Bias Cut: Wie Galliano mit schrägem Zuschnitt Gender-Trennlinien durchschneidet
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Die Technik des Zuschnitts im schrägen Fadenlauf kannte man bereits im Mittelalter. In der Ära vor der Erfindung von Strickwaren wurde sie bei der Herstellung von Strumpfwaren verwendet, um die Passform zu verbessern, und schräge Stoffstreifen wurden regelmäßig verwendet, um Kleidungsstücke mit Rüschen und Bündchen einzufassen. Aber erst in den 1920er Jahren wurden die Technik von ihrer Nebenrolle zu einem Star erhoben, als die französische Modeschöpferin Madeleine Vionnet sie auf bodenlange Satin-Abendkleider anwandte. Getragen von den glamourösesten Stars ihrer Zeit, wie Jean Harlow, Greta Garbo und Marlene Dietrich, wurde der "Bias Cut", wie der Zuschnitt im schrägen Fadenlauf auf englisch heißt, bald zum Synonym für die lässige Sinnlichkeit einer 30er Jahre und zum Inbegriff von Weiblichkeit.
Aber was ist der Bias Cut? Im traditionellen Schneiderhandwerk nennt man ihn 'schrägen Zuschnitt', weil die Schnittteile im 45-Grad-Winkel zur Webkante des Gewebes gelegt werden. Das Ergebnis dieses Zuschnittes erzeugt alle möglichen interessanten Eigenschaften, vor allem aber steigert es die natürliche Elastizität des Kleidungsstücks und sorgt für und einen besonders fließenden Fall. Der Nachteil ist, dass der schräge Zuschnitt in Dilettantenhänden zu Faltenbildung, ungleichmäßigen Nähten, unwillkommenen Zerren und Kleidungsstücken führen kann, die gespannt wirken. Vionnet, die ihre Ideen zuerst auf einer kleinen hölzernen Schaufensterpuppe ausprobierte, hängte den schräg geschnittenen Stoff eine Woche lang in ihrem Studio auf, damit die Schwerkraft auf das Gewebe wirken konnte, bevor sie anfing, die Teile zusammenzunähen. Sie wurde bekannt als die Königin des Bias Cut.
Der Ursprung aller Schrägen Schnitte
Während des gesamten restlichen zwanzigsten Jahrhunderts haben Designer von Ossie Clark über Halston bis hin zu Jean Paul Gaultier alle von den Pionierleistungen von Vionnet profitiert. Wie Azzedine Alaia einmal sagte: "Sie ist der Ursprung von allem, die Mutter von uns allen", und ihr starker Einfluss auf seine Arbeit wurde ständig betont. Alaia achtete nicht auf Trends, machte keine Werbung und inszenierte Modenschauen nur dann, wenn ihm danach war, aber laut der Zeitung The Independent, die ihn als "den letzten Kunsthandwerker unter den Modeschöpfern" bezeichnete, waren seine Kleider in Harrods besser als alle anderen internationalen Designer. Im Zentrum von Alaias Handwerk stand der Bias-Cut. Er verwendete ihn, um die körperbetonten 'Goddess Dresses' zu konstruieren, die eine globale Armee von Rockstars über Royals bis hin zu First Ladies zu Fans seiner Mode machten. Denken Sie an Grace Jones in dem rubinroten Kapuzenkleid, das wie eine sprichwörtliche zweite Haut ihre rasanten Bewegungen mitmachte.
Der wohl nachhaltigste Eindruck von Bias Cuts auf die moderne Mode wurde von der Schere John Gallianos hinterlassen. Er stolperte über die Technik, während er experimentell Stoffe für seine 1986 "Fallen Angels" -Kollektion drapierte. Jemand schlug vor, sich bei Vionnet Inspiration zu holen, und eine neue Welt erschloss sich ihm. In den 90er und 00er Jahren waren seine eigenen Kollektionen und die, die er für Christian Dior kreierte, gespickt mit cremefarbenen Slip-On-Kleidern, gekräuselten Chiffon-Kleidern und makellosen diagonalen Nähten, die sich um die Hüften schlängelten.
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Und der Dialog hat eine entschieden zeitgenössische Wende in Richtung Neuland der Couture Menswear gefunden. Bias Cut war immer gleichbedeutend mit Luxus, da es mehr Stoff benötigt und mehr Abfall verursacht als normales Schneiden. Einige Beispiele für diese Technik zeigten sich in den letzten Jahren bei den Herren von Designern wie Raf Simons und Jonathan Anderson, aber für das Frühjahr 2019 hat John Galliano für Maison Margiela eine neue Ära des Bias Cut eingeläutet. Mit maßgefertigten Capes und Tweed-Anzügen mit Karomuster, bonbonfarbenen PVC-Leggings, Tierdruck-Pelzkorsetts und Cowboystiefeln war seine Artisanal-Vision verwegen und provokant, jung und dennoch nachdenklich. Indem er Bias-Cutting mit maßgefertigter Herrenmode vereinte, hat er die perfekte Metapher dafür gefunden, wie sich das Gefüge der Gesellschaft verschoben hat. Beziehungen, Sexualität und Geschlechtsidentifikation folgen nicht mehr dem alten traditionellen Gewebe, sondern sind individuell und einzigartig. Was ist Weiblichkeit heute? Was ist Männlichkeit? Der Bias Cut schneidet durch die traditionellen binären Systeme und entwickelt eine neue Einfachheit: elastisch, befreiend, für alle.
Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in NYC und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ
Fotos: SS19 Maison Margiela, Catwalkpictures; Madeleine Vionnet black/white Albin Guillot /Roger-Viollet /AFP; Madeleine Vionnet, Francois Guillot /AFP; Wikimedia Commons: Man Cutting Cloth North Carolina, Lewis Hine, U.S. National Archives and Records, NARA 518485; Artwork for Madeleine Vionnet fashion design, Madeleine Vionnet, purists de la mode (lesartsdecoratifs)-Will;Ilustración. Figurín de un vestido de Madeleine Vionnet visto por el delantero y la espalda. Fábrica de bordados (Barcelona) Casa H. Estévez - Museo del Traje; model, posing in a Vionnet-inspired dress in the 1930s, State Library of Queensland, Australia, source flickr.com; Azzedine Alaia grey acetate dress from 1986-1987 ellenm1