Die acht coolsten Gender-Bender der Modegeschichte
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1994 schuf Jean Paul Gaultier, der Pariser Designer, der für Kilts und wasserstoffblonde Haare bekannt wurde, eine erste Kollektion, die die Idee der Geschlechter-Fluidität außerhalb einer kleinen Gruppe bekannt machte. Unisex-Kleidung und rasierte Köpfe sowie dazu passende synthetische Overalls, waren damals der Vorschlag für geschlechtsneutrale Mode. Ein Jahrzehnt später sponserte Gaultier eine Ausstellung im Costume Institute des New Yorker Metropolitan Museum of Art mit dem Titel "Braveheart: Männer in Röcken."
Gender-Nonconformity mag wie das aktuelle Schlagwort der Modebranche erscheinen. Aber bevor Merchandiser uns Man Buns und Boyfriendjeans anboten; bevor Billy Porter auf dem roten Teppich im Abendkleid posierte; bevor Gender als ein Spektrum definiert wurde, wurde das Wort "queer" zurückerobert und Männlichkeit wurde "toxic"! Disruptive Elemente veränderten eine scheinbar unveränderliche Welt. Und wie! Ob sie sich neu definierten, die Wahrnehmung der Gesellschaft aufwirbelten, oder einfach nur auf der Tanzfläche provokativ sein wollen, diese Leute haben im Laufe der Geschichte ihre Röcke gegen Hosen und ihre Hosenträger gegen High Heels getauscht.
Um das starke Wachstum des Marktes für Unisex-Kleidung und die erste große Ausstellung "Gender Bending Fashion“, über das Verhältnis von Mode und Geschlecht im Museum of Fine Arts in Boston zu würdigen, haben wir die acht einflussreichsten Gender Bending-Pioniere versammelt. Dabei kommen sowohl traditionell männliche wie weibliche Umstürzler vor, mit Beispielen, die von subtilen Codewechseln bis hin zu völliger Extravaganz reichen, zumindest für damalige Standards.
Jeanne d'Arc
Die siegreiche Kriegerin, die in männliche Rüstung gekleidet ist und eine Märtyrerin für ihren Glauben wird, stellt ein zeitgemäßes Symbol für moderne FeministInnnen und AktivistInnen für soziale Gerechtigkeit dar, die sich mit ihrem Heldenmut und ihrer Stärke identifizieren. Die Debatten wüten über die geschlechtsspezifische Identität und Sexualität der verfolgten Jungfrau von Orléans, die 1431 von den Engländern hingerichtet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die Legende besagt, dass sie glaubte, dass ihre Verkleidung als Mann den Wünschen Gottes entsprach, aber sie verhinderte auch, dass sie in der Nacht von Wachen verletzt wurde. Die Geschichte dieser androgynen Kämpferin weist Parallelen zum zeitgenössischen LGBTQ+-Kampf auf und hat Designer wie John Galliano und Alexander McQueen sowie Modefotografen wie Tim Walker und Herb Ritts inspiriert.
Patti Smith
Patti Smith beschreibt in ihren Memoiren Just Kids ihre Suche nach Identität und Selbstausdruck durch Poesie, Skizzen, Fotografie und Musik. Das Zentrum dieser Suche aber bildet das Cover ihres 1975er Albums Horses, für das sie von Robert Mapplethorpe fotografiert wurde, und das ihren geschlechtsspezifischen flüssigen Chic ohne klare Geschlechtszuschreibung verkörpert. Sie trägt darauf in ein weißes, offenes Herrenhemd, hochgerollte Ärmel mit einer schwarzen Krawatte ohne Knoten, den Blazer lässig über eine Schulter geworfen, schwarze, hüftlange Hosen. Trotz dieser maskulinen Verkleidung versprüht sie kraftvolles, weibliches Empowerment. Bereits in ihrer Beziehung zu Mapplethorpe war sie die Besserverdienende und empfand es aus Herausforderung, Leadsängerin einer Band in der von Männern dominierten New Yorker Punk-Ära der 70er Jahre zu sein. Sie hat die Schwierigkeiten beschrieben, Bandmitglieder zu finden, die hinter einer Frau auftreten wollten. Hedi Slimane hat seine Designkarriere dem Versuch gewidmet, Smiths Rockstar-Lässigkeit auf dem Catwalk von Dior bis Saint Laurent nachzuahmen und probiert es jetzt bei Celine.
Katherine Hepburn
Katherine Hepburns Blazer mit Schulterpolster und weite Hosen komplett mit Loafern verliehen ihr einen gewissen maskulinen Swag auf dem Bildschirm und im echten Leben, als dies noch ein echt unorthodoxer Look für Frauen war. 1951 soll Claridges of London ihr verboten haben, in der Lobby Hosen zu tragen, also trat sie durch die Personaltür ein. Die Leichtigkeit, mit der sie Herrenklassiker stylt, war sportlich und provokant zugleich und ebnete den Weg für Diane Keatons Annie Hall und Mary-Kate und Ashley Olsons Label „The Row“. Als ein unabhängiger Geist mit einer Leidenschaft für Tennis, Golf und Cricket, erklärte sie einmal: "Wenn man alle Regeln befolgt, verpasst man den ganzen Spaß." Aber 1935, als sie sich die Haare abschnitt, um eine Betrügerin in dem Film Sylvia Scarlett zu spielen, der schließlich floppte, erwarb sie sich den Ruf, Gift für die Kinokassen zu sein. So viel zu toxischer Männlichkeit.
Boy George
Als Boy George in den frühen 80er Jahren mit seinem akribisch aufgetragenen bunten Make-up, den farbenfrohen Bändern, die durch sein Haar geflochten waren, und der seelenvollen Stimme auftauchte, kämpfte die Welt darum, das zu verarbeiten, was sie sah. Aber seine von Marlene Dietrich definierten Augenbrauen, bunte Kimonos, Piratenkopfschmuck und ein schüchternes Lächeln sollten alle überzeugen. Er sagte: „Wenn ich auf mein 19-jähriges Ich zurückblicke, kann ich kaum glauben, dass ich getan habe, was ich getan habe! Ich war so dreist, so selbstbewusst, so furchtlos in gewisser Weise. Und denk daran, die Welt war damals ein sehr aggressiver Ort. Die Leute hatten keine Scheu, dir ins Gesicht schlagen - und das ist mir sehr oft passiert." Ursprünglich vom Musikunternehmer Malcolm McLaren, damals Partner-in-Punk von Vivienne Westwood, entdeckt, wurde Boy George Stammgast im Londoner Nachtclub Blitz, wo auch der Hutmacher Stephen Jones und ein junger John Galliano feierten. "Mit anderen kreativen Menschen wie Boy George zusammen zu sein, war eine wichtige Erfahrung für mich", sagte Galliano. Boy Georges Fashion Credibility war von Anfang an eine klare Sache.
Marlene Dietrich
"Ich bin im Herzen ein Gentleman", sagte Dietrich, die für ihre markante Silhouette aus einem schmalen maskulinen Anzug, Zylinderhut und Zigarettenrauchwolke bekannt wurde. Das Herz dieses Gentleman wurde im Film Marokko aus den 1930er Jahren offenbart, als die Dietrich in Smoking und Fliege eine weibliche Zuschauerin auf die Lippen küsst. Fast fünfzig Jahre später ahmte Madonna ihren Stil nach, küsst Britney Spears auf der Bühne und löst damit erneut einen kleinen Skandal aus. 1933 wurde Marlene Dietrich von der französischen Polizei gedroht, man werde sie verhaften, wenn sie mit ihrer für Frauen verbotenen Hose nach Paris kam, doch Dietrich trug sie trotzdem. Sie stand offen zu ihrer Bisexualität, ihre Affären mit Frauen in den 40er und 50er Jahren stellten den gleichen Mut zur Schau, den sie an den Tag legte, als sie aus dem nationalsozialistischen Deutschland floh. Sie kehrte erst zurück, um die US-Truppen an der Front zu unterhalten. Ihre Gender-Fluidity wurde für die Nachwelt von den Größen der Modefotografie, Irving Penn, Richard Avedon, Eve Arnold und Cecil Beaton eingefangen und hat Designer wie Giorgio Armani und Yves Saint Laurent inspiriert.
"Glamour", bemerkte Dietrich einmal, "ist Sicherheit. Es ist eine Art Wissen, dass es dir in jeder Hinsicht gut geht, geistig und körperlich sowie optisch. Es zeigt, dass du, egal zu welchem Anlass oder in welcher Situation, allem gewachsen bist."
David Bowie
Eine Hommage an Marlene Dietrich und Katherine Hepburn war im Laufe der Jahre immer wieder im Aussehen von David Bowie zu erkennen. Aber es war vor allem seine Persona Ziggy Stardust, mit der er die Bühne unsicher machte – wie ein Tiger auf Vaseline – in einem einbeinigen Body von Kansai Yamamoto und High Heels, oder in einem Mr. Fish-Kleid und präraffaelitischen Locken für das Cover von The Man Who Sold The World auf einer Liege liegend, die immer noch das Gespräch über Gender-Nonkonformismus dominiert. Im Video zu "Boys Keep Swinging" wischte er sich den Lippenstift mit dem Handrücken ab, eine Geste, die die Sängerin Lorde drei Jahrzehnte später bei den American Music Awards nachahmte. Bowie war ein wichtiger Einfluss auf Boy George und bleibt ein Leuchtfeuer für Jugendliche, die Genderkonstrukte hinterfragen. Viele entdeckten in ihm erst nach seinem Tod eine gleichgesinnte Seele, die das Anderssein schätzte und die ständige Mutation, das Überschreiten von Grenzen und echte Emotionen in den Mittelpunkt ihres persönlichen Stils stellte.
Candy Darling
Verewigt in Velvet Undergrounds "Candy Says" und Lou Reed's "Walk on the Wild Side", war die Schauspielerin eine zentrale Figur in Downtown Manhattans noch immer faszinierender Nachtclubszene der 60er Jahre und frühen 70er Jahre. Als ein fester Bestandteil in Andy Warhols Factory und einer seiner Superstars, spielte sie in den Filmen Flesh und Women in Revolt aus den Jahren 1968 und 1971 mit. Aber während Warhol allen in Erinnerung bleibt, zum Teil aufgrund einer gerade zu Ende gegangenen Whitney-Retrospektive und zum anderen aufgrund der vielen Referenzen von Raf Simons in seinen Calvin-Klein-Kollektionen, geriet diese schillernde Göttin in Vergessenheit. Das soll aber nicht so bleiben — ein Biopic ihres Lebens ist derzeit in Arbeit.
Orlando
Virginia Woolfs Roman von 1928 über die Reise eines Adligen von der elisabethanischen Ära in England bis in die Neuzeit, in der er zu einer für Hollywood adaptierten Frau wurde, wurde 1992 in Hollywood verfilmt. Die Modewelt wurde beim Anblick von Tilda Swinton in der Hauptrolle in einen veritablen Rausch versetzt. Der Film war eine meisterhafte Verschmelzung von Woolfs bahnbrechendem Material und einem faszinierendem Casting - achten Sie auf Quentin Crisp als Queen Elizabeth I! Swinton hat sich während ihrer gesamten Karriere der traditionellen Geschlechterrepräsentation widersetzt und sich auf internationalen Bestsellerlisten, in einem David Bowie-Musikvideo und in der Rolle der Muse des niederländischen Design-Duos Viktor und Rolf positioniert.
Fotos: Joan of Arc Miniatur, zwischen 1450 und 1500, Öl auf Leinwand, Archives Nationales; Katharine Hepburn im Film ‚Woman of the Year’ von1942. David Bowie beim Video Shoot zu ‚Rebel Rebel‘ in AVRO's TopPop (Niederländische TV Show) 1974, Boy George performing at Ronnie Scott's in London 2001 by Jessica Hansson, Marlene Dietrich with top hat in Morocco (film) 1930, Josef von Sternberg, director, Paramount Pictures, all Wikimedia Commons, Screenshot of Orlando directed by Sally Potter
Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ