Bellottis Hamburger Klanglandschaften: Ein Vorgeschmack auf sein Jil Sander Debüt
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Simone Bellotti bringt Jil Sander zurück nach Hamburg. Doch wie klingt der Einstieg des neuen Kreativchefs bei Jil Sander und was verrät er über seine künftige Ausrichtung der Marke?
Noch vor seinem offiziellen Laufstegdebüt als Kreativdirektor von Jil Sander gab Bellotti einen ersten Einblick in seine Vision. Statt auf einen modischen Paukenschlag zu setzen, wählte der italienische Modedesigner allerdings ein atmosphärisches Video namens “Wanderlust”, das Musik und die Hansestadt Hamburg in den Fokus rückte.
Bellotti huldigte damit dem Ursprungsort des Labels und kehrte an jenen Ort zurück, an dem Heidemarie Jiline „Jil“ Sander 1968 ihre erste Boutique eröffnete. Dass sich Bellotti ausgerechnet für Hamburg entschieden hat und Mailand damit zumindest vorerst den Rücken kehrt, scheint mehr als nur eine symbolische Geste. Es wirkt wie ein programmatischer Hinweis darauf, wie ernst er die DNA des Hauses nimmt. In einer Branche, in der kreative Führungswechsel häufig mit großem Inszenierungspathos begleitet werden, erscheint dieser Einstieg beinahe entschleunigt aber keineswegs kraftlos. Im Gegenteil, das Video wirkt wie ein leiser Auftakt mit dem Potenzial für langen Nachhall.
Eine Vorschau ohne Mode
Für seine erste Vorschau auf seine Vision für Jil Sander entschied sich Bellotti jedoch nicht nur gegen Mailand, sondern auch weitgehend gegen Mode im klassischen Sinne. Kleidung rückte in den Hintergrund einer Vision, die sich vielmehr über Musik und Atmosphäre definierte. Das Video wird begleitet von einem bislang unveröffentlichten Track des italienischen Komponisten Bochum Welt, bürgerlich Gianluigi Di Costanzo, einem Künstler mit deutsch anmutendem Alias, dessen Musik zwischen technoider Melancholie und intellektueller Electronica changiert.
Zufällig scheint diese Wahl kaum. Vielmehr lässt sie vermuten, dass genau dieses Spannungsfeld – Deutschland und Italien, Intellektualismus und Nostalgie – auch Bellottis eigene Handschrift prägen könnte.
Wie die Marke selbst wirkt auch die gewählte Musik intellektuell, minimalistisch und von emotionalen Untertönen durchzogen – Eigenschaften, die sowohl der Architektur Hamburgs als auch dem puristischen Ansatz von Jil Sander entsprechen.
Die Titel der eigens für dieses Projekt produzierten Vinyl-EP – ab August in Jil-Sander-Stores erhältlich – erzählen zudem von inneren Spannungen und Kontrasten: Crystal Ice, Wanderlust, Shades, Night’s Frost, San Peder a Sent, More Light (Escape Mix) und Cresting Waves wirken wie klanggewordene Gedankenspiele über Tag und Nacht, Stillstand und Bewegung, Urbanität und Natur. Themenfelder, die möglicherweise auch Bellottis Debütkollektion prägen könnten.
Auch das Video selbst wirkt reduziert, aber reich an Symbolik. Bellotti, der zuvor bei Bally tätig war und prägende Stationen bei Carol Christian Poell und Gianfranco Ferré durchlief, nutzt die Rückkehr nach Hamburg als mehr als nur eine historische Referenz. Er signalisiert eine mögliche Rückkehr zur Quelle, nicht nur geografisch, sondern ideologisch.
Jil Sander stand stets für eine besondere Form von Strenge: den Intellekt des Bauhauses, die Zurückhaltung des deutschen Minimalismus und die Sinnlichkeit der Androgynie und für Bellotti scheint diese Formel weniger ein Relikt als vielmehr ein Bauplan zu sein, den es weiterzuentwickeln gilt.
Ein weiterer kreativer Umbruch für Jil Sander
Was ihm dabei zugutekommen dürfte, ist seine Erfahrung im Umgang mit Traditionsmarken. Beim 1851 gegründeten Schweizer Label Bally, das er zuletzt als Creative Director führte, fand er subtile Wege, Schweizer Folklore – von kleinen Kuhglocken bis hin zur Legende der Engadiner Seejungfrauen – in seine Entwürfe einfließen zu lassen, ohne die für ihre Lederhandwerkskunst bekannte Marke zu verfremden oder seine eigene Handschrift zu verlieren.
Sein Talent, persönliche Narrative selbst in die strengste Markenarchitektur einzubetten, könnte ihm auch bei Jil Sander zugutekommen. Denn die Herausforderung, der sich Bellotti nun stellt, liegt im Gleichgewicht zwischen der Achtung des Erbes und der Entwicklung einer eigenen Handschrift. Jil Sander ist mit solchen kreativen Übergängen vertraut.
Seit dem ersten Rückzug der Gründerin 2000, hat das Haus mehrere Eigentümer:innenwechsel und Designer:innen erlebt: von dem italienischen Luxuskonzern Prada bis zum Modekonglomerat OTB, von der intellektuellen Eleganz Raf Simons’ bis hin zur durchdachten Handwerkskunst von Luke und Lucie Meier.
Nun ist es an Bellotti, sich mit der tiefen Verwurzelung der Marke in deutschen Gestaltungsidealen auseinanderzusetzen. Seine erste Kollektion im September wird zeigen, wohin ihn seine gestalterische Reise führen wird – doch in Hamburg deutete bereits vieles auf den Beginn eines neuen Kapitels hin. Eines ohne radikalen Bruch, sondern als respektvolle Weiterentwicklung.