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Die Sci-Fi Modelagentur: Mutantboard

Von Ole Spötter

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Mode|INTERVIEW

Wie sieht die Zukunft aus? Das ist eine Frage, die sich die Modewelt stetig stellt ‒ gerade in einer Zeit, in der durch die Corona-Pandemie die Digitalisierung vorangetrieben wird und komplette Modewochen, sowie Messen online stattfinden. Bedeutet das, dass die Stunde der digitalen Models gekommen ist?

Wie das virtuelle Model von morgen aussehen könnte, zeigen die beiden Künstlerinnen Lorena Hydeman und Julia Falkner. Zusammen haben sie die digitale Model- und Kreativagentur Mutantboard gegründet. Die beiden einzigen physischen Teammitglieder leben und arbeiten seit mehr als sieben Jahren zusammen in London. Falkner ist eine österreichische Modefotografin und Hydeman eine serbische Stylistin und Creative Director. Digitale Künstler, IT-Profis und alle anderen Beteiligten arbeiten frei für ihre Agentur.

Um die Models im Portfolio von Mutantboard zu sehen, betritt der Besucher zuerst eine virtuelle Lobby über die Webseite der Agentur, in der die Dimensionen der Realität mit der virtuellen Welt verschwimmen. Durch einen Klick geht es in die Agentur und zu den Setkarten der Modelle. Statt einem großen Portfolio, mit vielen fast identischen Gesichtern und Looks, erwartet die Kunden hier eine Auswahl an Individuen, die mit ihrer Persönlichkeit überzeugen sollen. Auf Wunsch kreieren die 3D-Designer einen eigenen Avatar und ein dazugehöriges Szenario, in dem sich der Charakter aufhält, nach den Vorstellungen des Auftraggebers. Durch die personalisierte Gestaltung entfallen lange Castings auf der Suche nach dem richtigen Typen, virtuell kann sich die Kreativität bei Editorial Shoots Modenschauen und Werbekampagnen grenzenlos entfalten.,

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Digitales Mutantboard Büro

Am kommenden Wochenende beginnt mit London, der erste der großen vier Modewochen und eine komplett digitale Fashion Week. FashionUnited hat sich deshalb mit Lorena Hydeman unterhalten und gefragt, inwieweit die Agentur an der britischen Modewoche beteiligt ist und ob visuelle Models bald ihrer physischen Konkurrenz den Rang ablaufen.

Am 11. Mai ist Mutantboard online gegangen als Ihre Wahlheimat London sich mitten im Lockdown befand. Ist die Idee während der Isolation entstanden?

Wir haben uns immer mehr in der digitalen Welt wiedergefunden und lieben es interessante Casts für ‘echte Fotoshoots’ zu verwenden, also dachten wir uns: ‘Warum gründen wir nicht eine virtuelle Modelagentur?’

Die Idee dazu kam uns schon im November, die Entwicklung dauerte etwas länger, weil wir in dieser schnelllebigen Welt auch unseren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Doch durch die Quarantäne konnten wir nicht am Set arbeiten und unsere Zeit ganz in das Projekt stecken. Und was für ein besseres Geschäftsmodell gibt es, als eine virtuelle Modelagentur zu gründen, in einer Zeit in der physisch nicht viel möglich ist?

Warum war es Ihnen so wichtig sich nicht nur digitale Modelagentur, sondern auch Kreativagentur zu nennen?

Wir leiten das gesamte Konzept um die kreierten Avatars. Wenn also zum Beispiel Burberry zu uns kommt und ein individuelles Model haben möchte, geht es nicht nur darum dieses zu kreieren, sondern es zum Leben zu erwecken.

Dazu zählt die ganze Entwicklung vom kreativen Prozess bis zur Einbindung in Editorials oder Musikvideos. Als Kreativagentur übernehmen wir alle Aspekte, vom Model über das digitale Set-Design bis hin zur fertigen Videokampagne, und versenden nicht nur eine .obj-Datei (Anm. der Redaktion: Dateiformat für dreidimensionale geometrische Formen), mit der die meisten Kunden nicht wirklich etwas anfangen können.

Wenn eines Ihrer Modelle von einem solchen Kunden gebucht wird, wie funktioniert dann die Transformation der Kleidung ins Virtuelle und wer stellt sie her?

Digitale Modelle tragen digitale Kleidung, die von 3D-Designern hergestellt werden. Diese können auf realen Kleidungsstücken von Designern basieren. Wenn ein Designer ein Kleidungsstück entwirft, muss er ein Muster erstellen, das aus einem 2D-Plan aller Stoffteile besteht. Diese müssen zusammengenäht werden, um tragbare Kleidung herzustellen.

Diesen 2D-Plan geben unsere Künstler dann in eine Software ein, um daraus ein 3D-Kleidungsstück herzustellen. Anstatt zu nähen, fügen Software und Künstler alle Teile zusammen. Dann replizieren sie die Texturen und Drucke der Kleidung und fügen sie auch der digitalisierten Version hinzu. Schließlich kann das digitale Kleidungsstück von unseren Modellen getragen werden.

Bild: Model Whowle by Harriet Davey

Welchen Vorteil haben virtuelle Models, wenn die Kleidung für sie extra digitalisiert wird und dadurch ein weiterer Arbeitsschritt nötig wird?

Virtuelle Modelle müssen nicht um die ganze Welt geflogen werden, um ihre Arbeit zu erledigen. Sie müssen auch keine physischen Kleidungsmuster zu Modenschauen und Shootings tragen und verschicken lassen. Die Kleiderproduktion belastet die Umwelt, und gebrauchte Muster werden mit großer Wahrscheinlichkeit weggeworfen. Der Veranstaltungsort einer Modenschau kann ebenfalls vollständig digital sein, was bedeutet, dass die Einweg-Set-Designs von den physischen Shows nicht entsorgt werden müssen.

Es gibt auch viele Dinge, die virtuelle Modelle tun können, die reale Menschen nicht können, wie die starke Flexibilität der Avatare aus dem Frühling 2019 Lookbook von Balenciaga.

Video: Balenciaga Frühling 2019

Gab es bereits Buchungsanfragen?

Die Künstler, mit denen wir zusammenarbeiten, standen bereits in Kontakt mit Plattenfirmen und haben Projekte für coole neue Cyber-Künstler wie Grimes oder Ashnikko umgesetzt.

Wir als Agentur hatten gerade ein Treffen mit einer Künstlerin, bei der es um die Umsetzung eines Avatars ihrer Person ging, mit dem sie während der Quarantäne agieren kann. Außerdem probieren wir Aufträge für die digitale und geschlechtsneutrale Londoner Modewoche zu bekommen. Leider kann ich zu beiden Projekten noch nicht mehr sagen. Wir setzen also gerade einige Meetings an und im Fokus stehen klar zwei Bereiche: Mode und Musik.

Die von Ihnen vertretenen Modelle sind flexibel und können von Kunden gebucht werden, es ist aber auch möglich, einen eigenen Avatar erstellen zu lassen. Gehört das Modell dann dem Kunden oder geht es in Ihr Kartei über und wird für andere verfügbar?

Wir sind in der Lage, auf Anfrage eine virtuelle Version von jemandem zu erstellen. Alle unsere Projekte und die Rechte am geistigen Eigentum werden mit den Kunden verhandelt. Da es sich um ihr eigenes Abbild handelt, wird es höchstwahrscheinlich Teil der Vereinbarung sein, dass der Kunde die vollen Rechte an seinem Avatar hat und dass wir ausschließlich an der Erstellung von Inhalten mit dem Avatar arbeiten werden.

Die Londoner Modewoche gilt ja eher als künstlerisch-alternative Veranstaltung, bei der klassisches Design und Schönheitsideale nicht so stark im Vordergrund stehen. Ihre Models stecken, mit ihren elfenartigen Ohren, Vokuhila-Frisuren, Piercings oder Tattoos, auch eher aus der Masse heraus. Warum haben Sie sich für den alternativen Look entschieden?

Mutantboard geht über das menschliche Wesen hinaus. Auch wenn unsere Models etwas humanes in sich tragen, sind sie eher eine Erweiterung von dem, was wir auf diesem Planeten gewöhnt sind.

Es geht nicht nur darum, nach einer coolen Ästhetik Ausschau zu halten, sondern auch für etwas zu stehen: Wir wollen von den Künstlern, mit denen wir zusammenarbeiten, dass ihre Avatars Authentizität vermitteln und eine persönliche Ausstrahlung ihrer selbst beinhalten. Es soll eine gewisse Realität widergespiegelt werden und eine Aussage dahinter stehen, selbst wenn es virtuelle Gestalten sind.

Welche von Künstlern erschaffenen Models vertreten Sie bereits?

Whowle ist das mythische Modell mit einem futuristisch-ätherischen Aussehen. Ihre Macherin Harriet Davey lässt sich von ihrer Videospiel-Leidenschaft und eigenen Person inspirieren: Sowohl Davey als auch Whowle haben einen Vokuhila.

Koku ist eher ein Hexentyp und cooles Techno-Girl, wie ihre Schöpferin und Malerin Paola Pinna. Koku und unser neues Gesicht Ôti haben beide einen dunkleren Hauttyp. Hinter Ôti steckt die brasilianische Künstlerin Vitòria Cribb, die sich für ein natürliches Schönheitsideal einsetzt. Daher hat ihr Modell eine kurvige Figur und natürliches Afrohaar.

Als nächstes bekommen wir einen surrealen Charakter, der eher in eine männlich-androgyne Richtung geht. Wir wollen eine vielfältige Modelkartei, um die Authentizität der verschieden Künstler zu repräsentieren und nicht um zu zeigen, wie divers wir sind.”.

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Model Koku by Paola Pinna

In einer physischen Modellagentur werden die Modelle gescoutet oder sie stellen sich vor, wie funktioniert das bei Ihnen?

Wir scouten auch, allerdings eher die digitalen Talente, die die Models erschaffen. Dabei steht ihr Stil im Fokus und wie sich dieser von uns bereits bekannten Looks abhebt.

Wenn wir mit den 3D-Künstlern arbeiten, probieren wir sie in eine Richtung zu führen, die funktionieren könnte oder hin zu etwas, was der Modeindustrie fehlt. Dabei sollen sie ihre eigene Handschrift behalten, weshalb wir probieren sie nicht zu stark zu beeinflussen.

Uns erreichen aber auch einige Anfragen, von Künstlern mit fertigen Avatars, die uns fragen, wie sie mitmachen können. Vielleicht machen wir mal ein offenes Casting, wenn wir eine größere Reichweite erzielen.

Sollten Ihre Modelle über künstliche Intelligenz verfügen?

Es gibt Charakter wie Lil Miquela, die nicht wirklich eine künstliche Intelligenz haben, weil alles durch ihr Team konstruiert wurde. Mit unseren Models wollen wir aktuell nicht diesen Influencerweg, mit eigenen Instagramaccounts, gehen. Wirklich wichtig ist uns die Persönlichkeit. Deshalb schicken uns Künstler sogar Spotify-Playlisten, um zu zeigen was das Model hört und damit wir verstehen können, was für eine Persönlichkeit sich dahinter verbirgt.

Der Digitalisierungsprozess klingt nach viel Arbeit, wie finanziert sich ein so junges Agenturkonzept?

Wir arbeiten wie andere Agenturen mit einem Honorar, dessen Höhe bei uns abhängig von unserer Mitwirkung ist und so definiert sich auch der Anteil der Freiberufler. Aktuell arbeite ich mit einem Anwalt an Vereinbarungen, die anschließend auch mit den Künstlern besprochen werden, damit alle einverstanden sind.

Wir versuchen wirklich, transparent mit unseren Künstlern zu sein, und das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Überzeugung, denn es ist eine neue Industrie, und wir haben viele dieser digitalen Künstler gesehen: Es sind junge Leute, die gerade erst in der Branche anfangen, und es zeigt sich, wie viele von ihnen ausgenutzt werden. Wir versuchen also, diese Vereinbarungen zu treffen, transparent zu sein und sicherzustellen, dass niemand plagiiert wird - so arbeiten wir.

Glauben Sie, dass virtuelle Modelle in Zukunft ihre physischen Kollegen ersetzen werden?

Nein, sie werden ihre menschlichen Kollegen nicht ersetzen. Vielleicht sind sie für bestimmte Aufgaben und Aufträge besser geeignet als Menschen. In der heutigen Modelwelt sind einige besser für Editorials und andere für kommerzielle Arbeiten einsetzbar. Es hängt alles davon ab, wer das richtige Model für den Job ist. Virtuelle Modelle eignen sich auch hervorragend in Zeiten wie diesen, in denen ein physisches Fotoshooting nicht möglich ist.

Foto: Whowle by Harriet Davey/Mutantboard

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