentscheidungen ihrer Kund:innen zu beeinflussen. Es ist vielmehr ein strategisches Element, das zur Reputation und Wettbewerbsfähigkeit beiträgt, als ein tatsächliches Verantwortungsbewusstsein. Wenn Modemarken CSR betreiben und dies nach außen kommunizieren, machen sie sich interessant, so die Beraterin. Sie plädiert dafür, dass Kosument:innen Nachhaltigkeits-Claims und Zertifikate stärker hinterfragen sollen und fordert von Unternehmen mehr Transparenz.

Modeanbietende sollten sich von ihrem eigenen ethischen Anspruch leiten lassen und damit auch das Handeln ihres Unternehmens antreiben. In Anlehnung an den kategorischen Imperativ des Philosophen Immanuel Kant schlug Akli-Bichowski folgende moralische Handlungsrichtlinien für Modeunternehmen vor: Soziale Gerechtigkeit, Pluralismus, Inklusivität und Solidarität. Es gehe darum, ehrlicher zu werden und aufrichtig mit seiner eigenen Haltung und seinen Geschäftsmodellen zu sein. Nicht übertriebene Werbeslogans und Perfektion sollten im Vordergrund stehen, sondern Transparenz, Aufklärung und das Berichten über den Status quo – nur so könne die Branche ehrlicher werden.

Ein Aufruf für existenzsichernde Löhne

In einem emotionalen Aufruf hat sich Marian von Rappard, der Mitbegründer und Geschäftsführer des Jeanslabels Dawn Denim und der Textilfabrik Evolution, an seine Branchenkolleg:innen gewandt: Er sucht Partnerschaften, um gemeinsam dem Ziel von existenzsichernden Löhnen in der gesamte Lieferkette näher zu kommen.

Existenzsichernde Löhne

  • Die Global Living Wage Coalition definiert existenzsichernde Löhne als das Entgelt, das Arbeitnehmer:innen für eine normale Arbeitswoche an einem bestimmten Ort erhält und das ausreicht, um dem Arbeitnehmenden und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen – dazu gehören Nahrung, Wasser, Wohnung, Bildung, Gesundheitsfürsorge, Transport, Kleidung und andere wesentliche Bedürfnisse. Existenzsichernde Löhne liegen über dem gesetzlichen Mindestlohn.

Von Rappard besitzt eine Textilfabrik in Vietnam mit 310 Mitarbeiter:innen, denen er einen existenzsichernden Lohn nach der Anker-Methode zahlt. Dabei werden die Lebenshaltungskosten in drei Kategorien aufgeteilt: Lebensmittel, Wohnen und andere Bedürfnisse. Die Kosten für jede Kategorie werden unter Einbeziehung der Arbeitnehmer:innen einzeln geschätzt. Bei der Kalkulation der Kosten für den Wohnraum werden zudem nationale und internationale Standards mit einbezogen, was einen angemessenen Wohnraum sicherstellen soll.

Sein Ziel ist es, seinen Fabrikarbeiter:innen zukünftig einen Lohn nach der Asia-Floor-Wage-Methode zu zahlen, die den existenzsichernden Lohn noch höher ansetzt als die Anker-Methode. Außerdem ist seine Idealvorstellung, diese Lohnzahlung für alle Arbeiter:innen in der gesamten Lieferkette sicherzustellen, was nach seinen Aussagen aufgrund vieler „komplexer Gründe” derzeit noch nicht möglich ist. Auch will er die Gehälter der Mitarbeitenden seiner eigenen Brand Dawn Denim ins Verhältnis zu den Löhnen der Arbeiter:innen in den Fabriken setzen. Daher hat der Gründer seinen Vortrag dazu genutzt, Mitstreiter:innen zu finden, „um das Wort Fairness mit Inhalt zu füllen". Dafür brauche es Know-how, Buying Power, Verifizierung und Förderung und vor allem partnerschaftliches Zusammenarbeiten, bei dem auch das Risiko geteilt wird.

Die drei Sprecher:innen haben eins deutlich gemacht: Modeunternehmen müssen ihre eigene Profitabilität in den Hintergrund stellen und dürfen den Blick für Menschlichkeit nicht verlieren. Es ist wichtig, ein Bewusstsein für andere Lebensrealitäten zu haben und diese auch abzubilden.

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