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Das unentdeckte Potenzial menschlicher Abfälle in der Textilproduktion

Von Rachel Douglass

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Bild: Human Material Loop

Auf der Suche nach nachhaltigeren Alternativen für die Textilproduktion sind innovative Köpfe der Branche auf so manch kreative Lösung gestoßen – einige davon mit Überraschungseffekt.

Menschliche Abfälle waren ein zentrales Thema unter den Aussteller:innen der MaterialDistrict-Messe, die nach einer zweijährigen pandemiebedingten Pause vom 5. bis zum 7. April wieder im niederländischen Utrecht stattfand. Zwischen Ständen von erfahrenen Herstellern und etablierten Unternehmen präsentieren eine Reihe von innovativen Teilnehmer:innen ihre Konzepte – von denen sich viele noch im Entwicklungsstadium befinden.

Besonderes Augenmerk lag dabei auf Abfall menschlichen Ursprungs – ein Material, dass bereits existiert und keine neuen Ressourcen erfordert.

Oftmals rümpfen viele die Nase bei dem Gedanken, menschliche Abfälle in den Produktherstellungsprozess einzubringen, da die Methoden oft unkonventionell, seltsam unnatürlich oder schlichtweg befremdlich klingen. Bei genauerer Betrachtung können menschliche Abfälle jedoch eine berechtigte Alternative für die Herstellung neuer Textilien sein, da sie oft leicht zu beschaffen sind und eine Reihe von Vorteilen bieten, für die nicht mehr viel anderes getan werden muss.

Bild: Human Material Loop

„Abfall ist nur ein Rohstoff am falschen Ort..."

Eine besonders überraschende Innovation war die Verwendung von Menschenhaar für die Herstellung von Kleidung – ein Konzept, das von Zsofia Kollar, der Gründerin des Human Material Loop, entwickelt wurde. In einer Präsentation auf der Veranstaltung erläuterte Kollar den dringenden Bedarf an umweltfreundlichem Material und stellte die Frage, warum die Welt oft von bereits vorhandenen Abfalloptionen absieht. Kollars Lösungansatz ist menschliches Haar. Mit dem Human Material Loop hat Kollar Haare in ein geschlossenes Recyclingsystem integriert, bei dem sie zu einem Garn umgewandelt werden, das zur Herstellung von Kleidung verwendet werden kann. Mit dieser Idee können die 72 Millionen Kilogramm Haare, die allein in Europa auf dem Müll landen, wiederverwendet werden.

„Die Lösung liegt in unseren Köpfen", sagte Kollar in ihrer Präsentation. „Müll ist nur ein Rohstoff am falschen Ort." Die Innovatorin sagte, sie habe sich gefragt, warum wir nicht schon längst ein Material wie Haare verwenden, das bereits ein so wichtiger Teil unseres Lebens ist und zudem die gleiche Keratinfaser wie Wolle enthält. Sie wies ferner darauf hin, dass das Produkt zu 100 Prozent biologisch abbaubar ist, einen CO2-Fußabdruck von nahezu Null hat und bei seiner Herstellung weder Tiere noch Menschen zu Schaden kommen.

Der Moderator der Veranstaltung, David Heldt, Mitbegründer von Glue Amsterdam, äußerte seine Bedenken und ein gewisses Zögern gegenüber der Idee, doch Kollar blieb unbeeindruckt und antwortete: „Wir sind so weit von den Materialien entfernt, die wir heute schon verwenden. Wenn Sie sich zum Beispiel Ihren Wollpullover ansehen, haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie das Schaf gelebt hat, wie es gequält wurde, wie viel Blut vergossen wurde, um diesen flauschigen Pullover herzustellen. Ist es nicht seltsam, dass wir das einfach vergessen?"

Im Anschluss an die Präsentation sagte Kollar auf die Frage von FashionUnited, ob sie regelmäßig auf die Rechtmäßigkeit der Verwendung von Haaren in der Produktion angesprochen werde: „Auf jeden Fall. Es gibt eine Überzeugungsphase, in der die Leute ein wenig über die Hintergründe der Probleme in der Textilindustrie wissen müssen. Sobald sie diese Fakten kennen, sind sie ziemlich überzeugt. Sie brauchen nur etwas Zeit, um das zu verinnerlichen. Bei meiner Arbeit geht es vor allem darum, Perspektiven zu verändern und die Wahrnehmung der Normen in Frage zu stellen."

Obwohl sich das Konzept noch in der Anfangsphase befindet, sagte Kollar, dass sie derzeit Gespräche mit verschiedenen hochwertigen Marken führt, um das Material möglicherweise auf eine kommerzielle Ebene zu bringen. „Wir wollen zuerst die High-End-Marken davon überzeugen, eine andere Perspektive zu zeigen, damit es später einfacher ist, den Durchschnittsverbraucher zu überzeugen", sagte Kollar. „Die Menschen müssen sehen, dass wir nicht über dem Ökosystem stehen, sondern ihm gleichgestellt sind."

Bild: Human Material Loop at MaterialDistrict Utrecht, photo by FashionUnited

Die Produkte des Human Material Loop werden derzeit in Italien hergestellt, aber Kollar sagte zu FashionUnited, dass sie plant, den Prozess in jedem Land verfügbar zu machen, um eine lokale Produktion zu gewährleisten. „Wir wollen einfach so viele Menschen wie möglich erreichen."

Menschliche Körper als Nährboden für die Natur

Einen ähnlichen Ansatz im Umgang mit menschlichen Abfällen verfolgte die niederländische Innovatorin Michelle Baggerman, die mit der Materialdesignerin Jessica den Hartog im Rahmen des Studio Bureau Baggerman zusammenarbeitet. Das Duo präsentierte Project Chrysalis, ein Konzept, bei dem Plastikabfälle in Garn verwandelt werden. Obwohl Baggermans Idee derzeit nur als Produkt für die Inneneinrichtung in Betracht gezogen wird, ist sie doch ein wichtiges Element der alternativen Textilproduktion.

Während die Verwendung von Polyester in Recyclingprozessen bereits weit verbreitet ist, wird Kunststoff seltener eingesetzt – was Baggerman dazu veranlasste, sich mit seiner Verwendung zu befassen. Baggermans Ansatz befindet sich in einem frühen Entwicklungsstadium, weshalb sie derzeit nach Partner:innen sucht, um die Entwicklung weiter voranzutreiben, sagte sie gegenüber FashionUnited: „Wir konzentrieren uns im Moment nur auf das Material – welche Qualität es hat und ob wir es in größerem Maßstab herstellen können."

Baggerman, die seit fünf Jahren mit Plastik arbeitet, sagte, es sei wichtig, über die Verwendung menschlicher Abfälle in der Textilproduktion zu sprechen, weil wir sie oft nicht als Material sehen, obwohl wir sie täglich verwenden. „Die Zukunft besteht darin, darüber nachzudenken, was wir mit den bereits vorhandenen Materialien machen können, welche Farben es gibt und wie wir sie verwenden können", sagte sie.

Obwohl es derzeit keine konkreten Pläne gibt, das Material in der Modeindustrie einzusetzen, was wahrscheinlich auf seine eher starre Beschaffenheit zurückzuführen ist, stellt Baggermans Projekt einen interessanten Ansatz für die zirkuläre Textilproduktion und das Potenzial dar, die unser Abfall bietet. „Wenn man eine Designerin ist, muss man über diese Dinge nachdenken", fügte sie hinzu.

Bild: Studio Charde Brouwer, photo by Melanie Schaap Model: Lisa Licht

Eine andere ungewöhnliche Idee, die vorgestellt wurde, war das Konzept, den menschlichen Körper zu nutzen, um etwas für die Umwelt zu bewirken. Afterlife, ein in der Entwicklung befindliches Projekt der niederländischen Designerin Charde Brouwer, griff diese Idee mit einem Konzept auf, das unseren eigenen Körper als Nährboden für die Natur sieht. Durch ihre Forschungen hat Brouwer einen Weg gefunden, die Welt um uns herum auch nach unserem Tod zu reparieren, indem sie biologisch abbaubare Materialien für Kleidung verwendet, die das Wachstum der Natur stimulieren und ihr beim Wiederaufbau helfen können.

„Was wäre, wenn wir mit unserem letzten Atemzug etwas zurückgeben könnten?", sagte Brouwer bei der Vorstellung des Projekts. „Nachdem wir gestorben sind, könnte die Erde unseren Körper noch als Nahrung gebrauchen. Indem wir ein Material mit unserem Körper kombinieren, können wir ein Ende in einen Anfang verwandeln."

Brouwer stellte in Frage, dass wir uns in Polyester eingraben und Bäume ausgraben, um sie dann wieder in der Erde zu vergraben – ein Prozess, der derzeit nicht zirkulär ist. Die von Brouwer hergestellten Materialien haben eine lederähnliche Struktur, sind flexibel genug, um ein Kleidungsstück herzustellen, und werden mit natürlichen Inhaltsstoffen aus Gemüse und Obst gefärbt.

Die Idee von Brouwer, die sich noch in der Anfangsphase befindet, besteht darin, eine vollständig anpassbare Erfahrung zu bieten, die es Träger:innen oder der Familie ermöglicht, die Farben und Muster des Materials zu wählen und zusätzlich Blumensamen zu verwenden, die in das fertige Kleidungsstück eingearbeitet werden können und schließlich dort wachsen, wo die Person begraben wird. Obwohl es sich um ein düsteres Thema handelt, glaubt Brouwer, dass diese Methode die Bedeutung von Friedhöfen verändern und dem Leben nach dem Tod einen neuen Sinn geben wird.

Obwohl sich viele Konzepte zur Verwendung menschlicher Abfälle noch in der Anlaufphase befinden, wird immer deutlicher, welches Potenzial in der Wiederverwendung dieser bereits vorhandenen Materialien steckt, die uns täglich umgeben. Obwohl viele dieser Schöpfer:innen nicht nur durch ihre Experimente, sondern die Reaktionen von Außenstehenden herausgefordert werden, sind sie entschlossen, unsere Sichtweisen zu ändern – in der Hoffnung, dass die Industrie endlich nicht mehr Abfall, sondern ein verwendungsfähiges Material sieht.

Image: Studio Charde Brouwer

Dieser übersetzte und bearbeitete Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.uk. Übersetzung und Bearbeitung: Karenita Haalck

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