Aus Überzeugung geboren: CEO Mikuláš Hurta über NIL Textiles Weg zur Kreislaufwirtschaft in der Mode
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Am Anfang von NIL Textile stand nicht der Stoff, sondern eine Frage: Wie kann Arbeit sinnstiftend sein? Für Gründer und CEO Dr. Mikuláš Hurta lag die Antwort fernab seiner ersten Karriere in der Luftfahrt. 2018 gründete er sein Unternehmen als Ausdruck einer klaren Überzeugung: Textilien sollten nicht als Abfall enden. Nur sechs Jahre später hat sich NIL Textile zu einem globalen Partner für mehr als 1.000 Marken entwickelt und bietet vollständig recycelbare Materialien sowie eine Closed-Loop-Infrastruktur, die für ein neues regulatorisches Zeitalter konzipiert ist.
Im Gespräch mit FashionUnited reflektiert Hurta über die Meilensteine des Unternehmens, seine wissenschaftlich fundierten Innovationen und die dringende Notwendigkeit eines systemischen Wandels in der Modebranche. Dabei taucht immer wieder ein Thema auf: Konsequenz, Klarheit und Zusammenarbeit sind die Eckpfeiler der Mission von NIL Textile, zu beweisen, dass die Kreislaufwirtschaft skalierbar ist.
Sprung in die Textilbranche
Hurtas Einstieg in die Modebranche erfolgte ohne Design-Abschluss oder Familientradition. Stattdessen begann er mit einem Notizbuch voller Fragen. In Zusammenarbeit mit tschechischen Universitäten, darunter Liberec für Textilinnovationen und Brno für molekulares Recycling, befragte er Wissenschaftler:innen zu Faserchemie, Recyclingtechnologien und Ineffizienzen in der Lieferkette. „Ich habe ‘dumme’ Fragen gestellt“, erinnert er sich, „aber sie führten zu den Erkenntnissen, die wir brauchten.“
Diese Einblicke gaben den Anstoß für eine klare Lösung: die Kreislaufwirtschaft. Textilien können so Faser für Faser mit Blick auf ihr Lebensende konzipiert werden. In den ersten Jahren widmete sich NIL Textile der Entwicklung recycelbarer Stoffe und der Validierung des molekularen Recyclings im Labor. 2021 lancierte das Unternehmen seine erste Kollektion. Ursprünglich an Verbraucher:innen gerichtet, erregte das Projekt schnell die Aufmerksamkeit von Marken, die sich fragten, ob diese Stoffe skalierbar sind. Erfüllen sie die Vorschriften? Aufgrund der hohen Nachfrage erfolgte eine Umstellung auf Business-to-Business: Statt die Produkte direkt zu verkaufen, liefert NIL Textile nun recycelbare Materialien direkt an Labels.
Materialien, die mehr verlangen
Bald darauf folgten strategische Investitionen. Dank der Unterstützung durch Danielson, dem größten Textildekorationsunternehmen Mitteleuropas, konnte NIL Textile Produktionsstätten in Europa eröffnen und später mit Niederlassungen in Indien und Bangladesch nach Asien expandieren. Heute bedient das Unternehmen weltweit mehr als 1.000 Marken, von agilen, nachhaltigen Start-ups bis hin zu etablierten globalen Namen.
Dennoch hat die Skalierung die NIL Textile-Philosophie nicht beeinträchtigt. Jeder Stoff, ob NILCOTT®, eine ringgesponnene recycelte Baumwollmischung, oder CIRPAD®, ein Polyamid aus Autoreifen, wird nach den Prinzipien des Ökodesigns entwickelt. „Wahre Kreislaufwirtschaft ist nicht nur ein Recyclingkreislauf“, betont Hurta. „Es geht darum, Materialien immer wieder im Markt zu halten.“
Kreislauf schließen
Über die Materialien hinaus hat das Unternehmen eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Ein globales Netzwerk von Sammelstellen ermöglicht es Verbraucher:innen, Kleidungsstücke am Ende ihrer Lebensdauer zurückzugeben. Marken können ihre Geschäfte oder überschüssige Lagerbestände in dieses System integrieren. Zurückgegebene Textilien werden bis auf die Faser recycelt und wieder in die Lieferkette eingeführt, wodurch Ressourcen im Kreislauf gehalten werden, anstatt auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen zu landen.
Hurta vergleicht seine Rolle mit der eines „Zirkusdirektors“: Er muss viele bewegliche Teile koordinieren, während die Märkte gegen Nachhaltigkeit drücken. „Es gibt Druck auf niedrige Preise. Nachhaltigkeit rückt in der Prioritätenliste nach hinten“, beobachtet er. Seine Mission ist es, den Kurs zu halten. Mit den EU-Richtlinien zur erweiterten Herstellerverantwortung, zum Ökodesign und dem bevorstehenden digitalen Produktpass ist NIL Textile bereits vorbereitet. QR-Codes und in Kleidungsstücke eingebettete Mikrochips gewährleisten die Rückverfolgbarkeit. „Die Gesetzgebung hinkt dem, was wir tun, immer hinterher“, sagt er. „Für uns ist das keine Herausforderung, sondern eine Bestätigung.“
Klarheit schaffen und den Fokus schärfen
Trotz der Fortschritte kämpfen viele Marken nach wie vor mit unscharfen Konzepten. Es stellt sich die Frage, ob Bambus immer besser ist. Und wie sieht es mit recyceltem Polyester aus? Was gilt als “Bio”? Hurta ist der Meinung, dass die Branche Klarheit benötigt: „Wir wissen, was nicht funktioniert, aber wir haben uns nicht darauf geeinigt, was wir stattdessen tun sollen. Ohne Fokus wird es chaotisch. Wir müssen konkrete Wege wählen und die Infrastruktur darum herum aufbauen.“ Eine systematische Sammlung von Textilabfällen fehle noch, fügt er hinzu. Einfache Rückgabemöglichkeiten für Verbraucher:innen und homogene Abfallströme seien der Schlüssel, um die Kreislaufwirtschaft zum Mainstream zu machen.
Wirkung im großen Maßstab
In naher Zukunft will NIL Textile seine Produktionsprozesse automatisieren, um einen wettbewerbsfähigen Preispunkt in Europa zu erreichen. Das Ziel besteht darin, vollständig zirkuläre Materialien lokal zu produzieren und den CO2- sowie Wasserfußabdruck deutlich zu senken. Langfristig sieht Hurta das Unternehmen sowohl als Frontend-Partner für Marken als auch als Backend-F&E-Zentrum, das die Textilwissenschaft voranbringt. Sein Ratschlag für alle, die einen ähnlichen Weg in Erwägung ziehen, ist eindeutig: „Stellen Sie die ‘dummen’ Fragen. Und seien Sie konsequent. Mode ist ein Kampf, aber wenn man den Kurs hält, kann die Wirkung außergewöhnlich sein.“