Tennis, Tartan und Zitronen: Das war die Pitti Uomo
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Volle Gänge, gute Stimmung und ein modischere Mitte, mit viel Farbe und einem lässigeren Looks – das bot die 106. Pitti Uomo in dieser Woche.
„Wir sind sehr zufrieden, obwohl die Gesamtsituation nicht einfach ist“, resümiert Raffaello Napoleone, CEO des Messeveranstalters Pitti Immagine. „Tatsächlich haben wir in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass die Pitti Uomo in schwierigen Zeiten wie jetzt sehr gut abschneidet, weil sie die einzige Gelegenheit bietet, in wenigen Stunden die gesamte Kette der Herrenbekleidungsindustrie zu treffen.“
Pitti Immagine zählte nach Ende der Messe etwa 15.000 Besucher:innen. 11.500 der Besuchenden waren Buyer, die zu 46 Prozent aus dem Ausland kamen. Insgesamt stiegen die Zahlen damit gegenüber der Vorjahresausgabe im Sommer leicht, was vor allem den internationalen Buyern zu verdanken ist. Die Zahlen der italienischen Gäste lag derweil hinter den Erwartungen und ging um sieben Prozent zurück. Besonders stark waren die Besucher:innen – in dieser Reihenfolge – aus Deutschland (+15% und etwa 680 Einkäufer:innen), den Niederlanden, Großbritannien, Spanien, Japan, Türkei, den USA, Frankreich, Schweiz, Österreich, Belgien, Südkorea, Polen und Russland vertreten.
Ausstellende und Besucher:innen begeistert
Viele der Ausstellenden seien zufrieden über die guten Austausch inklusive gemeinsamer Problemlösung und neuen Strategien, so der Pitti-Chef weiter. Das liege aber auch an den wachsenden Zahlen der Besucher:innen, die an den ersten beiden Tagen besonders stark waren. So seien aus einigen Ländern wie Deutschland bis zu 20 Prozent mehr Buyer vor Ort gewesen.
Auch Monique Fischer war von der Messe als Besucherin begeistert und freute sich über ein internationales Aufgebot mit einem hohen Anteil an deutschen Marken. „Pitti Uomo ist die Messe, die man besuchen muss“, sagte die Schweizer Expertin für Produkt- und Marketingstrategien. Dem schließt sich auch ihr Landsmann Heinz Ramseier an, der die Pitti Uomo als “führende Messe weltweit” empfindet. Dennoch bemängelt der Gründer der Unternehmensberatung BlueDom die fehlende Innovation bei der Präsentation des Produkts und der Digitalisierung der Marken am Stand. „Marken müssen mehr leben.“
Am Donnerstag war dann auch “weniger Leben” bei den Frequenzen an den Messeständen zu spüren, was sich am Freitag fortsetzte. Dennoch hält Pitti Immagine an einer viertägigen Messe fest, da man auch für den letzten Tag noch bis zu 2000 Besucher:innen erwartete, die teilweise erst angereisten, um dann direkt weiter nach Mailand zu fahren. Dennoch stellen sich machen Aussteller:innen die Frage, ob drei Tage nicht genug wären. Dazu gehört auch der deutschen Hemdenspezialist Eterna, der in der zweiten Messehälfte deutlich weniger Frequenzen wahrnimmt, so Chief Sales Officer (CSO) Dirk Heper, und am letzten Tag auch nur noch mit einer geringeren Präsenz bei Ware und Personal bei seiner Linie 1863 vertreten war.
Sommerliche Hemden ohne Sommer
Dennoch ist auch Heper total zufrieden mit der Messe. „Es war einfach Spitze und wir sehen uns, weil es für uns ja auch das erste Mal war, in der Entscheidung hier zu sein, absolut bestätigt“, so der Vertriebschef. Dabei bleiben auch die schwierigeren Themen wie aktuelle Gesamtsituation und der “nicht stattfindende Sommer” im Heimatmarkt in den Gesprächen nicht aus. „Gerade als Hemdenspezialist haben wir ja schon, insbesondere im deutschen Markt, gewisse Anteiligkeiten im Halbarm und der Bereich ist wirklich stark wetterabhängig.“
Andere Anbieter wie Olymp reagieren derweil auf die zurückhaltendere Nachfrage nach Formalwear mit Investitionen in ein breiteres Sortiment. So will Olymp auch stärker auf das T-Shirt setzen, sagte Elias Banai, Area Sales Manager Nord bei der Olymp Bezner KG.
Während das Wetter in Mitteleuropa nicht so vielversprechend ist, scheint in Florenz bei 27 Grad die Sonne. Passend dazu bieten auch immer mehr Hemdenanbieter:innen, die nicht aus Italien kommen, locker und lässige Shirts neben ihrer klassischen Formalwear an. Ob nun ganz im italienischen Stil in Beige mit aufliegendem, offenen Kragen oder mit viel Farbe und bunten Mustern – Unternehmen wie die kalifornische Marke Robert Talbott, die französisch-indische Marke Mii sowie die britische Marke Ben Sherman zeigen wie ein Hemd schick und cool zugleich sein kann.
Leinen und Sommerkaros
Bei den Materialien spielt für SS25 Leinen – 100 Prozent oder als Mischung – eine besondere Rolle, die in keiner Kollektion fehlen durfte, aber auch von den stetig steigenden Rohstoff-Preisen betroffen ist. So gab es bei Robert Talbott, der kurzärmlige Leinenhemden im hochpreisigeren Segment für 245 bis 275 Euro anbietet, Anpassungen von bis zu 15 Prozent. Andere Anbieter wie Eterna konnten ihre Preise derweil aber insgesamt halten.
Lyle & Scott spielte derweil auch mit eher untypischen Mustern für den Sommer und präsentierte als Teil seiner neuen gehobeneren Linie Reframed ein Poloshirt mit einem leichten Tartan, den die schottische Marke erstmals in einer anderen Farbgebung im Herbst präsentierte. Die Marke, die dieses Jahr ihr 150. Jubiläum feiert und dafür auch zahlreiche Kooperationen – wie für Kidswear mit der deutschen Spielzeugmarke Playmobil – vorstellt, ist mit dem Sommer-Tartan aber nicht allein. Auch andere Marken wie Marine Serre kombinierten verschiedene Tartan-Muster in einem Patchwork-Mantel. Die Gastdesigenerin der 106. Pitti Uomo setzte mit ihrer Kollektion ein Zeichen für Zusammenhalt.
Erster Aufschlag und Matchball
Das Messe-Konzept “Pitti Lemon” zog sich wie ein “gelber Faden” durch den Veranstaltungsort Fortezza da Basso, was sich mit verschiedenen Ständen von Limonade bis zu Blumen und der Flächengestaltung zog. Daneben folge die Pitti Uomo auch dem Tennis-Trend, der von Spezialisten wie Macron präsentiert wurde. Mit einem großen Stand im Eingangsbereich versuchte die italienische Tennis-Marke besonders am Ende jedes Tages, die Besuchenden beim Verlassen des Geländes mit einem Cocktail-Event aktiv auf den Stand zu locken, um ihnen auch seine Lifestyle-orientierteren Stücke zu präsentieren. Aber auch Modemarken wie KNT by Kiton und der Cashmere-Anbieter Casheart zeigen an den Sport angelehnte Kollektionen.
Sport spielt auch beim Messeneuling Drake Piper eine Rolle. Der gleichnamige Gründer, der aus Chicago kommt, aber in Mailand lebt und arbeitet, will sich mit seiner ersten Kollektion dem Handel präsentieren. Die Stücke finden ihre Inspiration in verschiedenen US-Sportarten wie Lacross, Baseball sowie Surfen und schlagen eine Brücke zwischen der sportlichen Note und einer Streetwear- und Lifestyle-orientierten Tendenz.
Ebenfalls erstmals bei der Pitti Uomo und aus den USA ist die Marke Rag & Bone. Der Denim-Spezialist, der Anfang des Jahres vom US-amerikanischen Modekonzern Guess Inc. und der Brand-Management-Firma WHP Global übernommen wurde, will den europäischen Markt mehr in den Fokus nehmen.
Aktuell ist die Marke hierzulande bei Händler:innen wie AboutYou, Breuninger, Apropos und KaDeWe erhältlich, plant aber dieses Jahr einen sowie im kommenden Jahr drei Stores in Deutschland zu eröffnen. In London gibt es bereits zwei Standorte der Marke, die im Heimatmarkt etwa 40 Läden betreibt. Designer Robert Geller stellte mit seiner Berufung die Marke neu auf. Er brachte drei verschiedene Linien zu einer großen zusammen und verpasste der Marke auch einen lässigeren, leichteren Touch.
Renaissance der Krawatte
Lässig scheint auch insgesamt das Stichwort zu sein und sich bei der weniger modischen Mitte zu etablieren. Trendexperte Julian Daynov, der gute Gespräche auf der Messe geführt hat, zieht ebenfalls ein positives Fazit. Er freut sich besonders, dass die von ihm so genannten “Norm-core”-Marken der bürgerlichen Mitte die Silhouetten verändern. Es werde mehr mit Volumen bei Stücken wie Hosen sowie Hemden gespielt und das nicht nur bei den experimentelleren, jüngeren Marken, sondern auch in der klassischeren Hauptlinie. Außerdem erlebt er die “Renaissance der Krawatte”, die nicht mehr nur in der formellen Kleidung zum Einsatz kommt, sondern auch mit einem modernen, Streetwear-orientierten Twist mit einem Kurzarm-Hemd gestylt wird.
Bugatti ist ein gutes Beispiel für die von Daynov beschriebene Veränderung. Die deutsche Marke zeigte bei ihrer ersten Modenschau unter der Federführung von Chief Brand Officer Florian Wortmann eine Kollektion, die auf Komfort und Qualität mit einer modischeren Tendenz setzte. Darunter waren sommerliche Hemden und moderne Knitwear. Farblich standen besonders die Brand-Farben Blau, Weiß und Braun im Mittelpunkt.
Dieser Beitrag wurde am 17. Juni um 10.10 Uhr mit aktuellen Besucher:innen-Zahlen aktualisiert.