Ein Plan geht auf: Die Köpfe des Fashion Council Germany über den Wandel der Berlin Fashion Week
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8:20 Uhr, Berlin Mitte: Christiane Arp und Scott Lipinski sitzen beim Frühstück im eleganten Speisesaal des Hotel Royal Château, wo auch die internationalen Gäste aus der Mode- und Medienwelt untergebracht sind. Jeden Morgen, bevor der Trubel der Modewoche losgeht, treffen sich die Vorstandsvorsitzende und der Geschäftsführer des Fashion Council Germany an der gleichen Sitzecke, um den Vortag Revue passieren zu lassen und den anstehenden Tag zu besprechen.
Obwohl noch ein volles Programm bis in die Abendstunden des letzten Tages der Berlin Fashion Week auf beide wartet, wirken sie entspannt und zufrieden zum Beginn des Gesprächs über die Entwicklung der Modewoche. Am Vortag zeigten mit David Koma und Ottolinger zwei international bedeutende Labels erstmals ihre Kollektionen auf einem Berliner Laufsteg, später an diesem Donnerstag spricht Pumas Kreativchef Heiko Desens noch bei einem Paneltalk und präsentieren Nachwuchstalente wie Gerrit Jacobs oder Andrej Gronau ihre Kollektionen.
Hat die Berliner Modewoche mit der SS26 einen Höhepunkt erreicht?
Christiane Arp, Vorstandsvorsitzende Fashion Council Germany: Ich hoffe, das ist nicht der Höhepunkt, denn nach dem Höhepunkt würde es ja wieder runtergehen. Wie entwickeln wir uns weiter? Das ist natürlich die Frage, die wir uns permanent stellen. Als wir angefangen haben, haben wir eine Entwicklungskurve aufgemalt, wo wir in drei Jahren stehen wollten. Drei Jahre später ist jetzt.”
Und ist die Fashion Week dort, wo Sie sein sollte?
Arp: Ziel war und ist es, die Berlin Fashion Week relevant zu machen. Dazu braucht es ein Programm, das überzeugend ist und das sich abhebt von allen Programmen, die es bisher gibt. Ich glaube, wir sind in der Entwicklung an einem sehr guten Punkt. Wir sehen, wie mit jeder neuen Saison der Zuspruch und die Aufmerksamkeit für die Berlin Fashion Week wächst, neue Gäste kommen, und die, die schon mal da waren kommen wieder. Wir dürfen uns auf unserem Erfolg jedoch nicht ausruhen, sondern müssen kontinuierlich besser werden.”
Wie würden Sie das Besondere an der Modewoche beschreiben?
Arp: Neue Talente entdecken und sehen, wie sie sich stetig weiterentwickeln. Das ist unsere DNA. Das gesamte System Mode muss sich eigentlich revolutionieren und tut es doch nur sehr schwerfällig. Eine neue Generation von Designer:innen bietet Lösungen für ein teilweise marodes System, denn sich darauf zu verlassen, dass diese nur von den großen Industrie-Playern kommen, ist eine Illusion. Vielerorts fehlt es aber an langfristiger und nachhaltiger Unterstützung, wir versuchen das mit unseren Programmen zu ändern.
Wie sieht das konkret aus, können Sie ein paar Beispiele nennen?
Arp: Wir müssen agil sein. Teil der Berlin Fashion Week zu sein heißt nicht, sich ihr unterzuordnen, wir verstehen es eher als eine Partnerschaft, die auf die Bedürfnisse der Designer:innen eingeht. Das neu ins Leben gerufene Präsentationsformat Raum.Berlin zahlt darauf ein.
Scott Lipinski, CEO Fashion Council Germany: Das höre ich auch von vielen Designer:innen. Diese Freiheit und auch noch weitere Möglichkeiten zu haben, um sich zu präsentieren. Das ist für mich auch ein Teil von dieser Berlin-DNA, mal andere Wege zu gehen.
Christiane Arp muss sich schon verabschieden, es wartet noch ein langer Tag auf sie. Die Laufstegshow des von ihr kuratierten Formats Berlin Curated findet in wenigen Stunden statt.
Die Art der Präsentation hängt auch eng mit dem Geschäftsmodell von Designer:innen zusammen. Manche verkaufen über Stores, andere direkt an die Kundschaft; manche machen nur eine Kollektion im Jahr, andere mehr als acht. Wie kann eine Modewoche all diesen verschiedenen Ansätzen gerecht werden?
Lipinski: Sie sollte definitiv flexibel und dynamisch bleiben. Unser Ansinnen ist nicht, ausschließlich etwas in einer kleinen Bubble zu kreieren – hier kommt die Expertise von ganz vielen Menschen bei uns dazu rein, was wir tatsächlich brauchen, um weiteren Erfolg zu erzielen oder auch Geschäfte zu machen. Letztendlich möchte jede Brand Geschäfte machen.
Das macht der Fashion Council Germany zur Berlin Fashion Week
- Gesamtkoordination:Der Verband übernimmt das internationale Gästemanagement, den Shuttleservice und die Koordinierung des Programms der Berliner Modewoche. Er organisiert auch einen Showroom, in welchem Brands Presse und Einkäufer:innen ihre Kollektionen präsentieren können.
- Berlin Fashion Week Konzeptwettbewerb:Designer:innen können sich mit ihrem Konzept einer Laufstegshow oder Präsentation in der Kategorie Berlin Contemporary für ein Preisgeld von 25.000 Euro bewerben. In der Kategorie Studio2Retail können Veranstaltungskonzepte von Marken und Stores, die für ein breites Publikum offenstehen, eine finanzielle Unterstützung von 5000 Euro bekommen. Der Fashion Council koordiniert diesen von der Stadt Berlin und mit EU-Geldern geförderten Konzept-Wettbewerb.
- Metamorphosis Talks und Raum Berlin: Aktuelle Themen aus der Mode stehen auf der Agenda der Gesprächsrunden von Metamorphosis, die der Fashion Council gemeinsam mit dem E-Commerce-Konzern Ebay veranstaltet. Das US-Unternehmen unterstützt auch das neue Konzept Raum.Berlin, wo seit der SS26 erstmals Labels ausstellen können, die keine Laufstegshow präsentieren.
Wie wichtig ist der geschäftliche Aspekt im Mentoring-Programm des Fashion Council?
Das, was wir jetzt stärker ausbauen, ist definitiv das Thema Vertrieb. Das ist etwas, was bei vielen noch deutlich zu kurz kommt. Das Mentoring ist aktuell noch sehr individuell. Während der Fashion Week ist es tatsächlich eher ein individuelles Hinhören, Gespräche führen, Kontakte herstellen. Es ist wichtig, dass wir hinhören – wer braucht welche Kontakte, um diese dann vermitteln zu können. Ob das zum Beispiel die richtige Agentur ist, ob das der richtige Showroom ist, ob es die richtigen Freelancer:innen sind, die einen unterstützen sollen bei der Internationalisierung.
Sollen die Delegationsreisen des Fashion Council in Städte wie New York oder Seoul auch die Geschäfte ankurbeln, weil Sie das Bedürfnis der Brands nach Internationalisierung gespürt haben?
Sie wollen und müssen sich internationalisieren. Sie wollen Geschäfte machen, Umsatz generieren. Mit „Berlin Fashion X International" organisieren wir dank der Unterstützung der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe diverse Delegationsreisen. Hier erstellen wir für die Labels Lookbooks und gehen damit in die internationalen Redaktionen, stellen den jeweiligen Markt für einen schnellen Markteinstieg vor.
In New York konnten die Teilnehmenden unter anderem mit Nicole Phelps und Mark Holgate von Vogue Runway in den Austausch gehen, über ihre Kollektion sprechen und Feedback einholen. Wir stellen ihnen außerdem Presseagenturen und Vertriebsagenturen vor. Innerhalb von einer Woche versuchen wir ihnen so das Ökosystem New York und jetzt auch Südkorea vorzustellen. Die Designer:innen sollen zurückkommen und ein Telefonbuch mit persönlichen Kontakten haben, auf das sie aufbauen können.
Wie wählen Sie die Länder aus?
Indem wir Gespräche mit Brands führen und hinhören, woher die größte Nachfrage der Stores zu spüren ist oder sie viele Presseanfragen bekommen. Oder indem wir mit den Redakteur:innen oder Einkäufer:innen sprechen, die zur Fashion Week nach Berlin kommen. Ich war jetzt in Südkorea und muss gestehen, ich war absolut hin und weg von dem, was wir dort gesehen haben. Da gab es tolle Department Stores und Concept Stores, die viele deutsche aber insbesondere Berliner Brands gelistet haben. Wir sind fest davon überzeugt, dass unsere bevorstehende Reise ein Erfolg für alle Teilnehmenden wird.
Bedienen Berliner Marken in einem Markt wie Südkorea eine Nische oder den breiteren Markt?
Die Stores, die ich gesehen habe, waren nicht nischig. Wir waren unter anderem bei 10 Corso Como, Musinsa, Boontheshop, Samplas und Addicted und fanden viele Brands, die zur Berlin Fashion Week präsentieren. Zeig mir einen solchen Store in Deutschland. Samplas hatte gleich Lueder, Gerrit Jacob und Namilia gelistet. Ich fragte: Wollt ihr nicht ein bisschen mehr ordern, weil ich nur zwei, drei Sachen sehe? Darauf sagten sie mir, dass diese gesamte Auslieferung nach kurzer Zeit ausverkauft war.
Welchen Markt bedienen die Berliner Brands?
Hier dürfen wir nicht vergessen, dass wir vielleicht nicht in den großen Ladenflächen, in den großen Ketten sein werden, aber wir haben jetzt auch Department Stores aus den USA wie Saks Global da, die die Berlin Fashion Week spannend finden. Aber es sind vielleicht nicht flächendeckend alle Brands, die für den gesamten Department Store in Frage kommen. Ich bin auch auf das Feedback von dem japanischen Kaufhaus Isetan gespannt, die sind in dieser Saison auch zur Berlin Fashion Week gekommen, um neue Brands zu scouten.
Sind solche großen Namen heute wichtig für ein aufstrebendes Modelabel?
Das ist brand-abhängig. Brauche ich gewisse Türen, um ein gewisses Image aufzubauen? Um so im Markt vielleicht mein Online-Business und Direct Sales ein bisschen stärker anzukurbeln? Wenige Brands sagen aktuell, dass sie flächendeckend in den klassischen Wholesale möchten. Die meisten gehen eher neue Wege.
Sehr viele Brands freuen sich über die Förderung und die kreativen Möglichkeiten, die die Berlin Fashion Week bietet. Aber wenn sie einen Showroom haben, ist dieser meistens in Paris. Ist Berlin die Präsentationsfläche und das Geschäft findet weiter in Paris statt?
Es ist wie beim Hausbau. Seit einigen Saisons bauen wir das neue Haus „Berlin Fashion Week”. Wir sind genauso ungeduldig wie viele Brands, Redakteur:innen und andere Beobachter:innen der Berlin Fashion Week. Wir müssen jedoch akzeptieren, dass das fertige Haus Zeit braucht. Wir haben in den letzten Saisons einen erheblichen Fortschritt erzielt, aber wir sind noch lange nicht fertig. Vertrieb ist wichtig und Paris als internationaler Standort für Showrooms und Agenturen ebenfalls. Wir sind aber davon überzeugt, dass auch Berlin künftig zum Thema Vertrieb noch mehr zu bieten hat.
Neben ihren Tätigkeiten für den Fashion Council setzt sich Christiane Arp selbst viel in der Nachwuchsförderung ein:
- Berliner Salon:Arp lancierte die Gruppenausstellung mit Markus Kurz, dem Geschäftsführer der Agentur Nowadays. Sie kuratiert das durch die Berliner Senatsverwaltung ermöglichte Format, das außergewöhnliche Modekreationen mit einem Fokus auf Nachwuchstalente zeigt.
- Berlin Curatedist eine bundesweite Plattform zur Nachwuchsförderung in der Modebranche mit Lauftstegshow, Showroom und Networking-Event. Arp ist die künstlerische Leiterin dieses Konzeptes.
Wo würden Sie sagen, steht die Berlin Fashion Week jetzt?
Unsere Drei-Jahres-Strategie war es, am Anfang erst Redakteur:innen einzuladen. Nach drei Saisons haben wir dann begonnen, Einkäufer:innen einzuladen. Es war uns wichtig, dass diese vorher schon ein gewisses Image gesehen haben – eine neue Bild- und Brandsprache, die sich deutlich von der Vergangenheit unterscheidet.
Wir haben anfangs sehr bewusst gewisse Stores ausgewählt, die zu den Brands passen, die wir gerade auf der Berlin Fashion Week haben. In der ersten Saison war das Interesse noch eher gering, in der zweiten Saison war es schon wesentlich einfacher an Redakteur:innen zu kommen, in der dritten Saison wiederum noch einfacher.
Jetzt hat der Imagewandel eingesetzt, bedeutet das, dass künftig mehr Buyer eingeladen werden?
Natürlich ist es unser absolutes Ziel, dass auch hier Order geschrieben werden. Aber ich glaube nicht, dass man diese Haube einfach über etwas drüber stülpen kann, was noch nicht das Netzwerk dazu hat. Zum richtigen Zeitpunkt sollten die richtigen Vertriebsmaßnahmen auch in Berlin stattfinden. Es wäre vollkommen falsch, jetzt einen Showroom aufzumachen und sich mit Order-Kräften hinzusetzen und am Ende der Woche steht keine Order. Was verursacht das? Dann ist es kein Positive-Circle mehr, sondern wieder ein Teufelskreis und es wird wieder schlecht geredet, weil etwas zum falschen Zeitpunkt gemacht wurde.
Die Strategie für die ersten drei Jahre ist aufgegangen. Gibt es schon ein neues Blatt mit einer neuen Kurve?
Ja, die gibt es. Dazu kann ich jedoch noch nicht so viel sagen, weil noch einige Abstimmungen, insbesondere mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, bevorstehen. Alles, was wir bisher gemacht haben, wird jetzt nicht durch neue Formate ausgetauscht, sondern es wird beibehalten. Aber wir wollen definitiv viel stärker auf Vertrieb und Internationalisierung setzen. In den nächsten zwei Monaten werden wir diese neue Ausrichtung, die konstant nach oben gehen wird, intern diskutieren und verabschieden.