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Agentur Nelly Rodi: Fünf soziale Trends, die die Mode 2023 beeinflussen

Von Florence Julienne

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Mode
Bild: Vincent Grégoire. Foto DR

Das neue Jahr hat begonnen, aber welche gesellschaftlichen Trends werden die Mode 2023 beeinflussen? Vincent Grégoire, Direktor für Consumer Trends & Insights bei der französischen Trendagentur Nelly Rodi, sagt die Top Fünf der Einflüsse voraus.

Gegen das Establishment

Im Jahr 2023 ist mit der Zunahme von Gegenbewegungen zu rechnen, mit der Aufdeckung von Exzessen. Es entsteht eine neue Moral, die die Reichen in die Verantwortung nimmt: Anti-Jets, Anti-Yachten, Anti-Pelze, Anti-Traditionen, Anti-Konsumgesellschaft: Diese Protestbewegung, die subversiv und aufdringlich ist, wendet sich gegen den verschwenderischen Lifestyle der Boomer. Sie kommt aber nicht nur von der Gen Z, sondern auch von Personen, die zum Establishment gehören, für Luxuskonzerne gearbeitet haben und anprangern, dass das Business nicht nachhaltig agiert. Diese ‚Antis‘ nutzen Soziale Netzwerke für ihren Protest: Cancel Culture, Bashing und andere, auch gewalttätigere, Vorgehensweisen, wie zum Beispiel eine Aktion der Nichtregierungsorganisation Attac, bei der das Pariser Kaufhaus La Samaritaine schwarz angemalt wurde, um Milliardäre anzuprangern. Diese Aktionen sollen die Reichen zwingen, sich selbst in Frage zu stellen.

Deshalb beginnen einige Unternehmen im Luxusbereich, von „regenerativem Luxus“ zu sprechen, der darauf abzielt, wieder Sinn und Verstand im sozialen und ökologischen Sinne walten zu lassen und ihre Strategien darauf anzupassen. Um auf die Antis zu reagieren, haben Unternehmen wie Lacoste Komitees ernannt, die die Entscheidungen des Managements kritisch hinterfragen. Andere werden sich auf Labels oder Zertifizierungen stützen, wie Chloé mit B Corp.

Vivienne Westwood. Bild: Tania Hoser

Diese Kultur der Rückverfolgbarkeit, der Verantwortung und der Gemeinnutzens wird Marken zu Gute kommen, die über technisches Know-how und das Vertrauen der Kundschaft in verfügen. Als Beispiel nennt er Modemarken wie Belstaff, Aigle, Doc Martens, Scholl. Es ist nicht umsonst so, dass die LVMH-Gruppe Birkenstock gekauft hat. Außerdem werden wir 2023 den Erfolg engagierter Labels wie Telfar miterleben, und die Lücke in der Modewelt schmerzlich spüren, die durch den Tod von Vivienne Westwood, der wohl größten Modeaktivistin, entstanden ist.

Die Luxuswelt wird sich für Schaufenster entscheiden, die weniger opulent sind. Die Reichen werden dazu übergehen, sich zu schützen, gemäß dem Motto „um glücklich zu leben, leben wir im Verborgenen.“ Neue Luxusstores werden nicht mehr auf der Straße, sondern in den oberen Etagen angesiedelt und setzen auf höchste Sicherheit und Vertraulichkeit. Es ist die Rückkehr der Speakeasy-Bars, des selektiven Zugangs, der VIP-Karte, der Warteliste – nur für die ‚oberen Zehntausend‘. Dies wird zu einem Boom bei mit geschützten Verbindungen wie VPN, kurz für Virtual Private Network, und Sicherheit im Allgemeinen führen.

SchiparelIi S/S23. Bild: SchiparelIi

Die neue Extravaganz

Es ist eine trotzige Haltung, die sich den Aufforderungen zur Nüchternheit, dem Verzicht und dem Zwang zum Sparen widersetzt. Haben Sie die Nase voll von Marie Kondo? Trauer um den Exzess? Gerade weil die Welt untergeht, muss gefeiert werden! Die neue Extravaganz propagiert das Absurde, die Freiheit, den ‚Glumor‘ (eine Mischung aus Humor und Glamour) und den Konsumismus.

Es ist die Rückkehr des Kabaretts, des Maskenballs, von Designer:innen à la Harris Reed, neu ernannter Kreativdirektor bei Nina Ricci, die Kleider herstellen, die fast nicht mehr tragbar sind, weil sie zu viele Stoffe enthalten. Es ist Daniel Roseberry für Schiaparelli, das Revival der Perücken, des Schmucks, des Modeschmucks, des Ornaments, einer neuen Kostbarkeit. Es ist Kevin Germanier, der Drag-Queens auf den Laufsteg bringt und die Erinnerung an dekadentes Feiern im Lido, Moulin Rouge, Paradis Latin evoziert. Es ist das neue Konzept der Swarovski-Boutique, das einem Schmuckkasten mit XXL- oder XXS-Stücken ähnelt.

Um sich anzupassen, müssen Boutiquen und Kaufhäsuer Verrücktheit, Erlebnisse, Überraschungen, Selfie-Optionen, Spiegelkabinette und Alice im Wunderland in ihre Schaufenster bringen. Immersive Erlebnisse, die die Menschen aus dem Haus locken. Ein Beispiel ist der Hyundai Department Store in Seoul, der ein Hybride zwischen Realität und Digitalem darstellt, mit Räumen, in denen alles ‚avatarisiert‘ wird: eine Etage für die Gen Z mit gebrauchten Sneakers, NFTs, Ramen-Restaurants und einem VIP-Club für Menschen mit einer bestimmten Anzahl von Followern. Huyndai verwandelt seine Schaufenster in eine Theaterbühne, ein Aufnahmestudio, einen Laufsteg... Man kann Make-up-Artists bei der Arbeit beobachten, als ob es sich um den Backstage-Bereich eines Shootings handeln würde, der bereit ist, auf Instagram geteilt zu werden.

Die neue Extravaganz kann die Wiederverzauberung von Geschäften fördern, vorausgesetzt, der Einzelhandel macht mit. Jetzt ist nicht die Zeit zum Sparen. Der Handel muss Risiken eingehen und wieder Leidenschaft und Enthusiasmus in die Läden bringen. Man muss etwas Verrücktes schaffen, das einen Bruch, eine Dissonanz erzeugt und der Kundschaft das Gefühl gibt, in einem Vergnügungspark zu sein. Jacquemus ist ein gutes Beispiel dafür

Bild: Skims

Die Rückkehr der Faulheit

Zu viele Informationen, zu viele Bilder, zu viel Scrollen: Als Reaktion auf das FOMO-Syndrom (Fear of Missing Out) wird die Faulheit von der Gen Z entdeckt. Sie schaltet die digitalen Geräten aus, lässt los und lebt lieber den Moment, und hört auf zu prokrastinieren. Es ist die Generation der geringsten Anstrengung. Sie propagiert Werte wie Faulheit, Langeweile, lässt ihre Fantasie schweifen, tagträumt, schläft. Sie stehen auch für eine Entmaterialisierung des Konsums – es ist eine Kultur des Alles-Habens, aber Nichts-Besitzens.

In der Mode äußert sich dies in der Rückkehr von Normcore: Loungewear, Homewear, Dreamwear, Softwear. Saisonale Kleidung ist nicht mehr angesagt, stattdessen greifen die Konsum-Verweigernde zu Slow-Fashion: Kleidung, die nie aus der Mode kommt, die allen passt, und alle einschließt, also ein inklusives Konzept fährt. Paradoxerweise gibt es gleichzeitig eine Hyperrationalisierung – eine Spezialisierung auf ein einziges Kleidungsstück, einen Anlass, eine Technik, eine Farbe – und die ständige Lagerung, um den Kauf so unkompliziert wie möglich zu machen. Die Quintessenz dieses Trends ist, dass alles sofort verfügbar sein muss.

In der Tat herrscht im Handel Dauerbetrieb: Alles muss jederzeit verfügbar sein. In dieser Kultur der Unmittelbarkeit könnten wir die Rückkehr von Verkaufsautomaten erleben, wie Jacquemus mit seinem Taschenautomaten. Der Einfluss des Digitalen auf das Physische zwingt uns zu einer neuen Automatisierung mit Geschäften ohne Kassierer:innen, in denen per Smartphone bezahlt wird.

Recycelbares T-Shirt von Teemill. Bild: Teemill

Die neue Sparsamkeit

Dieser Trend ist Teil einer inflationären Konjunktur mit dem Verlust der Kaufkraft, Ressourcenverknappung und geplanter Obsoleszenz. Dies erzeugt eine Stimmung der Unabhängigkeit, der Selbstversorgung, in der die Menschen mit dem arbeiten, was sie haben. Das Zeitalter des ‚Re-‘ ist angebrochen: Reparatur, Recycling, Resale. Diese neue Sparsamkeit geht mit Bildung, Mentoring und Tutoring einher: Im Grunde geht es um die Idee, weniger unüberlegt zu kaufen, um eine Win-Win-Situation zu erreichen.

Dies äußert sich in Shops mit Werkstätten, in denen Kund:innen lernen, wie sie ihre Sachen waschen und pflegen. Neue Supermärkte, in denen es eine Wäscherei, eine Pflegestation, oder eine Reparaturwerkstatt gibt. Neuartige Konzepte von Reinigungen, in denen die Menschen lernen, ihrer Kleidung ein zweites Leben zu geben und ihre Turnschuhe zu regenerieren. In Roubaix gibt es mit Les Trois Tricoteurs eine ehemalige Textilfabrik, in der die Gäste einen Kaffee trinken können, während eine Strickmaschine Socken oder einen Pullover nach ihren Wünschen kreiert. Es sind auch neue Recyclinghöfe, die Weggeworfenem einen neuen Wert verleihen: Wenn jemand etwas zurückbringt, erhält er oder sie dafür Einkaufsgutscheine. Alles wird wiederverwendet.

Auch ‚Cobuying‘ ist ein Phänomen, das sich in China ausbreitet: Verbraucher:innen schließen sich zusammen, um gemeinsam einzukaufen, was ihnen erlaubt, die Preise auszuhandeln. Es gibt auch die ‚Händler:innenkundschaft‘, eine neue Generation von Konsument:innen, die investieren und bereits an den Wiederverkauf denken. Dieser alternative Konsum beinhaltet Tauschhandel, Wohltätigkeitskonszepte und natürlich das Mieten und den Secondhandkauf. Vincent Grégoire sieht auch einen Trend zum Zufall: die Rückkehr der Überraschungstüte oder eine neue Art des Handels, die irrationale Wünsche weckt: Online-Wetten oder Lotterien beispielsweise.

Bild: Die Kreation des "Instant"-Kleides von Bella Hadid während der Coperni-Modenschau.

Der Aufstieg von CSR und R&D

Angesichts der geopolitischen, spirituellen, ökologischen und sozialen Herausforderungen bemühen sich die Unternehmen um zukunftsweisende Lösungen für Forschung und Entwicklung im Rahmen ihrer Philosophie der sozialen Unternehmensverantwortung. Sie ebnen den Weg für das Geschäft mit der Regeneration, für Unternehmen mit einer Mission und für die regenerative Ökologie. Sie ziehen Inspiration aus der Art und Weise, wie die Natur sich regeneriert und übernemhen Werte der Biomimikry: Biotechnologie, Biowissenschaften, Biomaterialien, oder Biolumineszenz.

In der Mode drückt sich dies in der Outdoor-, Gorpcore-, Survival-Strömung mit Marken aus, die hauptsächlich aus Korea oder von der kalifornischen Küste kommen. Kleidung aus biobasierten, ökologisch gestalteten oder ökologisch verantwortungsvollen Materialien wie Hanf, Leinen oder Brennnessel. Vincent Grégoire sieht eine Rückkehr zu natürlichen oder synthetischen Materialien, wobei darauf geachtet wird, dass sie nicht gemischt werden, da sie dann nicht mehr recycelbar sind.

Das wohl bekannteste Beispiel zeigte sich bei der Coperni-Show mit Bella Hadid,, bei der ein Kleid aus Zellulose auf das Model gesprüht wurde, das auf dem Kompost entsorgt werden kann. Pangaia ersetzte tierische Daunen durch eine patentierte Formel aus Wildblumen. Es ist ein langsamer Konsum und ein natürlicher und nachhaltiger Ansatz in der Mode, auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Mensch und Erde.

Dieser Artikel wurde auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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