Pitti Uomo: Der moderne Mann traut sich was
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Es gibt kaum einen besseren Ort als die Pitti Uomo, um zu entdecken, was der stilsichere Mann in naher Zukunft tragen wird. Die neunzigste Ausgabe der weltweit wichtigsten Männermodemesse, die am Freitag in Florenz mit Rekordbesucherzahlen zu Ende ging, machte da keine Ausnahme. Denn hier zeigen nicht die Avantgardisten, deren kühne Visionen sich nur einer sehr überschaubaren Zielgruppe erschließen, sondern die Marken, die überall auf der Welt das Sortiment des Fachhandels und anspruchsvoller Warenhäuser bestimmen. Vom gediegenen italienischen Strickwarenproduzenten über solide deutsche Mittelständler wie Drykorn, internationale Jeansanbieter bis zur Premium-Sportswearmarke war alles in Florenz vertreten. Abgerundet wurde das Riesenrepertoire durch einige Newcomer, Nischenlabel und Accessoiresanbieter.
Noch stilprägender als die Aussteller erscheinen die Gäste. Die werden in Florenz generell öfter fotografiert und gefilmt als die über 1.200 präsentierten Kollektionen. Denn viele der männlichen Besucher nutzen die Messe als Laufsteg: Sie präsentieren sich noch ein wenig extravaganter, ein wenig perfekter gestylt als im Alltag. Für dieses Florentiner Phänomen wurde sogar ein eigener Begriff erfunden, der Bewunderung und milden Spott vereint: Als „Pitti Peacocks“ haben die stilbewussten Selbstdarsteller, die sich bewusst gegen den Sportswear-Alltagstrend stemmen, Einzug in den Modekanon gehalten.
Auch in der vergangenen Woche waren sie wieder zahlreich anzutreffen: Männer in perfekt sitzenden pastellfarbenen oder großkarierten Anzügen, Nachfolger der Gentlemen des vorvorigen Jahrhunderts, die bunt gemusterte Westen mit akkurat drapierten Hals- und Einstecktüchern kombinierten, oder Vintage-Workwear-Fans, die aussahen, als ob sie gerade von einer Steampunk-Convention kämen.
Bunt gemustert oder jeansblau – Männermode wird farbiger
Nun ist eine derart perfektionierte Kostümierung für den Großteil der Männerwelt im Alltag keine Option: Selbst die Italiener, die auf der Pitti naturgemäß die Mehrheit der Anwesenden stellen und generell gestylter daherkommen als die übrigen Europäer, wählen für den Messebesuch in Florenz gerne Garderoben, die deutlich extravaganter ausfallen als das, was sie den Rest des Jahres tragen. Doch natürlich färben die Outfits der Besucher auf die Kollektionen der Aussteller ab. Sie bieten oft zurückhaltendere und damit absolut bürotaugliche Varianten jener Looks an, die von den Messepfauen in der Extremvariante vorgeführt werden.
Doch selbst viele der Kollektionen verrieten, dass die Männermode erneut ein Stück wagemutiger geworden ist – wieder waren mehr Farben, mehr Muster und mehr historische Reminiszenzen zu sehen. Am dezentesten war da noch die Allgegenwart der Farbe Blau. Die dominierte viele Kollektionen – entweder mit frischen Marineakzenten oder in Denimtönen. Nun sind Jeans schon seit langem nicht mehr aus der Männergarderobe wegzudenken, aber die typische Farbpalette der Denimstoffe – von tiefblauem Indigo bis zu verwaschenen Tönen – hat nun auch sehr viel feinere Materialien erobert. Ob Sakkos, Oberhemden oder Westen: Viele Kleidungsstücke wollen derzeit aussehen, als seien sie aus Denim.
Blau zählt aber noch zu den konservativeren Varianten des Farbspektrums. Es kann gerne bunter werden, egal ob mit Mint- und Pastelltönen oder leuchtenden Primärfarben. Auch verspielte Blumen- und Tiermuster oder klassische Paisleydessins erfreuten sich großer Beliebtheit – und zwar nicht nur unter den Italienern, die solche belebenden Akzente ohne Rücksicht auf aktuelle internationale Trends traditionell goutieren. So wurde der Stand eines alteingesessenen einheimischen Hemdenherstellers, der eine Vielzahl von kleinteiligen Prints in allen Farben auffuhr, von jungen asiatischen Einkäufern geradezu belagert. Das Festhalten an klassisch italienischen Vorlieben hat sich hier anscheinend ausgezahlt. Gerade findet diese Extravaganz wieder weltweit Anklang.
Traditionsbewusste US-Labels sind bei den Italienern sehr beliebt
Doch der italienische Mann, um den es in Florenz trotz aller Aussteller und Besucher aus dem Rest der Welt im Grunde geht, blickt auch selbst gerne über den nationalen Tellerrand. Zwar bestimmt solides einheimisches Handwerk seine Garderobe, er nimmt aber auch andere Kulturen in den eigenen Kleiderschrank auf, wenn sie denn mit seinen Werten in Einklang zu bringen sind. Gerade erfreuen sich US-amerikanische Labels zunehmender Beliebtheit auf dem italienischen Markt – nicht nur die klassisch-cleanen Preppy-Marken, sondern vor allem solche Firmen, die eine Geschichte und handwerkliche Qualitäten zu bieten haben. Amerikanische Heritage-Labels, die sich von historischer Workwear inspirieren lassen, stehen hoch im Kurs. Aber nur, wenn sie authentisch genug sind. „Made in USA“ – und zwar möglichst auf originalen Maschinen nach historischen Vorgaben – müssen ihre Produkte schon sein, um den modebewussten Italiener zu reizen. Schließlich ist er von der eigenen Industrie hohe handwerkliche Qualität und gelebte Tradition gewohnt. Und viele kleine US-Marken können diese Ansprüche mittlerweile erfüllen. Einige handverlesene Labels aus dieser Kategorie standen besonders im Fokus: Der von Liberty Fairs, dem nordamerikanischen Partner der Pitti, kuratierten Sektion „Born in the USA“ war eine eigene Halle vorbehalten.
Auch Raf Simons und Karl Lagerfeld waren in Florenz
Visionärere Männermode gab es anlässlich der Pitti auch in Florenz zu sehen – nur eben nicht auf dem Messegelände in der Fortezza da Basso: Mit ihren Modenschauen anderswo in der Stadt sorgten der russische Designer Gosha Rubchinskiy und natürlich vor allem der belgische Superstar Raf Simons für Aufsehen, Karl Lagerfeld wurde zur Feier der neunzigsten Ausgabe der Messe mit einer großen Fotoausstellung im Palazzo Pitti geehrt. Doch für die Avantgarde und den ganz exklusiven Luxus kommt letztlich auch kein Einkäufer im Juni nach Florenz – dafür gibt es schließlich die Modenschauen in Paris oder Mailand.
Fotos: Fashionunited