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Der Zahn der Zeit: Neuzugänge, Rückkehrende und deutsches Design auf der Pitti Uomo

Von Jule Scott

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Messen

Pitti Immagine Uomo 105 Bild: AKAstudio-collective

In einer Zeit, in der über die Relevanz von Modemessen diskutiert wird, setzte die 105. Pitti Uomo ein nachdrückliches Zeichen für die Zusammenkunft der Branche. Anstatt die derzeitige komplizierte Wirtschaftslage zu lamentieren, nahmen sich Besucher:innen und Aussteller:innen in Florenz einen Moment Zeit, um sich voneinander inspirieren zu lassen und sich auf die positiven Seiten der Branche zu besinnen.

‘Zeit nehmen’ wurde auf der Pitti Uomo wörtlich genommen, denn die Männermodemesse stand gänzlich im Zeichen von “Pitti Times”. Während zwei riesige Uhren am Eingang der Fortezza da Basso Besucher:innen bereits vor dem Betreten des Messegeländes visuell auf dieses einstimmten, sollte es nicht das einzige Mal sein, dass Zeit – oder das Entrinnen genau dieser – in Florenz veranschaulicht wurde. Gänzlich außer Acht gelassen wurden die derzeitigen Herausforderungen der Branche demnach trotz einer gesunden Portion italienischer Seelenruhe nicht, wie auch die Worte von Sergio Tamborini, Vorsitzender von Sistema Moda Italia (SMI), dem italienischen Textil-Arbeitgeber:innenverband des Landes, bei der Eröffnungszeremonie der Messe verdeutlichen. Der Markt sei 2024 noch komplexer als in den vorhergegangenen Saisons, so Tamborini. Davon beirren ließen sich allerdings die wenigsten, insbesondere nicht Antonio De Matteis, der Vorsitzende des Messeveranstalters Pitti Immagine. Er sprudelte direkt zu Beginn nur so vor Begeisterung und prophezeite eine “herausragende” Messe.

Bild: AKAstudio-collective

Wirft man einen Blick auf die Besucher:innenzahlen sollte De Matteis recht behalten, denn die Anzahl der ausländischen Einkaufenden stieg im Vergleich zum Januar 2023 um etwa vier Prozent auf rund 4.700. Die Gesamtzahl der anwesenden Buyer:innen lag, trotz weniger Italiener:innen vor Ort, bei etwa 13.000, während schließlich 20.000 Schaulustige das Gelände der Fortezza da Basso besuchten. Dabei konnten lediglich die Italiener:innen den Deutschen das Wasser reichen, denn diese standen sowohl an der Spitze der Besucher:innenzahlen, als auch der Ausstellenden.

Pitti Uomo als Sprungbrett und Neuanfang für deutsche Marken

Dass in Deutschland ansässige Modemarken mit 67 Marken am stärksten in Florenz vertreten waren, lag nicht zuletzt auch an der vom Trendexperten Julian Daynov kuratierten Fläche 'Neudeutsch'. In einer Design-Oase inmitten des Messetrubels definierten 20 deutsche Marken Mode und Design "Made in Germany", sowie die Grenzen der Männermodemesse mit teils gender fluiden Ansätzen neu. Das generierte nicht nur viel Neugierde, sondern auch internationales Interesse, sowohl an den Marken der Jungdesigner:innen als auch an dem Konzept selbst. Weitere Messeveranstalter:innen und auch Department Stores, die auf der Pitti Uomo unterwegs waren, hätten bereits Interesse an dem Format gezeigt und gefragt, ob das ‘Neudeutsch’-Format und sein Kollektiv an Designer:innen auch auf Reisen gehen könnten. „Ich freue mich sehr über das Interesse und alle Möglichkeiten, aber mir geht es vordergründig darum, dass man den Designerinnen und Designern die Plattform gibt, ihre Arbeit zu zeigen. Und die Plattform sich treu bleibt“, sagte Daynov und ließ damit die Zukunft des Projektes zunächst offen.

Neudeutsch auf der Pitti Uomo Bild: AKAstudio-collective

Die Messe erwies sich allerdings nicht nur als potenzielles Sprungbrett für eine ‘Neue Deutsche Welle’, auch ‘alte Hasen’ wie Dressler, neuerdings ohne ‘Eduard’, nutzten die Pitti Uomo, um sich nach zehnjähriger Abwesenheit der Branche wieder in Florenz zu präsentieren. „Für jede Marke, die ungefähr so aufgestellt ist wie Dressler, ist es unglaublich wichtig auf der Pitti zu sein“, so Head of Design Christian Fenske, der den Besucher:innen dabei nicht nur die neueste, etwas modischer fokussierte Kollektion mit Hang zum Doppelreiher, sondern auch den aktualisierten Markenauftritt von Dressler auftischte. „Wir haben uns in den letzten zwei, drei Jahre gezielt von dem sehr Klassischen wegbewegt, immer mehr in Richtung etwas Zeitgemäßen, in Richtung Modern-Classic – damit gehören wir jetzt absolut hierher. Der neue Auftritt, inklusive kürzerem Namen und reduziertem Schriftzug, soll zudem, wie auch die Präsentation auf der Pitti, die Internationalisierung der Marke begleiten und vorantreiben. „In Deutschland sind wir gut vertreten, aber wir benötigen einfach noch mehr Länder”, so der Designchef.

Windsor meldete sich bereits in der vergangenen Wintersaison nach acht Jahren auf der Pitti zurück,, um ebenfallsneue Märkte ins Visier zu nehmen. Die Rückkehr scheint sich gelohnt zu haben, denn auch in dieser Saison ist die zur Holy Fashion Group gehörende Premiummarke wieder mit von der Partie. Mit im Gepäck hatten Windsor und Managing Director Jan Mangold sowohl die Herrenkollektion als auch einen kleinen Anteil Damenmode, nicht zuletzt, da ein Pitti-Pendant in der Damenmodewelt Mangold zufolge fehlt. Ein Umstand, dem sich die Pitti-Veranstalter:innen bewusst zu sein scheinen und den sich auch zunutze machen. „Für Windsor war Berlin auch vor dem Ende der Premium kein Thema mehr, das Umfeld hat dort, auch von den Preislagen her, nicht mehr gepasst“, so der Markenchef. „Daher finde ich es gut, dass die Damenkollektionen hier neben der Herrenmode gezeigt werden. Es ist doch eine Inspirations- und Ideenfindungsmesse, da reichen auch drei Puppen und eine Stange von den Damen, dann wissen Interessent:innen, ob sie sich damit weiter beschäftigen wollen oder nicht. Selbst bei den Herren würde das wahrscheinlich für eine Entscheidung reichen.“

Fehlende Messe-Alternativen kommen allerdings nicht nur bei den deutschen Besucher:innen und Ausstellenden zur Sprache. „Letztlich ist es die einzige Messe, die sich heute für Herrenbekleidung noch lohnt“, erklärte Daniele Fiesoli, der Gründer und CEO der gleichnamigen Strickmarke, wobei er Mangolds Meinung bekräftigte. Fiesoli ist in gewisser Hinsicht eine Seltenheit auf der Pitti, denn er zählt zu den wenigen Ausstellenden, die die Messe auch nutzen, um Ordern zu schreiben. Außerdem präsentierte er in diesem Jahr erstmals auch seine neue Premiumlinie Selezione, die sich auf die Reinheit der Fasern – Kaschmir, Kamel, Yak und Alpaka – fokussiert. Die Linie sei für den "klassischen" Mann gedacht, der mit den Augen in die Welt des Luxus blinzelt, auch wenn dies ein großes Wort sei.

Daniele Fiesoli auf seinem Stand bei der Pitti Uomo 105 Bild: Daniele Fiesoli

„Wir haben nicht den Anspruch, mit Luxusmarken zu konkurrieren, aber wir wissen, dass es Händler:innen gibt, die neben den großen Luxusmarken auch luxuriöse Produkte suchen“, so der CEO. Trotz eines gut gefüllten und geschäftigen Trubels auf dem Messestand sei es jedoch einfach, ins Grübeln zu kommen und den Sinn der Messepräsenz zu hinterfragen, gesteht er. Am Ende soll es sich aber dennoch lohnen: „Es lohnt sich, denn wenn man hier ist, nehmen die Leute einen vielleicht als selbstverständlich hin, aber wenn man nicht zugange ist, fragen sich alle, warum man nicht mehr da ist – und dann wird spekuliert.“

Präsenz, Positionierungen und Positivität

In vielen Gesprächen kristallisiert sich heraus, dass neue Markenauftritte, fehlende Pendants oder Inspirationssuche jedoch keineswegs die einzigen Gründe sind, warum es die Branche Saison für Saison nach Florenz zieht. In vielerlei Hinsicht stehen unterm Strich drei Dinge im Vordergrund: Präsenz zeigen, Positivität verbreiten und auch neue Positionierungen testen.

Chris Wang, Geschäftsführer der toskanischen Outerwear-Brand Duno, sieht Positivität als den einzigen Weg nach vorn für die Branche. Auch wenn die aktuelle Lage – insbesondere das warme Wetter und der Klimawandel – nicht einfach sei, müsse man “sich allem stellen, auf alles vorbereitet sein und positiv denken”. Ansonsten, so der CEO, würde man nur stolpern und in der Komfortzone sitzen bleiben. „Ich hoffe, dass die anhaltende Negativität in der Branche in ein positives Gefühl umgewandelt werden kann, denn auch wenn die Zeiten schwierig sind, wenn wir uns ständig damit beschäftigen, werden wir zwangsläufig depressiv.“ Als Unternehmer:innen sei es die Aufgabe der Markenverantwortlichen, Lösungen zu finden und den Kund:innen etwas zu bieten, das begeistert. Im Falle von Duno handelt es sich dabei auf der Pitti nicht nur um Jacken, die in leichtern Qualitäten auch den “warmen” Wintern gerecht werden, sondern auch um die “Attic”-Kapsel. Mit der dreiteiligen Mini-Kollektion aus Kaschmir-Jacken mit einer wind- und wasserfesten Oberflächenbehandlung, die im Handel für über 1000 Euro angeboten werden, strebt es die Marke an, ähnlich wie es sich auch bei Fiesoli abzeichnete, sich im Premiumsegment zu positionieren.

Ähnliches, der Schritt weg von schweren Puffern und dicker Winterware hin zu leichteren, technischen Materialien, war an vielerlei Ständen zu beobachten. Moose Knuckles, das kanadische Label für Outerwear und Sportbekleidung, setzt auf “Duvet”-Qualitäten, dünne, leicht gesteppte Puffer und Westen, während italienische Outdoor-Bekleidungsmarke Paul & Shark mit den Resten von der Herstellung des Seidengarns experimentiert, um Jacken zu wattieren, die Versprechen thermisch zu sein. Auch bei dem Outdoor-Ausstatter Woolrich waren auffallend wenige, sonst charakteristische Parkas zu sehen, die für Layering-Pieces aus technischen Materialien wichen. Die unumstritten größte und einschneidendste Veränderung bei Woolrich allerdings die Ankunft von Black-Label-Designer Todd Snyder. Dieser präsentierte als Pitti-Gastdesigner nicht nur seine erste Laufstegkollektion unter eigenem Namen in zwei Jahren, sondern gab auch einen Vorgeschmack der Black-Label-Linie von Woolrich.

Pitti Immagine Uomo 105 Bild: AKAstudio-collective

Diese wurde zwar lediglich auf dem Laufsteg und nicht am mit DJ-Pult und Kaffeebar ausgestatteten Stand gezeigt, doch der Einfluss des Designers, auch auf die Mainline der Marke, war nicht zu bestreiten. „Die Kollektion geht im Vergleich zur Vergangenheit etwas mehr in Richtung traditioneller Stile, aber neu interpretiert auf eine zeitgemäße Art und Weise und ist inspiriert von dem, was Synder für das Black Label entworfen hat“, so ein Vertreter des Labels. Auch das Black Label greife auf historische Styles der Marke –etwa das Rot-Schwarze-Karomuster – auf, aber einfacher und funktionaler. „Die Einfachheit, die Geradlinigkeit, das ist der Todd-Schneider-Touch.“

Todd Synder und Woolrich Black Label Herbst/Winter 2024 Bild: Vanni Bassetti

Showtime in Florenz: Rückkehrer und Neuanfänge

Für Todd Snyder war es eine Rückkehr auf den Laufsteg, während es für Luca Magliano, den einzigen italienischen Designer unter den Gastkreativen in diesem Jahr, eine Rückkehr zu seinen Wurzeln war. Pitti Uomo war der Ort, an dem für den Designer aus Bologna 2018 alles begann. In diesem Jahr kehrte er mit dem Hutmacher Borsalino und dem italienischen Konfektionär Kiton als Kollaborateure, einem Manifest gegen den Faschismus und einer Ode an seine Heimat zurück. „Schönheit ist für mich Antifaschismus“, so der junge Designer vor der Präsentation seiner HW24-Kollektion, die nicht zuletzt dank dieser stark politischen Aussage in Erinnerung bleiben wird.

Magliano Herbst/Winter 2024 Bild: Gerardo Gazia

Deutlich sanfter, aber keineswegs weniger poetisch war die Darbietung des britischen Designers S.S.Daley. Seine Kollektion mag von der Ankündigung des Sängers Harry Styles als neuer Investor kurz nach seiner Show im historischen Palazzo Vecchio überschattet worden sein, doch der aus Liverpool stammende Designer nutze die Gelegenheit, um seine Gäste mit modischen und literarischen Referenzen in britische Internate und deren „institutionalisierte Formalität“ zu entführen.

S.S.Daley Herbst/Winter 2024 Bild: Giovanni Giannoni

Der Vierte im Bunde, der finnische Designer Achilles Ion Gabriel, der bisher vor allem als Schuhdesigner und Kreativdirektor für das auf Mallorca ansässige Label Camper Lab bekannt war, nutzte die Plattform der Pitti Uomo, um eine vollwertige, geschlechtsneutrale und saisonunabhängige Modemarke ins Leben zu rufen, die seinen Namen trägt. Die Designs, darunter Tailoring, Leder-Ensembles, Denim, Strickwaren und verspielte Kleider, waren gezielt verknittert, die Prints überschwänglich und die Botschaften, wie "move, darling" und "go fuck yourself", überaus plakativ und wichen damit etwas von den ansonsten subtilen Anspielungen der Gastdesginer ab.

Achilles Ion Gabriel Debut Bild: Giovanni Giannoni
Baldessarini HW24 Bild: Lorraine Baker Photography / Baldessarini

Abseits des offiziellen Programms präsentierte sich allerdings auch Baldessarini wieder auf dem Laufsteg in Florenz. Noch im Sommer sagte die in der Zwischenzeit zur R.Brands Group gehörende Marke ihre Modenschau bei der Pitti Uomo aufgrund des damaligen Insolvenzverfahrens des Mutterkonzerns Ahlers AG ab, jetzt folgte das Comeback. Im prunkvollen Palazzo Borghese meldete sich die Marke mit 48 Looks unter dem zurück. Unter den rund 150 Gästen war unter anderem auch der ehemalige Baldessarini-Geschäftsführer Florian Wortmann, der seit Oktober letzten Jahres als Chief Brand Officer beim ostwestfälischen Modehersteller Bugatti zugange ist. Ob dieser sich von der Schau, oder der Stimmung in Florenz hat mitreisen lassen, sei dahingestellt, allerdings folgte noch vor Ende der Messe die Ankündigung einer Bugatti-Show auf der Pitti kommenden Juni. „Wir wollen unsere Handelspartner:innen gemeinschaftlich zu 120 Prozent in die emotionale Welt mit voller Leidenschaft, totalem Genuss von Bugatti eintauchen lassen“, so Wortmann, der damit bereits die Vorfreude für die 106. Ausgabe der Messe weckte.

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